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Unterhaltungsblatt öes vorwärts
Dienstag, 7. August
Silöer aus Ruglsth-Poöolien. Unsere Truppen haben in breiter Front den Zbrucz überschritten und sind damit in Nussisch-Podolien einpedrunpen, eine der Korn« kammern RuhlandS. Unter Podolien stellt der Westeuropäer sich ge- wöhnlich eine eintönipe Sieppenlandichast vor, allein das ist, wenig« stens für West« und Nordpodolien, nicht richtig, vielmehr handelt es sich um eine blühende Landschait mit lachenden Feldern, tief- eingeschnittenen Strömen, vielen Seen und Keinen Teichen und reichen Beständen an Laubwald, soweit dieser Teil Rutz- landS noch zu den Ausläufern der Karpathen gehört. Mit dem benachbarten Galizien bildet dieses Grenzgebiet eine völlig einheitliche Landschaft: der Wanderer trifft eine leicht gewellte, mit üppigem wogenden Getreide bestandene Fläcbe: am Horizont entdeckt er kleine, au« Buchen und Eichen bestehende Wäldchen, und die weitgedehnte Hochebene scheint unbesiedelt zu sein; plötzlich aber steht'er unvermutet an einem tiefen Einschnitte in den gelben Löstboden, auf dessen Grunde ein Fluß dahinströmt: fast in allen Fällen streicht die Schlucht nach Süden, und an dem Fluhlaufe liegen, wie Perlen auf eine Schnur gereiht, die Ortschaften. Alle linken Nebenflüsse des Dnjestr , in Podolien wie in Galizien , fliesten in tiefetngcschnittcnen Erosions- lälern, in Kanons dahin, bis sie sich mit den grünlicheu Fluten des Dnjestr vermischen, der in einem ebenso gebildeten Tale dahinströmt und bei seinem vielgewundenen Laufe terrassen- förmig« Halbinseln umschlingt. Der Grenzort, der an der Mündung des Zbrucz in den Dnjistr liegt, eine kleine, aus wenigen Häusern bestehende Ortschaft, krönt malerisch die Wipfel einer kleinen Halb- insel zwischen den tiefen Kanons der beiden Flüsse und bezeichnet die Stelle, an der einst eine kleine Feldbefestigung stand. Die Sied- lungen Podolien«, namentlich die großen Dörfer, liegen häufig an kleinen Seen und machen, da in ihrer Nähe meistens Waldbestände anzutreffen sind, einen malerischen Eindruck. Der Berkehr im Lande wird durch diese verstreuten Gewässer erschwert und vollzieht sich seir langer Zeit auf den kleinen, schmalen Dämmen, die für die Wassermühlen angelegt sind. Die Hauplstadt Russisch-PodolienS, Kamenez�PodolSkij, liegt auf einer Halbinsel, die ein Flühchen, der Smotritsch, bildet; ihre Lage ist anmulig, zugleich aber merkwürdig; wer sich der Stadt von weilem nähert, wird gewöhnlich recht überrascht. Man sieht näm- lich aus der Ferne Türme und allerhand Gebäude, die anscheinend ziemlich niedrig sind, und scheinbar eine endlose Ebene, auf der die Hauplstadt liegt. Beim Näherkommen hebt sie sich immer mehr und man erblickt zuletzt einen steilen hoben Felsen, der ring« von einer tiefen Schlucht umgeben ist. Dl« ganze Stadt ist auf Fels gebaut; von verschiedenen Punkten der Hauplstadt aus hat man auf das wasserreiche Tal und auf die gegenüber- stehenden Felsenzacken hübsche Blicke, am schönsten aber ist die Aussicht von den ehemaligen Festungswerken aus, an deren Stelle ein Park geschaffen ist. Ehemals war Kamenez-PodolSkij eine der starken Festungen Polens ; 1021 belagerten die Türken die Feste vergeblich, dann schlössen Türken und Polen hier miteinander Frieden, von 1671 an gehörte die Stadt den Türken, und die Polen belagerten sie mehrmals erfolglos, so unter Sobieski; seit 1735 ist der Ort im Besitze der Russen. Unter seinen