Ar. 124.CNa»rfcheint täglich außer Montags.Treis pränumerando: Viertel-jährlich 3,30 Mark, monatlich1,10 Mt., wöchentlich 28 Pfg. freiIn'S Haus. Einzelne Nummer5 Pfg. Sonntags- Nummer mittllustr. Sonntags-Betlage„NeueWelt" 10 Pfg. Post-lllbonnement:8,3oMt- pro Quartal. Unter Kreuz-band: Deullchland u. Oesterreich-Ungarn: Mt., für daS übrigeAusland 3 Mt.pr. Monat. Etngelr.in der Post- Zeitungs- Preislistefür iss« unter Nr.«310.erllner11. Jahrg.N M,,a MiMsertions. Gebühr beträgt für dl«fünsgespaltene Petitzeile oder derenRaum*0 Pfg., für Vereins- undVersaininlungs- Anzeigen 20 Pfg.Inserate für die nächste Nummermüssen bis i Uhr Nachmittags inder Expeditton abgegeben werden.Die Expedition ist an Wochen-tagen bis 1 Uhr Abends, an Sonn-und Festtagen bis 9 Uhr Bor-mittags geöffnet.kernfprecher: Amt l, Ztr. ISOS.Telegramm- Adresse:,,Soiii>tdrmokrat Kern»!'Zentralorgan der sozialdemokratischen Partei Deutschlands.Ein hundertjähriges Jubiläum.„Die schlechte Justiz schreit gen Himmel... wenn ich nichtremedire, lade ich selbst die Verantwortung auf mich", rief bereitsFriedrich Wilhelm I., der Vater Friedrichs„des Großen" aus.Seine Versuche zu„remediren" gingen jedoch nicht über schüchterneAnläufe hinaus. Weder das Gerichtsverfahren noch das materielleRecht erfuhren eine Besserung. Die Richterstellen wurden nachwie vor an den Meistbietenden losgeschlagen— die langenSoldaten kosteten viel Geld, und Geld, für Militärzwecke ein-genommen, stank schon damals nicht. Zu Richtern, befahlFriedrich Wilhelm l.. sollten, wenn das Gebot für den Aemter-kauf gleich groß war, nach wie vor„die dummen Teufsel"ernannt werden; den Bewerbern„von Stop" sollten die Verwaltungsstellen zufallen. Heutzutage beklagt sich hin und wiederim Justiz- Ministerialblatt ein preußischer Justizminister in weithöflicherer Weise darüber, daß mehr minder fähige Beamtenin der(von der Verwaltung durch den im Strafverfahren über-wiegenden Einfluß der Staatsanwaltschaft abhängigen) Straf-justiz als in der Ziviljustiz Verwendung finden.Friedrich„der Große" hat auf dem Gebiet der Rechtspflegenicht ohne Erfolg Wandel zum Bessern zu schaffen gesucht.Die ältere deutsche, dem Wesen des Rechts allein ent»sprechende Auffassung, daß die Gerichte aus unabhängigen, vomVolk frei gewählten Richtern bestehen und nichr Organe sind,die von irgend einer„Obrigkeit" oder„Herrschaft" eingesetztwaren, war bereits seit Ende des 18. Jahrhunderts völlig ge-schwunden. Der Absolutismus kennt nur von der als Inhaberder„Justizhoheit" fingirteu Herrschast bestellte Gerichte, die auStelle des absoluten Herrschers Recht sprechen. Ueber dasPrinzip der absoluten Despotie hinaus gehl es, wenndie Richter dann selbst als Despoten im Kleinenzu fnngiren trachten. Der absolute Herrscher ver-iörpert die„Rechtsidee", die„Gerechtigkeit". Nur infolgeder thatjächlichen Unmöglichkeit, selbst Recht zu sprechen, ist ergezwungen, die Rechtsprechung anderen zu übertragen. Die Be-stechlichkeit, Käuflichkeit, Aufgeblasenheit und Dummheit der vonihm eingesetzten Richter und die Unsicherheit des durch diese gesprochenen Rechts ist nicht nothw endige Folge des Ab-solutismus. Der„aufgeklärte Despot" erkennt vielmehr, daßsein Reich und seine Herrlichkeit wesentlich mit aufder Mystifikation beruht, daß er die personifizirleGerechtigkeit darstelle. Friedrich der Zweite erkannte mehr oderminder klar, daß der„aufgeklärte Despot" in eigenstem Interessedas Sprüchlein zu bewahrheiten suchen müsse: justitia estfundamentum regnorum(Gerechtigkeit ist die Stütze der König-reiche). Rastlos suchte er auf dem Gebiet des Strafrechts unddes Zivilrechts, auf dem Gebiete des Verfahrens und des mate-teriellen Rechts das Ziel zu erreichen,„Gerechtigkeit zumFundament des ganzen Sraatslebens zu machen". DasZiel hat er nicht erreicht und konnte es nicht erreichen.weil es in einem ungeschminkt absoluten Reich sowenig wie in einem absoluten Reich mit konstitutionellerJ-tntiUcfoit.Der Jude.52Deutsches Sittengem äldeaus der ersten Hälfte des fünfzehnten Jahrhunderts.Von C. S p i n d l e r.Wirklich trat auch der Prälat gewichtigen Schritts ausdem Seitcngemach, Lampe und Brief in der Hand. SeinAntlitz zeugte von einer gerade nicht unbedeutenden Be-wcgung, und der Gang war nicht so sicher ivie wohlsonst.