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Nr. 215 7917
Unterhaltungsblatt des vorwärts
Mittwoch, s. August
?n Erwartung einer neuen Raupen- offensive. Die trockene Witterung des Juni und Juli hat die Entwicklung der Kohlweißlinge sehr begünstigt. In großen Massen sieht man die bekannten weißen Schmetterlinge jetzt in den Gärten und Feldern umherflattern. Belrachlel man einmal eins der Weibchen des Kohl- Weißlings, das durch die schwarten Flecken auf den Borderflügeln deutlich vom Männchen unterschieden ist, bei seinem anscheinend Mecklosen Umherflattern genauer, so sieht man, daß es sich bald ausruhend auf irgend eine Pflanze niederläßt, selten aber lange bleibt, sondern sein Umherschwärmen bald wieder fortsetzt. Hat es jedoch auf der Unterseite eineS Kohlblattes Platz genommen, so dauert es gewöhnlich länger. Ein der Sache Unkundiger lönnte auf den Gedanken kommen, es stille hier seinen Hunger; das ist aber nicht der Fall; die inneren Teile der Freßwerkzeuge der Schmetterlinge sind nicht derart, daß sie von einem Blatte das Geringste genießen könnten, denn sie bestehen aus einem Nollrüssel, mit dem die Tiere höchstens den Honig aus der Blume saugen, aber weder beißen noch kauen können. Nimmt man aber die Unterseite des KohlblatteS, nachdem das WeißlingSweibchcn es verlassen, näher in Augenschein, so ent- deckt man gewöhnlich da, wo es gesessen hat, eine Anzahl Eier, die es dort abgesetzt hat. Obwohl das Tier selbst also von der Kohl- pflanze keine Nahrung nehmen kann, so sagt ihm doch der inne- wohnende Instinkt, daß seine Nachkommenschaft, die später aus den Eiern hervorkriechenden Raupen, einzig und allein von dieser Pflanze zu leben vermag. Die die Größe von etwa 3'/z Zentimeter erreichenden Raupen, die von bläulick-grüner Grundfarbe sind und durch schwarze Punkte, einen V-förmigen Fleck am Kopfe sowie durch mehrere gelbe Längsstreifen gekennzeichnet sind. entwickeln eine unheimliche Gefräßigkeit. Man hat beobachtet, daß eine Kohlweißlingsraupe in 24 Stunden mehr als das Doppelte ihres Gewichtes verzehrte und dadurch um ein Zehntel ihres srüberen Gewichtes schwerer wurde. Treten diese Raupen in einem Jahre massenhaft auf. wie es leider auch für dieses Jahr zu be- fürchten ist, so fressen sie ganze Kohlfelder kahl, und es bleibt dann von den Koblpflanzen nichts mehr übrig als die harten Blattrippen. Dieser Gefahr nun, so schreibt uns ein Mitarbeiter, muß bei der Wichtigkeit, die der Kohl für unsere Winterernährung zu bean- spruchen hat, auf da? wirksamste begegnet werden. Das kann nur dadurch geschehen, daß man auf den Kohlfeldern die unteren Seilen der Blätter nach Raupeneiern absucht und diese durch Zerreiben zwischen den Fingern vernichtet. DcS weiteren sind die schon ausgebrochenen Raupen an den Pflanzen sorgfältig abzulesen. Da die Gärtner und Landwirte nicht über die nötigen Arbeitskräfte verfügen, empfiehlt sich auch die Inanspruchnahme der Kinder bei dieser leichten und doch sehr wichtigen Arbeit.... Die Raupen des Kohlweißlings rreten in manchen Jahren in so großen Massen auf, daß sie imstande sind, einen Eisenbahnzug im vollen Lauf zu hemmen und vollständig zum Stillstand zu bringen. Wir besitzen die Schilderung eines derartigen Ereignisses aus der Feder eines