flr. 57
1918
Unterhaltungsblatt des Vorwärts
Aber heut bin ich sehr verwirrt, beschämt und gedemütigt, da ich euch binaustrug auf eine offene Tribüne, ihr Genossen der Leidenichaft und des Grams. Werdet ihr Wort halten und auch dem Zuschauer ein wenig von der Kraft vermitteln, die ich damals in euch hineinstampfte? werdet ihr die Grabgefänge echoen dem willigen Horcher, ihr fochenden Flächen an den Wänden?!" Das find Worte, die Ludwig Meidner dem Katalog feiner Ausstellung borausschidt. Sie reichen hin, um diesen Menschen in seinem Wefentlichen zu erfassen: ein Demütiger, der unter dem furchtbaren Erlebnis des Daseins zusammenbricht und doch ein Himmelsstürmer, einer, der in Tränen erstickt und doch ein Tanzender ist, ein Bialmensingender, ein ewig Schöpferischer. Ganz Leidenschaft, ganz Brand, Gewitter und Vullan. Der Raum, an dessen Wänden seine Bilder hängen, scheint zu explodieren. Diese Bilder stürzen sich auf uns und werfen uns um. Sie halten, so wie Meidner das erhofft, was er von ihnen erwartet: fie bermitteln nicht nur ein wenig, nein viel, sehr viel von der Kraft, die er, als er fie fich aus der Seele rig, in fie bineinstampfte. Sie find voll rafender Gebärde, alles in ihnen ist Sarei nach Erlösung, ist Angst, Sehnsucht und Triumph. Es find da Landschaften, die aus den Tiefen der Erde hervorbrechen, die von berstenden Abgründen verschlungen werden. Der Tod ist in diesen Landschaften, Berge stürzen, Bäume brennen, Menschen hezen, von Schrecken geveitscht. Es find da Straßen und Pläge der großen Stadt; die Säufer wanten, als würden sie von rämenden Fäusten geschüttelt, Dächer fahren auf, das ganze wüste Leben solch einer Großstadtstraße fchlägt wie ein Wirbelwind aus der Leinwand heraus. Die grauenbollen Schatten des Todes steigen aus den Winkeln der Gaffen und all das Efelhafte, was dem Tode vorangeht, das Erbrechen der Cholerakranken, das sinnlose Gebrüll der Werfolgten, das Wahngestammel der Hilflosen.
Pinsel den Leichten und Gewiffenlofen. Das Elend der Menschen umichreit dein Herz. Hilf ihnen wieder zu Gott zu kommen. Hilf ihnen, daß sie wieder beten tönnen."
Die Esten.
Dienstag, 26. Februar
Singe, finge, Du mein Mündlein, Zwitschre Du, mein Vogelzünglein, Lieb' und lodre, Sinn, mein Beerlein, Wall' in Wonne, Du mein Herzlein! Schweigen wirst Du schon einst müssen, Wenn Du unter schwarzer Erde Weilest zwischen weißen Brettern, In des schönen Schreines Mitten.
Der„ verbrauchte" Krieg.
