Nr. 3. Die Gleichheit 10. Jahrgang. Beitschrift für die Intereffen der Arbeiterinnen. Die„ Gleichheit" erscheint alle 14 Tage einmal. Preis der Nummer 10 Pfennig, durch die Post( eingetragen unter Nr. 3122) vierteljährlich ohne Bestellgeld 55 Pf.; unter Kreuzband 85 Pf. Jahres- Abonnement Mt. 2.60. Stuttgart Mittwoch den 31. Januar 1900. Nachdruck ganzer Artikel nur mit Quellenangabe gestattet. Inhalts- Verzeichniß. Aufruf der Vertrauensperson. Die vorübergehende Erscheinung. Die Untersuchung der weiblichen Gefangenen. Von Louise Zietz in Hamburg. Zur Beurtheilung der Mädchenheime des Evangelischen Diakonievereins". Von Prof. D. Dr. Zimmer. Aus der Bewegung. Feuilleton: Gnadenbrot. Von Henrik Pontoppidan.( Schluß.) Notizentheil von Lily Braun und Klara Zetkin: Weibliche Fabrikinspektoren. Arbeitsbedingungen der Arbeiterinnen. Gewerkschaftliche Arbeiterinnenorganisation. Dienstbotenfrage. Sozialistische Frauenbewegung im Auslande. Frauenstimmrecht. Frauenbewegung. Genoffinnen und Genossen! Die vom Parteitag in Hannover beschlossene Agitation für den gesetzlichen Arbeiterinnenschutz legt den Genoifinnen eine ehrenvolle, aber schwere Verpflichtung auf zum praktischen, fruchtbaren Wirfen für eine der dringendsten Reformen, die nicht nur im Interesse der Arbeiterinnen liegen, sondern in dem des gesammten Proletariats. Soll die Agitation erfolgreich durchgeführt werden, so hat sie vor Allem eine Voraussetzung: ein gut vorbereitetes, planmäßiges, einheitliches Handeln, so daß die vorhandenen geistigen und materiellen Kräfte mit größtmöglichstem Nugen verwendet werden. Gerade ein solches Handeln wird den Genossinnen durch die reaktionäre Vereinsgefeßgebung in dem bei Weitem größten Theile Deutschlands gewaltig erschwert. Ihr zufolge besigen die Proletarierinnen in den meisten Orten keine Organisationen, die Trägerinnen und Mittelpunkte der zu entfaltenden Agitation sein könnten. Die Arbeiterinnenvereine, die in einzelnen Städten existiren, dürfen sich fast nirgends erkühnen, für den gesetzlichen Arbeiterinnenschutz zu agitiren, wollen sie nicht wegen Beschäftigung mit den verpönten ,, politischen Angelegenheiten" der Auflösung verfallen. Die Genossinnen sind also im Allgemeinen auf die Thätigkeit ihrer Vertrauenspersonen angewiesen. Durch ihre Vertrauenspersonen haben sich die Genossinnen mit den Genossen am Plaze zu verständigen und dafür zu sorgen, daß ihnen die thatfräftig fördernde Sympathie der politisch und gewerkschaftlich organisirten Arbeiter zu Theil wird. Unsere Genossen aber möchten wir ersuchen, in den Orten, die noch keine weibliche Vertrauensperson haben, die Agitation selbst in die Wege zu leiten. Um eine planmäßige Agitation durchzuführen, ersuchen wir die Genossinnen und Genossen, sich in den nächsten Wochen mit der Vertrauensperson Deutschlands in Verbindung zu setzen, damit von dieser Zentralstelle aus die Agitation eingeleitet wird. Mit sozialdemokratischem Gruß Ottilie Baader, Vertrauensperson Deutschlands, Berlin O., Straußbergerstraße 28, IV. Die Arbeiterpresse wird um Abdruck gebeten. " Die vorübergehende Erscheinung. Eine vorübergehende Erscheinung, die sich austoben muß", so hat der Kaiser die Sozialdemokratie kürzlich genannt. Die Sozialdemokratie hat diesen Ausspruch mit der fühlen Aufmerksamkeit Buschriften an die Redaktion der Gleichheit" find zu richten an Frau Klara Bettin( 8undel), Stuttgart, BlumenStraße 34, III. Die Expedition befindet sich in Stuttgart, Furthbach- Straße 12. verzeichnet, die gegenüber Stimmungen und Urtheilen von maßgebender Stelle in unseren Tagen geboten ist, wo der Zickzackturs gesteuert wird, und des Königs Wille als oberstes Gesez gilt. Die bürgerlich- liberale Presse jeder Schattirung hat sich dagegen der Aeußerung mit einem findischen Eifer bemächtigt, der ebenso sehr in widerlichem Byzantinismus nach oben, als schlotternder Furcht vor unten wurzelt. Das liberale Zeitungsgeschwister geberdet sich verzückt nicht anders, als ob mit der rein persönlichen Werthung der Sozialdemokratie durch den Kaiser schon das unwiderrufliche geschichtliche Todesurtheil über die Partei des proletarischen Klassentampfes gesprochen und der kapitalistischen Gesellschaft mitsammt dem altersschwachen Liberalismus das ewige Leben verbürgt wäre. Was soll's mit dem Getute? Daß geschichtlich genommen die Sozialdemokratie eine vorübergehende Erscheinung ist, diese Auffassung entspricht nur der Binsenwahrheit, die schon der selige weise Salomo verkündigte, der erflärte: Alles hat seine Zeit, Lieben und Hassen, Steineaufleſen und Steinezerstreuen. Die Geschichte ist das verwirrend reiche, vielgestaltige, oft dunkle und kaum entzifferbare Bild von Einrichtungen, Bewegungen, Ideen, die im steten Fluß des Vergehens und Werdens emporiprossen, sich entfalten und absterben. Wie die Parteien, so sind auch die Dynastien und das monarchische Prinzip borübergehende Erscheinungen, die in einem Falle welken, dürren Blättern gleich langsam und lautlos vom Baume der geschichtlichen Entwicklung zu Boden gleiten, die in einem anderen Falle bom tobenden Sturme abgerissen und in rasendem Wirbel davon= gejagt werden. Es ist erklärlich, daß sich gerade jezt das Bewußtsein von der Vergänglichkeit der geschichtlichen Erscheinungen besonders fühlbar aufdrängt. Wir leben in den Zeitläuften der politischen Blöglichkeiten, wo der Lucanus über Nacht Minister holt und bringt, wo die Rezepte der Regiererei von Tag zu Tag wechseln, wo der Reichskarren heute hott und morgen hü dahinholpert. Die Sozialdemokratie hat jedoch wirklich keine, aber auch gar teine Ursache, über ihre geschichtliche Vergänglichkeit und Bedingtheit betrübt zu sein. Sich nicht als vorübergehende, sondern als ewige Erscheinung zu begreifen, hieße für sie nichts anderes, als an ihrem Siege, an der Verwirklichung ihres Endziels verzweifeln. Die bürgerliche Presse fällt denn auch dem gröbsten Selbstbetrug zum Opfer, wenn sie aus dem geschichtlichen Vorübergehen der Sozialdemokratie die tröstliche Hoffnung schöpft, die bürgerliche Gesellschaft könne je mit dieser fertig werden. Umgekehrt wird ein Schuh daraus! Die Sozialdemokratie wird erst in dem Augenblick zur vorübergegangenen Erscheinung, wo sie mit der kapitalistischen Ordnung fertig geworden ist. Sie kann und wird nur zusammen mit den gesellschaftlichen Bedingungen verschwinden, aus denen sie hervorgegangen ist, aus denen sie ihre Existenzberechtigung und Existenznothwendigkeit zieht. Sie wird deshalb erst gewesen sein, wenn die kapitalistische Ordnung mit ihrer Ausbeutung und Bersklavung des Menschen durch den Menschen ge= wesen ist. So lange diese Ordnung besteht, in welcher das Privat eigenthum an den kapitalistischen Produktionsmitteln die Klassenspaltung in Ausbeuter und Ausgebeutete bedingt, die Klassenherrschaft der Kapitalisten über die Proletarier; so lange in Folge dieser Ordnung die kapitalistische Waarenerzeugung zum Zwecke des Profits herrscht und die zügellose Konkurrenz Aller gegen Alle: so lange muß auch die Sozialdemokratie sein, kämpfen und um den Sieg ringen, denn sie ist der Willensausdruck der Ausge beuteten und Beherrschten, die nur durch eine grundlegende Umgestaltung der gesellschaftlichen Verhältnisse die Befreiung erringen fönnen. Zur vorübergegangenen Erscheinung fann die Sozialdemokratie deshalb einzig und allein in dem weltgeschichtlichen Augenblick werden, wo sie durch den Sturz der politischen KlassenHerrschaft der Kapitalisten die Möglichkeit für die freie, ungehinderte Entwicklung der sozialistischen Wirthschafts- und Gesellschaftsordnung und die Emanzipation des Proletariats schafft. Im Kampfe gegen die Sozialdemokratie muß in der Folge das Zuckerbrot und die Peitsche mit der gleichen unvermeidlichen Sicherheit versagen. Mit heiterer Gelassenheit können wir uns daher an dem hoffnungstollen Gezwitscher bürgerlicher Blätter ergößen, welche davon fabuliren, daß die neueste Aeußerung des Kaisers über die„ Rotte von Menschen, nicht werth, den Namen Deutsche zu tragen", einen sozialreformlerischen Frühling heraufzaubern werde, vor dessen lindem Säuseln die revolutionäre Sozialdemokratie zu Gunsten einer frumben Nur- Reformpartei abdanken müsse. Das Ende der Sozialdemokratie kann nur ihr Sieg sein. ' s ist der Geschichte ehr'nes Muß, Es ist kein Rühmen, ist kein Droh'n." Dieses wird Jenes überdauern und überwinden. Die als vorübergehende Erscheinung dem Tode zugesprochene Sozialdemokratie überwindet geschichtliche Erscheinungen, die von mancher Seite für ewig dauernd gehalten werden: Fürstengeschlechter, Monarchien und andere gesellschaftliche Institutionen, was sie auch seien, und wie sie auch heißen". " " Die Untersuchung der weiblichen Gefangenen. Von Touise Biek in Hamburg. Getreu der Devise unseres italienischen Genossen Enrico Ferri:* „ Ich bin Sozialist, und nichts, was die Geschicke der jetzigen und fünftigen