durchaus glaubwürdigen Zeugen, des einstigen Präsidenten des Entomologischen Vereins zu Stettin  , C. A. Dohrn. Dieser berichtet darüber:Im Sommer 1854 kam ich von Berlin  nach Prag   über Brünn  . Zwischen diesen letzten beiden Städten ging plötzlich der Zug auffallend langsamer; aus dem lang- kamen Tempo wurde ein schleppendes, und gleich darauf hielt der Zug vollständig still.... Was einem Ele- ianten, einem Büffel nicht gelungen wäre etwa den Fall ausgenommen, daß ihre zerschmetterten Leichen den Zug aus den Schienen gebracht hätten, da? hatte die unbedeutende Raupe des Kohlweißlings glorreich durchgesetzt. Auf der linken Seite des Schienenstranges befanden sich nämlich einige Felder, an deren ab- gefressenen Kohlstrünken die Freßlust besagter Raupen deutlich ge- nug zu erkennen war. Da sich nun in einiger Entfernung rechts von den Schienen einige Kohlbecte wahrnehmen ließen, deren Pflanzen noch in reichem Blätterfchmucke prangten, sy war offenbar kurz vor- her in einer Raupen-Volksversammlung einstimmig beschlossen worden, nach der Regel udi bene, ibi patria das engere Bater- ländchcn des Kleinherzogtums Linksstrang mit dem Großherzogtum Rechisstrang zu vertauschen. Infolgedessen waren gerade im Mo- ment, wo unser Zug mit voller Geschwindigkeit heranbrauste, die Schienen auf mehr als 60 Meter Länge mit den Kohlraupen dicht bedeckt. Daß auf den ersten 2025 Meter die unglücklichen Fuß- und After- fußwanderer durch die tölpischen Räder der Lokomotive in einer Sekunde zerquetscht waren, das war natürlich; aber die schmierige Maffe der Tausende von kleinen Fettkörpern legte sich auch gleich mit solcher Kohäsion an die Räder, daß diese in den nächsten Sekunden kaum noch Reibung genug besaßen, um vorwärts zu
kommen. Da aber jeder Schritt vorwärts durch neues Raupen- quetschen neues Fett auf die Räder schmierte, so versagten diese vollständig den Dienst, noch ehe die marschierende Kolonne der Raupen durchbrochen war. ES dauerte länger als 10 Minuten, ehe mit Besen die Schienen vor der Lokomotive gekehrt und mit wollenen Lappen die Räder der Lokomotive und des Tenders so weit geputzt waren, daß der Zug wieder in Bewegung gesetzt wer- den konnte."_ Nahrungsbedarf und Varmlänge. Die Ernährungsfrage, die jetzt in allen europäischen   Ländern im Vordergrund des VolkSinteresseS steht, hat in den letzten Jahren zu den verschiedensten Untersuchungen über den Nahrungsbedarf der Menschen geiührt. Der Nährwert der einzelnen Nahrungsmittel wurde hierbei nach Wärmeeinheiten oder Kalorien gerechnet, d. h. nach der Kraft der Wärme, die bei der Zerstörung be�w. Ver- brennung der Nahrung in unserem Körper gebildet wird. In jüngster Zeit hat nun ein Forscher C. v. Pirquet   die Untersuchungen über den Nahrungsbedarf des menschlichen Körpers nach völlig neuen Gesichtspunkten vorgenommen. Zunächst rechnet Pirquet   nicht mehr nach Kalorien, sondern stellt als natürlichste Einheit die Milch auf, an deren Nährstoffen er den Nährwert der übrigen Nahrungsmittel mißt. Als kleinste Nahrungseinheit gilt der Nähr- und Brennstoffwert von 1 Gramm Milch. Neben diesen Brennstoffwerten, die Kohlehydrate und Fette umschließend, muß auch der Eiweißwert einer Nahrung in Betracht kommen, und auch hier bildet wieder die Milch, indem