D, nein,
Esten und Letten werden als die Stammesbevölkerung des Baltenlandes in der Regel zusammen genannt, aber diese beiden Völler find in Wirklichkeit so sehr von einander verschieden, daß In welchem Maßstabe, allen chauvinistischen Stimmungsartikeln man sie beinahe als Gegensäge bezeichnen fann. Dem weiblichen, zum Trog, der Durchschnitt der französischen Bevölkerung des leicht erregbaren, Ihrisch veranlagten Naturell des Letten, der zu Strieges überdrüffig ist, läßt sich mit einer bisher noch niemals ausjähen, leidenschaftlichen Entschlüssen neigt, steht der Este als der gesprochenen Deutlichkeit einem der letzten Leitartikel des Deuvre" männlich, festere, fernigen Typus gegenüber. Als die Deutschen das entnehmen: Ein Schriftsteller überbringt einem Verleger ein neues Land unterwarfen, da wurde ihnen die Unterjochung der Letten im Manuskript.„ Hier bringe ich Ihnen mein legtes Wert." Ein ganzen nicht schwer, während die Kämpfe, mit den Esten ungemein Roman?"" Ja." Und wovon handelt er?" Vom Kriege natür. lange dauerten und sehr blutig waren. Ja selbst, als die Er- lich. Ich zeige, wie unsere heldenhaften Poilus oberung schon längst bollendet war, erhoben sich die Esten in nein, nur teinen Striegsroman. Das ist eine überwundene Mode. immer neuen Aufständen, um ihre alte Freiheit wiederzugewinnen Der Strieg ist erledigt!"„ Erledigt?" Erledigt?" Literarisch, jawohl. Der und wenn die deutschen Herren den Letten als Feigling Strieg ist erledigt, vollkommen berbraucht! Haben Sie feine Iuftige und Weichling verachteten, so fürchteten sie den tapferen Esten. Arbeit? Vielleicht aus der Theaterwelt? Etwas leicht Frivoles? Zur Zeit ihrer Freiheit zählten die Esten zu den tüchtigsten Das ist's, was jetzt wieder zieht. Der Krieg aber verSeefahrerbölfern der Ostsee und noch jezt stehen sie als Schiffer, tauft fich längst nicht mehr!" Ein Dramatiker sucht mit seinem Matrofen und Fischer auf einer hohen Stufe. Bekanntlich sind sie Manuskript einen Theaterdirektor auf. Mein jüngstes Wert," sagt auch ethnographisch von den Letten durchaus verschieden. Während er. Eine Komödie?" Nein, ein Drama." Worüber?" Heber diefe der indogermanischen Wölfergruppe angehören, zählen die Esten den Krieg. Die Heldin ist eine fener bewundernswerten, auf zum finnisch- ugrischen Völkerstamme; ihre nächsten Verwandten sind opfernden Franzöfinnen..„ Oh, nein, nein, fein Kriegsstüd. die Finnen. Ihrer förperlichen Erscheinung nach find fie in der Der Krieg? Was ist das? Der Krieg ist verbraucht, vollkommen Regel unterjetzt und von mittlerer Größe; ihr Haupthaar ist zu verbraucht, mein Lieber! Das Bublifum hat Eure herrlichen aufmeist flachs- oder goldgelb. Doch finden sich unter den Esten opferungsvollen Frauen und Eure Heldenhaften Poilus jati. auch sehr stattliche Gestalten, die eher an den germanischen Typus Bringen Sie mir ettvas Leichtes, mit jungen Damen in erinnern; besonders ist das in den Landesteilen der Fall, wo die ausgeschnittenen Kleidern." In den Gaste und Kaffeehäusern estnische Bevölkerung, wie z. B. auf den Inseln des Rigaischen sien die Leute auch heute noch in angeregtem Gespräch. Meerbusens, durch die Einwanderung mit schwedischem Blute durch- Aber worüber unterhalten sie sich? Von Bolo, von Caillaug, von setzt worden ist. dem Benzinmangel, von Gaby Deslys , von Blinddarmoperationen. Dann sind da Bildnisse, Bildnisse von Menschen, die mit BeWas den Charakter des Esten anlangt, so ist es nur allmählich der Krieg also wirklich verbraucht? Es scheint tatsächlich der Fall von Nizza . Aber der Krieg? Wer spricht noch vom Krieg? Sft wußtsein leben, die selbst dort, wo das Tierische gefchieht, pro- gelungen, Klarheit über ihn zu gewinnen. Solange er im Zustande Mugen, mit Augen, aus denen Erschütterung stürzt, alles verstehende