2. Beilage zum„Vorwärts" Berliner Volksblatt.Ur. 88.Dienstag, den 17. April 1894.11. Jahrg.Freie UolKslnihne.In der am Sonntag MnchmiUag für die zweite Abtheilungder„Freien Bolksbühne' veranstalteten April- Vorstellung folgteauf das E d g r e e»- L e f f l e r' sche Schauspiel„Wie man»» o h l t h u t". das bereits vor acht Tagen, nach seiner Auf-führung für die erste Abiheilung, an dieser Stelle besprochenworden ist. das zweiaklige Lustspiel„M i ch e l P e r r i n" vonMellesville- Duveyrrier. Das Stück mußte vor achtTagen wegen Erkrankung eines Hauptdarstellers aussallen undist so den Mitgliedern der ersten Abtheilung leider entgairgemEs verspottet in höchst gelungener Weise die Spitzelwirth-schaft, welche unter dem Konsulat Napoleon Bonaparle'sin Paris herrschte. Die Zustände, welche der Verfasser schildert,haben jedoch eine frapante Aehnlichkeit mit denen, welche hierbei uns unter dem Sozialistengesetz beobachtet worden sind.Wir müssen es uns versagen, die belustigende Handlunggenauer wiederzugeben, weil wir den Mitgliedern der anderenAbtheilungen das Vergnügen nicht stören dürsen. Das Be-lnstigendste an dem Stück ist aber das, daß es lange Zeit hin-durch an drin hiesigen königlichen Schauspielhause mit großemErfolge gegeben worden ist, allerdings in einer anderen Be-arbeitung als die ist, welche man für die Aufführungin der„Freien Volksbühne" benutzt hat. Wir meinen übrigens,daß bei dem spottfrohen Uebermuth und der überwältigendenKomik des Stückes nichts leichter ist, als jede etwa darin liegendeTendenz, ob sie nun den Anschauungen der Zuhörer zuwiderläuftoder e,ltspricht, vollständig zu überhören. Auch den Mitgliedernder„Freien Volksbühne" ist es theilweise so gegangen. Manches,wofür gerade hier eine besondere Empfänglichkeit vorausgesetztwerden durfte, ging fast unbeachtet weiter, und selbst ein ausder Wohlgemuth-Affäre bekannter Ailsspruch, der dem Stück alszeitgemäßer Zusatz einverleibt worden war, wurde wenig be-merkt. Aber die zahlreichen komischen Situationen entfesseltenfortgesetzt anhaltende Lachsturme, unter denen der Dialog zeit-weise zu verschwinden drohte.Den Polizeirath Desaunnais, der den Oberspitzel macht, undin dessen Händen alle Fäden der politische» geheimen Polizei zu-sammenlaufe», gab Paul Pauli. Er war unstreitig sehrinteressant, aber wir fürchten, daß diese etivas klownhafte ge-zogene Gestalt nur von wenig Zuschauern für überhaupt möglichgehalten worden ist. Den beschränkt-gutmüthigen LandpfarrerMichel Perrin, der, ohne es zu wissen, als Spitzel gebrauchtwird und dabei die hohe Polizei selber zun» Besten hat, ohne eszu wollen, gab R h o d e- E b e l i» g. der aufs Neue zeigte, daßdas„Nalional-Theater" an ihm einen trefflichen Künstler besitzt.Die Sympathien, die ihm die„Freie Volksbühne" entgegeubringt,dürsten durch diese seine neueste Leistung noch bedeutend gesteigertwerden.—Das zu dieser Vorstellung ausgegebene achte(April-) Heftder Vereinszeilschrift„Die Volksbühne"(Verlag von MaxBabing) bietet dies Mal insofern ein besonderes Interesse, auchfür Nicht-Mitglieder. als es neben der üblichen Besprechung derbeiden zur Ausführung gelangenden Stücke einen Rückblick ausdie bisherige Thäligkeit der„Freien Volksbühne" bringt, demeine Berufsstaiistik der Mitglieder angefügt ist. Diese Statistikbeweist, daß die„Freie Volksbühne" in der That eine proletarischeVolksbühne ist und in der großen Masse der Berliner Arbeiter-bevölkerung wurzelt. Besonders die Handarbeiter sind in ganzüberraschend großer