als PortionS- einheit die Eiweißmenge, die in 100 Gramm Milch enthalten ist, angenommen wird, den Ausgangspunkt der Berechnungen. Die tägliche Nahrung des Menschen sollte stets so beschaffen sein, daß der Eiweißwert mit dem Brennstoffwert möglichst übereinstimmt. Ein Ueberwiegen der Eiweißwerte ist unnötig, ja auf die Dauer sogar schädlich. Noch eigenartiger als die Festsetzung dieser neuen Brennstoff- und Eiweißeinheiten an Stelle der bisher üblichen Kalorien ist die Methode, nach der der Forscher die für den Menschen notwendigen Nahrungsmengen bestimmt. Maßgebend für diese Bestimmungen ist in erster Linie die Ausdehnung des menschlichen Darmkanals, von der allein die BerdauungSfähigkeit jedes Menschen abhängt. Ißt der Mensch zum Beispiel mehr, als die Oberfläche seines Darmes aufzusaugen imstande ist, so geht die wertvollste Nahrung un« verbraucht wieder ab, während umgekehrt auch weniger wertvolle Nahrung, aber in der richtigen Menge gegeben, vom Darm nach Möglichkeit ausgenutzt wird. Nun handelt eS sich natürlich vor allem darum, zu wissen, wieviel Flächenraum der menschliche Darm zur Aufsaugung der Nahrung besitzt, und diese Berechnung wird dadurch erleichtert, daß zwischen der Sitzhöhe des Menschen, d. h. dem Zivischenraum zwischen Sitzfläche und Scheitel- höhe und der Länge seines Darms ganz bestimmte Beziehungen be- stehen. Der ganze Darmkanal ist nämlich etwa zehnmal so lang als die Sitzhöhc des Menschen, und die aufsaugende Oberfläche des DarmeS bildet einfach das Quadrat dieser Sitzhöhe. Ein Mann, dessen Sitzhöhe 90 Zentimeter beträgt, besitzt demnach eine aufsaugende Darmfläche von 90 mal 90, d. i. 8100 Zentimeter, folglich ist sein Darm imstande, bis zu 8100 Gramm Milchwertc aufzusaugen und zu verarbeiten. Diese Zahlen bedeuten jedoch das Höchstmaß der Verdauungsfähigkeit; denn für eine gleichwohl gesunde mittlere Ausnutzung berechnet man keineswegs ein volles Gramm Milchwerl auf den Ouadratzentimeter Darmfläche, sondern nur bis'/w Gramm. Nach dieser Mittelwcrtbcrechnung würde die Darnifläche einer Frau von 80 Zentimeter Sitzböhe 2560 Gramm Milchwerte aufzusaugen ver- mögen, was einer Menge van etwas über 2�z Liter Milch ent­spricht. Ist eine Nahrung so beschaffen, daß weniger als 0.3 Gramm Milchwerr auf den Ouadratzentimeter der Aufsaugungsfläche des Darms kommen, so erweist sie sich für die Erhaltung des inensch- lichen Körpers als ungenügend und muß aufgebessert werden. Die neue BerechnungSart ist insofern einleuchtend, als sie sich nur nach der Ausnahme- und Verdauungsfähigkeit des menschlichen DarmeS richtet und damit jedes unnütze Zuviel-, zugleich aber auch das Zuweniggenictzen vermeidet. Dle natürlichen Wasserkräfte DeutschlanSs. Zur Ersparnis von Kohle und zur Schonung der immer kost- barer werdenden Kohlenlager, aber auch zur Beschaffung einer mög- lichst billigen niotorischen Kraft, wird eie Ausnutzung der natürlichen Wasserkräfte für jedes Land immer mehr zu einer gebieterischen Pflicht. Deutschland   ist von der Natur mit solchen Schätzen nicht besonders reichlich ausgestattet worden, und insbesondere gibt e« ja auf deutschem Boden nicht einen einzigen ansehnlichen Wasserfall, m dem sich die Wasserkraft augenfällig zu einem großen Betrage ver- dichtete.