Menschheit angeht, ist mir fremd", hat die Sozialdemokratie in Wort und Schrift stets die Forderung vertreten, daß das Straf recht, wie der Strafvollzug nach humanen Grundsätzen geregelt werde. Solange es aber noch eine große Anzahl einflußreicher Personen giebt auch ganz besonders unter den Juristen aller Art.die auch auf diesem Gebiete bremsen, ja sogar rückwärts lenken, indem sie nach Strafverschärfung schreien, Einführung der Prügelstrafe neben Erhöhung des Strafmaßes verlangen, hat diese Forderung wohl kaum Aussicht auf durchschlagenden Erfolg. Zu der von uns vertretenen Ansicht, daß die gesellschaftlichen Verhältnisse eine starke Einwirkung auf die Verbrechen aller Art haben, können diese Leute sich leider nicht aufschwingen, obgleich diese Ansicht sich in voller Uebereinstimmung findet mit den Ergebnissen einer objektiven, sorgfältig forschenden Wissenschaft. Vielmehr hören wir just von„ ge= bildeten" Personen eine recht hohe und harte, scharfe Strafe als Abschreckungsmittel lobpreisen. Ja selbst wenn ausnahmsweise kriminelle Vorkommnisse mit der Schärfe des Scheinwerfers unsere so verrotteten, sozialen Einrichtungen beleuchten, rufen diese Leute nach dem Gesetzgeber nicht in seiner Eigenschaft als Sozialpolitiker, vielmehr wünschen sie von ihm, daß er Staatsanwalt und Polizei, den Universalhelfern in aller Noth mit neuen Machtbefugnissen ausstatte. Sie sehen eben nur das Verbrechen, aber fragen nicht nach den Zusammenhängen, aus denen es hervorwuchs. Sie sehen im Verbrecher nur den Sünder, aber fragen nicht, was ist an ihm gesündigt worden, was hat ihn zum Sünder gemacht. Aber trotz solcher Ansichten, oder vielmehr gerade wegen derselben, erhebt die Sozialdemokratie immer aufs Neue ihre Forderungen, übt sie immer aufs Neue Kritif, entweder durch theoretische Auseinandersetzungen oder durch Besprechung konkreter Fälle, welche sinnenfällig die wunden Stellen unserer diesbezüglichen Einrichtungen zeigen. Wird auch nicht sogleich die bessernde Hand angelegt, so erreichen wir wenig stens, daß immer aufs Neue die Aufmerksamkeit weiter Kreise angeregt, die öffentliche Meinung angerufen, das soziale Gewissen geweckt und geschärft wird. Schließlich wird sich die so allmälig geschaffene höhere Einsicht mit unbezwinglicher Gewalt sowohl den gesetzgebenden wie auch den ausführenden Gewalten aufdrängen. Ein wenig beizutragen zur Erreichung des oben sfizzirten Zieles ist der Zweck nachstehender Schilderung: Am 8. August 1899 trat ich meine dreitägige Gefängnißstrafe an, die ich verwirkt durch Uebertretung des§ 8 des Hamburgischen Preßgesetzes vom Jahre 1849. Aeußerst deprimirend wirkt schon die Vorstellung bei der Oberwärterin, dem Inspektor und noch einem anderen Herrn, zu denen ich in * ,, Neue Zeit" Nr. 42, 1898/1899. 18 Gemeinschaft mit einer ganzen Reihe anderer Gefangenen kolonnenweise geführt ward, und denen man sämmtlich erklären muß, weshalb man bestraft ist. Noch weit niederdrückender aber wirkt die zwangslung, die ich dabei noch gratis erfuhr, sei abgesehen. Dieselbe braucht weise ärztliche Untersuchung. Von der unerhörten Behand nicht nothwendigerweise aus dem hier zu kritisirenden System zu entspringen, sondern ist meiner Ansicht nach vielmehr auf die individuelle Veranlagung des Herrn Dr. Rösing zurückzuführen, die allerdings im Gefängniß den Boden fand, wo sie sich bis jetzt ungehindert zur„ schönsten Blüthe" entfalten konnte. Auch zum Arzt wurde ich, nachdem ich gebadet hatte und mit Anstaltswäsche versehen worden war, mit einer ganzen Kolonne Gefangener geführt; einer Anzahl Prostituirter, die die Kontrollvorschriften der Sittenpolizei übertreten hatten, Diebinnen, Korrigenden u. s. w. Die Prostituirten tamen in einen Saal für sich, vier andere Gefangene, darunter ich, wurden in ein doppeltes Kloset mit einem kleinen Vorraum gesperrt, wo wir uns bis aufs Hemd zu entkleiden hatten. „ Sie werden auch innerlich untersucht", hieß es ,,, dort ist eine Schüssel, die Sie nacheinander zum Waschen nehmen können, und hier ist auch ein Tuch zum Abtrocknen". Eine Waschschüssel und ein Tuch für vier Personen! Meiner unmaßgeblichen Meinung nach geschieht die zwangsweise Untersuchung aus hygienischen Gründen. Wenn das aber der Fall ist, so ist es einfach unerhört, daß 4, sage und schreibe vier. Personen, von denen der Arzt erst nachher konstatiren soll, ob sie gesund oder krank seien, sich in einer Schüssel waschen und mit einem Tuche abtrocknen müssen. Wie leicht ist es möglich, daß unter den Personen, welche zusammen Schüssel und Tuch benutzen müssen, sich eine befindet, die mit einer Geschlechts- oder Hautkrankheit behaftet ist, die durch das Abtrocknen mit demselben Tuche auf die anderen übertragen wird. Die Gefahr der Ansteckung, der durch die Untersuchung vorgebeugt werden soll, wird durch solche Gepflogenheiten geradezu heraufbeschworen. Meines Erachtens wäre es eine Forderung der Hygiene wie der Sittlichkeit, daß jede einzelne Gefangene sich in ihrer Zelle auf die Untersuchung vorbe= reiten müßte. Dadurch würde die Gefahr der Ansteckung vermieden und vor Allem dem Schamgefühl Rechnung getragen. Wie schablonenhaft im Uebrigen verfahren wird, dafür zwei Beispiele. Ich mußte mich der Untersuchung unterwerfen, obgleich ich nur zu drei Tagen Gefängniß verurtheilt war, von denen ich bereits einen verbüßt hatte, als ich untersucht wurde. Eine Frau, die direkt aus dem Gefängnißlazareth, also aus den Händen des Arztes, ins Gefängniß kam, wurde ebenfalls ärztlich untersucht. Nachdem der Herr Doktor erschienen war, kamen wir der Reihe nach, wie wir auf der Liste aufgeführt waren, an die entsetzliche Prozedur, dabei Prostituirte und andere Gefangene durcheinander. Damit der Herr Doktor keine Sekunde zu warten brauchte, mußten wir entkleidet auf dem zugigen Korridor vor der Thür des Untersuchungszimmers warten, bis die Einzelne an die Reihe kam. Da ich das zweifelhafte Vergnügen hatte, die Letzte zu sein, mußte ich mindestens 20 Minuten auf dem Korridor stehen. Ob der Arzt sich nach jeder einzelnen Untersuchung die Hände gereinigt hat, kann ich nicht sagen. Nach der fabelhaften Schnelligkeit, mit der die Sache vor sich ging, scheint mir fast Grund vorzuliegen, daran zu zweifeln. Ein Waschbecken habe ich im Zimmer nicht bemerkt, jedoch ist es möglich, daß ich das übersehen habe, weil ich mich in hochgradiger Erregung befand. Mit Karbol oder Lysol hat jedenfalls der Herr Doktor seine Hände nicht desinfizirt. Mit der rechten Hand griff er in einen Napf mit grüner Seife und ging dann an die Untersuchung. An der ganzen Art und Weise derselben, der Vorbereitung, all dem Drum und Dran, erkennt man, wie mir scheint, daß die Gefangene nicht als Mensch, sondern nur als Uebelthäter betrachtet wird, als die Puppe, welcher der Strafrichter die Nummer eines Artikels des Strafgesetzbuchs auf die Schulter klebte". Mindestens könnte man wohl verlangen, daß dem Schamgefühl soweit Rechnung getragen wird, daß man weibliche Aerzte an Frauengefängnissen anstellt, bezw. mit der Untersuchung weiblicher Gefangener betraut. Ist ferner die vollständige Entkleidung nothwendig?* Bei der Massenuntersuchung von Frauen und jungen Mädchen, die völlig nackt vor dem Arzte erscheinen müssen, ist es sehr wohl möglich, daß die Sinnlichkeit des Letzteren entflammt wird. Wenn die Gefangenen dabei auch vor dem Aeußersten durch die Anwesenheit einer Wärterin geschützt sind, so weiß Jeder, daß es nicht gerade der Vergewaltigung bedarf, um das Weibempfinden aufs Tiefste zu beleidigen und zu * Die Entkleidung scheint uns mit Rücksicht auf die ärztliche Feststellung von Hautkrankheiten 2c. wohl geboten. Für eine ungeheuerliche Schamlosigkeit und Brutalität halten wir es dagegen, daß den zu Untersuchenden zugemuthet wird, entkleidet im Korridor zu stehen und schon völlig entkleidet vor dem Arzt zu erscheinen. Die Redaktion. demüthigen. Wer will später dem Arzte nachweisen, daß Dies und Jenes unzüchtig und nicht nothwendig war zu einer eingehenden Untersuchung? Die Empfindung, selbst das felsenfeste Bewußtsein davon, die Empörung gegen das Erfahrene sind eben keine Beweise. Zudem wird die Scham die meisten Frauen und Mädchen abhalten, die angethane Schmach vor Gericht darzustellen, ja in den allermeisten Fällen wagt die Gefangene nicht einmal, sich ihr Recht zu suchen. Vielleicht wird gar der Arzt, falls er so wenig Feingefühl besitzt, wie der Dr. Rösing gegen mich bewies, in verschiedenen Handlungen einer Gefangenen gegenüber gar nichts Schlimmes sehen, besonders wenn die Untersuchte dem Arbeiterstande angehört. Es ist eben nur eine Arbeiterin, und manche„ gebildete" Herren glauben, sich ihr gegenüber vieles erlauben zu dürfen, was nur mit Blut gesühnt werden könnte, wenn es einer„ höheren" Tochter oder einer gnädigen Frau gegenüber geschähe. Wie sagte doch Herr Dr. Pieschel bei Berathung des§ 182 a der Ler