Nr. 231.
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Vorwärts
11. Jahrg.
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ozialdemokrat Berling
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Donnerstag, den 4. Oktober 1894. Expedition: SW. 19, Beuth- Straße 3.
Arbeiter! Parteigenossen! Trinkt kein boykottirtes Bier!
Auch eine
Wohnungsreform.
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[ darauf hin, wie der Gegensatz zwischen Hauseigenthümer und[ müßte, wenn die Arbeiter nicht bessere Arbeitsbedingungen Miether und die Gestaltung der Eigenthumsverhältnisse aufsuchen könnten. Die Verschlechterung der wirthschaftbeim System der Miethstaferne nothwendig zu schädigenden, lichen Lage nöthigt den Arbeiter ferner, immer möglichst ja zu fozial gefährlichen Verhältnissen führen nahe am Arbeitsplatze im engsten Sinne des Wortes zu Von einer Seite, die uns Alle lebhaft interessirt, ist müssen; er zeigt im einzelnen, wie die gemeinschaft bleiben. Größere Ausgaben für Verkehrsmittel, selbst wenn vor kurzem die alte, vielbesprochene und viel mißhandelte li che Benuzung von Höfen, Treppen, Korridoren, Wohnungsfrage beleuchtet worden. Auf der Jahres- Waschküchen und so weiter der Entwickelung des Familien- diese wie in England da wären, können einfach nicht geversammlung des Deutschen Vereins für öffentliche Gesund lebens, insbesondere auch der Erziehung der Kinder, ebenso wie macht werden; mindestens hätte Adickes gegen die Bes heitspflege hat Ober- Bürgermeister Adickes- Frankfurt a. M. einer gefunden Entfaltung der nachbarlichen Beziehungen hin- schränkung der Arbeiter- Rückfahrkarten durch den preußischen dernd ein altes Steckenpferd vorgeritten, das er aus den Hanse- dern und erschwerend in den Weg treten. Mit energischem Eisenbahnminister protestiren sollen aber auch das hat er Appell an die Bessergestellten verlangt er daher, daß sie den An- vergessen. städten mit halb englischen Lebensgewohnheiten mit ins fang machen, um die Anschauung vom Einfamilienhaus, als Binnenland gebracht hat: die Auflösung unserer heutigen, einer höher stehenden Wohnweise, zu verbreiten." Bei Stellungslosigkeit muß der Proletarier dem Verkehrsgroßstädtischen Miethskasernen in kleine Einzelwohnhäuser Und diesem Zitat mußte der Frankfurter Ober- Bürger- zentrum nahe sein, um bald wieder ein mageres Auskommen nach englischem Muster, in sogenannte Cottages. Adickes meister anfügen: zu ergattern oder er muß eben ziehen. Und dann- bringt hat diesen Lieblingsplan schon oft behandelt und ihn als Seit diesem Appell sind jetzt nahezu 30 Jahre vergangen, das Zusammenwohnen nicht auch sozial erfreuliche Er wichtige soziale Attion gepriesen. Aber noch niemals ist die Erfolge aber sind, wie wir wissen, tros vielfacher Bescheinungen hervor? Es pflanzt die Solidarität in gleich aus seinem Vortrag der Ursprung und Charakter seiner mühungen, troß mancher schöner Anfänge, dennoch, namentlich bedrängte Herzen. gewiß recht gut gemeinten Ideen so klar geworden, als für die unbemittelten Klassen, ganz außerordentlich ge- Nicht die Parteisolidarität meinen wir hier in erster Linie, dieses Mal. Und dieser Ursprung hat beinahe mehr soziales ring. Heute noch sehen wir, wie Faucher es schildert, mitten sondern die reine menschliche, soziale Solidarität. Alle OberInteresse, als der ganze Plan selber. auf unbebauten Feldern, nicht wie in England fleine ein- oder Bürgermeister der Welt haben die Gesundheits-, KrankenAuf der Magdeburger Versammlung in der verweiſtöckige, behaglich dreinschauende Familienhäuser, sondern ge- und Kinderpflege in ihrem Machtbereich noch nicht so gefängnißartige Miethskasernen sich erheben." ordnet, daß eine Arbeiterfamilie nicht sehr oft der mensch wenn sich die Nachbarin ihrer Kinder tagsüber nicht hilf lichen Hilfe der anderen bedürfte. Wo bliebe die Wafchfrau, reich annähme, und wo der kranke Bursche, wenn ihm seine Logiswirthin nicht die Pflegerin ersetzte? Und die Proletarierkinder, die sich in keinem vornehmen Stadtgarten geputt treffen können, sie lernen ihre frühe Verlassenheit gemeinsam leichter tragen im gemeinsamen Hof.