Von englischer Seite ist unlängst die Angabe veröffentlicht und verbreitet worden, daß in Deutschland   Wasierkräfte von nicht ganz 1'/, Millionen Pferdekräfte vorhanden sein sollen, allerdings etwa ebensoviel wie in Großbritannien   selbst, aber siebenmal weniger als in Italien  , fünfzigmal weniger als in Schweden   und gar 140 mal weniger als in Norwegen  . Professor Halbfaß, der beste Kenner unserer deutschen   Binnengewässer, hat in Petermanns Mit- teilungen eine möglichst genaue Berechnung der deutschen   Wasser- kräfte nach allen verfügbaren Quellen veröffentlicht. Er ist zu ganz anderen Ergebnissen gelangt, die nicht nur wegen ihrer Summe, sondern auch wegen der geographischen Verteilung von höchstem Werte sind. Er schätzt danach die Wasserkräfte Norddeutsch- lands auf rund eine Million, diejenigen Mitteldeutschlands   auf drei Millionen und die Süddeutschlands   auf acht Millionen Pferdestärken, sodaß sich die stattliche Gesamtheit von etwa zwölf Millionen Pferdestärken ergeben würde. Es kommen also auf einen Quadrat- kilometer Fläche deutschen Bodens im Durchschnitt 22 und auf jeden Einwohner 0,18 Pferdestärken. Als Norddeutschland ist dabei daS Flachland(280 000 Quadrat- kilometer) gerechnet worden, als Mitteldeutschland da? GebirgS- und Hügelland, als Süddeutschland   das Gebiet südlich des Mains, die letzten beiden LandeSteile mit je 130 000 Quadratkilometern. Süd- deutschland ist demnach ganz außerordentlich überlegen. Immerhin muß damit gerechnet werden, daß von dieser Energiesumme nur ein Teil technisch verwertet werden kann, aber andererseits hält Halbfaß seine Zahlen, besonders die für Süddeutschland  , für Mindestschätzungcn. Mindestens dürfte wohl die Hälfte der angegebenen Pferdestärken nutzbar gemacht werden können.
Notizen. EinKartell freier Kunst verbände" haben der Goethe-Bund, der Schutzverband Deutscher Schriftsteller, der Ver- band deutscher Bühnenschriftsteller, die Gesellschaft für Theater- geschichte und die Vereinigung künstlerischer Bühnenvorslände, die vor einigen Wochen im Beethovensaal in Berlin   überDie Zukunft der deutschen Bühne" verhandelten, gebildet. Da? Kartell will keine bestimmte künstlerische Richtung vertreten oder ablehnen, will aber alles unterstützen, was geeignet sein kann, dem gesamten Volk die Kunst der Bühne nahe zu bringen. Das Kartell ist bestrebt, mit allen geeigneten Mitteln die Freiheit der deutschen   Kunst, be- jonder« der Bühnenkunst, zu wahren und gegen alle Versuche, ihre natürliche Entwicklung zu hemmen, zu sichern. Die Geschäftsstelle befindet sich Wilmersdorf  , Kaiscrallee 173a. Dies ist also die Gcgenorgonisation gegen den Thcaterbultur- verband. Ob sie positiv etwas leisten kann, ist abzuwarten. Außer dem Schutzverbande ist kaum eine tätige Kraft darin. Die sonder- bare Vorstellung, daß die Kunst gegen den organisierten Einfluß der Massen geschützt werden muffe, spukt auch in den Köpfen der Gründer herum. Gesammelte Werke von Lili Braun  . Für die in Vorbereitung befindliche Gesamtausgabe der Werke Lili Brauns er- sucht Dr. Heinrich Braun  (Berlin  -Zchlendorf-M., Erlenweg 1) um die Ueberlassung von Briefen ihrer Hand. Bühnenchronik. Kurt von M ö l l e n d o r f f, bisher Direktor des Residenz-TheaterS in Wiesbaden  , ist als künstlerischer Leiter an daS Trianon-Theater verpflichtet ivordcn. Die Baumivurzeln und das Grundwasser- Dr. W. Wächter von der kgl. Landesanstalt für Wasserhygiene in Berlin-Dahlem   hat Untersuchungen über die Beziehungen zwischen dem Wurzelwachstum der Bäume und dem Grundwasser angestellt. Es geht aus ihnen hervor, daß die Ulme mit ihren Wurzeln dem Wasser nachgeht, ebenso anscheinend in gewissem Maße auch i der Apfelbaum. Bei der Esche und Birke   scheint dies nicht der Fall zu sein, während die Kiefer wohl zu den Bäumen gehört, die aus- stehendes Waffer nicht vertragen. Wie die Kirsche sich allgemein verhält, konnte, da nur ein Baum ausgegraben wurde, nicht fest- gestellt werden. Jedenfalls wäre es sehr erwünscht, wenn diese Untersuchungen planmäßig fortgesetzt würden, denn durch sie kann Klarheit darüber geschaffen werden, ob und in welchem Umfange der BaumwuchS bei Absenken des Grundwasserspiegels geschädigt wird, eine Frage, die namentlich für die großstädtischen Wasserwerke nicht ohne Bedeutung ist. Papier auS Tang. Ein Gärtner hat nach derPapier- teitung" ein dänisches Patent zur Herstellung von Papier aus nng erhalten. Durch die Versuche des Erfinders und solche in einer Papierfabrik in Kopenhagen   und in der Materialprüfungs- anstatt deS dänischen Staates scheint es festgestellt, daß durch Mischung der Tangmasse mit einer geringen Menge Papierstoff sich ein Papier herstellen läßt, daS den gebräuchlichsten Sorten gleichkommt, während die Erzeugung weit billiger wird, da d>a Tanggewinnung ja nicht viel kostet.