—„Redet, um der ewigen Barmherzigkeit willen! riefrhm Dagobert entgegen, der allsobald über die Besorgnißfür den Vater das soeben abgehandelte Gespräch vergessenhatte:„Martert mich nicht. Was ist geschehen?"—„DerHerr hat es noch wohl gemacht," erwiderte Hieronymus,kläglich auf die Ruhebank sinkend:„der Bruder lebt undwird bald vollends genesen sein; aber ein Unfall hat ihnbetroffen, wie er sich nur in den verwahrlosten deutschenLanden begeben kann. In der Dämmerung sich nach Hansewendend, begegnete ihm ein Freihard in Pudelmütze undWolfspelz, und schaut ihm mit blutroth gefärbtem Angesichtekeck und unverschämt unter das herabgekrempte Piret. DeinVater fährt zurück.. Der Wütherich, dem die leere StraßeMuth zulegt, fragt ihn höhnisch:„Kauft mir ein Menschen-leben ab, Schöff!"— Und da nun der Bruder ihn zurückstößtund den Mund öffnet, um nach Hilfe zu schreien, so fühlter bereits das Messer des Wehrwolfs unter seinen Rippensitzen, und sinkt dahin.„Gute Nacht, alter Frosch!" ruftihm noch der häßliche Mörder ins Ohr:„Dein Fröschleinkommt nach!" und packt den Verwundeten an. um ihn anSchminke zu erreichen ist. Er hat es nicht erreicht und konntees nicht erreichen, weil in einem Klassenstaat Gerechtigkeit keinenBode» hat. Er hat es nicht erreicht, weil wahre Gerechtigkeitnur denkbar in einem demokratischen Gemeinwesen, das ans demGegentheil einer Klasscnherrschast errichtet ist. Aber das,was auch im Klassenstaat als Ungerechtigkeit empfundenwird, hat er zu beseitigen angestrebt und ist indiesem Sireben nicht ohne Erfolg geblieben. Auf demGebiet der Strafrechtspflege schaffte er drei Tage nach seinerThronbesteigung, am 3. Juni 1740, die Folter ab— nicht langeZeit später erlaubte er die Anwendung von Stockprügeln zurErzwingung eines Geständnisses des Angeklagten. Heute erlaubtdas Gesetz weder Folter noch Stockprügel— auch Nilpferd-peitschen, Gummischläuche oder seelische Tortur anzuwendengestattet das Gesetz nicht. Von dem Saale aus, für den„Oeffentlichkeit nicht existirt", verkündet aber heute ein Staats-anwalt nur, daß ein Bürger, dessen Nase durch Hilssbeamleder Staatsanwaltschaft„kaput" geschlagen ist, versuchen darf—aus Schadenersatz im Zivilprozeß zu klagen. Friedrich II. ver-langte volle Achtung vor seinem Gesetz und faßte die Ver-antwortlichkeit von Bcaniten jeder Gattung strenger auf: wernach seiner— allerdings häusig irrigen— Ansicht„Rechte"der„Untcrthanen" gekränkt oder wer falsch geurtveilt halte,wurde kurzer Hand auf Festung geschickt.„Ein Justizkollegium",meinte er,„das Ungerechtigkeiten verübt, ist gefährlicher undschlimmer als eine Diebesbande; vor der kann man sich hüten,aber vor Schelmen, die den Mantel der Justiz gebrauchen, umihren üblen Passionen zu dienen, vor denen kann sich keinMensch hüten, die sind ärger als die größten Spitzbuben,die in der Welt sind, und verdienen eine härtere Bestrafung."Und solchen„Schelm" argwöhnte er in jedem Richter. Häufig„melirte er sich selbst" in die Rechtspflege, um vermeintlich un-gerechte Handlungen der„Federfuchser" zu rektifizircn. Vorallem suchte er jedoch durch organische Gesetze die„versimpelte"und„unredliche" Justiz zu ändern. Die„Infamie" des Aemterkaufshob er auf. Durch ein beschleunigtes Verfahren suchte er dieLangsamkeit