Heinze am 13. Januar 1898 im Reichstage: Denken Sie blos den Fall: irgend ein Arbeitgeber läßt sich eine, im gewöhnlichen Leben auf dem Lande gar nicht so furchtbar schwer angesehene Handlung gegen seine Viehmagd zu Schulden kommen, und später, wenn sie sich erzürnen, denunzirt sie ihn". Ganz ähnlich nachsichtig würden sicher manche Handlungen eines Arztes einer Gefangenen gegenüber beurtheilt werden, weil, um mit jenem Richter zu reden, in dem Stande des Mädchens oder der Frau derartige Handlungen öfter vorfämen. Wir verlangen nachdrücklich, daß in der Gefangenen auch der Mensch und das Weib geachtet wird. Es ist unbeschreiblich, welch deprimirenden Eindruck die heute übliche Art und Weise der ärztlichen Untersuchung auf die Gefangene macht, wie durch sie das ganze Empfinden, das Scham- und Ehrgefühl, das Menschenbewußtsein auf das Tiefste verletzt wird. " Wie ich auf den Wink der Wärterin entkleidet selbst die Schuhe mußte man draußen ausziehen ins Zimmer des Arztes trat und von diesem in so beleidigender Weise angeredet wurde,* glaubte ich mich nicht nur meiner Kleider, sondern auch meiner Menschenwürde beraubt, so entsetzlich erniedrigend und demüthigend wirkte der ganze Vorgang auf mich. Erst in meiner Zelle fam allmälig die Besinnung und ruhige Ueberlegung wieder. Da habe ich vor Empörung mit den Zähnen geknirscht und in ohnmächtigem 3orne die Hände geballt, jedoch was half das? Wie außerordentlich verrohend müssen nicht Vorgänge, wie die geschilderten, im Allgemeinen auf die Gefangenen wirken und am allermeisten auf ungebildete Personen, deren Empörung sich nicht gegen das ganze System richtet, sondern gegen die Menschen, deren Amt es ist, das System zur Anwendung zu bringen. All die Demüthigungen, die sie erfahren, werden sicherlich ihr Gemüth verhärten, werden sich zusammenballen zu einem grimmigen Haß gegen die Gesellschaft, deren Einrichtungen sie dem Verbrechen in die Arme treiben, das dann in so grausamer Weise an ihnen gerächt wird. Dieser grimme Haß, dem das Verständniß für die Ursachen der Uebel fehlt, wird sich sehr oft umsehen in neue Verbrechen. Darum wird man die Verbrechen niemals bekämpfen durch Verschärfung des Strafrechts und des Strafvollzugs, sondern weit eher durch moderne humane Umgestaltung des einen und anderen. Wer sich zu dieser Einsicht nicht aufzuschwingen vermag, sondern an veralteten barbarischen Grundsätzen festhält, der möge sich den Spruch ins Stammbuch schreiben, den eine Gefangene auf die Thür meiner Belle gefrigelt hatte. Er lautet:„ Bin ich nun, weil ich bestraft, der Menschheit so gefährlich? Sind alle, die noch nicht bestraft, so engelrein und ehrlich?" Bur Beurtheilung der„ Mädchenheime des Evangelischen Diakonievereins". Die„ Gleichheit" von 1899 brachte auf Seite 195-198 eine Besprechung der Mädchenheime des Evangelischen Diakonievereins, die verschiedentliche Fragen stellt, beziehungsweise Ausstellungen macht, auf die zur gegenseitigen Verständigung eine Antwort erwünscht sein dürfte. Ich übergehe den zwar richtig zitirten, aber mißverstandenen und ohne den Zusammenhang auch mißverständlichen Sah, daß fremde Arbeiterinnen( gemeint waren die an den betreffenden Orten beschäftigt geweſenen Dirnen und andere zweifelhafte Persönlichkeiten) leicht über die Achsel angesehen werden und dadurch den Frieden stören"; denn es handelt sich hier nicht um Rechtfertigung eines einzelnen Satzes, sondern um Klarlegung der Grundgedanken. * Sie Nr. 19 der ,, Gleichheit"„ Aus der Bewegung": Was einer Genossin als Gefangenen passirt. 19 Die Redaktion bemängelt vor Allem, daß das Wenige, was in den Mädchenheimen geboten wird, nicht ausschließlich von der Rücksicht auf die Interessen der Arbeiterinnen bestimmt wird, sondern mit allerhand Rücksichten verknüpft ist, welche im Gegensatz zu diesen Interessen stehen. Das scheint richtiger, als es richtig ist. In Wirklichkeit sind die Mädchenheime des Evangelischen Diakonievereins überhaupt nicht von der Rücksicht auf die Interessen der Arbeiterinnen als Arbeiterinnen bestimmt, sondern sie sind Erziehungsanstalten für junge Mädchen aus arbeitenden Ständen, den Mädchenpensionaten für Töchter höherer und mittlerer Stände entsprechend. Sie sind darum auch gar kein Mittelchen, welches große soziale Gebrechen heilen will", sondern der Versuch, unbemittelten Mädchen etwas zu bieten, was einigermaßen der Erziehungs- und Bildungsmöglichkeit der Mädchen aus vermögenden Ständen entspricht. Wie kann etwas Derartiges auf dem Boden der gegenwärtigen Wirthschaftsordnung und Gütervertheilung überhaupt in Angriff genommen werden? Ohne Kosten für Wohnungsmiethe, Beköstigung, Lehrkräfte u. s. w. ist ein derartiges Pensionat natürlich nicht möglich. Die Kosten könnten nun von wohlthätigen Leuten aufgebracht werden, aber Almosenempfänger werden keine thatkräftigen Leute. So bleibt also nur übrig, daß die Mädchen, die den Vortheil einer solchen Erziehungsanstalt genießen sollen, durch eigene Kraft und eigene Arbeit, also auf genossenschaftlichem Wege, eine derartige Anstalt sich selbst schaffen. Da sie aber unvermögend sind, muß ihnen dann die Möglichkeit zum Erwerbe durch die Erziehungsanstalt selbst geboten werden. Dies ist nicht anders möglich als dadurch, daß die Mädchen einen Theil ihrer Zeit Theil ihrer Zeit sein der Industrie, genauer verständlich. und es wird nothwendigerweise der größte der Lohnarbeit nachgehen. Daß dieselbe in in der Fabrik gesucht wird, erscheint selbstDie Frage ist, ob Mädchen, die in der üblichen Weise 10-11 Stunden am Tage gearbeitet haben, am Abend noch frisch genug sind zu geistiger Arbeit. Bei Erwachsenen, und zumal bei Männern, hat die Erfahrung diese Frage längst mit ja beantwortet; bekanntlich wird in arbeitenden Kreisen ein gut Stück geistiger Arbeit noch nach schwerer förperlicher Fabrikarbeit geleistet. Auch bei Fabrikmädchen lagen dafür ermuthigende Erfahrungen vor, und schließlich kam es auf einen Versuch an. Der Versuch hat gezeigt, daß, wenn nur die Mädchen mit etwas beschäftigt werden, was ihr wirkliches Interesse erregt, sie nur in den heißen Sommermonaten nicht, sonst aber mit großer Freude bei geistiger Arbeit verweilen und mit Lust lernen. Die weitere Frage war, ob bei einer täglich nur ein bis höchstens anderthalbstündigen geistigen beziehungsweise writhschaftlichen Beschäftigung in drei Jahren das Ziel erreicht werden könne, dem Mädchen alles dasjenige an Wissen und Können mitzugeben, was sie als Hausfrau und Mutter in ihren Verhältnissen braucht, und diese Frage ist, so weit man jetzt sehen kann, auch mit einem runden„ ja" zu beantworten. Wäre dies nicht möglich, so müßten die Mädchen nur einen Theil der Arbeitszeit in der Fabrik zubringen, sich dann aber freilich auch mit einem geringeren Lohn begnügen. Auch dies wäre an sich möglich, aber es würde doch die Erreichung des wirthschaftlichen Zieles, das neben der Erziehung in Betracht kommt, in größere Ferne rücken. So aber ist bei dem genossenschaftlichen Betrieb, dem Einkauf im Großen und der sparsam überlegten Verwaltung es thatsächlich möglich, den Mädchen zu versprechen, daß sie nach sechsjährigem Besuch des Heims mindestens 1000 Mark erspart haben können. Es geschieht dies keineswegs auf Kosten der Lebensunterhaltung, die im Gegentheil unstreitig eine bessere ist, als die Mädchen sie von Haus aus gewohnt sind. Die Anstalt sieht es als eine ihrer unbezweifelten Aufgaben an, die Mädchen an durchaus nahrhafte und reichliche Kost zu gewöhnen, namentlich auch dafür zu sorgen, daß nicht etwa, wie es in der einen Fabrik geschieht, man sich zu Abend oder wohl selbst zu Mittag mit Kaffee begnügt. Damit ist von selbst gegeben, daß das Mädchenheim nicht dazu beitragen kann, die Löhne zu drücken, sondern im Gegentheil, soweit dies durchführbar ist, dazu helfen wird, sie zu steigern. Es ist zwar richtig, daß die einzelnen Mädchen„ einen selbständigen Einfluß auf die Festsetzung ihres Lohnes, der Arbeitsbedingungen überhaupt" nicht ausüben können; dafür tritt eben die Organisation ein. Diese hat mit den betreffenden Fabriken einen Vertrag geschlossen, wonach die gegenwärtig geltenden Lohnsäße nicht ohne die Organisation herabgesetzt werden können. Und da die Mädchenheime einen verhältnißmäßig großen Antheil der Arbeiterinnen der einzelnen Fabrik ausmachen, so ergiebt sich von selbst, daß die Organisation die Macht hat, die Aufrechterhaltung dieser Vertragsbestimmung durchzuführen. Die Organisation bildet eine Genossenschaft Mädchenheime des Evangelischen Diakonievereins", die unter dem Genossenschafts" gesetz steht und als Erwerbs- und Wirthschaftsgenossenschaft gerichtlich eingetragen ist. Zu dieser Organisation gehören die Arbeitgeber und die Arbeitnehmerinnen, soweit dieselben der Organisation angehören wollen und die dazu nothwendige Einzahlung auf den Geschäftsantheil( Mt. 10,-) bereits erspart haben. Nach dem