Sehenswürdigkeiten— dem Schlosse, der Kathedrale und mehreren Kirchen— erinnert die aus dem XIV. Jahrhundert stammende Peter-Pauls-Kirche noch heute an die Türkenzeit. denn sie bat noch immer ein Minaret. Im Süden und Osten Podoliens trifft man die Steppe an, die sich von hier durch Bestarabien, Cherion und ein volles Dutzend weilerer Gouvernement« bis au den Ural dehnt, die endlose Steppe, auf' der man am Horizonte vergeblich nach dem Grün der Wälder späht, in der der Wanderer keine Wiesen im westeuropäischen Sinne, keine rieselnden Bäche mit grünen Wiesen an den Ufern, findet, wo der Boden weilaus den gröberen Teil des Jahres hindurch eine graue, versengte Fläche darstellt, soweit man ihm nicht korntragende Felder abgerungen hat. Der Boden dieser Steppe ist zum großen Teil die russische Schwarzerde lTschernasom); eS ist hnmushaltiger Löst; im Untergrunde findet sich meistens metertiefer reiner, gelber Lötz; stellen- weise ,st die Löstichicht austerordentlich dick; so Hot Holdefleist in Podolien mächtige senkrechle Wände von mehr als 20 Metern Höhe mit den bezeichnenden senkrechten Spaltflächen und den wunderbaren charatte- ristischen„Löstkindeln" in beträchtlicher Anzahl vorgefugden. Der Löstboden gilt als fruchtbar, ist es aber nur bedingt; der vorhandene Humus ist nämlich roher HumuS, der wenig zur Zersetzung neigt, und dies zeigt sich auch im Pflanzenbestande der Steppe, in dem die Quecke vorherrscht, die nur einen kümmerlichen Heuschnitt gibt. Nur ganz allmählich, im Laufe von Generationen, läßt sich dies Steppen- gelände in Kultur nehmen. Auch für die Viehzucht ist die Steppe wenig günstig. Wohl halten die Steppenbewohner Rinder, doch sind es nieistens die grauen Steppenrinder. die fast nur zur Arbeits- leistung dienen, während die roten Milchkühe viel seltener sind.
Die Wirkung öes Papiers auf üas /luge. An der Beschaffenheit von Waren zu mäkeln, ist jetzt wenig zeitgemäß, da man sich fast mit jedem Bedarfs- und Gebrauchs- gegenständ so gut einrichten muß, wie eS eben gehen will. Von allen Rücksichten dürfen aber erst an letzter Stelle die der Gesund- heit und Gesundheitspflege schweigen. Deshalb mag es zwar als verhältnismäßig gleichgültig betrachtet werden, ob man zum Schreiben oder zum Lesen heute ein schlich- teres Papier vorfindet als in den üppigen Friedenszeiten, aber es sollte doch stets ein solches sein, das unser Auge nicht beleidigt. Durch eine Beleidigung des Auges soll hier wiederum nicht eine Verletzung des Schönheitssinnes etwa durch eine weniger ansehnliche Farbe aus- gedrückt werden, sondern eine wirkliche Schädigung unserer Augen- nerven, die namentlich bei vielem Leien leicht hervorgerufen werden kann. Dafür ist in nicht geringem Maße allerdings auch die Farbe des Papiers bedeutsam, noch mehr aber sein Glanz. Die Forde- rungen der Gesundheitspflege sind hinreichend in unser gewerbliches Getriebe eingedrungen, um nicht auch in diesem Punkt einen Fortschritt herbeigeführt zu haben. Bei der Auswahl des Papiers, insbesondere für den Druck, wird heute auf die Vermeidung stark blendender Sorten wohl Bedacht genommen. Bei den Tageszeitungen findet sich solches Papier überhaupt nicht mehr, dagegen oft noch bei Schreibpapieren, und mancher, der in dieser Hinsicht unbelehrt oder»achlässig ist, mag vielleicht sogar ein recht glänzen- des Papier höher schätzen, zumal seine Glätte beim Schreiben einen gewissen Vorzug besitzt, da sie über manche Unzulänglichkeit der Feder hinweghilft. Der