Anzahl unter den Mitgliedern vertreten,während die Zahl der Kopfarbeiter, Künstler und Unternehmernur gering ist. Diese statistische Uebersicht bildet einen inter-essanlen Beitrag zur Entwicklung der Volksbühnenfrage, die erstdurch die Begründung der„Freien Volksbühne" in richtigeBahnen gewiesen worden ist. Ur.Gsvtckks-Äsikung.Getverbegericht.Kammer II. Vorsitzender: Assessor von Schulz. Sitzungvom>3. April.Auch eine Lohnentschädigungs-Klage. DerArbeiter Wenk war langes arbeitslos. In sehr bedrängter Lagewandte er sich u. a. auch an die„Deutsche Gesellschaftfür ethische Kultur" um Unterstützung. Diese hat dieGepflogenheit, sie um Almosen angehende Bedürftige der in derKlosterstraße bestehenden jüdischen Volksküche zur Speisungzu überweisen. Vier Wochen lang aß denn auch W.dort auf ihre Veranlassung, ohne Bezahlung leistenzu brauchen. Nach Ablauf dieser Frist erhielt W. keineneu» Freikarte, sondern wurde von dem Mitgliede derD. G. fr. E.-K., an welches er sich gewandt hatte, zur Gattineines wohlhabenden Geschäftsmannes, einer Frau Abraham, ge-schickt. Die Frau steht in inniger Beziehung zu der erwähntenjüdischen Volksküche, ihr Gatte ist Mitbegründer und Erhalterderselben. Sie gab dem W. 3 Eßmarken auf seine Bitten, theilteihm aber gleich mit, daß es nicht angängig sei, dauerndjemand durch Freiessen zu unterstützen; er müsse sehen,eine Kleinigkeit wenigstens zu verdienen.?luf seine Klagen,daß es schwer falle, heutzutage Arbeit zu bekommen,meinte Frau Abraham zu W., es sei gerade dieser Tage im Ge-schäfl ihres Mannes viel zu thun, er möge mal scheu, ob er denHausdienern nicht beim Packetschuüren Helsen könne. W. halseinige Tage und erhielt dafür infolge einer Anweisung der FrauA.„eine Kleinigkeit", außerdem noch Eßmarken. Mit der Be-zahluug seiner Arbeitsleistung war W. nicht einverstanden, erstellte bestimmte Forderungen auf. Da seine Arbeitskraft ent-behrlich war, schickte man ihn fort. Jetzt wurde er beimGewerbegericht klagbar— wegen unrechtmäßiger Entlassung.Der Beklagte machte gegen die Klage gellend, Kläger seinicht fest engagirl worden, sondern nur attshilssweise; er habenur ein bische»„mithelfen" sollen, sich ein paar Groschen zuverdienen. Die Beweiserhebung ergab— Frau A. wurde alsZeugin vernommen— obigen Sachverhalt; Kläger wurde ab-gewiesen. Das Gericht war der Btcinung, daß, w e n nüberhaupt, nur ein Arbeitsverhälluiß„auf Aushilfe"zivischen den Parteien bestanden habe. Thalsächlich habe derKläger— wie erwiesen sei— nur auf eine bestimmte, nichtaußergewöhnliche Weise durch seine Beschäftigung unterstütztwerten sollen. Ob er genügend für dieselbe entlohnt worden seioder nicht, konime für seinen Lohn entschädigungs- Prozeßnicht in Betracht.Die Ehrlichkeit der Berliner Droschkenkutscher istbereits sprichwörtlich geworden. So mancher hat diese Ehrlich-keit aus eigener Erfahrung kennen zu lernen Gelegenheit gehabt.Und doch giebl es Leute, welche von dieser Ehrlichkeit nicht zuüberzeugen sind. Zu diesen gehören in erster Linie die Fuhr-Unternehmer,„Fuhrherren", wie sie sich nennen. Dieselben be-Haupte» bis auf den heutigen Tag noch, daß sie von den Kutschernin gröblichster Weise betrogen werden, daß die Kutscher dengrößten Theil der Tageseinnahme in ihre Tasche stecken und denarmen Fuhrherren nur den kleineren Theil der Tageseinnahmeabliesern. Um derartigen Betrügereien ein Ende zu machen,ist ja augeblich auch der Kontrollapparat(Taxameter)erfunden und im Droschken- Fuhrgewerbe zur Einführünggebracht worden. Wenn