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überhaupt, wenn die leben, und doch nur teilweise herge­stellte Einheitsfront der Kopf- und Handarbeiter durch eine durch nichts gerechtfertigte Selbstüberschäzung eines Teiles der Beteiligten wieder gestört würde. Den Vorteil hätte das Unternehmerfum, kein anderer!

Ein Attentat".

Auf Lettow Vorbed sollte ein Revolverschuß abgefeuert werden sein. In Stargard   in Pommern am letzten Sonnabend. Zum Glück hatte man den Burschen erwischt und eingesperrt. Un­Eine weitere Gefahr liegt für die Angestelltenschaft tersuchung, Gerichtsverhandlung, große Sensation in Aussicht. darin, daß sie dazu neigt, in der von ihr jetzt eifrigst betrie Denn bei Lettow- Borbeck handelt es sich um einen Manu, der nach benen Tarifpolitik das Mittel zur endgültigen Lösung der Deutschen Tageszeitung" ,, unsterblichen Ruhm für den deut­aller wirtschaftlichen und sozialen Fragen zu sehen und sich schen Namen erkämpft hat". der Tatsache zu verschließen, daß durch die Tarifpolitik zwar Da kommt die Meldung, daß der Bösewicht aus der Haft die Bedürfnisse des Tages, nicht aber die der zufünftigen entlassen worden ist. Und einen Tag später die Aufklärung für Zeiten gelöst werden können. Es muß hinein in die Schädel, das Unbegreifliche: der Täter war nur im Besitz einer Kinder­auch in die härtestn der Angestellten daß die kapitalistische pistole gewesen, die er zur höheren Ehre des Mannes, der un­Wirtschaft nur Konzessionen macht, daß im übrigen die end- sterblichen Ruhm für den deutschen Namen erkämpft hat", abge­gültige Lösung aller wirtschaftlichen und sozialen Forderun- knallt hatte. gen der Angestellten nicht von der kapitalistischen, sondern. Die Deutsche Tageszeitung" hatte auf die erste Meldung von der sozialischen Wirtschaft zu erwarten ist bin aus dem Knaben schon einen unabhängigen Meuchelmörder" und daß um ihrer selbst willen die Angestelltenschaft im gemacht, wiewohl sofort telegraphiert worden war, daß Lettow­Sinne des Sozialismus mitzuwirken hat. Die Zahl der An- Vorbeck unverletzt davongekommen. Nun muß das alldeutsche gestellten ist so groß, und ihre Stellung in der Wirtschaft von 3entralorgan der Agrarier zugeben, daß es sich um einen solcher Wichtigkeit, daß die gewerkschaftlich organisierte Ar- Dummenjungenstreich gehandelt hat. Alle politischen Spekulatio Feiterschaft alle Ursache hat, auch Erziehungsarbeit bei den nen zerplaßen wie Seifenblasen. Angestellten zu leisten und mit dafür zu sorgen, daß konse­quente Arbeitnehmerpolitik auch von der Angestelltenbewe­gung betrieben wird. Darüber mag fich auch die Handarbei­terschaft flar sein, daß bei der endgültigen Auseinander­jezung zwischen Kapital und Arbeit im Interesse der Ar­beiterbewegung die Angestelltenbewegung auf der Seite der freien Gewerkschaften stehen muß. Wo die Angestelltenschaft zu zag und schwach ist, muß die fräftige, steuergewohnte Hand der Arbeitnehmerschaft das Ruder mitpacken, damit die An­gestelltenbewegung nicht wie ein irrgeleitetes Schiff zwischen fapitalistischen und proletarischen Interessen hin und her fdankt.

Barteipolitisch bewegen sich viele Angestellten teils im Kreise, teils fallen sie von einem Extrem ins andere. Die Ursachen sind darin zu suchen, daß die Angestellten, die von der politischen Umwälzung einfach überrascht worden sind. n allgemeinen auf die politische Tätigkeit nicht eingestellt waren und daher in der Lage sind, die Konsequenzen der politischen Umwälzung zu übersehen. Gar nichts Seltenes ist seit den Tagen der Revolution, daß sich Angestellte partei­politisch bei den Sozialisten, wirtschaftlich bei den wirtschafts­friedlichen, im Fahrwasser reaktionärer, bürgerlicher Parteien segelnden Verbände organisiert haben, und bei beiden troß der vorhandenen Gegenfäße wichtige Funktionen übernehmen. Das Gefühl, nicht die Erkenntnis bringt in vielen Fällen bei der Angestelltenschaft die Entscheidung in der parteipoliti­ichen Orientierung.