Glanz de» Papiers wird durch das sogenannte Kalandern bewirkt, da« zur GlSttung unentbehrlich ist, übrigens ebenso bei Geweben vorgenommen wird. Auch die gewöhnliche Mangel oder Rolle, die zur Behandlung der nassen Wäsche früher in keiner Haushaltung fehlte, ist zu den Kalandern zu rechnen und gleichsam als Vorbild der Maschinen zu betrachten, die in mehr oder weniger großartigem Ausbau in den Papierfabriken arbeiten. Sie bewirken zunächst selbst« verständlich das Herauspressen der Flüssigkeit, dann aber auch die Glätte und den Glanz, und der Grad ihrer Wirkung kann durch die Geschwindigkeit der Walzen nach Belieben geregelt werden. Wie ein stark glänzende» Papier auf das Auge wirkt, kann immerhin auch heute noch jeder täglich erproben, und man wird stets die Er- fahrung machen, daß e« je nach Art und Stärke der Beleuchtung nicht nur das Lesen erschwert, sondern das Auge auch unmittelbar angreift. Bei Tageslicht wird man sich dann wenigstens so setzen, daß das Papier eine möglichst geringe Spiegelung hervorruft, bei künstlicher Beleuchtung, wenn es geht, die Lampe entsprechend ver> schieben. Die Talsache, daß man zu einer solchen Abhilfe oft ganz unwillkürlich und unbewußt greift, zeigt ohne weiteres an, daß ein zwingende« Bedürfnis dazu empfunden wird. In Er- kenntnis diese« Nachteils hat sich auch die Wissenschaft mit dieser Angelegenheit beschäftigt und bemüht, der Industrie ein bestimmtes Mittel an die Hand zu geben, das ein zu starkes Kalandern de-Z Papiers unter bestimmte Aufsicht zu stellen vermag. Dazu ist es zunächst nötig, ein Maßversahren für die Blendwtrkung einzelner Papiersorten zu schaffen. Diese Aufgabe ist durch gemeinsame Arbeit mehrerer Physiker gelöst worden. Die Vermutung, daß man die Glätte des Papiers als Maßstab auch für die Blendwirkung der- werten könnte, hat sich al« irrtümlich herausgestellt. Man mußte daher andere Wege einschlagen. Es zeigte sich, daß die Sache ziem- lich verwickelt war, indem das Papier drei verschiedenartige Spiegelungen zu bewirken vermag. Die Physiker unterscheiden sie als die eigentlich spiegelnde Reflexion, wie sie auch an polierten Flächen von Metgv oder Glas auftritt, dann die diffuse Reflexion. die auf matten Flächen zu beobachten ist und sich nach allen Richtungen hin verbreitet, und schließ- lich eine Bereinigung beider, die man künstlich hervor- rufen und untersuchen kann, wenn man eine Glasplatte auf eine matte Fläche legt. Die diffuse Reflextion läßt sich nicht be- seitigen und ist auch nicht weiter schädlich, während die spiegelnde für die schädliche Wirkung auf das Auge verantwortlich zu machen ist. ES sind nun feine Apparate erdacht worden, um diese Eigen- schaft de» Papiers genau zu meffen und danach zu regeln.
Die Opfer öes ölihes. Ueber die Zahl der Personen, die alljährlich dem Blitz zum Opfer fallen, gibt die Statistik genaue Auskunft. So wurden im Königreich Preußen in den Jahren 1871 bis 191« insgesamt 6521 Menschen oder im Jahresdurchschnitt 148 Personen, in Frankreich während der drei Jahrzehnte 1871 bis 1900 zusammen 3782 Per- sonen oder jährlich rund 124 Personen vom Blitz erschlagen. Für die Gegenwart glaubte man bisher ziemlich allgemein eine Zunahme der Blitzgefahr feststellen zu können. Diese Ver- mutung hat sich jedoch, wie neuerdings die Untersuchungen von Prof. Hellmann und anderen Meteorologen gezeigt haben, als durch- aus unhaltbar erwiesen. Eine derartige andauernde Steigerung