Genossenschaftsgesetz hat jeder Genosse eine Stimme, gleichgiltig wie hoch sein Geschäftsantheil ist; die Arbeitnehmerinnen würden also, wenn es darauf ankäme, die Arbeitgeber überstimmen können. Der Generalversammlung liegt es ob, die Ersparnisse der Schülerinnen zinstragend anzulegen; ebenso hat sie darüber zu beschließen, wenn ein Mädchenheim, etwa wegen ungeeigneter Behandlung oder wegen nicht mehr. zeitgemäßer Lohnbedingungen aufgegeben werden soll. In die Hand der Arbeiterinnen ist damit eine große Macht gelegt, für ängstliche Gemüther vielleicht viel zu viel. Aber die genossenschaftliche Erziehung hat überall die Menschen dazu geführt, von ihrer Macht einen zweckmäßigen und besonnenen Gebrauch zu machen. Diese genossenschaftliche Erziehung beabsichtigt ganz und gar nicht, die Arbeiterinnen in geistiger Unfreiheit zu halten". Die Heime stehen nicht im Banne des Klassenstandpunkts", ebenso wenig der bürgerlichen wie der proletarischen Klasse; vielmehr sind diese beiden Klassen in ein und derselben Genossenschaft miteinander vereinigt, wie denn dies zwar ein von dem sozialdemokratischen Standpunkte weit abweichender, darum aber doch sozialer Gedanke ist, daß der eigentliche Gegensatz für einen Betrieb nicht der zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer sein sollte und in Wirklichkeit ist, sondern der des Produzenten gegenüber dem Konsumenten. Hat die Industrie starke Beschäftigung, so werden auch Arbeitskräfte gefragt, und der Lohn steigt, und in diesem Falle haben auch die Gewerkschaftsbewegungen allein wirklich Aussicht auf Erfolg. Aber Kinder in den Entwicklungsjahren oder junge Mädchen vom 14. bis zum 20. Jahre sind keine selbständigen Mitarbeiterinnen für die Gewerkschaftsbewegung. Sie bedürfen vielmehr der Erziehung, freilich der genossenschaftlichen Erziehung; aber ich sehe nicht, wie man diese wesentlich anders zweckmäßig gestalten könnte, als wie dies in den Mädchenheimen geschieht. Daß die Mädchen im Allgemeinen ein und derselben Konfession angehören, wird, wer Religion für Privatsache erflärt, folgerichtig nicht tadeln können, es ist aber zweifellos eine Erleichterung für die Erziehungsarbeit, und die Mädchen selbst werden von einem Bann" sicherlich niemals etwas zu verspüren haben. Das praktische Ziel aber muß bei der Mädchenerziehung, die sich auf den Boden gegebener Verhältnisse stellt, doch immer dasjenige sein, daß das Mädchen einmal eine gute Hausfrau und Mutter werden kann, zugleich aber, daß sie geschickt wird, sich, " Gnadenbrot. Don Henrik Pontoppidan. ( Schluß.) Es braucht nach dem Allen nicht Wunder zu nehmen, daß diese Anstalt vou allen Seiten als eine Musteranſtalt gerühmt wird, die für das Kirchspiel eine Ehre und zugleich für die Gemeindekassen eine Ersparniß bedeutet. Es ist durchaus keine Es ist durchaus keine Uebertreibung, wenn der Inspektor mit viel Selbstgefühl den Fremden, die er zuvorkommend in dem weiten Bau herumführt, anvertraut, daß die Einrichtung desselben sowohl als die ganze exemplarische Lebensweise für mehrere ähnliche Barmherzigkeitsasyle in den umliegenden Kirchspielen vorbildlich geworden ist. Ja, ringsum im ganzen Lande liegen Brüder- und Schwesterinstitute, die kaum in irgend einem wesentlichen Punkte zurückstehen, sondern alle Zug für Zug die innere Gleichheit ihres Ursprungs verrathen- sogar bis auf die Namenszüge der Majestät, die wie eine definitive Besiegelung über der Eingangsthür prangen. Aber eigenthümlich: die Armen des Kirchspiels scheinen durchaus nicht viel auf den Palast zu geben, mit dem man so freigebig ihre alten Tage bedacht hat. Ja, es ist sogar nicht einmal zuviel gesagt, daß seine bloße Nennung auch den stärksten Drescher zum Erbleichen bringt. Wahrscheinlich hatte auch Stine Bödkers nicht verstanden, sein sinnreiches Ventilationssystem und seine hübschen architektonischen Linien zu schäßen. Wie dem nun auch sei! jedenfalls als man an jenem oben erwähnten Nachmittag ste abholen wollte und der einspännige Leiterwagen, der den Umzug bewerkstelligen sollte, vor der Thür hielt, fonnte man sie auf keine Weise bewegen, zu 20 falls sie zur Verehelichung nicht kommt, ihr Brot selbst zu erwerben. Dies aber wird erreicht, indem die Mädchen 1. in Allem, was sie als Hausfrau und Mutter brauchen, unterwiesen werden, wie dies besser für Fabrifarbeiterinnen wohl überhaupt nicht möglich ist, indem sie 2. angehalten werden, mit ihrem Erworbenen Haus zu halten denn es wird doch dabei bleiben, kein haltbarer Haushalt ohne rechtes Haushalten mit seinen Mitteln und indem sie 3. die Gewißheit haben, daß das, was nur überhaupt möglich ist, an materiellem Erwerb ihnen zufallen wird. Lebenslänglich die Mädchen zu Fabrikarbeiterinnen zu machen ist allerdings unser Ziel nicht. Wir möchten ihnen zu Kenntnissen und Mitteln verhelfen, um nach einigen Jahren wieder aus der Fabrikarbeit auszutreten. Aus diesem Grunde ist auch darauf aufmerksam gemacht worden, daß sie nach 8jähriger Arbeit so viel haben können, um ein kleines Rentengut als Eigenthum zu erwerben; manche von ihnen, die auf dem Lande aufgewachsen sind, werden voraussichtlich gern auf das Land zurückkehren, nun freilich nicht mehr als besitzlose Landarbeiterinnen, sondern im Besitz eines kleinen Gütchens. Das ist der Gedanke. Wie weit er sich verwirklichen läßt, muß ja abgewartet werden; wir sind vorläufig recht wohl zufrieden, und. die Mädchen sind es auch, dafür liegen mir recht viele Beweise vor. Eine andere Frage würde es sein, wie weit die übrigen Arbeitskräfte derjenigen Fabriten, in denen Heimmädchen arbeiten, durch deren Mitarbeit in ihrer wirthschaftlichen oder sonstigen Lage beeinflußt werden. Hierüber kann ich nur das sagen, daß sie eine Lohnverminderung bestimmt nicht erfahren. Nur das ist vorgekommen, daß minderwerthige Kräfte entlassen worden sind, weil die Mädchen aus den Mädchenheimen brauchbarer waren. Im Uebrigen kann auch ich selbst nur wünschen, aus Arbeiterkreisen hierüber Näheres zu hören, wie ich auch für jede Kritik der Mädchenheimsache nur dankbar sein werde, von welchem Standpunkt aus auch sie geschieht. Prof. D. Dr. 3immer. Der Stoffandrang zwingt uns, die nöthige Antwort auf die Ausführungen des Herrn Prof. Zimmer für nächste Nummer zurückzustellen. Die Redaktion. Aus der Bewegung. Eine muthige und treue Kämpferin für die Befreiung des Proletariats ist in Bremen im Alter von 81 Jahren gestorben: Marie Hoppe, das älteste Parteimitglied der Stadt. Die Verblichene, eine Wickelmacherin, lernte die Härte der kapitalistischen folgen, und als man Gewalt brauchen wollte, setzte sie sich mit solcher Leidenschaft zur Wehr, daß ihre Schreie aus dem ganzen Dorfe die Leute zusammenriefen. Es entstand ein fürchterliches Leben. Das halbe Gäßchen stand zuletzt von herbeigeeilten Neugierigen voll, und durch Zurufe, Gelächter, Hundegebell und den Jubel der eben losgelassenen Shulkinder hindurch hörte man drinnen in der Stube Stine feifen, fluchen, schreien, wie nur ein betrunkenes verrücktes altes Weib das fertig bringt. Eine baufällige Bettstelle, eine wurmstichige Kiste und verschiedenes altes Gerümpel ihr ganzes Inventar hatte man ihr mit Mühe entrissen und aus den Fenstern hinauspraktizirt. Und durch diese, die noch offen standen, konnte man von der Straße aus sehen, wie sie drinnen mit irren, drohenden Geberden in dem leeren Raume auf und ab raste. Uebrigens war es für die Dorfbewohner in der letzten Zeit nichts Außergewöhnliches gewesen, Stine in solcher Aufregung zu sehen. Sie war früher eine anständige und strebsame Frau gewesen, die nach ihres Mannes Tode sich selbst und ihre vielen Kinder durch ehrliche Arbeit in den Rüben- und Kartoffelfeldern ernährt hatte. Man hatte sie überhaupt überall da finden können, wo ein breiter Rücken und ein Paar derbe Fäuste gebraucht wurden. Aber seitdem in der vorigen Ernte ihre Hand in der Dampfbreschmaschine zerquetscht worden war, hatte sie unter dem verzweifelten Kampfe um die Eristenz, den sie jetzt führen mußte, immer häufiger zum großen Tröster der Armuth, zu der barmherzigen Branntweinflasche, gegriffen. In dem Augenblick, als es ihr klar geworden war, daß trotz allen Widerstandes doch die Arbeitsanstalt ihr leztes Asyl werden würde, hatte sie jeden Halt verloren... und nun raste sie dort drinnen wie ein wildes Thier die Diele auf und ab, schrecklich zugerichtet, das Kopftuch von dem halbkahlen Schädel in den Nacken herabgerutscht und bedeckt Ausbeutung, die Schwere und Bitterniß des proletarischen Existenz- kampfes kennen. Mit inniger Begeisterung hing sie dem sozialistischen Ideal an und wirkte aufopferungsvoll für dasselbe, wo sie nur konnte. Zumal unter dem Sozialistengesetz hat sie der Partei sehr wichtige Dienste geleistet. In ihrem Heim kamen die Parteigenossen zusammen und beriethen, wie sie die behördlichen Nucken und Tücken pariren konnten. Mit Rath und That stand ihnen