der Rechtspflege zu beseitigen: innerhalb einesJahres sollte jeder Prozeß alle Instanzen durchlausen haben.Heule erfährt der minder Begüterte häufig erst nach vielen Jahren,daß eine Instanz sich geirrt haben muß. Den Zweck, eine„billige, prompte, unparteiische, gerechte" Justiz zu erreichen,glaubte er in erster Reihe durch ein allgemein ver-ständliches klares Gesetzbuch zu erreichen. Älllerdingsblieb er in den Anschauungen der damaligen Zeit befangen,daß es ein„natürliches", nur auf„Vernunft" gegründetesRecht gäbe. Unter dem 31. Dezember 1746 verordnete er:„undweil die größte Verzögerung der Justiz aus dem Ungewissenlateinischen, römischen Recht herrührt, welches nicht allein ohneOrdnung kompilirt worden, sondern worin singulas leges proet contra(einzelne Gesetze für und gegen) disputirt oder nach einesleden Kaprize limitirt oder extendirt worden: so befehlen wiri.. ein teutsches allgemeines Landrecht, welches sich b l o s aufdie Vernunft und Landesverfassung gründet, zu fertigen undden Rand des Grabens zu schleifen, und wahrscheinlichkopfüber in der Hirsche Revier hinabzustürzen. Da nahenaber glücklicherweise Leute; um seines Werkes wenigstenssicher zu sein, führt der Verfluchte noch einen Stoß gegendie Brust des armen Diethers. Der Stahl prallt jedochzum Heil von der Halskette desselben ab, und der Blut-Hund entflieht. Die Wunde wurde, von wenig Bedeutungzu sein, erkannt, und wie gesagt. Dein Vater ist auf demWege zur vollen Besserung."„Abscheuliches Verbrechen!" rief Dagobert und Fiorillaentsetzt aus.„Nun ist aber de,»noch auf sothanem Schmerzenslager"— fuhr der Prälat fort—„der Gedanke in dem Brudererwacht: es möchte denn doch vielleicht der Herr einst schnellüber ihn gebieten, und da es löblich ist, in solchem Atterund solcher Befürchtung noch einmal sein Geschlecht umsich zu versammeln, und sich mit denjenigen zu versöhnen,mit denen ein unbilliger Haß uns entzweit hat, so verlangtder wackere Dicther, ich solle mich in Deiner und Wall-radcns Gesellschaft zu ihm begeben, um das Fest seinerHeilung in seinem Hanse feierlich zu begehen. Wallradesoll bei dieser Gelegenheit wieder in alle Kindesrechte undden Arm des Vaters aufgenommen werden."„Daran thut mein allzu guter Vater gerecht und wohl,"erwiderte Dagobert,„obschon die Schwester diese Liebe nichtverdient und auch nicht zu würdigen vermag. Was beschließtIhr aber hierauf, mein hochwüroiger Ohm und Herr?"„Hm!" sprach Monsignore nach zweifelhaftem Kopf-schütteln:„Ich meine, daß eS vollkommen hinreichen wird,wenn ich hier zu Costnitz in meiner stillen Kammer demHerrn für das meinem Bruder widerfahrene Heil danke,und zu Ehren unserer lieben Frauen, die durch ihre Für-bitte des Mörders Stoß fehl gehen ließ, einige Messen lese.z» unserer Approbation vorzulegen, worüber wir hiernächst allerunserer Stande und Kollegioren, auch Universitäten Monika ein-holen und die besonderen Statute einer jeden Provinz be-sonders bcidrucken lassen wollen, damit einmal ein ge-wisses Recht etabliret und die unzähligen Edikteaufgehoben werden mögen." Das daraufhin in denJahren 1749 und I7S1 erschienene corpus iurisiMdericiani genügte den Ansorderungen nicht. Die Ordre vom14. April 1789, die abermals die Abfassung eines vollständigen,klaren, allgemein verständlichen Gesetzbuchs anordnete, führte inden Jahren 1784— 1788 zu dem„Entwurf eines allgemeinenGesetzbuchs für die preußischen Staaten". Nachdem die öffentlicheMeinung(die damals noch existirle) in breitester Weise Kritikan diesem Entwurf geübt hatte, sollte er— an vielen Stellenverändert— als„Allgemeines Gesetzbuch für die preußischenStaaten" am I. Juni 1792 Gesetzeskraft erlangen. JndeßFriedrichs Neffe, der bekannte Freund von Bett- und Bei-schwester», Heuchelpack und Feiglingen inhibirte die Publikation.