der Blitzgefahr ist nicht eingetreten, wohl aber weist die letztere in den einzelnen Jahren je nach der Stärke der Gewittertäligkeit beträchtliche Schwankungen auf. Die Zahl der vom Blitz' gc- töteten Personen ist in gewitterreichen Jahren doppelt, ja dreimal so groß wie in gewitterarmen Jahren. Die größten Opfer forderte der Blitz in Preußen in den Jahren 1906 und 1905 mit 256 Ibe- ziehungsweise 241 Todesfällen, während die niedrigsten Verluste in den Jahren 1904 und 1309 mit nur 82 bzw. 84 Todesfällen zu verzeichnen waren. Auf je 1 Million Einwohner entfielen im Durch- schnitt der 44 Jahre 1871 bis 1314 jährlich 4,7 Blitztötungen. Ihren Höchstbetrag erreichte diese Ziffer im Jahre 1884 mit 7,7, den niedrigsten im Jahre 1903 mit nur 2,1 Blitzivlungen auf je 1 Million Einwohner. In den beiden Jahrzehnten 1871 bis 1380 und 1301 bis 1310 war die Blitzgefährdung nahezu gleich, ein vor- übergehendes Ansteigen zeigte sie in den 188Vec und 1890er Jahren. Für die städlische Bevölkerung ist die Blitzgesahr wesentlich ge- ringer als für die Bewohner deS platten Landes. Die meisten Opfer fordert der Blitz unter den auf dem Felde arbeilenden Menschen, und zwar ist die Mehrzahl der von, Blitz getöteten Per- sonen— in Preußen 66 Proz., in Frankreich 73 Proz.— männlichen Geschlechts. Besonders verheerend wirken elektrische Entladungen, die größere Menschenansammlungen treffen. Blitzschläge in mar- schierende Truppen u. dgl. können leicht eine größere Zahl von Menschenleben vernichte». Andererseits trägt auch unrichligcs Ver- halten im Gewitter, namentlich das Aufsuchen einzeln stehender Bäume zum Schutze gegen das Unwetter, die Schuld an dem Tode manches Unvorsichtigen._ Der Kalauer. Da? achtzehnte Jahrhundert in Frankreich , das die Witze so liebte, stempelt auch den Fachausdruck Calembourg . Man hat alle möglichen Erklärungen für das Wort aufgebracht. Ein loitziger Apotheker sollte so geheißen haben. Der Ort Calembourg bei Die- denhofen, damals so geheißen, sollte schuld sein— weshalb, wußte kein Mensch. Und solcherlei an den Haaren herbeigezogener Bc- gründungen gibt es noch mehr. Aber alle diese Erklärungen haben wenig Wert. DaS Wort Calembourg hat freilich einen Ursprung, der sich aber nicht durch Vermuten aus der Luft greifen läßt. Ter Ursprung ist: ein paar Kilometer von Wien erhebt sich der Kahlen- berg, ein Stück Ausläufer der Alpen , gegen die Donau . Dort, in dem hübschen Weinort Kahlenberger Dorf , am Ufer der Donau , war um das Jahr 1340 ein wegen seiner Schnurren und Spaße be- kannter Pfarrer namens Wiegand. Auf diesen„Pfaffen vom Kahlenberge" sind, als er längst nicht mehr lebte, zu seinen eigenen Scherzen alle möglichen Anekdoten zusammengetragen worden, ähnlich, wie sie sich auch sonst gern auf bekannte Namen häufen. So erschien auch um 1400, von einem Wiener Verfasser zusammenge- stellt, eine Erzählung der Schwänke vom Pfaffen von Kahlenberg . Sie war im 14. und 15. Jahrhundert ein vielgelesenes und viel- gedrucktes Buch und kam auch nach Frankreich . Auf diese Weise ist dort Calembourg der Ausdruck für einen mehr burlesken, passen- reißerischen Witz geworden und endlich für die verbrcitetste Witzart. kür den Wortwitz. Aus dem auch bei uns in Deutschland verwen- deten Fachausdruck„Calembourg " ist dann der volkstümliche Aus- druck„Kalauer" geworden._ Notizen. — Der Nachfolger MetschnikowS. Der Verwaltung«- rat des Pasteurfchen Institutes in Paris wählte dieser Tage an Stelle des während des Krieges verstorbenen berühmten