die Beweggründe hierzu auchganz anderer Natur sind, so muß man doch einenplausibeln Vorwand haben und wird hierzu die angebliche Un-ehrlichkeit der Droschkenkutscher ins Feld geführt. Merkwürdigkontrastiren aber die Thatsachen mit der Behauptung der Fuhr-Unternehmer, denn trotz der ihnen unterschobenen Betrügereiensind die Droschkenkutscher arme Teufel geblieben, trotz ihrer viel-fach langjährigen Thäligkeit auf dem Kutscherbocke, während dieFuhrunternehmer wohlhabende und reiche Leute, Hausbesitzerund Millionäre geworden sind. Daß aber auch die Polizei-behörde keine besonders hohe Meinung von der Ehrlichkeit derBerliner Droschkenkutscher hat, beweist das bekannte Antwort-schreiben des Berliner Polizeipräsidenten auf eine Eingabe desVereins Berliner Droschkenkutfcher um Aufhebung der erlassenenPolizeiverfügung betreffend die obligatorische Einführung der„Weißlackirten" für Taxameter-Droschkenkutscher. In demselbenwird der Meinung Ausdruck gegeben, daß der Taxameter bezw.Fahrpreis-Anzeiger geeignet sei, das Publikum vor Ueber-vortheilungen seitens der Kutscher zu schützen. Wennauch zuweilen Anzeigen gegen Droschkenkutscher wegenTarifüberhebung erstattet werden, so entbehren dieselbendoch größtentheils der thatsächlichen Begründung; derihnen hieraus erwachsende Schaden würde viel größer seinals der geringfügige erzielte Nutzen. Ten beiden gedachte», dieEhrlichkeit der Droschkenkutscher in Frage stellenden Faktoren hatsich nunmehr noch ein dritter hinzugesellt und zwar— das Ber-liner Schiedsgericht der Fuhrwerks- Berufsgenofsenschaft. Eshandelte sich um die Rentenfestsetzung eines Berliner Droschken-kutschers, welcher einen Betriebsunfall erlitten hatte. Die Berufs-genossenschaft legte der Festsetzung der Rente einen täglichenArbeitsverdienst von 3 M. zu Grunde, indem sie ausführte, daßder betreffende Droschkenkutscher in den jährlichen Lohnnach-Weisungen der Unternehmer mit 3 M. täglich aufgeführt sei undsie hiernach auch nur die Rente des Verletzten berechnen könne,indem die Unternehmer nur nach diesem Lohnsatze ihre Beiträgezur Berufsgenossenschaft zahlen. Der Kutscher legte hiergegenBerufung ein, indem er geltend machte, daß er täglich durch-schnittlich mindestens s M. verdient habe. Daß er als Droschken-kutscher mit täglich3M. nicht auskommen könne, müsse jedem klarsein,der das Geschäft kenne. Das Schiedsgericht wies indessen dieBerufung zurück. In den Gründen hierfür wird angegeben, daßes gerichtsnotorisch sei, daß die Berliner Droschkenkutscher einentäglichen Arbeitsverdienst von 3 M. haben. Daß Kläger vondem vereinnahmten Fuhrlohn sich mehr als er durfte, d. h. etwa4 M. täglich, zugeeignet habe, sei zwar nach den Mißbrauchenim Droschkengewerbe Hierselbst nicht ausgeschlossen ic. Die HerrenFuhrherren haben demnach mit ihrer Anschauung in dem Schieds-geeichte einen willkommenen Bundesgenossen gefunden. Dessenungeachtet werden die Berliner Droschkenkutscher sich nicht ver-leiten lassen, das zu werden, als was sie hinzustellen man beliebt,sondern bleiben, was sie waren: ehrliche Arbeiter. Allen An-feindungen gegenüber mögen sie sich trösten mit dem Bewußtsein,daß sie besser sind, als der ihnen angedichlete Ruf.4Soziale Ilelievltiftk.Den Parteigenossen in Charlottenburg stehen zur Zeitnur 2 Lokale: Gambrinus-Brauerei, Wallstr. S4 und Bismarcks-höhe" Wilmersdorserstr. 