baßte, und diese ihrerseits nahmen fein Interesse an dem estnischen Kriege und phetisch glühen. Menichen mit großen, die Welt einfangenden der Leibeigenschaft lebte, versteckte er sich vor den Herren, die er zu fein. Wir leben nicht mehr in der Atmosphäre der Zeit vor dem noch nicht in der Stimmung des fünftigen Mitleid und findliche Andacht. Menschen der Revolution, die ein Knechtsvolte. Das hat sich im 19. Jahrhundert von Grund aus ge- Friedens. Wir leben im heutigen Frankreich in einer llebergangszeit, neues Land ſehen, von dem sie aber wissen, daß sie es nie erreichen ändert. Es bleibt ein Verdienst der vielverlästerten deutschen Ba- die durch den vollkommenen Verbrauch der Nerven und der Bewerden. Dichter, Bhantaften, Umpflüger, leer ausgehende Ernte- rone, daß fie bereits im Anfange des 19. Jahrhunderts, und zwar geisterungsfähigkeit, durch eine seelische Erschöpfung gekennzeichnet bringer. Auch über diese Menschenmalerei und das, was ibu dabei aus eigenem freien Antriebe, den eftnischen Bauern die persönliche iſt. Nur in der Welt der Kriegsgewinstler ist der Serieg noch treibt, hat Meidner Erschöpfendes gesagt, in einem Striegstagebuch, Freiheit gaben. In der zweiten Hälfte des Jahrhunderts haben sie immer ein unerschöpfliches Thema, noch immer eine unverbrauchte bon dem einige Seiten in dem Februarheft der Zeitschrift Das sodann den anderen großen Schritt getan, daß sie die Landaufteilung Angelegenheit. Früher war der Krieg für uns alle eine heroische Kunstblatt" veröffentlicht sind: Sich eingraben in die zer durchführten und so die estnischen Gesindewirte zu freien Bauern Tragödie, heute ist er etwas Körperloses, selbst mit Gedanken nicht löcherte Mondlandschaft eine männlichen Physiognomie. Man auf freiem Lande machten. Schon vorher hatten die Deutschen für Faßliches, ein Wahnsinn, ein Traumgebilde, ein Nebel. Und wie gewahrt bald den Grund einer Seele und erichrickt bor das Volkstum und die Ueberlieferungen der Esten Interesse gefaßt; lastet er endlos über unserem Leben. Vor kurzem begegnete ich so viel Bösem, Lasterhaftem und Gewaltsamem. Dennoch sie hatten ihre Sprache, ihre Boltsdichtung, ihre Gebräuche erforicht; einem unserer berühmtesten Militärfritiker. Diefer Mann, so dachte freut sich die Feder, denn das Böie ist pittorest, und Männer, wie Roienpläntner, Stnüpffer und Heller sowie Dr. Fähle ich, würde wenigstens etwas Interessantes über den Krieg zu sagen haben. alle fiebernde, frächzende Unruhe eines Antliges, alle Ornamentit mann, haben auf diesem Gebiete als Bahnbrecher gewirkt. Was denken Sie von der weiteren Entwicklung des Krieges?" zerpodter Baden stillt einen unbekannten dämonischen Drang fragte ich ihn. ,, Ach," erwiderte er mit einer Bewegung der Er Der Este ist in seinem Auftreten ernst, ja selbst rauh. Geschöpfung, laffen Sie mich bloß mit dem Krieg in Ruhe!" in mir". schmeidigkeit geht ihm ab. Aber er ist im allgemeinen durchaus ehrlich; man tann auf dem Lande die Schlüssel steden laffen, ohne daß irgendetwas fortkommt. Damit vereint sich die allgemeine ZuVorträge. Am 27. Februar spicht im Klindworthberlässigkeit des Esten. Was er versprochen hat, wird er halten; Schartenta- Saal der Direktor der Bremer Kunsthalle , Dr. Waldund was er unternimmt, leistet er gewissenhaft. Es ist im ganzen mann, über Impreffionismus und Expressionismus. ein nüchternes Volt mit einem gefunden Wirklichkeitsfinne, das sich nicht von Gefühlswallungen oder Phantastereien hinreißen und be- des Jilams in der Deutschen Gesellschaft für Islamfunde Am 27. Februar behandelt Prof. M. Hartmann die Probleme rauschen läßt. Man kann mit diesem Volke handeln und verhandeln,( Dessauer Str. 14, Sof I). Gäste willkommen. man tann mit ihm leben und arbeiten.
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Notizen.