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/lnöers Hjarmsieö. Von Jakob Knudsen.  
bischer Dich so unterjochen du nicht, daß er ein Feig-
Als Steffensen fort war, standen die Schwestern noch eine Weile auf demselben Fleck. Cecilie war ganz in ihre Gedanken versunken. Plötzlich begann sie:O, wir kommen ja niemals von hier fort. Last uns hineingehen!" Als sie auf den Hof kamen, sagte sie:Ja, wer bloß noch frei wäre, wie Steffensen es ist. Jetzt scheint mir, es würde ebensoviel wert sein, als wäre die ganze Welt mein eigen." Ach, glaubst Du denn, daß kann sagte Gjatrid.Glaubst ling ist?" Ach. liebe Gjatrid, ich meine, es ist, als ob er herum- ginge und lauerte. Ich Hab solche Angst vor ihm; wenn er mich erst für sich allein hat, so macht er gewist einen ganz andern Menschen aus sich.-- Ich kann jetzt gar nicht ver- stehen, warum ich vor Mutter solche Angst hatte. Was konnte sie mir anhaben, was mehr als mich aussenden und mir meine Freiheit lassen. Aber er!-- O, liebe Gjatrid! wenn sie Dich zwingen will zu einem Manne, so tu es nicht, geh Du Deinen Weg!"-- Jungfer Gjatrid konnte diesen Gedanken lange nicht vergessen: ihrer Mutter Widerstand zu leisten. Es kam ihr ganz unmöglich vor. Aber Schwester Cecilie hatte es doch selber auch nicht getan.-- Im Gartenzimmcr, in daS die Schwestern eintraten, war man jetzt von zweierlei in Anspruch genommen: man spielte Karten und verhandelte über den Verkauf des Bjerrchofs. Augenscheinlich waren nur die Häupter der alten Familie hier drinnen versammelt, außerdem Hardcsadjunkt Fischer und der Bräutigam.   Der letztere nickte Cecilie zu und lächelte mit dem Munde; aber Gjatrid fand sein Aussehen so garstig. Gjatrid ging bald in die Küche hinaus. Cecilie blieb drinnen stehen und sah zu. Soweit sie das Gerede verstehen konnte, wollte die Familie mit ihrem Vater an der Spitze den Hof für 30 000 Reichstalcr übernehmen, wenn das Gebot auf der Aktion so hoch hinaufkam. Aber dann sollte sich auch Erik Skindtoft dazu verpflichten, ihn nicht an andere zu ver- kaufen, selbst wenn auf der Auktion mehr als 32.500 geboten würden.