39 zu Versammlungen zur Verfügung.Beide Lokale liegen aber in einem Stadttheile. Bei der großenAusdehnung der Stadt ist es aber unbedingt nöthig, daß wirin den verschiedensten Theilen derselben unsere Versammlungenabhalten können, um allen Parteigenossen Gelegenheit zu geben,dieselben zu besuchen. Durch die! Hartnäckigkeit der anderenLokalinhaber sehen wir uns nun veranlaßt, zunächst drei Lokalezu sperren. Es sind dies:I. Großjean's Klubhaus, Westend, Ecke Ahorn-Allee an derSpandauerstraße.2. Triesethau's Salon, Sophie-Charlottenstr. 94.3. Papritz, Berlinerstr. 89.Diese drei Lokale(Tanzsäle) mögen unsere Genossen unterallen Umständen vermeiden.Gleichzeitig mit dieser Maßregel hängen wir in allen Lokalenivo Arbeiter verkehren, eine Boykottliste aus, auf welcher sämmt-liche anderen gesperrten Lokale verzeichnet sind. Arbeiter!Parteigenossen! Helft uns, diesen seil längerer Zeit geführte»Kamps siegreich zu Ende führen. Speziell die Berliner auf ihrenAusflügen ersuche» rvir dringend, unserem Wunsche nachzukommen.Die L o k a l k o m m i s s i o n.Die Malermeister vou Bremerhaven haben in einemAntwortschreiben an das Lohukomitee alle Forderungen der Ge-Hilfen abgelehnt außer der gegenseitigen Nichtkündigung; derStreik dauert unverändert fort.Zur Beilegung des WeberstreikS iu Pausa fand daselbstvor wenigen Tagen eine Versammlung statt, zu der sich auch derGewerbe-Jnspektor aus Plauen eingefunden hatte. Der HerrGewerbe-Jnspektor scheint eine recht eigenthümliche Auffassungvon seiner Aufgabe als Vermittler zu haben. Als auf seineFrage, wer die Arbeit zu den alten Bedingungen wieder auf-nehmen wollte, sich niemand meldete, erklärte er. in der Sachenichts mehr thun zu können; die Versammlung verlief resultatlos.Bemerkt sei noch, daß namentlich die Frauen von einer Wiederaufnahme der Arbeit nichts wissen wollten, so lange ein Werk-führer Namens Schmidt in der Fabrik verbleibe.Der Streik bei Fustaugel in Hagen ist nicht bei-gelegt aber er ist erfolglos geblieben, da sich leiderStreikbrecher genug fanden, die Stellen der Ausständischen ein-zunehmen. Es blieb den organisirten Buchdruckern nur nochübrig, diejenigen ihrer Kollegen, die weiter gearbeitet hatten,soweit sie Mitglieder der Organisationen sind, aus derselbenauszuschließen. In einer am 7. April in Hagen stattgesun-denen Versammlung ist dies denn auch geschehen; übrigens sollsich Fußangel zu einigen kleinen Verbesseruiigen verstanden haben.Zum Echneiderstreik. Aus Stuttgart wird gemeldet,daß die Polizei am Sonnabend mehrere Führer der Bewegung— theilweise in ihren Wohnungen— verhaftet hat.Der Grund zu diesem Vorgehen ist noch nicht bekannt, erwird vielleicht darin zu suchen sein, daß die Polizei-Organekeinerlei Annäherung der Ausständigen mit den durch allerhandVersprechungen hierher gelockten Schneidergesellen dulden wollen.— Ueber das Schicksal der von Berlin nach Stuttgarttransportirten Schneider theilt die dortige Lohnkommissionmit, daß ein großer Theil schon unterwegs ausgestiegen,ein anderer Theil auf dem Stuttgarter Bahnhof Aus-reißer gemacht hat. Sie haben so de» braven Schneider-nieistern wenigstens eine billige Fahrt zu verdanken.Nur eine geringe Anzahl hat sich von der Gnadensonneder guten Schwaben auch noch weiter bescheinen lassen;sie traten in Arbeit und werden aufs sorgsamste gepflegt und—bewacht. Begleitet vom Prinzipal, Kausleuten, Lehrlingen,Hausknechten u. s. w. werden sie am Morgen in das Geschäftabgeführt; das Mittagessen erhalten sie in der Werkstelle, undam Abend werden sie wieder zurückgeleitet nach der Herberge.Auf das Prädikat„freie Arbeiter" können diese Rausreißerfreilich kaum noch Anspruch