gangenen Woche hat der jetzige Frankfurter Ober- Bürgermeister verrathen, daß unser alter Urmanchestermann Faucher der Vater seiner Pläne ist. Er sagte:
Beleg dafür, auf welche Gedankentiefe viele unserer heutigen Da haben wir einmal in klassischer Deutlichkeit einen " Ich bitte zur Erläuterung dieses Hinweises an zwei Sozialreformer herunter gekommen sind. Bis auf die fäße anknüpfen zu dürfen, die in der ersten Blüthezeit der Frei- Spielereien der früheren Manchesterleute! An dem Projektenhandelsbewegung, der wir so viele Anregung verdanken, Julius Faucher im Jahre 1866 in der Vierteljahrsschrift für Boltswirthschaft und Kulturgeschichte unter dem Titel„ Die Bewegung für Wohnungs- Reform herausgegeben hat, und in denen er in seiner geistreichen Weise den Gegensatz zwischen der englischamerikanischen und der in dem größten Theile des europäischen Kontinents herrschenden Wohnweise behandelt. Während in England und Amerika das Einfamilienhaus durchaus das normale Wohnhaus darstellt, finden wir insbesondere auch in den meisten Theilen Deutschlands , in den größeren wie auch in viel kleineren Städten, das System der Miethstasernen ausgebildet. Indem Faucher nun darauf hinweist, daß dieses System nicht immer in Deutschland geherrscht, sondern erst infolge ungünstiger wirthschaftlicher Entwickelung, namentlich seit dem dreißigjährigen Kriege, fich ausgebildet habe, führt er aus, daß dieses System der Miethstafernen das sozial tiefer stehende und eine wirthschaftliche Krankheit fei, daß es aber von größter Bedeutung für die gefunde Entwickelung unseres Voltes sei, unter Ueberwindung der Krankheit auch in dieser Beziehung unseren standard of life, Krankheit auch in dieser Beziehung unseren standard of life, die herabgedrückte Norm des häuslichen Lebens, zu erhöhen. Mit größtem Nachdruck weist er
Feuilleton.
Erinnerungen eines Kommunarden.
Aus dem Französischen von Jakob Audorf. Die Trennung.
Ein Wohlthäter, sagt man, ist uns mehr als ein Vater. Man denke sich deshalb meine Verzweiflung, als ich die Nachricht erhielt, daß es meiner Mutter eines Tages eingefallen wax, sich meiner zu erinnern.
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schatze der Freihandels- Hausirburschen" zehrt zum Theil noch heute die geistige Elite unserer bürgerlichen Sozialreformer, unbekümmert darum, wie sich die sozialen Verhältnisse seit dem verändert und verdichtet haben. Die individualistischen Jdeale von vor 30 Jahren werden uns heute in sozialer schöpfung aus der seligen Freihandelszeit für die kleinen Nein das Einfamilienhaus ist eine echte BourgeoisBrühe als modernste Weisheit gepriesen. Vor 30 Jahren fonnte Rentiers und soliden" Leute. Wir wünschen dem Arbeiter beim gewöhnlichen Mann, wenn auch Mary längst seine epoche auch ein gemüthliches Heim. machenden Untersuchungen im Kern veröffentlicht hatte, noch malen, heißt ihm vorläufig unerfüllbare Wünsche erwecken, Aber ihm solche Bilder vorder Gedanke Platz greifen, die Masse des Volkes werde einst die ihn von seiner Hauptaufgabe ablenken. Gewiß, Wohldurch ihrer Hände Arbeit soweit kommen, daß jedem sein habenheit und Gesundheit gedeiht nicht in den Miethseigenes, gemüthliches Heim zufalle. Aber wie kann heute fasernen. Sie sind aber so lange, und zwar immer mehr jemand im Ernst bei Aufrechterhaltung der jezigen Wirth- auch für die arbeitende Bevölkerung Englands, die unfchaftsordnung an eine solche Möglichkeit glauben? Die vermeidliche Durchgangsstation für uns Proletarier, die maschinelle Produktion hat die industrielle Reserve- Armee durch keine Palliativmittelchen wie Bau- Ordnungen ab geschaffen, und drückt den Lohn immer weiter unter jenes geschafft wird, bis wir so enge und so fest zusammengedrängt Niveau herab, auf welchem schon kein Raum mehr für den find, daß wir eine unüberwindliche Maffe bilden. Dann Gedanken an ein eigenes Heim ist. Sie hat die ungeheure aber schaffen wir mit den gesundheitsschädlichen Miethsluftuation und Beweglichkeit der arbeitenden Massen ge- fasernen noch manches- andere ab! schaffen, die ein eigenes Heim sogar zur Last werden lassen