Ist das nun Malerei? Meidner selbst gesteht, daß seine r- beiten ein ebles, vollkommenes Handwerk noch vermissen lassen: 3hr mögt," so fagt er, es verzeihen, ich muß noch würgend mit zähen Farben ringen, die den unbehenden Fingern nicht gehorchen wollen. Ich möchte immer meinen Strichen, die ich zehnmal wegwifche, ehe fie richtig figen, ein legtes, verzweifeltes Lebewohl zu rufen. Es ist schon Malerei, Malerei, wie sie die ersten Christen, vom Blutdunft ihrer Leiden umwittert, dem Dunkel der Katakomben 3m 8entralinstitut für Erziehung und Unanvertrauten. Malerei, die in jedem Strich Bekenntnis und Mission Hinter der rauhen Schale aber birgt sich beim Eften ein zarter terricht( Potsdamer Str. 126) spricht am Mittwoch, 8 Uhr, Prof. ist. Jeder Konventionelle wird sich abwenden; der Unverdorbene Stern. Es liegt viel Innigkeit und Sinnigfeit in ihm. Zart geht einede über die Bedeutung des Geschichtsunterrichts für die aber, der Raive, das Kind im Manne wird es miterleben, wie hier er mit Kindern um. Auch Leidende, Schwächliche und ältere Ber- Entwicklung der Einzelpersönlichkeit". aus farbigem Stoff, aus reiner Farbe, and tiefer Nacht ionen behandeln sie mit vieler Bartheit. Das schönste Zeugnis aber Des Malers Trübner Nachlaß, aus etwa hundert und jah bervorstoßendem Licht eine eigene Welt erschaffen ist. Es für die feineren Seelenkräfte, die im Esten lebendig sind, bildet feiner eigenen und fünfzig Bildern von Leibl und Genossen sowie ist die Malerei eines geistigen Raubtiers, es ist die Malerei eines ihre Dichtung. Die estnische Sprache ist reich an Wohllaut und einer Reihe alter Meister bestehend, wird in Berlin versteigert Gütigen, der fein Bolt fegnen möchte. Das Menschliche ist in dieser ihre Ausdrücke voller Bildkraft. Der Este spricht überhaupt gern werden. Malerei durchaus das Entscheidende, und so fonnte es fommen, in Bildern, und selbst dem Stile der estbnischen Zeitungen fann man Ein Verein zur Bekämpfung der Geschlechts. daß dieser Maler, dem nicht das Kleinste zu gering ist, um das abmerken. In dieser schönen Sprache hat sich nun ein frankheiten wurde in Bern für die Schweiz gebildet. Vores au gestalten, still zur Seite trat, als ihm ein Er- ganzer Schaz von Volksdichtungen erhalten, die im Gegensatz figender ist Professor Bloch Zürich. Als Kollektivmitglied ist dem lebnis begegnete, das den Vielen und Vielzuvielen Stoff für billige zu der Lyrit der Letten einen mehr epischen Zug aufweisen. Verein das Schweizer Rote Kreuz beigetreten. Illustrationen lieferte, das diefen von Liebe und Weltfinn ganz Er- Auch llingen in der estnischen Volksdichtung noch Erinnerungen an Der Stall. Im„ Simpliciffimus" lesen wir: Kürzlich füllten ratlos machte: Der Stift fiel mir aus den Fingern. Des die ferne Zeit der Freiheit und des Stampfes nach. Zumeist aber wird eine unserer Jagdstaffeln in einem Dorfe einquartiert. Für Zeichnens bin ich müde, denn die Berge der Leichen um mich nehmen ist es die Natur, das Landleben und die Liebe, die den Stoff zu die Mannschaften wird in einem größeren Bauerngehöft der leermir das letzte, frohe Atmen. Der Sommer wird seine Posounen den estnischen Liedern liefern; schwermütig ist ihr Grundton, und stehende Stall als Duartier eingerichtet. Am nächsten Morgen blafen. Er wird flappern wie die Aasgeier. Er wird frächzen wie es lebt darin eine solche Zartheit der Empfindung, eine so schöne tommt zufällig der Stabsveterinär eines Kavallerie- Regiments bor die alten Mühlen. Jetzt ist es an der Zeit, unter die Menschen Anschaulichkeit der Sprache und eine solche natürliche Anmut der bei, befieht sich das neue Mannschaftsquartier und bricht entrüftet zu gehen. Jezt müßtest du deine Pflicht lassen und unerkannt Motive, daß man das Bolt daraus wohl lieb gewinnen muß. Ein in die Worte aus:" Wirklich ein Jammer so ein wunderbarer unter die Menichen geben. Dent nicht mehr an dich. Laß den Pröbchen dieser Voltsdicktung mag zum Beichlusse hier Platz finden: Stall wird für Mannschaften hergenommen!"