erheben und es fragt sich, wie langesie sich diese Behandlung werden gefallen lassen.Zu dem großen Ziegelbreunerstreik in Belgien wirdunterm 12. d. M. berichtet:In der Provinz Antwerpen ist ein bedrohlicher 2lus-stand der Ziegelbrenner ausgebrochen und gewinnt mit jederStunde an Ausdehnung. In Rumpst, Terhagen, Boom,Növeren, Niel haben sämmtliche Ziegeleien ihren Betrieb ein-stellen müssen. Die Ziegelbrenner fordern eine Erhöhung derfehr niedrigen Löhne, aber die Fabrikanten weigern sich, sie zubewilligen, da die Arbeiter bis zum 30. September für diejetzigen Löhne verpflichtet sind. Der Ausstand brach in Rumpstund Terhagen aus. In diesen Ziegeleien sind die Arbeits-löhne noch um 20 bis 25 pCt. niedriger, als inden übrigen Ziegeleien; überdies haben die Fabrikantendieser beiden Orte ihren Ziegeleien große Verkaufshallen an-geschlossen, in denen die Arbeiter ihren gesammten Lebensbedarf:Speck, Mehl, Kohlen, Bekleidungsstücke, Holzschuhe u. f. w. kaufenmüssen. Die gelieferten Waaren sind ebenso theuer wie schlechtund werfen den Fabrikanten einen schönen Gewinn ab. Ja, esist diesen Arbeitern verboten, sich Schweine zu halten, da dieFabrikanten ihnen aus Amerika bezogenen Speck verlaufen wollen.Gegen diese auch den gesetzlichen Bestimmuiigen Hohn sprechendeabscheuliche Mißwirthschaft haben sich die Arbeiter erhoben undwollen diesem Ausbeutungssystem ein Ende machen. An 1599bis 2999 ausskändige Arbeiter zogen unter Trommelschlag ausRumpst und Terhagen von Ort zu Ort. von Ziegelei zuZiegelei; überall wurden stürmische Versammlungen abgehaltenund schließlich wurde aller Orten der Anschluß an den Ausstandbeschlösse». Da die Fabrikanten nicht nachgeben wollten,so beginnen seit gestern die Ausständigen(?) sich an dem Eigen-thun,(?) der Fabrikanten in Rumpst und Terhagen zu ver-greifen. Seit gestern sind starke Gendarmerie-Abtheilungen unddas fünfte Linien-Regiment an Ort und Stelle, um weitere Ge-waltthaten zu verhindern; auch ist die gerichtliche Untersuchungder Vorgänge eingeleitet, aber die Gährung ist eine gewaltige.so daß heute Nacht in Rumpst Niederlagen fertiger Ziegel er-brocken und total zerstört worden sind. Zwischen derGenoarmerie und den Ausständigen ist es schon zu Zusammen-stößen gekommen. Die Arbeiter fordern Lohnerhöhung undSchließung der Verkaufsläden der Fabrikanten; bis heute habendie Fabrikanten noch nicht nachgegeben. Sie bieten den Arbeitern9.29 Fr. Lohnerhöhung für 1909 Ziegel; da aber die Arbeiter9,75 Fr. fordern, ist die Verständigung gescheitert.Ein Blatt aus der Anklageschrift gegen dieheutige Gesellschaft. Der Arbeiter H. H. zu Altenhagenist vor Jahren wegen Diebstahls zweimal bestraft worden, hatsich dann aber gut geführt. Durch lange Arbeitslosigkeit intiefste Slrmuth gerathen, hat er endlich das Glück, Arbeit zufiildeii und für die kranken Kinder etivas zu thun. Er bedarfaber einer Schippe, die er zur Arbeit mitbringen muß, und inseiner Roth entwendet er ein solches Arbeitsiiistrument mit derAbsicht, es vom ersten Lohn zu bezahlen. Er mußte zu derniedrigstell Strafe von drei Monaten Gefängniß verurtheiltwerden,— Der Mann mußte ja so hart bestraft werden, er warrückfällig;— es lebe die Gerechtigkeit!Einen gläuzeudeu Beweis von dem Vorhanden-ein der Harmonie zivischen Unternehmer undr b e i t e r erbrachten kürzlich die Wiener Bauunternehmer undMaurermeister. Die Forderungen, welche ihnen die Arbeiter ge«stellt hatten und die ivir bereits zur Veröffentlichung gebracht,beliebten sie mit folgendem