Woraus zu entnehmen wäre, daß man heute bei in- wie aus­ländischen Attentatsmeldungen vorsichtig sein müßte. Aber die Lehre von Stargard   wird so schnell vergessen sein, wie der ,, Re­bolberschuß" von Stargard   verhallt ist. Die nächste Stunde wird einen neuen Aufsizer bringen und prompt werden die Blätter darauf hineinfallen.

Nicht nur die alldeutschen.

Der Münchener   Geiselmord vor Gericht.

München  , 9. September.

und habe über seine Behandlung gejammert. Als man ihm darauf vorgeworfen habe, er sei ein Plünderer, habe Daumenlang er klärt:" Das ist ja Unsinn. Ich habe 20 000 M. Vermögen auf der Banf." Haußmann schien sich durch diese Aussage beeinflussen zu lassen. Die Gräfin Westarp jagte zu Haußmann, sie sei wohl von Geburt eine Gräfin, habe aber ihren Adelstitel abgelegt und müsse sich mit ihrer Hände Arbeit ihr Brot verdienen. Der folgende Zeuge Schumann Schöll erweitert die Angaben des Vorzeugen dahin, daß Daumenlang

wiederholt furchtbar geschlagen

worden sei. Er habe viele Beulen und blutige Stellen an der Stirn gehabt. Er sei mit den Worten: Schauen Sie nur, so har man mich behandelt," ganz gebrochen zu Haußmann ins Zimmer gekommen. Haußmann hate darauf gerufen:" Ja, das ist ja einer der Plünderer," worauf Daumentang erwiderte:" Um Gottes Willen, erst hat man mich als Judenheter verhaftet, jetzt soll ich gar noch ein Plünderer sein." Zu der Gräfin Westarp habe Haußmann gesagt: Ich habe hier gar nichts zu sagen. Komman dant ist der Seidl." Schickthofer habe zu den Schußleuten geiont: Ihr seid Reaktionäre, Ihr gehört eigentlich alle erschossen.

Wir machen die Sache Wir brauchen keine Schuhleute mehr. selber. Im übrigen geht zur Roten Armee, dann werdet Ihr Männer sein." Der Arrestwärter Joseph Mulzer sagt aus: Bei der Abholung der Thule- Leute aus dem Polizeiarrest hätten Seidl und Haußmann auf die Frage, wohin die Gefangenen fämen, zur Antwort gegeven:" Seid nur ruhig. Ihr werdet schon sehen, wohin Ihr kommt." Die Geiseln seien dann ins Aufnahmezimmer geführt worden. Gräfin Westarp habe gefragt: Wohin kommen wir denn eigentlich? Wir sind doch ganz unschuldig." Seidl habe ihr dann die Pistole vor das Gesicht gehalten und gesagt, sie solle ruhig sein, sonst schieße er sie nieder. Der Zeuge hat gehört, wie in dem Zimmer davon gesprochen wurde, daß die Gefangenen ins Gymnasium fämen und dort erschossen würden.

Rechtsanwalt Liebknecht   fragt den Zeugen: Hat Seidl nun gesagt, die Gräfin Westarp solle ruhig sein, oder sie solle das Maul halten? 3euge: Sie soll ruhig sein. Vors.: Aber er hat doch auch gesagt: sonst erschieße ich Sie". Das ist nämlich etwas anderes. Arrestwärter Joseph Waldmann sagt aus.