Genossin Hoppe dabei zur Seite. Um ihrer Ueberzeugung willen wagte sie Gefähr- liches. Mit großem Geschick half sie den Züricher„Sozialdemokrat" den Nachforschungen der Polizei entziehen. Sie steckte u. A. die Neuangekommenen Packele des Blattes in einen Brotkorb und trug sie so an einen sicheren Ort in den Kasernen, wo sie sich bis zur Verbreitung in bester Sicherheit befanden. Auch wenn es sich um die Aufbringung materieller Mittel handelte, scheute sie kein Opfer, um reichlich spenden zu können. Ihr Leben und Wirken ist ein leuch- tendes Beispiel der idealen Gesinnung, welche das Proletariat im Kampfe für seine Befreiung bethätigt. Tausenden und Abertausenden von Proletarierinnen ruft dieses Leben und Wirken in seiner Schlicht- heit beredt zu:„Gehet hin und thuet desgleichen!" Ehre dem An- denken der überzeugungsstarken, opferfreudigen Frau. Nokizentlzeil. cvon lily Braun und Btara Zetkin.) Weibliche Fabrikinspektoren. Die Anstellung zweier weiblicher Hilfskräfte bei der preußischen Gewerbeaufsicht soll nun endlich erfolgen. Und zwar — um die preußische Regierung bei Niemand in den Verdacht allzu „stürmischen" Fortschritts zu bringen— nur versuchsweise. Die zwei Beamtinnen werde» für die Bezirke Berlin und München- Gladbach angestellt und beziehen 2400 Mark Jahresgehalt. Ob der„Versuch" ein erfolgreicher ist, das wird wesentlich von drei Um- ständen bedingt. Welche Aufgaben die preußische Regierung den weib- lichen Hilfsbeamten der Gewerbeinspektion zuweist, und welche Macht- befugnisse sie ihnen verleiht. Von der persönlichen Befähigung der anzustellenden Damen für das Amt, dessen Bedeutung wesentlich davon abhängt, was die Beamtinnen mittels von Wissen, praktischer Erfahrung, sozialpolitischem Verständniß und pflichttreuer Energie aus ihm zu machen verstehen. Schließlich und nicht zum mindestens von der Unterstützung und Mitarbeit, welche den weiblichen Hilfs- beamten der Gewerbeaufsicht aus den Reihen der organisirten Arbeite- mit Staub und Schmutz. Ein Haufe lärmender Männer und Knechte, die sich vor der Thür versammelt hatten, suchten in Ge- müthlichkeit mit ihr zurecht zu kommen. Aber jedesmal, wenn einer von ihnen sich näherte oder auch blos die Hand nach ihr ausstreckte, krümmte sie sich vor Raserei zusammen und stampfte den Fußboden. Dann und wann ging sie ans Fenster und spuckte auf die Dorfjungen, die draußen schrieen— und dann wollten Lärm und Jubel kein Ende nehmen. Endlich kam der Gemeindevorsteher, nach dem man gesandt hatte.— Er kam gerade von der Tenne— erhitzt und warm— mit Spreu im Haar und an seinen neuen grauen Hosen aus eigengemachtem Stoffe. Er drängte sich hastig durch den Schwärm in die Stube hinein, wo er mitlen auf der Diele mit gespreizlen Beinen und den Händen in der Seite stehen blieb.— Als schließlich Stine zum Bewußtsein kam, wen sie vor sich halte, verstummte sie plötzlich und wurde ganz bleich. Langsam und lauernd zog sie sich darauf durch das ganze Zimmer zurück, bis sie in der hintersten Ecke desselben sich zur Abwehr zusammen- hockte.— Der Gemeindevorsteher folgte ihr, die Augen fest auf sie gerichtet und die Hände unbeweglich in die Seite gestemmt. „Du willst Dich doch wohl nicht am Vogt vergreifen", sagte er endlich. Jetzt war es todtenstill, draußen und drinnen. Stine war aufs Knie gesunken. Gleichsam abwehrend streckte sie die schwarzen, mageren, zitternden Hände vor sich hin, während ihre Kiefer klapperten, als wenn sie reden wollten. Aber es kam kein Laut. Nur die Augen— kleine, schwarze, enlsetzenerfüllte unter der rothfleckigen Stirn— wie sie flehten! Ein grauenvoller Anblick. Der Vogt trat einen Schritt näher, um sie anzupacken. Aber da klang im selben Augenblick draußen aus der Menge eine rostige Eisenstimme:„Holla— laß rinnen zu Theil wird. Damit die organisirten Arbeiterinnen die ihnen in dieser Hinsicht zufallenden Aufgaben lösen können, ist allerdings eins nöthig: daß Regierung und Gewerbeaufsicht in Preußen mit der Berlepscherei brechen, der zu Folge der Verkehr der Fabrikinspektions- beamten mit den Arbeiterorganisationen verboten ist. Die Anstellung einer Fabrikinspektorin in Zürich ist einer Anregung von sozialdemokratischer Seite entsprechend vom Züricher Großen Stadtrath beschlossen worden. Der Jnspektorin fällt die Aufgabe zu, die Durchführung des kantonalen Arbeiterinnen- schutzgesetzes, der gesetzlichen Vorschriften zum Schutze des weiblichen Wirthschaftspersonals, sowie die Thätigkeit der Stellennachweis- bureaus zu überwachen. Tie Anstellung von Gewerbeinspektorinnc« und Weib- lichen Arbeiterdelegirteir der Gcwerbeinspcktion fordert ein Antrag, den die sozialdemokratischen Abgeordneten im ö st e r r e i ch i s ch e n Parlament eingebracht haben, und der eine gründliche Reform und wirksame Ausgestaltung der gesammten Gewerbeaufsicht bezweckt. Dort, wo die Art des Betriebs es fordert, sollen Gewerbeinspekto- rinnen ernannt werden. Die Zahl derselben ist der Anzahl der in den Betrieben eines Jndustriebezirks beschäftigten Arbeiterinnen an- zupassen. Die männlichen wie weiblichen Inspektoren sollen Fach- bildung, praktische Erfahrung und die nothwendigen Sprachkenntnisse besitzen. Alle der Gewerbeaufsicht unterstellten Räume müssen nach dem Entwurf mindestens einmal im Jahre besichtigt werden. Die Inspektion soll sich auf alle Betriebe— Privat- wie Staatsbetriebe- in Groß- und Kleinindustrie. Handwerk, Hausindustrie, Transport- und Verkehrswesen erstrecken. Den männlichen wie weiblichen Ge- werbeinspektoren steht das Recht zu, wo ihnen die Gesundheit der Arbeitenden gefährdet erscheint, Aerzte. Chemiker und andere Sach- verständige zu erforderlichen Untersuchungen beizuziehen Den In- spektoren sollen weibliche und männliche Arbeiterdelegirte zur Seite stehen, welche von den Arbeitern und Arbeiterinnen des Jnspektions- bezirks gewählt werden. Ausgabe der Delegirten ist: die regelmäßige Besichtigung der Arbeitsräume, die Vornahme von Erhebungen über Veranlassung und Folgen von Betriebsunfällen, die Kontrolle über die Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften und die Anordnungen der Gewerbeinspektoren. Wahlberechtigt für die Ernennung der Arbeiterdelegirten sind alle männlichen und weiblichen Arbeiter und Angestellte, welche in den unter Inspektion stehenden Betrieben be- schäfligt sind, das 20. Lebensjahr zurückgelegt haben und mindestens seit einem Jahre in Oesterreich in Arbeit stehen. Wählbar als Arbeiterdelegirte sind alle Arbeiter und Arbeiterinnen, die das aktive Wahlrecht besitze», das 25. Lebensjahr zurückgelegt haben, lesen und die zufrieden, Du!" und gleich darauf mit drei, vier verschiedenen Stimmen derselbe Ruf:„Laß sie zufrieden, Du!" Der Vogt wagte sich nicht zu wenden. Er hatte vermuthlich die Stimme des langen Zacharias Schmied erkannt. Aber mit plötzlicher, geschäftiger Eile kriegte er mit Hilfe von ein paar Knechten Stines Hände und Füße gebunden, worauf sie schnell von vier Männern unter dem erneuten Geschrei der Schulkinder aus der Thür getragen wurde. Es ist nicht auszumessen, wie sie schrie. Es war ein Schrei, der ganz bis ans Ende der Welt und in die Reiche des Himmels hinein hätte reichen müssen.... In der Thür zerriß der hänfene Strick an ihren Füßen und sie begann rasend um sich zu treten. Da gab's Gelächter unter den jungen Knechten, die umherstanden. Aber schnell gelang es dem Vogt, sie in das Stroh des Wagens hincinzuschmeißen, ein paar Mann sprangen hinauf, der Kutscher gab den Pferden die Peitsche... und der Wagen rummelte davon. Dann war es vorbei und die Leute gingen ruhig aus- einander. Der Vogt und der lange Zacharias Schmied wechselten im Vorbeigehen einen schnellen, festen Blick. Dann ging Jeder seinen Weg.—-- Etwas später kam gerade der Probst in seiner behaglichen Kalesche durch das Dorf gefahren. Vermuthlich muß er die Empfindung von etwas Ungewöhnlichem gehabt haben; denn als er zum Dorfteich kam, wo die Schulkinder noch versammelt standen, ließ er den Wagen halten und fragte, was geschehen sei.