hämischen Schreiben zu beantworten:Hochgeehrte Herren! Der der Geiiossenschast der Bau- undSteilnnetzmelster in Wien seitens des hochverehrten Gehilsen-Ausschusses zugekommenen Bitte um Gewährung einer um eineStunde verkürzten Arbeitszeit wird über Beschluß mehrererMaurermeister und Banunternehiner insoweit Folge gegeben, alsdie verkürzte Arbeitszeit nur vom 15. Oktober bis 15. April bewilligtwird. In den übrigen Monaten bleibt die seitherige Arbeitszeitsowie alles andere aufrecht, da sonst die Bauunternehmer nmzehn Prozent der Arbeitslohnsumme weniger verdienen würdenund jeder einzelne Arbeiter die eine Stunde ohnehin nicht spürtund nur noch mehr fanlenzen würde.Die Abschaffung der Akkordarbeit läßt sich seitens der Bau-Unternehmer auch nicht vermissen, da ei» Maurer im Tagelohnhöchstens 499 Ziegel vermauert, im Akkord aber mindestens dasdoppelte; und beim groben und feinen Verputz macht ein Maurernach Tag höchstens zehn Meter, entgegen im Akkord mindestensdas doppelte. Endlich kann weder ein früherer Slrbeitsfchlußam Wochenelide, noch eine andere Arbeitsordnung bewilligtiverde», da hierzu keine Nothwendigkeit vorliegt. Jedenfallswollen die hochgeehrten Herren Maurer eine Arbeitsordnung inden, Sinne, daß anstatt der Maurer die Herren Bauunternehmerarbeilen sollen.Sireikmachen bewilligen wir Euch, hochgeehrte Herren.im Winter recht gerne, denn im Sommer nützt es Euch ohne-hin nichts.Wien, am 3. April 1394.tochachtungsvoll Euere ergebenen Bauunternehmer.ntschuldigt, daß die Antwort sich um einige Tageverzögert hat, als Ihr gewünscht habt.Hier tritt der nackteste Unternehmer-Staudpunkt zu Tage;zynisch und brutal weisen sie jede Möglichkeit einer Einigungvon sich, ivissend, daß sie vorläufig die Macht haben. Wieschrieen aber die Herren, wenn der Arbeiter einmal die ihmgünstige Zeit benützt, um seine Wünsche durchzudrücken.Eine Arbeiterzähluug soll am I. Mai wiederum imReiche vorgenommen werden. Die Zählung erstreckt sich auf alleBetriebe, welche mindestens 19 Arbeiter beschäftigen.Arbeiterinneu-Elend. Laut Lohnzetlel der MannheimerWollfabrik erhielt eine I7jährige Zlrbeiterin in 9 Tagen— vom29. März bis 9. April— 2 M. l2 Ps. Lohn. Macht pro Tagetwa A4 Pfennige. Vor solchen Ungeheuerlichkeiten ver-stilniint jede Kritik.Bei de» Eintvagunge» in die Arbeitsbücher für minder-jährige Arbeiter kommt es häufig vor, daß die Arbeitgeber diesenicht mit Tinte beivirken und an Stelle der Namensunterschrt teinen farbigen Stempel verwenden. Ein derartiges Verfahren istaber nicht nur unzulässig, sondern auch strafbar. Ebenso ist esnicht gestattet und strafbar, der Eintragung in das Arbeitsbuchein Urtheil über die Führung und Leistungen des Slrbeiters undzwar selbst auch dann, wenn dieselben günstig für den Arbeiterlauten, beizufügen. Gleichzeitig verweisen wir darauf, daß nachrechtmäßiger Losung des Arbeitsverhältnisses das Arbeitsbuch anden Vater oder Vormund, sofern diese es verlangen oder derArbeiter das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, andernfallsaber auch dem Arbeiter selbst auszuhändigen ist.VerlmtttnUmgim.Im 6. Wahlkreise fand nach Aufhebung der Lokalsperredes Gesundbrunnen dortselbst am 13. d. M. zum ersten Mal eineöffentliche Volksversammlung statt, die, wie zu erwarten stand,derartig stark besucht war, daß, um Platz zu schaffen, die Tischeaus dem Saale des Lokales„Marienbad", woselbst die Ver-sammlung tagte, entfernt werden mußten. Reichstags-Abge-ordneler Molken buhr referirle über das Theina: An, vendung