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Im Verlauf der heutigen 3eugenvernehmung wird ein­gehend über das Leben und Treiben in der Thule- Gesell- Daumentang habe am ganzen Körper gezittert. Haußmann habe fchaft und deren politischen Einschlag terhandelt. gesagt: Sie kommen jest ins Luitpold- Gymnasium. Wir müssen jezt ganze Arbeit machen,

Unter den vorgeführten Leuten der Thule- Gesellschaft   seien Neuhaus, Deife, v. Seydlib, Gräfin Westarp und außerdem der sonst fönnen wir uns nicht mehr retten." Zeuge Lehner wär Hotelbesiber Aumüller gewesen. Das ganze Verhör habe darin be- mit bei dem Verhör im Zimmer Nr. 60. Is er heraustam, hörte er standen, daß die Namen aufgeschrieben wurden. Auf Eglhofers die Worte: Gebt die Fahnen heraus. Auf geht's." Der erite der weggeführten Geiseln sei Daumenlang gewesen, die letzte Gräfin Platz habe sehr viel Westarp. Sämtliche Geiseln hätten die Hände auf dem Rüden ge­habt. Ob sie gefesselt waren, kann der Zeuge nicht sagen.

schriftliches Velastungsmaterial und die gefälschten Stempel gelegen. Eglhofer hate die Leute ausgefragt, die jedoch sämtlich Der nächste Zeuge, Matrose Messerschmidt, der aus der erklärten, daß sie von den angeblichen Stempelfälschungen absolut Haft vorgeführt werden sollte, ist entsprungen. Es wurde seine Vor­nichts wüßten. Bei dem ganzen Verhör habe sich durchaus kein aussage verlesen, in der er angibt, er fenne Eglhofer aus der Zeit, Belastungsmaterial gegen die Thule- Leute ergeben. Die Geiseln da dieser noch Vorsitzender des Arbeitslosenausschusses gewesen sei. seien zunächst gut behandelt worden, aber schließlich wurde Eglhofer Er habe im Zimmer Eglhofers gehört, daß der bekannte Rofer im Diese Gefühlspolitik birgt den Reim der Unzuverlässig erregt und habe sie dann angebrüllt, worauf der Zeuge das Bureau Kriegsministerium gerufen habe:" Ich werde die Schlappe wieder feit in sich, und nimmt die Möglichkeit, im politischen Streit verließ, weil die Unterhaltung in ein zu radikales Fahrwasser ge- qutmachen, die wir bei Starnberg   erlitten haben; aber auf eine riet. Als einziges, etwa belastendes Moment hätte man nur die Weise, daß ganz München   staunen wird." Auf jeden Fall würden ernsthaft mit dieser Anhängerschaft zu rechnen. Ein starkes Tatsache anführen können, daß die gefälschten Stempel im Bureau die Leute, die jetzt verhaftet seien, nicht mehr lebendig von den Liebeswerben der bürgerlichen Parteien um die Gunst der der Gräfin Westarp lagen. Eglhofer habe zum Schluß gesagt: Truppen befreit werden. Im Notfalle würde er sie selbst nieder­Angestelltenschaft bat erneut eingesezt und der Mangel an dh werde euch so lange einsperren, bis ihr die Wahrheit sagt." knallen. Der Pedell des Gymnasiums Stadler   schildert die " Ich politischer Schulung läßt es möglich erscheinen, daß dieses In dem Bureau der Thule- Gesellschaft   wurde ferner Zustände im Gymnasium. Vor den Roten sei nichts sicher gewesen. Liebeswerben nicht vergebliche Liebesmüh sein wird, wenn ein Zettel antisemitischen Inhalts Mit der Disziplin war es sehr schlecht bestellt. Ueber die Erschießung nicht rechtzeitig vorbeugend gewirkt wird. Die parteipoli- gefunden, auf dem auch die Namen aller derjenigen Regie Versuch machte, im Hof eine Abteilung zusammenzustellen. Dann selbst sagt der Zeuge aus, er habe gesehen, daß Schicklhofer den tische Schulung der vielen für die sozialdemokratische Partei rungsmitglieder deutscher Einzelstaaten gestanden hätten, die habe er einen Schuß gehört, sei ans Fenster geeilt und habe ge­gewonnenen Angestellten muß schleunigst und durchgreifend jüdischen Glaubens waren. in Angriff genommen werden. Zahllos sind die Angestell- Der Zeuge Otto Wenzel   gibt an, daß Seidl am 27. oder sehen, wie draußen einer zusammenbrach. An einem Baum, hätte ten, die parteipolitisch ,, neutral", aber für die Ziele und For- 28. mit etwa 150 Mann und einem Panzerauto vor der Polizei- eine Frau gelegen, wahrscheinlich die Gräfin Weftarp. Er entlastet Schickthofer dadurch, daß er angibt, daß, ale die ersten Schüsse derungen der sozialdemokratischen Partei außerordentlich direktion vorgefahren war, um die Militärpolizei zu entwaffnen. bereits gefallen seien, Schichthofer noch mit der Zuſammenstellung enipfänglich find. Hier ist frucht bringendes Neu- Seidl habe dabei immer den Revolver in der Hand gehabt. Das der Abteilung zu tun gehabt habe. Einmal habe Schidlhofer, als war aber ganz unnötig, denn als es auf der Polizeidirektion ge- ein Offizier, anscheinend Freiherr v. Teudert, erschossen wurde, Tand, auf dem auch andere Parteien ernsthaft und eifrig heißen habe: Seidl kommt," hätte sich schon alles geflüchtet. Um gerufen:" Salt!" In diesem Augenblic frachten aber bereits die die Bekundungen dieses Zeugen zu entfräften, erklärt der Ange­tlagte Seidl, er fenne Wenzel überhaupt nicht und habe ihn nie ge­sehen. Vorf.: Erkennen Sie Seidl wieder? 3euge: Mit voller Bestimmtheit. Zeuge Schuhmann Schmidt bekundet, Seidl sei mit dem Revolver in der Hand in der Polizeidirektion erschienen und habe erklärt:

jaen und bald ernten möchten.

Auch in parteipolitischer Beziehung steht die Angestell­tenschaft am Scheideweg. Es ist Sache unserer Partei, im Allgemeininteresse dafür zu sorgen, daß auch hier die An­gestellten den richtigen Weg, und das ist der von uns ein­geschlagene, gehen.

John Ehrenteit Hamburg  .

Aukunft beschädigter Gefangener. Gestern, nachmittag ist der zweite französische   Lazarettzug mit 190 franken und vers wundeten deutschen   Kriegsgefangenen aus dem franzöfifchen Sammel­lazarett Etaples   in Köln   Deu   eingetroffen.

Der Tod.

Ein Märchen von Christian Engelstoft. Ju uralten Zeiten gab es den Tod überhaupt nicht. Alle Menschen wohnten in einem wunderschönen Garten mit lieblichen Sträuchern, die so groß und dicht waren, daß man sich in ihnen behaglich fühlen konnte, fast wie in einem richtigen Hause. In dem Garten wuchsen hohe, schattige Bäume, die die wunderbarsten Blüten trugen.

Auch alle möglichen Tiere lebten darin, aber fie alle waren ge­sittet und bissen weder einander noch die Menschen, und sie fraßen sich erst recht nicht.

Und die Menschen lachten und spielten und empfanden ewige Freude. Meistens schien die Sonne; regnete es einmal, so war das wie das angenehmite lauwarme Sturzbad.

Hunger und Sorge, Not und Krankheit gab es ebenso wenig wie den Tod.

Darumi waren die Männer doch ebenso feierlich und toternit, wie heutzutage, sie wanderten täglich ein paar Stunden umber, mit den Händen auf dem Rücken, und redeten lange, mit tiefen Stimmen und gerunzelter Stirn, so wie es nun einmal Männern Spaß macht.

Die Frauen waren schöner als alle Frauen später, fanft, heiter, jung und schlant. Sie tanzten fast stets und tanzten allerliebst. Die ganz großen befamen fleine Kinder.

Richtig große, gute Frauen lieben in der Welt niemanden so sehr wie ihre Kinder; und wenn sie feine haben, werden sie im Grunde nie glücklich.

Den ganzen Tag beschäftigten sich die Mütter mit ihren Kinder­lein, spielten mit ihnen, wuschen fie, ohne daß sie schrieen, puzten sie aufs allerbeste und jubelten über sie; denn sie liebten sie ja. Weber Gefahr noch Strankheit drohte den lieben Kleinen auch nur im mindesten.