— Und wie aus einem Munde und mit den Mützen in der Hand ant- warteten die Kleinen in ihrer Unschuld: „Es war nur Stine Bödkers, die auf die„Kasse" kam!" schreiben können und mindestens drei Jahre in einem oder mehreren Betrieben thätig waren. Ehemalige Arbeiter und Arbeiterinnen sind wählbar, wen sie mindestens fünf Jahre in einem oder mehreren Betrieben thätig waren. Die Wahl der männlichen und weiblichen Arbeiterdelegirten erfolgt für drei Jahre, eine Wiederwahl ist zulässig. Die Arbeiterdelegirten erhalten aus der Staatskasse einen Gehalt und die entfallende Aktivitätszulage. Behuss einheitlicher Amtsführung haben die Gewerbeinspektoren mit den Arbeiterdele: girten ihres Bezirks regelmäßige Berathungen abzuhalten und hierbei die erforderlichen Anweisungen zu ertheilen. Leider ist bei dem Stocken aller gesetzgeberischen Arbeit in Desterreich wenig Aussicht, daß der sozialdemokratische Antrag bald zur Erörterung gelangt, und bei dem Charakter des österreichischen Parlaments ist die Aussicht auf seine Annahme noch weit geringer. Arbeitsbedingungen der Arbeiterinnen. Die Ausbeutung der Frauenarbeit in der Lederhandschuhindustrie zu Arnstadt i. Th., einem Zentrum der deutschen Handschuhfabrikation, geschieht nach allen Regeln der kapitalistischen Profitgier. In den Fabriken sind meist junge Mädchen mit Handschuhnähen beschäftigt. Ihr Verdienst stellt sich auf 9-10 Mt. wöchentlich. Zwar kommen ausnahmsweise Wochenlöhne von 15 Mt. vor, dieselben werden jedoch nur von sehr wenigen, besonders geübten Näherinnen erreicht, die nach Schluß der Fabritarbeit noch zu Hause schaffen. Auf der anderen Seite müssen sich Anfängerinnen sehr oft mit 3 Mt. wöchentlich begnügen. Die meisten jungen Arbeiterinnen wohnen bei Eltern oder Verwandten, und dieser Umstand macht es möglich, daß sie bei ihrem Hungerverdienst zu existiren vermögen. Da aber die Eltern und Verwandten in der Regel blutarm sind und ebenfalls nur färglich verdienen, so ist trotz des Rückhalts an der Familie die Lebensweise der unverheiratheten Arbeiterinnen eine armselige. Wenn die Handschuhnäherinnen sich verheirathen, so gerathen sie aus dem Regen der kapitalistischen Ausbeutung in der Fabrik unter die Traufe der kapitalistischen Ausbeutung in der Heimarbeit. Der„ human denkende" Fabrikant, welcher der jungen Frau zu einem„ hübschen Verdienst". verhelfen will, ohne sie ihren häuslichen Pflichten zu entreißen, geruht in seinem Wohlwollen, der Arbeiterin eine Nähmaschine in die Wohnung zu geben und Arbeit dazu. Aber das Entgegenkommen hat einen bösen Haken. Die Frauen bekommen nämlich nicht etwa, wie in der Fabrik, die Maschine unentgeltlich zur Benütung. Es herrscht vielmehr die Gepflogenheit, daß die Maschine an die Arbeiterin abgelassen wird und zwar zum vollen Anschaffungspreis, ganz gleich ob sie schon Monate oder Jahre lang in der Fabrik benutzt worden ist. Die mit der„ Erleichterung" beglückte Heimarbeiterin hat für eine Handschuhnähmaschine 160 Mark in wöchentlichen Raten von 3 Mark zu zahlen. Oft werden Reparaturen nöthig, noch ehe oder kaum daß die Abzahlung der Maschine beendet ist. Sind größere Reparaturen nöthig, so werden die Maschinen nach Berlin geschickt, was durch Vermittelung des Fabrikanten geschieht und oft bedeutende Kosten verursacht. In einem Falle mußte die Arbeiterin bereits nach Ablauf eines Jahres 30 Mark für die Reparatur ihrer Maschine ausgeben. In Arnstadt werden gute Männerlederhandschuhe fabrizirt. Für das vollständige Zusammennähen, Schlitz und Ziernähte nicht inbegriffen, erhält die Arbeiterin pro Dutzend Paare 2,76 Mark. Seide, Garn und Nadeln muß sie auf eigene Rechnung aus der Fabrik entnehmen. Und zwar wird für das Dutzend Handschuhe ein Döckchen Seide à 30 Pfennig und für 8 Pfennig Garn verbraucht, zusammen etwa 14 Prozent des Arbeitslohnes! Nach der genauen Berechnung in einem mir vorgelegten Lohnbuche hat eine sehr fleißige, tüchtige Arbeiterin in 26 Wochen nach Abzug von Seide, Nadeln, Garn und den Versicherungsbeiträgen im Durchschnitt wöchentlich 9,80 Mark an Lohn erhalten. Von diesem Verdienst müssen noch die Kosten für die Nähmaschine, die wie oben gezeigt ziemlich bedeutende sind, in Abzug gebracht werden, wodurch der Lohn ganz erheblich unter seine nominelle Höhe sinkt. Da der Handschuhfabrikant nicht blos durch die angeführten Gepflogenheiten an Betriebskosten spart, sondern auch noch die Ausgaben für Erstellung, Beleuchtung und Beheizung der Arbeitsräume, so ist offensichtlich, wie prächtig seine Profite bei der hausindustriellen Ausbeutung der Arbeiterinnen gedeihen, und wie überzeugt er dieselbe preist, als eine Grundlage für die gesellschaftliche Ordnung und die Heiligkeit des Familienlebens. Wie es mit der Pflege des Familienlebens der heimarbeitenden Handschuhnäherinnen aussieht, das frage man diese selber, oder davon überzeuge man sich durch Verkehr in ihren dürftigen vier Pfählen. Im Durchschnitt verdient der Mann der Arbeiterin nicht 22 mehr als 12 Mark wöchentlich, und im kinderreichen Thüringen müssen fast in jeder Familie viel hungrige Mägen gesättigt werden. Da spornt denn der niedrige Lohn, mit dem die Handschuhnäherin abgespeist wird, diese an, jede Minute Zeit dem Erwerb zu widmen. In fieberhafter Haft schuftet sie darauf los, der Wunsch, die Hausgeschäfte zu besorgen, die Kinder zu pflegen, muß in den Hintergrund treten vor dem Gebot der Noth, etliche Pfennige mehr zu verdienen. Nicht das Walten der Gattin und Mutter drückt dem Heim das Gepräge auf, vielmehr die Thätigkeit der ausgebeuteten Lohnsklavin. Ausdehnung des gesetzlichen Schutzes auf die Hausindustrie, Ausdehnung des gesetzlichen Schutzes zu Gunsten der Arbeiterinnen und gewerkschaftliche Organisation derselben, das sind die Forderungen, welche die Arbeitsbedingungen der Arnstadter Handschuhnäherinnen recht eindringlich predigen. Es gilt für ihre Verwirklichung mit aller Kraft zu arbeiten, damit in der Gegenwart der Ordnung der kapitalistischen Ausbeutung Erfolge abgerungen werden, welche die arbeitenden Massen stärken und sie befähigen, in der Zukunft ihre volle Befreiung durch den Sturz dieser Ordnung zu gewinnen. 0. B. Gewerkschaftliche Arbeiterinnenorganisation. Ein Kongreß aller in der Textilindustrie beschäftigten Arbeiter und Arbeiterinnen findet in Anschluß an die Generalversammlung des Verbands der Textilarbeiter am 16. und 17. April in Gößnitz S. A. statt. Bis jetzt steht auf der Tagesordnung nur der Zehnstundentag. Bei der Rolle, welche in der Textilindustrie die Frauenarbeit spielt, sind die Verhandlungen und Beschlüsse des Kongresses zu der hochwichtigen Frage einer Arbeitszeitverkürzung besonders bedeutsam. Eine Konferenz der organisirten Glasarbeiterinnen des Bezirks Haida- Steinschönau( Böhmen) sand Anfang Januar in Arnsdorf statt. Die Konferenz war aus 6 Orten mit 21 weiblichen Delegirten beschickt, es wohnte ihr außerdem der Obmann( Vorsitzende) des Verbands der Glasarbeiter bei. Wie die Konferenz von Frauen vorbereitet worden war, so leiteten auch Frauen die Verhandlungen. Nach dem erstatteten Bericht umschlossen die Frauenſektionen des Glasarbeiterverbands im Bezirk Haida- Steinschönau im Herbst des vergangenen Jahres 419 Mitglieder, gegenwärtig zählen sie deren 460. Von zwei Sektionen wurde berichtet, daß die Versammlungen regelmäßig alle 14 Tage stattfinden und gut besucht werden. Seitens der übrigen Sektionen wurde jedoch über mangelhaften Versammlungsbesuch geklagt, so daß die Versammlungen nicht in regelmäßigen Zwischenräumen stattfinden können. Als Grund der Erscheinung nannten die Delegirten die lange Arbeitszeit der Arbeiterinnen, die durch weite Wege zur und von der Fabrik ausgedehnt wird; dazu kommen dann noch all die nöthigen häuslichen Beschäftigungen. In mehreren Orten wurden die Frauenfektionen des Glasarbeiterverbands von den männlichen Gewerkschaftern und Genossen mit Rath und That unterstützt, in anderen lassen es leider sogar die Fachorganisationen der Männer an der Förderung der Bestrebungen zur Organisirung der Arbeiterinnen fehlen. Fast allgemein war die Klage, daß es noch an Rednerinnen fehle, um eine regere Agitation betreiben zu können. Wie mannigfaltig die Aufgaben sind, welche die Organisation leisten muß, erhellt aus dem folgenden Umstand. Der Glasarbeiterverband hat im Bezirk eine größere Zahl Ruhebänke errichten lassen, damit sich die Glasarbeiterfrauen ab und zu eine Rast gönnen fönnen, wenn sie oft mit zentnerschweren Lasten auf dem Rücken über das bergige Terrain zum Verleger und vom Verleger gehen müssen. Die Konferenz beschloß zur Förderung der Agitation unter anderem, daß jede Sektion innerhalb eines Monats eine Vertrauensperson wählen muß, deren Aufgabe es ist, regelmäßig monatlich an die Verbandsleitung und die Arbeiterinnen Zeitung" zu berichten. Dienstbotenfrage. Der gesetzliche Achtstundentag für die Dienstmädchen soll in Neusüdwales( Australien) eingeführt werden. Der betreffende Gesetzentwurf ist mit bedeutender Stimmenmehrheit durch das vorbereitende Stadium gegangen. Er bestimmt, daß weibliche Dienstboten nicht länger als acht Stunden täglich beschäftigt werden dürfen. Bei besonderen Gelegenheiten, wie Gesellschaften, steht der Hausfrau das Recht zu, zwölfftündige Arbeit zu verlangen, jedoch nicht mehr als dreimal vierteljährlich und zwar nicht an drei aufeinanderfolgenden Tagen. Der Entwurf verbietet ferner, daß Mädchen unter 14 Jahren in Dienst genommen werden. Wir sind überzeugt, daß sich jedes Haar und jedes Härchen auf dem Haupte der vielberufenen 1900 „ guten deutschen Hausfrau" ob des Scheuels und Greuels sträubt, daß irgendwo„ die Gnädige"" ihre Minna" nur acht Stunden des Tages beschäftigen und kommandiren darf. In Deutschland haben sich ja von rühmlichen Ausnahmen