Zoologen. Bakteriologen und Anthropologen Elias Metschnikow Dr. Albert Calmette , Leiter des Pasteurfchen Jnstitüts in Lille , zum Leiter einer Abteilung in der Pariser Hauptanstalt. Albert Calmette , ein Bruder de« vor Kriegsausbruch von der Frau des ehemaligen französischen Ministers Caillaux erschossenen„Figaro "-Redakteurs, hat seit der Kriegserklärung die Stadt Lille , die sich jetzt ja in deutschen Händen befindet, nicht verlassen. — Englische Bodenkultur in der Zeit der Not Ein Bericht aus England enthält einige Mitteilungen über die Art wie die englischen Behörden die Verwertung und restlose Ausnutzung aller kultursähigen Ländereien ins Werk setzen wollen. Jede Graf- schaft wurde in Bezirke geteilt und in jedem Bezirk lvurde ein Bürger, der Grundbesitzer ist und sich der allgemeinen Achtung er- freut, mit dem Auftrage betraut, über da« brachliegende Land ge- naue Angaben z» machen. Der Staat will den Landbesitzern gegen mäßigen ZinS alle Mittel, die ihnen zur ordnungsmäßigen Bc« bauung des Landes fehlen könnten, liefern, und zwar Dungmittel, Pferde und Maschinen; er ist aber auch bereit, brachliegende Felder in Pacht zu nehmen und selbst bebauen zu lassen. Unproduktiv soll daS Land fortan unter keinen Umständen bleiben dürfen. Als bc- sonderS bemerkenswert verdient hervorgehoben zu werden, daß die Landschätzungen und die Verträge mit dem Staate innerhalb zwei Wochen erledigt sein müssen, da man angesichts der wachsenden Nöte keine Zeit zu verlieren habe.
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Inders hjarmsteö.
Von Jakob Knudsen . „Da hätten wir nun Schwester Cecilic versorgt," sagte Jungfer Gjatrid. „Ja— hä, hä." „Ja, Sie können sich doch darüber freuen, Pastor Steffcnsen." „Das hoffe ich auch zu können.— Aber— äh— was meinen Sie damit?" „O, denn dann sind Sie doch ohne Verantwortung."— Jungfer Gjatrid sah mit leichtem Lächeln zu ihrer Schwester hinüber,— doch die schien gar nicht darauf zu achten. Sie schaute ganz ernst, aber gleichsam geistesabwesend auf Pastor Steffensen,— bis sie sich plötzlich dabei ertappte, die Augen niederschlug und rot wurde. Jungfer Gjatrid wurde etwas unsicher,-- aber das konnte es ja unmöglich sein,— Cecilie hatte ihn nur so flüchtig erwähnt,-- es war doch des Bräuttgams Wesen, das ihr so entsetzlich zuwider war.-- Die beiden standen, als getrauten sie sich nicht, sich zu bewegen,— geschah es, weil sie sie ansah? weil sie zugegen war?— warum wandten sie sich denn nicht ab? warum gingen sie nicht?— sie weinten ja beide, ohne ein Wort zu sagen,-- aber mehr und mehr bekam es Gewalt über sie,--- dann schlang sie ihren Arm um die Schwester, und Cecilie schluchzte an ihrer Brust. „Das kann doch nichts ausmachen, es jetzt zu sagen, wo eS zu spät ist," sagte Jungfer Gjatrid.„O, mir scheint, ihr solltet sagen, wie es ist,— ich habe ja gar nicht gewußt, daß ihr euch gern hättet." „Nein, nein, nein, Ihre Schwester macht sich nichts auS mir.— Sie mißverstehen," sagte Steffensen und wich ein paar Schritte zurück. „O, Steffensen. aber das können Sie doch sehen, gerade so gut wie ich!-- Warum habt ihr« denn einander nicht gesagt?" Pastor Steffensen näherte sich plötzlich in einer Weise, die
ganz außerhalb seines Wesens lag. so wie Jungfer Gjatrid es kannte,— und er sprach, als wäre sie nicht anwesend: „Ich bin zu gering für Sie, Cecilie,— es ist gut, daß wir einander nicht bekommen.— aber trotzdem sollen Sie mir sagen, ob es wahr ist, daß Sie mich geliebt haben."
..Ja.'