„da die inzwischen in Frankreich eingetretenen Begebenheiten großeVorficht uolhweudig machten". Das Gesetzbuch wurderevidirt, verbösert— selbst der Titel„Gesetzbuch" alsanstößig kassirt und endlich unter dem S. Februar 1794 unterdem Titel„Allgemeines Landrecht für die preußischen Staaten"mit Gesetzeskraft zum 1. Juni 1794 publizirt.Die ökonomischen Grundlagen der Gesellschaft haben in denseitdem verflossenen Hunderl Jahren erhebliche Umwälzungen er-fahren. Die Einsicht ist fast Allgemeingut geworden, daß die Ge-setze der ideologiiche Niederschlag der jeweiligen ökonomischen Be-dinguugen, polltische» und sozialen Verhältnisse sind. Dasallgemeine Landrecht besteht im Wesentlichen noch heule zu Recht.Allerdings ein„neues" bürgerliches Gesetzbuch ist in Aussicht.Die ihrem Untergang zueilende Gesellschaft versucht durch allerleiHeilmittelchen ihre Lebenszeit zu verlängern. Als eine dieserWunderpillen sucht sie ein für ganz Deutschland einheitliches„bürgerliches Gesetzbuch" zu brauen. Seit bald 29 Jahrensind ans grund des Gesetzes vom 29. Dezember 1873mit heißem— ach wie vergeblichem!— Bemühen diejuristischen Berather an der Arbeit. Die erste Kam-Mission dieser bürgerlichen Gesetzemacherei,„bloßer" undjeder Vernunft hat aus 12 399 Folioseiten in unbewußter Ironiedargelegt, daß ihre im Januar 1888 abgeschlossene Arbeit nichtstauge. Die dann 1899 eingesetzte Revisions- Kommission istnoch bei der. Arbeit. Sorgsam ist aus dem Planbislang alles geschieden, was zu einer Milderungoder gar Beseitigung der heutigen Ausbeutungs- und Wucher-freiheit führen könnte, selbst alles, was auch nur ein wenig denwirthschaftlichen, sozialen Bedürfnissen entgegenkommen könnte—kann doch auch niemand verlangen, daß sich jemand am eigenenZopf aufhänge. Zu den zünftigen Juristen sind dieser Kom-Mission noch Vertreter der verschiedenen politischen Parteienmit Ausnahme der sozialdemokratischen bei-gesellt. Gegenwartsanbeter drängen. doch möglichst balddas„einheitliche" Unrecktsbuch Gesetz werden zu lassen.Wasiraden werde ich jedoch zu der Aussöhnung bewegen,und überlasse es Dir sehr gerne, die Schwester nach demVaterhause zu geleiten, und wohlbehalten wieder auher zuführen."„Mit nichten," äußerte Dagobert aufstehend und kalt:„Wallrade bedarf meines Geleits nicht. Einer ihrer zahl-reichen Freier wird dieser süßen Pflicht sich leicht unter-ziehen, wenn nicht kaiserliche Majestät selbst ihren Reise-stallmeister machen will. Euch überlasse ich es, Ohm, dieLiebenswürdige vorzubereiten. Unstreitig wißt ihr ihrenjetzigen Aufenthalt besser denn ich, der nur dann undwann von müßigen Stadtzungen Gerüchte und Ver-muthungen hört, die gar nicht zur Ehre unsers Stammesgereichen. Gerne werde ich auch Wallraden den Vorzug imVaterhause einräumen, und daher einzurichten suchen, daßich an dem Tage ankomme, an welchem sie geht. Schließ-lich danke ich Euch demüthigst für Eure gehabte Mühe, undwerde dieselbe gegen meinen Vater zu rühmen wissen,da es Euch ohnedies widerstrebt, tiefer in das verhaßtedeutsche Geburtsland vorzudringen. Gute Nacht, wür-diger Herr!"Ter Prälat sah betroffen, beschämt und staunend demNeffen nach, der— wie er endlich zu begreifen begann—unter dem Schimmer jugendlichen Leichtsinns einen stechendenErnst barg, welcher einem verweichlichten Gemüthe um soempfindlicher wehe that. Fiorilla leuchtete dem Scheidendenbis zu des Hauses Pforte. Daselbst ergriff sie seineHand, sah ihn mit weinenden Augen an, und sagte:„Ihrhabt heute durch Eure feste Redlichkeit vermocht, sdaß ichvor mir selbst erröthete. Könnt Ihr mir vergeben, wozuich Euch verleiten wollte?"—„Von ganzem Herzen!" er-widerte Dagobert,„denn Ihr wart weit entfernt, mich zubeleidigeu. Euch reißt die Leidenschaft dahin, und zwingt