abgesehen nicht einmal die Frauenrechtlerinnen soweit über ihre Interessen als bürgerliche Damen zu erheben vermocht, um auch nur die Aufhebung der ausnahmegesetzlichen Gesindeordnungen zu fordern. Ein Dienstmädchenverein ist in Kopenhagen gegründet worden. Die Forderungen, welche er vertritt, sind bescheidene: Aufhören der Nachtarbeit; genügende Nahrung; ein warmes Zimmer als Aufenthaltsort für die Mädchen, wenn sie ihre Arbeit gethan haben; Gründung einer Schule für häusliche Arbeiten. Diese For= derungen sprechen dafür, daß in Dänemark das Loos der Dienstmädchen ebenso traurig und verbesserungsbedürftig ist, wie in Deutschland. Eine Aenderung der Statuten des Unterstützungsvereins der Dienerschaft Deutschlands, der durch die Bewegung der Berliner Dienstboten bekannt geworden ist, wird von einem sehr großen Theil der Mitglieder beantragt. Die Anregung dazu ist von einer Versammlung ausgegangen, in welcher der Nationalsoziale Herr v. Gerlach referirte und unter Beifall der Anwesenden die jetzigen Statuten in jeder Hinsicht als miserabel bezeichnete. Die Abänderung verschiedener Paragraphen wurde nach Diskussion einstimmig beschlossen. Zu den wichtigsten der geforderten Neuerungen zählt es, daß der Vorsitzende nicht mehr lebenslänglich" amtiren soll, sondern von der jährlichen Generalversammlung gewählt wird. Der Verein hat mit seinem ,, lebenslänglichen Vorsitzenden", Herrn Schröder, die übelsten Erfahrungen gemacht. Der Herr soll, wie es heißt, die Organisation zu eigennütigen Zwecken ausgenutzt haben. Herr Schröder ist deshalb auch mit der beantragten Statutenveränderung höchst unzufrieden und war trotz Einladung nicht in der Versammlung erschienen, welche sich für dieselbe aussprach.„ Das Zentralblatt der Angestellten des Hauses", das Organ des Dienerschaftsvereins, tritt für die Statutenänderung ein. Wie die nächste Generalversammlung entscheiden wird, ist unsicher, da Herr Schröder mit allen Mitteln einer Besserung der Verhältnisse in der Organisation entgegenarbeitet. " Der Dienstbotenfrage ist ausschließlich die letzte Nummer der Wiener Zeitschrift Dokumente der Frauen" gewidmet( Nr. 21 vom 15. Januar d. J.). Die Zeitschrift bringt mehrere Artikel, welche die Frage vom Standpunkt der wohlwollenden und billig denkenden bürgerlichen Hausfrau aus behandeln und das vorliegende schwierige Problem vor Allem durch Erziehung der Dienstmädchen und Bethätigung ethischer Gesinnung der Herrschaft gelöst wissen wollen. Der Organisirung der Dienstmädchen und deren Kampf für bessere Arbeitsbedingungen redet keine dieser Artikelschreiberinnen das Wort. Auch die Altersversorgung der Mädchen wird in der Hauptsache als Werk sozialer Liebesthätigkeit reicher Damen befürwortet. Dagegen behandelt Dr. Julius Ofener die Dienstbotenfrage vom Standpunkt des vorurtheilslosen, klarblickenden Sozialreformlers aus. Er fordert zu Gunsten der Dienstmädchen eine Reihe Reformen bezw. gefeßlicher Schutzmaßregeln, welche sich im Wesentlichen mit den Forderungen decken, die die Sozialdemokratie für das„ Gesinde" erhebt. Interessant sind auch die kurzen Beiträge von Dr. Winter über„ Statistisches" und„ Dienstvermittelung". Wir werden auf dieselben noch zurücktommen. Trot Allem, was wir von unserem Standpunkt aus an der Tendenz der meisten Artikel auszusetzen haben, verdient es doch alle Anerkennung, daß die„ Dokumente der Frauen" sich eingehend mit der verwickelten Frage beschäftigen. " Die Gründung eines Verbands der holländischen Dienstboten ist gegen Ende des vorigen Jahres vom„ Komite für Berufsorganisationen der Frauen" in die Wege geleitet worden. Dieses hatte zu dem Zwecke in Amsterdam eine öffentliche Versammlung der Dienstmädchen einberufen, welcher Delegirte der in dieser Stadt und im Haag bestehenden Dienstbotenvereine beiwohnten. Frau Vos, die Vorsitzende des Verbands der holländischen Näherinnen", befürwortete energisch eine Organisation der Dienstboten, deren Aufgabe sein solle, fräftig für die Verbesserung der Lage dieser ,, wenig beneidenswerthen" Proletarierinnen zu wirken. Da in der Versammlung leider die Zahl der Nichtdienstboten überwog, begnügte man sich damit, die vorbereitenden Schritte für die Gründung eines Verbands der Dienstboten zu beschließen. Das Zustandekommen der Organisation scheint gesichert. Frauenstimmrecht. Eine Petition für das Stimmrecht der schwedischen Frauen wurde Ende Dezember vorigen Jahres dem König Oskar II. durch 23 zwei Wortführerinnen der schwedischen Frauenrechlerinnen Montelius und Frl. Adelberg- übergeben. " -Frau Das aktive kommunale Wahlrecht besitzen in Finnland. die steuerzahlenden Frauen, welche unverheirathet oder verwitwet sind. Der kürzlich in Helsingfors gegründete Zentralverband der Frauen" fordert in einer Petition an den finnländischen Landtag die Zuerkennung auch des passiven Gemeindewahlrechts für die steuerzahlenden Frauen. Aus den uns vorliegenden Nachrichten ist nicht ersichtlich, ob die Frauenrechtlerinnen die Reform auch für die verheiratheten Frauen fordern, oder ob sie die Bescheidenheit so weit treiben, den jetzigen Bestimmungen entsprechend nur für die Wählbarkeit der ledigen und verwitweten Steuerzahlerinnen einzutreten. Indem die Damen nur für Steuerzahlerinnen und nicht für alle weiblichen Gemeindeangehörigen ein Recht heischen, treten sie im letzten Grunde nur für das Recht des Besitzes ein, das sich in weiblichen Händen befindet, und nicht für das Menschenrecht des gesammten weiblichen Geschlechts. Die Forderung des Frauenstimmrechts hat die Partei der bürgerlichen Linken in Norwegen ihrer bisherigen Haltung entgegen nicht in ihr Programm aufgenommen. Die Frauen sind darüber sehr enttäuscht, da viele Anhänger der Linken der Forderung des Frauenstimmrechts wohlwollend gegenüber standen, so lange die Partei nicht an der Regierung war. " Ueber die Frage des Eintretens für das Frauenstimmrecht waren, wie man uns aus Holland schreibt, die Meinungen innerhalb der holländischen Sozialdemokratie getheilt. Mitte November fand in Amsterdam eine von den Sozialdemokraten einberufene Versammlung statt, in welcher die Gründung eines Aktionskomites für Einführung des allgemeinen, gleichen und direkten Wahlrechts erfolgen sollte. Die Führerinnen des Vereins für das Frauenstimmrecht" verlangten, daß die Forderung des aktiven und passiven Wahlrechts für das weibliche Geschlecht in Programm und Agitation der Stimmrechtsbewegung einbezogen werde. Dieses Verlangen wurde von manchen Sozialisten entschieden bekämpft. Ihrer Auffassung nach sollten die Frauen vorläufig auf ihre Ansprüche zu Gunsten des gleichen Wahlrechts für die Männer aller Klassen verzichten, um ihr Recht später von den zur politischen Macht gelangten Arbeitern zu erhalten. Die Arbeiter hätten mehr Aussicht, eine Reform des Wahlrechts durchzusetzen, wenn sie nicht zu viel auf einmal verlangten. Die Forderung des Frauenstimmrechts sei prinzipiell ganz richtig und unanfechtbar, jedoch scheine gegenwärtig das Eintreten dafür aus praktischen Gründen nicht geboten. Die Einführung des Frauenwahlrechts vor Zuerkennung des allgemeinen, gleichen und direkten Wahlrechts an alle Männer, ohne Unterschied der Klasse, fomme nicht einmal der Masse der arbeitenden Frauen zu Gute, vielmehr nur den besitzenden Damen. Sie bedeute mithin nur eine einseitige Stärkung der besitzenden Klasse und somit eine Schädigung der Arbeiter und der sozialdemokratischen Partei. Die Frauenrechtlerinnen bekämpften diese Meinung. Sie betonten, daß die Sozialdemokratie durch ihre Grundsätze zum Eintreten für das Frauenstimmrecht verpflichtet sei, und daß dieses Eintreten der Partei die rückhaltlose Unterstützung der Frauen sichern werde. Des Weiteren erklärten sie sich gegen ein Klassenwahlrecht. Ihre Ansicht drang in der Versammlung durch. Das eingesetzte Aktionskomite soll, wie die " Gleichheit" bereits mitgetheilt hat, für die Einführung des allge= meinen Wahlrechts für alle Klassen der Bevölkerung und für beide Geschlechter mit gleicher Erergie eintreten. Der Verein für das Frauenstimmrecht" hat durch die beschlossene Unterstützung der Sozialdemokratie festen Boden unter den Füßen gewonnen. Die Sozialdemokratie erwartet nun, daß die Organisation dafür künftighin nur solche Kandidaten unterstützt, welche für das allgemeine Wahlrecht für alle Voltstlassen eintreten und nicht blos für das Stimmrecht der besitzenden Frauen. Das Frauenblatt, Belang en Recht" vertritt denn auch gerade mit Rücksicht auf die volle soziale Befreiung des gesammten weiblichen Geschlechts die Auffassung:„ Erst die politische Mündigkeit der Arbeiter, dann die der Frauen". " Sozialistische Frauenbewegung im Auslande. Ein Kongreß der belgischen Arbeiterinnenorganisationen tagt am 28. Januar im Maison du Peuple zu Brüssel. Der Kongreß hält eine öffentliche und eine geschlossene Sigung ab. Auf der Tagesordnung stehen folgende Punkte: 1. Bericht über den Rongreß zu Charleroi. 