Nichtsdestoweniger sagte jede einzige der Mütter gar oft im Laufe des Tages:

Wie große Angst ich doch habe, daß mein Bübchen sich den Magen verdirbt, oder daß mein liebes Mädelchen sich erfältet." Es flingt nun einmal so nett und gemütlich, wenn Mütter so etwas sagen.

Das Allerallermerkwürdigste damals war jedoch, daß weder die Männer noch die Frauen alterten und alt wurden, ihre Zähne berloren. frumme Knie und runde Rücken, Schmerzen in den Glied maßen und garstige Runzeln und Falten in der Haut bekamen, wie wir heutzutage, wenn wir älter werden.

Das heißt, die Runzeln und das Alter stellten sich eigentlich doch ein, aber man brauchte bloß an einen fleinen, hübschen Bach mit warmem Wasser zu gehen, der durch den Garten lief, brauchte bloß hineingusteigen, fich zu diden und ein flein wenig abzuspülen, jo fonnte man wie ein Nichts seine runglige, häßliche Haut ab­Streifen und war jung und schön. Das taten alle.

T

Schüsse.

Der Zeuge Weigand, der dritte, sogenannte hinfende Schreiber", macht seine Aussagen außerordentlich zögernd und kann sich an nichts mehr erinnern. Er sucht anscheinend Seidl zu ent­lasten. Daß dieser die Husaren

mit dem Revolver in der Hand

,, Wer nicht gleich die Waffen abgibt, wird erschossen." verhört habe, stimme nicht. Später macht er eine Einschränkung Die verhafteten Schuhleute seien dann im Zuge nach dem Luit dahin, daß er Seidl nicht recht gesehen habe. Er belastet dagegen pol- Gymnasium gebracht worden. Dort habe ihnen auß- Heiselmann. Nach der Vernehmung des Zeugen fragt der mann erklärt, er müsse mit dem Verhör warten, bis Seidl komme. Vorsitzende den Angeklagten Hesselmann, was er zu diesen Aus­Im Zimmer sei der Eisenbahnsekretär Daumen lang gewesen sagen Weigands sage. Hesselmann erklärt: Ich habe keine Worte

Es geschah jedoch, daß ein Weib, das zufälligerweise eine zeit- er efelhaft grau und bräunlich geworden. Sie fonnte es nicht über lang das Bad im Bache   aufgeschoben hatte, einen fleinen Knaben sich bringen, sich in dem Bache zu spiegeln. gebar. Den lieblichsten Knaben, den je ein Menschenauge erblickt hatte.

Die Mutter freute sich denn auch sehr darüber und hatte so viel zu tun, daß es ihr ganz unmöglich war, den Bach zu erreichen, der Runzeln und Alter wegnahm.

Der Knabe wurde stärker, größer, flüger als alle anderen Knaben.

Er lernte, als er heranwuchs, gehen und laufen und sprechen, und oft dachte die Mutter: Nun muß ich aber schnell in den Bach steigen und etwas an mir selber tun; niemand ist so häßlich wie ich.

Und doch fonnte sie es fein einziges Mal über sich gewinnen, ihren fleinen Augapfel zu verlassen.

Endlich, in einer Morgenstunde, als er ungewöhnlich lange und fest schlief, nahm sie doch die Gelegenheit war, zu entschlüpfen, verließ ihre Lagerstätte im Busch und lief ordentlich so gut fie fonnte, sie war ja recht alt geworden; sie lief an den Bach, watete hinein und badete und spülte sich.

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All ihre garstige alte Haut legte sie ab. Die floß mit der Strömung bababwärts und blieb an einem Ziveige hängen, der weit über das Wasser hinausragte.

Sie streckte sich: wie herrlich war es doch, davon befreit

zu fein! Sie hüpfte und lief und sprang und tanate wie ein junges Rebzicklein zurück zu den andern Menschen; und sie sang so fröhlich, fast wie damals, als sie selber noch Kind war. Ihre Wangen waren rot und weiß, ihre Augen strahlten, und sie war schlank und dünn geworden wie ein Schilfrohr.

Der erste, dem sie begegnete, war ihr kleiner Knabe. Sie nahm ihn auf ihre Arme und preßte ihn an ihr Herz. Aber der Knabe erfannte sie nicht.