„Daß Sie mich geliebt haben?" „Ja. Und ich tu es noch. „Aber— nicht wie früher?" „Gewiß,— denn ich Hab ja nicht gewußt, daß Sie mich lieb hätten, bis jetzt." „O. wie beseligend ist eS für mich, da» zu wissen! Wie beseligend ist es.-- Ich will an nichts anderes denken— als daran, daß es beseligend ist!" „Können Sie von dem Gedanken ablaffen, daß ich un- glücklich werde?" „Nein, � dem»verde ich wohl nie für lange entgehen. Doch soviel»vir können.— lassen Sic unS beide daran denken, daß das Glück uns nun gewiß ist,— und daS Unglück kann doch vielleicht— man»veiß ja nie.»vas die Zu- kunft bringen kann— ob es denn Glück brächte, wenn wir einander bekämen. Doch wir wissen, was wir haben.— lassen Sie unS unser Glück nicht vergeuden. Nun will ich gehen.——" „Nein, Steffensen,— Sie sollen mir sagen-- ich weiß, daß Mutter Sie gefragt hat, ob Sie mich haben wollten,— sie hat es mir erzäht,— und Sie sagten doch, daß Sie Ihre Haushälterin nicht wegschicken könnten.-- Steffensen faßte sich an den Kopf:„Nein, Sic dürfen mich nicht daran erinnern,»vie es gekommen ist, denn es ist ja wie ein Zufall— und es ist nicht zu ertragen. Ich war ja überzeugt, daß Sie sich nichts aus mir machten —— und da sagte ich so.—— Ach, lassen Sie mich jetzt gehen.-- liebe Cecilie!"— Er stand einen Augen- blick da und starrte sie an.„Ich würde mein Leben dafür geben. Deinen Mund zu küssen. Cecilie. aber ich»vill nicht das geringste von unserm Glücke hingeben!"-- Er sprach ein kaum hörbares Lebewohl und ging schnell den Gang hinab, auf den Wiesendeich zu.— Einen Augenblick hielt er inne,— dachte, daß es ja besser wäre, wenn er sich jetzt von
den Leuten oben auf dem Hof verabschiedete,— aber er konnte das jetzt nicht,— er sprang über den Deich und lief mehr, als er ging, nach draußen— über die Wiesen hin, wo er in sichere Einsamkeit kam bei jeden hundert Schritt.— Der Sonnenschein streifte die Erde jetzt ganz schräg: nur>vas aufrecht stand, wurde voll beleuchtet: die»vcstliche Seite aller Grashügel der westliche Abhang eines niedrigen Heiderückens, der sich ins Wiesenland vorschob; die Wachholdersträucher und ein paar kleine Haine von Bergfichten da oben sahen aus, als wenn sie glühten. Doch große Stücke der ganz flachen Wiese lagen bereits im Schatten und begannen dämmrig auszusehen. Und dann war die Luft voll von dem Kreischen und Pfeifen der Seevögel und von der Frösche andauernden, unaufhörlichen, steigenden und fallenden Lautlvcllen. Steffensen dachte an Brorsons Gesang: Und der Himmel steht im Sang. ——— Und er iv o l l t e im Himmel bleiben!— Diesem Himmel, der ihre Liebe»var und die ganze wunder- bare Schöpfung Gottes,— er»v o l l t e nicht hinabsinken und seine Seele von den Zufälligkeiten zerreißen lassen, von dem Gedanken daran,»vie eS hätte gehen können -- nein, nein, nein,— die Wirklichkeit, die war ja doch hier in diesen Wiesen, diesem Abendhimmel, dieser Sonne und in ihrer Liebe I— Und diese Wirklichkeit»vürde er nie ver- lieren, die würde immer zurückkehren-- o, Gott I— Das »var die Wirklichkeit, die nun einmal nicht verändert Ivcrdeu konnte! Diese Wiesen, dieser Himmel, diese Sonne und ihre Liebe l--„O. Gott 1" betete er.„befreie mich von mir selber, wenn ich dies Leid nennen will: daß Deine Liebe und ihre Liebe sich nie verändern können!"--- Es war für ihn. als schlvebe er auf der Grenze zwischen zivei Welten: einer unsicht- baren, einer inneren Finsternis, die in ihm aufstand und ihn verschlingen»volltc: dem Gedanken an das verscherzte Glück. den grausamen Zufall, das unerbittliche Schicksal, und dann dieser sichtbaren Welt, Gottes Welt, die ja doch die wirkliche sein mußte,»veil sie es»var,--— aber zugleich meinte er. es hinge von seinem Gebet ab,»velche dieser beiden Welten für ihn die»virklichc»Verden sollte. Und darum betete er: Dein Wille geschehe! D e i n R c i ch k o m m e! (Forts, folgt.)