2. Bericht über die Arbeiterinnenorganisationen, welche in Belgien bestehen oder bestanden haben. 3. Das Eintreten der sozialistischen Abgeordneten für die Fraueninteressen. 4. Die Nach forschung nach der Vaterschaft. 5. Der Sozialismus und die Frauen. 6. Die Beschwerdekommission. 7. Gründung eines Landesverbands der Arbeiterinnenorganisationen. 8. Wahl eines Landesausschusses. Wir hoffen aus Belgien einen ausführlichen Bericht über den Kongreß zu erhalten, dem wir herzlich besten Erfolg wünschen. Die Gründung sozialistischer Frauenorganisationen beschloß der Provinzialkongreß der Sozialisten von Piemont, der am 8. Januar in Alessandria tagte. Die diesbezügliche Resolution besagt, daß sozialistische Frauenorganisationen in den Städten wie auf dem Lande gegründet werden sollen, um das Klassenbewußtsein der arbeitenden Frauen zu wecken und zu kräftigen, und um der Schmußkonkurrenz entgegenzuwirken, welche auf wirthschaftlichem Gebiet die weiblichen den männlichen Arbeitskräften machen. Wie die Lombardei so ist auch Piemont industriell hoch entwickelt. Mit der modernen Industrie zusammen treten jene Erscheinungen auf, welche für die kapitalistisch ausgebeutete Frauenarbeit charakteristisch sind und zur Aufklärung und Organisirung der werkthätigen Frauen drängen. In der Lombardei und Piemont, welche die Hauptsitze der sozialistischen Arbeiterbewegung Italiens sind, erkennen deshalb die Genossen besonders klar die Nothwendigkeit, die Frauen zu bilden und zu organisiren, um sie zu Arbeits- und Kampfesgefährtinnen zu machen. In der Lombardei, besonders aber in Mailand sind schon seit Jahren fräftige Ansätze vorhanden zur Lösung dieser Aufgabe, insbesondere auch zur gewerkschaftlichen Organisirung der Arbeite rinnen. Daß nun auch die piemontesischen Genossen in der gleichen Richtung wirken wollen, ist mit Freuden zu begrüßen. Frauenbewegung. " Ueber das Verhältniß zwischen bürgerlicher und proletarischer Frauenbewegung sprach Frl. Dr. Käthe Schirmacher fürzlich in Berlin. Sie suchte, wie der Vorwärts" berichtet, die bürgerliche Frauenbewegung gegen den Vorwurf zu vertheidigen, daß sie nur für die Interessen der Frauen der„ oberen Zehntausend" tämpfe, den Doktorhut als ihr einziges Ziel betrachte und sich den sozialen Aufgaben der Gegenwart verschließe. Das Lob, das sie der sozialen Thätigkeit der Frauenrechtlerinnen spendete, fand in den eigenen Reihen Widerspruch. Frau Cauer erklärte in der Debatte, sie könne die meisten Führerinnen der bürgerlichen Frauenbewegung nicht so in Schuh nehmen, wie es die Heferentin gethan, denn sie hätten der Arbeiterinnenbewegung gegenüber eine ablehnende Haltung eingenommen. Ihrer Meinung nach sei für die Frauenrechtlerinnen ein Zusammengehen mit den Arbeiterinnenvereinen unbedingt erfor derlich. Es sind dies schönklingende Versicherungen, die wir nicht zum ersten Male von Frau Cauer hören, und mit denen es dieser unsrer Meinung nach auch Ernst ist. Wie aber sieht es mit der Einlösung dieser Versicherungen seitens der bürgerlichen Frauenrechtelei aus? Die sozialistische Frauenbewegung erhebt im Interesse der proletarischen Frauenwelt eine Reihe von Forderungen, für deren einen Theil die bürgerliche Frauenbewegung als Kampfesbewegung für die Gleichberechtigung des weiblichen Geschlechts eintreten müßte, für deren anderen Theil sie als eine ernste soziale Reformbewegung eintreten könnte. Die bürgerliche Frauenbewegung hat bis jetzt die proletarische Frauenbewegung den Kampf für diese Forderungen so gut wie allein führen lassen. Um nur ein Beispiel aus jüngster Zeit anzuführen: zur Frage des gesetzlichen Arbeiterinnenschutzes haben sich die Frauenrechtlerinnen mit einer Aktion für die Anstellung weiblicher Fabrikinspektoren und mit einem lauen und flauen Eintreten für den Schutz der Heimarbeit begnügt. Welche Haltung die Damen zu unseren übrigen Forderungen, den gesetzlichen Arbeiterinnenschuß betreffend, einnehmen, darüber hörte man nichts als orafelhafte, vieldeutige Redensarten, daß die Gesetzgebung bei Regelung der Arbeitsbedingungen der Frau ja nicht zu weit gehen dürfe. Wie weit die Gesetzgebung zum Schuße der kapitalistisch ausgebeuteten Proletarierinnen gehen müsse, davon schweigt der frauenrechtlerischen Sängerinnen Höflichkeit. Und doch wären sie zu einer flipp und flaren Erflärung und zur Einleitung einer Aktion um so mehr verpflichtet, als die Delegirte des Bundes deutscher Frauenvereine" auf dem Internationalen Arbeiterschutzfongreß zu Zürich den von der Sozialdemokratie erhobenen Forderungen des gesetzlichen Arbeiterinnenschutzes zugestimmt hat. " Der erste weibliche Gymnasialprofessor in Ungarn amtirt seit Ottober 1899 an der staatlichen höheren Mädchenschule zu Szegedin, an der früher nur männliche Professoren wirkten. Frl. Dr. Bettina Tedeschi, welche den ungarischen Frauen das neue Berufsgebiet eroberte, hat in Zürich und Budapest studirt und an 24 der Universität der letzteren Stadt die Würde als Doktor der Philosophie erworben. Als Geschworene hat kürzlich in Pueblo im Staate Colorado ( Vereinigte Staaten) zum ersten Male eine Frau fungirt, Mrs. Sperry. Das Schwurgericht, dem sie angehörte, hatte über einen Mordprozeß zu verhandeln, der großes Aufsehen erregte. Mrs. Sperry, die als Sekretärin und Agitatorin der humanitären Gesellschaft bekannt geworden ist, wurde von den Geschworenen als Vorsitzende ernannt. Zur Apothekerin bildet sich ein junges Mädchen aus, das letzten Herbst die Reifeprüfung an dem Mädchengymnasium zu Karlsruhe bestanden hat und in eine badische Apotheke als Lehrling eingetreten ist. Bekanntlich hat eine Verfügung des Bundesraths den Frauen den Apothekerberuf freigegeben. Eine ständige Inspektorin für das Ziehkinderwesen wird in der Stadt Zürich gegen ein Gehalt von 2000 Fr. angestellt. Die Kontrolle der einschlägigen Verhältnisse wurde bisher vom Stadtrath und seinen Assistenten in Verbindung mit einem freiwilligen , Damenkomite" ausgeübt. Es hat sich herausgestellt, daß diese Art der Kontrolle unwirksam ist, um den schreienden Mißständen auf dem Gebiete des Kostkinderwesens entgegen zu wirken und man erwartet von den Pflichtleistungen einer ständigen Beamtin mehr Erfolg, als von dem Belieben eines Damenkomites. " Ein Zentralverband der finnländischen Frauenrechtlerinnen ist in Helsingfors gegründet worden. Es gehören ihm im Lande 11 Zweigvereine an. Der Verband fordert in einer Petition an den Landtag folgende Reformen: Herabsetzung des Mündigkeitsalters für unverheirathete Frauen von 25 auf 21 Jahre, Anstellung von Lehrerinnen und Zulassung der Frauen zu der Universität ohne vorher eingeholte Erlaubniß der Regierung, Erhöhung der gesetzlichen Altersgrenze der Mädchen für die Eheschließung, zu der dieselben jezt mit 15 Jahren zugelassen sind. Was der„ Zentralverband" auf dem Gebiete des Frauenwahlrechts fordert, darüber berichten wir an anderer Stelle. Der finnländische Landtag tritt nur alle drei Jahre zusammen. Die Zeit vor seinem Zusammentritt wird seitens des " Zentralverbands" zu einer kräftigen Agitation für die gewünschten Reformen verwendet werden. Frauenstudium an der Universität zu Heidelberg. Das badische Ministerium hat kürzlich dem Senat der Universität Heidelberg eröffnet, daß es beabsichtige, nachdem das Mädchen- Gymnasium zu Karlsruhe seine ersten Abiturientinnen entlassen habe, Damen auf Grund eines Reifezeugnisses als vollberechtigte Studentinnen zuzulassen, vorausgesetzt, daß seitens des Senats und der Fakultäten keine neuen, gewichtigen Gegengründe dagegen geltend gemacht würden. Bei der erfolgten Umfrage erklärten sich alle Fakultäten, mit Ausnahme der juristischen, mit der Neuerung einverstanden. Die medizinische Fakultät fügte ihrer Zustimmung die Erklärung hinzu, daß sie nach wie vor sogenannte Hörerinnen, Damen die kein Reifezeugniß besigen, zu ihren Vorlesungen nicht zulassen werde. Die theologische, philosophische und naturwissenschaftlich mathematische Fakultät werden dagegen fünftighin nicht nur vollberechtigten Studentinnen den Zutritt zu den Vorlesungen gestatten, sondern wie schon seither auch Hörerinnen, wenn die betreffenden Damen eine wissenschaftliche Vorbildung nachweisen, die ungefähr derjenigen der Hörer entspricht. Zur Beachtung. Genossin Lily Braun ersucht uns mitzutheilen, daß sie durch ihre seit längerer Zeit angegriffene Gesundheit gezwungen ist, für mehrere Monate zur Erholung nach Südtirol zu gehen, und deshalb in nächster Zeit keine Referate zu übernehmen vermag. Bur Nachricht. Alle auf die Agitation unter der proletarischen Frauenwelt bezüglichen Briefe und Sendungen sind zu richten an: Dttilie Baader, Vertrauensperson. Berlin 0, Straußbergerstraße 28, 4 Tr. Verantwortlich für die Rebaktion: Fr. Klara Bettin( Bundel) in Stuttgart. Drud und Verlag von J. H. W. Diez Nachf.( G.m. b. h.) in Stuttgart.