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Ein Roman aus unserer Zeit von Clara Biebig. „ Schon fünfundzwanzig? Aber, na, jung ist das doch auch noch. Es wäre so nett, wenn wir uns öfter sähen." Und von einem plöglichen Impuls getrieben, langte Annemarie über den Zaun und zog mit beiden Armen die andere näher zu sich heran. Soll ich herüber klettern zu Ihnen?" Sie machte schon Anstalt dazu, aber dann besann sie sich Nein, das darf ich ja nicht mehr." Sie lachte und errötete ftolz Ich muß jest Rücksicht nehmen."
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Sie wußte viel von Fliegererfolgen und konnte sich wohl| gleich, hoch in die Lüfte hob, unbekümmert um das, was er denken, daß die Herrschaft in der Luft einen jungen fühnen hier unten ließ, streďte fie ihre Hände bittend aus und rief Menschen reizt. Aber nein, er hätte es doch nicht tun dürfen. mit der ganzen Hingabe des Weibes, das weiß, was Liebe Wußte er denn nicht, daß sie nun hier in Aengsten die Hände ist: Komm wieder!" so fest ineinander wand, daß die Gelente fnackten? Sie fonnte feinen Schlaf finden, keine Minute ach, sie würde nie mehr ruhig schlafen fönnen!
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Lili hörte eine Amfel fingen drüben im Bertholdischen Garten, und eine andere, zwischen den Krügerschen Buchsbaumrabatten, antwortete. Als sie zum erstenmal diesen Lenzgesang vernahm, hob sich etwas in ihr. War es Hoffnung, was da aufstieg? Befreiung? Sie hatte nie einen Brief von ihm erhalten, aber sie tufe, gestern hatte seine Mutter Raichrcht von ihm bekommen. Er lebte! Das mußte ihr für jeget gnügen. Mit träumerischen Augen sah sie hinab in den ländlichen Garten.
Die Tage waren jetzt schon viel länger. Für Glückliche mag es schön sein, wenn die Nächte lange dunkeln, für die, Mit brennenden, trockenen Augen sah sie hinüber zum so einsam sind und bleiben, ist es Erlösung, wenn der Abend Bild ihres Mannes an der Wand. Angst hatte sie auch um spät kommt und der Morgen früh. Und überall begann es ihn gehabt, hatte Angst kennen gelernt, wie alle Frauen sie sich grünend zu regen. Schon zeigten die Büsche in den kennen, die ihre Männer draußen haben; aber jetzt war noch Gärten Blättchen, und die Krokus auf den Rasenplägen etwas anderes bei ihrer Angst. Es empörte fich etwas in waren so farbenbunt, als wäre es niemals Winter gewesen. Mit einem Gefühl, das nicht ganz frei von einem schmerz- ihr gegen sie selber. Warum war sie so abweisend gewesen, lichen Reid war, dachte Lili an diese erste Unterredung mit hatte sich so fühl gezeigt? Hatte sich in die Tugend der under jungen Frau von Rudolf Bertholdi, zurück. Die war ein wandelbar treuen Witwe gehüllt, von der ihr Herz doch schon glücklicher Mensch! Von Tausenden vielleicht der einzig Glück- nichts mehr wußte. Warum, warum sich immer selber beliche wenigstens von Frauen gewiß die einzige jetzt. Die lügen? Warum so wohlerzogen sein, so in den Formen der Männer fanden schon eher ein Glück, es lag für sie sogar Welt befangen, daß man nicht offen zu sagen wagt: Ja, eines in dieser Zeit. War ihr Mann denn nicht glüdlich gewefen ich bin dein, da, nimm mich!" in seinen Stämpfen? In seinem Tod? Und war Heinz nicht In einer leidenschaftlichen Unrast bäumte die blonde glücklich auf seinen Flügen? Frau sich auf in den Kissen. Wenn er nun stürzte, wenn er, Es war nichts Auffälliges dabei, daß Lili die junge durch die Abwehr des Feindes getroffen, oder durch die Tücke Dort