Onkel Jerrik, wie die Kinder auf Stavn Erik Skindtoft nannten er war in Wirklichkeit ein Vetter Kristen Faur- holts saß im Sofa und war augenscheinlich nicht sonderlich zufrieden mit dem Angebot der Familie. Er hatte eine er­staunliche Gewohnheit oder Fähigkeit darin, wenn er eine kurze Zeit auf einem Platz gesessen hatte, sich mit einer Menge Kleinigkeiten zu umgeben, die zum größten Teil aus seinen Taschen herrührten. Die Kinder auf Stavn nannten das, Onkel Jerrikbaut ein Nest." Auch jetzt lagen um ihn herum auf dem Sofa: ein Brillenfutteral, eine Schnupftabaks- dose, ein Taschentuch, ein Kamm, ein Zahnstocher, eine Rolle Kautabak in Papier und mehrere andere Sachen. Aber er war so unruhig, daß er nichts an dem Platze liegen ließ, wo es lag. Das war bei ihm stets das Zeichen, daß er sich nicht wohlbefand. Wenn.mir nun auf der Auktion ein Angebot gemacht wird", sagte er und steckte die Brille ins Futteral,ich will mal sagen: von 35 000, dann wcrdt ihr doch nicht wollen, daß ich so ein Angebot abschlagen soll." Gewiß, gewiß, lieber Jerrik", sagte Kristen Faurholt, daL weiß der liebe Gott, daß wir das wollen. Sonst kann uns doch nicht gedient damit sein, Dir die 30000 zu sichern. Nimm nun mal den Fall an, es würden Dir nur ich will sagen 27 000 geboten. Dann säßest Du da, wenn Du unS nicht hättest." Ja, aber dann gebt ihr mir ja auch nur 27 000." Gewiß, gewiß. unser höchstes Gebot sind 32 500 und unser niedrigstes sind 30000, und dabei bleiben wir." So hast Du vorher nicht gesagt. Ihr wollt mich zum Narren haben, ihr Gauner! Dann will ichS wenigstens schriftlich haben." Nein, das ist die Sach nicht wert, bester Jerrik; so ein Stück Papier  ; das könnt einer zu sehen kriegen, und das wäre nicht gut." Nein, wir wollen uns lieber aufeinander vcrlaffen, was Kristen? Du sagst das ja immer." Das Gespräch wurde fortgesetzt, oft jedoch lange durch das Kartenspiel unterbrochen, während dessen die eine Partei die andre in scheinbarer Gleichgültigkeit dem Hofverkauf gegen- über zu überbieten suchte. Ab und zu war man auch zum Tanzen'draußen, nach- dem daS Brautpaar den ersten Tag miteinander beendet hatte.
Aber immer wieder kehrte man zurück zu der Gartcnstubc, den Karten und dem Hofhandel. Endlich erhob der Bräutigam sich, ging hin und sprach leise mit der Braut. Sie wandte das Gesicht fort. Ihr Vater warf mehrmals einen unruhigen Blick nach ihnen hin. Jetzt kam Madam Faurholt und sprach mit der Braut. Die wurde sehr bleich nnd verließ zusamnten mit ihrem Mann und ihrer Mutter das Gartenzimmer. Die Gäste blieben noch etwa eine Stunde. Dann be- gann man aufzubrechen. Die allermeisten fuhren nach Hause. Einzelne waren von soweit her. daß sie die Nacht auf Stavn verbrachten. Bei Tagesanbruch war alles ruhig auf dem ganzen Hof. O AIS die Mägde und einige Häuslerftauen ein paar Stunden später in den Stuben ivaren, um nach dem Feste auszuwaschen und rcinzumachcn, kam Cecilie plötzlich zu ihnen herein. Sic hatte ihr tägliches Arbeitskleid an; nnd ohne etwas zu sagen als bloß: Gutcnmorgcn und ein verein­zeltes Ja oder Nein auf ihre Fragen, holte sie einen Scheuer- cimcr und fing an, zusammen mit den andern den Fußboden zu scheuern. Danach war sie in der Küche und beteiligte sich an dem Aufwaschen von Tellern, Tassen, Schüsseln, deni Putzen von Messern und Gabeln, gab Anordnungen wegen des Essens, ganz wie sie es gewöhnlich tat. Sie trank ihren Morgenkaffee zusammen mit den Mädchen in der Küche, ivie es auch sonst Sitte auf Stavn war; und jetzt erst stand Gjatrid auf und kam zu den andern hinaus. Die, die am Feste teilgenommen hatten, durften heut natürlich länger schlafen. Verwundert fragte sie die Schwester aus, Cecilie je- doch antwortete in einem Ton, wie wenn man etwas sehr geschäftig im Vorbeigehen sagt:ach, laß mich doch nur, es macht ja nichts--" Das stimmte so wenig zu der Art. wie die beiden Schwestern gestern zusammen geredet hatten, daß Gjatrid verwirrt wurd e und beinahe Angst um ihrer Schwester willen bekam. Später am Vormittag kam Madam Faurholt in die Küche und sah Cecilie drüben am Ausguß stehen und Kar­toffeln für den MittagLtisch schälen. Das berührte sie sehr. sonderbar, und gleich darauf wurde sie zornig! (Forts, folgt.)