Mein lieber, fleiner, süßer Junge," sagte fie. Er aber rief: Geh wech! Kenn' dich nich!" Sie sagte die zärtlichsten, süßesten Worte zu ihm und streichelte und hätschelte ihn. Geh wech!" fuhr er fort zu sagen. Zuletzt weinte er. Seine verjüngte Mutter weinte gleichfalls. Der Junge konnte und wollte sie nicht fennen. Ihr war, als müßte ihr das Herz vor Kummer brechen. Da ließ fie ihn los und hüpfte und lief schleunigst wieder zum Bache, watete hinaus und ging mit der Strömung. Da sah sie an einem Zweige, der aus dem Wasser hervorragte, ihre häßliche Haut hängen.

Garstig sah sie aus, noch schlimmer als vorher. Ach, mein fleiner Junge hat mich nicht wiedererfannt," jagte sie zu sich selbst.

Und sie watete bis zu der Haut auf dem Zweige hin, nahm sie herunter und legte fie um.

Die Runzeln und Falten waren tiefer, und die Haut war auch fleiner geworden, sie war zusammengeschrumpft. Die Mutter war überzeugen davon, daß ihr Mund ganz schief saß. Obendrein war

Und sie machte sich auf den Rückweg, laufen fonnte sie nicht. Viele von den anderen Müttern standen in einem Haufen zu fammen, und aus der Mitte des Schwarms hörte man ein Kind weinen: Mutter fort! Mutter fort!"

Sie drängte sich in die Schar hinein. Die anderen saben sie erstaunt an, fast als ob sie sie nicht erkannten. Aber ihr fleiner Knabe streckte die Aermchen und Händchen nach ihr aus und rief:

"

Mutter! Mutter! Weg alle! Da, Mutter!"

Das ist ja auch wahr," sagten die anderen zueinander und starrten die Mutter an in ihrer zusammengeschrumpften Haut mit den Runzeln und tiefen Falten.

Wie siehst Du denn aus!" sagten sie zu ihr und entfernten sich eilig.

Daraus machte sie sich nichts. Sie blieb bei ihrem Knaben der vor Freude darüber jubelte, daß er sie wieder hatte.

Der Knabe wuchs und gedieb. Seine Mutter aber wurde, wäbrend die Tage, Wochen, Monate, Jahre verstrichen, rungliger, älter und schwächer.

Zulegt starb sie.

Von da an hörten auch andere Mütter ihrer Kinder wegen auf mit dem Baden im Bache  , und auch sie wurden runglig und alt. Auch fie starben. Seit der Zeit gibt es einen Tod für die Menschen. ( Deutsch   von Hermann Kiy.) Notizen.

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Dekorative Kulturpolitik. Gine crespondenz verbreitet folgende Nachricht: Das preußische Kultusministerium hat soeben Käte Kollwit, die Berliner   Meisterin der Radie­rung, zum Professor ernannt. Die Künstlerin, das erste weibliche Mitglied der Berliner Akademie der Künste, wird damit auch der erste weibliche Professor unter ihren Kolleginnen. Künstlerinnen von anderen Fakultäten hat allerdings: das Ministerium auch schon früher den Professortitel verliehen."

Das Kultusministerium läßt also von der Geschmacklosigkeit des alten Regimes nicht ab, schöpferische Persönlichkeiten mit Titeln zu. behängen, die für die beamtete Hierarchie einst zweckmäßig sein mochten. Sollte man in der sozialistischen Republik wirklich keine andere Kunstbewertung ausfindig machen können. War die Ver­leihung des Professor titels an freie Ingenien früher der anmaßende Versuch des absolutistisch- bureaukratischen Systeme, sie nachträglich noch abstempeln zu wolen, so ist dergleichen heute vollends ein antiquierter Widersinn.

Die soziale Bühne gibt am Sonntag, den 14., in der Hochschule für Musik ihre erste Veranstaltung in Form einer Matinee. Besucher, die nachweislich ein Jahreseinkommen unter 5000 M. haben, zahlen halbe Eintrittspreise.( Die überaus bom­bastische Ankündigung dieses welterschütternden Ereignisses mutet einigermaßen tomisch an.)