schaffte Frau Krüger jetzt emfig. Im hellen FrühFrau nach dem Schwager gefragt hatte; die wußte ja, daß des Elements bezwungen, sich zu Tode verlegte? Sie, sie lingsschein sah man recht, wieviel Schnee dieser Winter ihr sie mit Leutnant Bertholdi öfter zusammen gewesen war. allein war verantwortlich! Sie ächzte laut. Die peinvolle aufs Haar gelegt. Doch sie hatte noch Kräfte. Wie ein Aber sie merkte bald, Annemarie hatte keine Ahnung davon, Einsamkeit der Nacht malte ihr die Schrecknisse nur noch Mann stach sie den Spaten ein, sie grub ihre Beete um. Sie wie nahe sie dem älteren Bruder gestanden hatte. Um so schreckensvoller aus. Und dann zürnte sie auch wieder ihm. schaffte den Dung aus dem Ziegenstall unter. Das sollte eher hatte sie fragen dürfen: Wie geht es dem Bruder Ihres Mehr hatte sie doch nicht zeigen können, als sie ihm gezeigt alles fruchtbar werden, zutragen, einbringen für wen?! Herrn Gemahls- auch gut?" hatte. Ich kann nicht zum zweitenmal all die Qual und Ein finsterer Gedanke schoß der Frau durch den Kopf, die warum wundert Sie Angst des Wartens durchmachen,' so hatte sie zu ihm ge- über der Nasenwurzel furchte sich noch tiefer. Warum all das so?" sprochen hatte er das denn nicht gehört? Gehört; aber die Arbeit, die Schwielen an den Händen, die Schweißperlen Lili hatte einen Ausruf nicht unterdrücken können. Ein nicht verstanden. So spricht doch keine Frau zu einemt, der auf der Stirn? Wozu säen, pflanzen, ernten? Saß einer Ach!" war ihr entfahren, sie war sehr bleich geworden, der ihr gleichgültig ist. Wie hatte er nur von ihr gehen können mit ihr am Zisch, dem sie den Teller füllen konnte? Zu dem zarte Anhauch ihrer Wangen gänzlich verschwunden. Mit im Troß. im Zorn, in einer so tnabenhaften Verlegtheit, daß fie sprechen konnte: Schmedt cs dir? Ich habe es selbst Mühe nur hielt sie an sich, fie durfte ja nicht zeigen, wie sehr er es jetzt darauf anlegte, sein Leben zu verlieren? Sie gezogen. Alles für dich!" sie das erregte. Nun erst mußte sie doppelt in Sorge um stiegen alle nicht ungestraft auf zur Sonne, die Helden der ihn sein, in doppelt berechtigter Sorge. Flieger, Flieger! Luft. Was hatte ihn dazu getrieben? Sie vielleicht? Um Gottes Jm einsamen Dunkel, das ihr Bett umgab, sah Lili willen: fie?! plöglich sein so liebes, so junges Gesicht, und schwere Tränen
„ Der ist Flieger geworden
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Es war eine Nacht voller Qual, die Lili hiernach ver- fingen an ihr langsam über die Wangen zu sichern. Kommen brachte. War sie nicht eine Törin, daß sie ihn so hatte gehen Sie wieder! Sie hatte im legten Augenblick des Scheidens Iaffen, so?! Hätte sie ihm nicht doch sagen können, fagen nicht hindern können, daß ihr das über die Lippen geschlüpft dürfen: Geh jetzt. Aber wenn du wiederkommst, bin ich war; aber sie hatte es geflüstert, so leise, daß es unhörbar dein. Hatte der Zote denn alles Recht, der Lebende teines? blieb. Jezt, in der Angst um den, der sich, einem Vogel
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Nun hatte sie's schon in alle Zeitungen setzen lassen: Vermißt
wird seit dem 10. November 1914 der Reservist Gustav Strüger, Inf.- Reg. 203, 3. Stomp. Kameraden, welche mit ihm bei Dirmuiden kämpften, oder Angehörige von folchen, welche seit gleicher Zeit vermißt werden, und Nachrichten( event. aus Gefangenschaft) erhalten haben, werden herzlich um Mitteilung gebeten. Unkosten werden gern ergütet. ( Forts, folgt.)