fampfe trogen, in welchem der Sieg so häufig auf der Seite" Jch table sie nicht," sprach er, jeder hat seine Art der Schlechtigkeit und Arglist ist? Ich kann weder hassen, der Anschauung. Aber Geduld! Wenn die Schul 3 noch mich verstellen. Meine Mutter schreibt da das schreck- digen einwilligen das Recht zu begnadigen, so geliche Worte Karriere"; aber ich fühle mich unfähig, nach schieht es deshalb, weil sie ihr Ende nahen fühlen. Dann einem egoistischen Ziele zu ringen, um mir mein tägliches durch eine abergläubische Furcht getrieben, begehen sie Brot zu verdienen. Ich habe immer geträumt, mich für das, was die Priesterschaft einen Att der Buße nennt. eine große Sache zu opfern, mich meinen Mitmenschen zu Berzage nicht, mein Junge! Was ich nicht für mich selber widmen. Aber List und Intrigue gebrauchen in einer gethan hätte, Dir und Sylvia zu Liebe thue ich es: Ich Atmosphäre, wo die Verstellung herrscht, nur um das zu fehre in mein Vaterland zurück! Doch brauche ich minerhalten, was sie einen Plaz nennen, ist mir unmöglich! destens ein Jahr, um meine hiesigen Besitzungen zu verUnd das alles fern von Euch, von Dir theurer Bater, und äußern. Ich werde nichts behalten als Morne Rouge, Dir, meine Sylvia, ohne deren Trost ich schon im Voraus welches ich um keinen Preis verkaufen möchte. Also, in Wie ein Blitzstrahl aus heiterer Luft fuhr folgender weiß, daß ich scheitern werde. Was habe ich denn meiner einem Jahre in Paris ! Doch da man auf Alles gefaßt Brief im Augenblick, als man am wenigsten daran dachte, Mutter gethan, daß sie mich so plötzlich Eurer Liebe ent- sein muß, so kann ich nicht umhin, Dir meine letzten Lehren in das Haus von Morne- Rouge: zieht?" zu ertheilen. Indem ich auf Dich rechne, daß Du den Mein theurer Bruder! Sylvia bemühte sich, mich zu beruhigen und indem sie Kampf, welchen ich für den Sieg der Menschenrechte unterDu hast die Güte gehabt, die Erziehung meines Sohnes ihre vollen Arme um meinen Nacken schlang, flüsterte sie nommen, mit derselben Hingabe fortsetzen wirst, nimm noch zu übernehmen. Ich danke Dir dafür herzlich. Aber um mir zu: beruhige Dich, mein Freund, wir werden Dich einige Nathschläge hin, die Du als mein politisches Testa Alles in der Welt wollte ich nicht die Liebe meines Sohnes nicht verlassen und wenn wir die Ansicht Deiner Mutter ment betrachten magst. Jedes Mal, wenn es Dir schwer Jacques einbüßen und ich finde es an der Zeit, ihn daran nicht ändern können, so wird mein Vater einwilligen, daß wird, Dich zu entscheiden, welchen Weg Du zu wählen zu erinnern, daß er eine Mutter hat, welche voll Un- wir Dich begleiten. Du bist unserer Zuneigung gewiß. hast, erinnere Dich meiner Worte und regle danach Dein geduld ihn wiederzusehen wünscht. Ueberdies ist er im Nächst meinem Vater habe ich nur Dich geliebt und werde Verhalten. Du kannst sicher sein, Dich auf dem Wege der Alter, fich selber eine Stellung zu erringen, und da wir niemand lieben als Dich!" Pflicht zu befinden." nicht reich sind, ist es nothwendig, ihm eine passende Karriere Muth, lieber Sohn," sprach D'Herbois, diese Probe Das zweite Kaiserreich hoffen wir, es sei das zu suchen, was für ihn in Paris leichter sein wird, als in ift gut und heilsam. Ein Mann, der nicht durch die letzte wird bald zusammenstürzen und es wäre nothJamaika. Ich habe gute Verbindungen, welche ich im Schule des Unglückes ging, hat seine Erziehung nicht voll- wendig, daß Eure Generation sich nicht betrügen lasse, Interesse meines Sohnes benutzen werde. endet. Man muß hindurch, um unsern leidenden Mit- wie wir es wurden, wir Enthusiasten und Träumer. Möge menschen gegenüber unsere Pflicht in ihrem ganzen Umfange die Geschichte unserer drei durch Intriguanten um ihre Erfolge betrogenen Revolutionen Dir zeigen, wie Republiken Aber Vater," versetzte Sylvia, was hindert uns, endigen. Wenn das Volk seine Offenherzigkeit von ehemals daß wir ihn begleiten?" bewahrt hat, wird eine vierte Revolution eine Frühgeburt Du weist wohl, liebes Kind, daß ich mir das Wort zur Welt bringen wie die anderen. gegeben habe, nicht wieder nach Frankreich zurück zu kehren."
Ich rechne darauf, daß Du ihn mit dem nächsten Postdampfschiffe abreisen läßt. Mein Sohn Lucien erinnert zu erkennen." sich in Liebe seines Onkels und seiner reizenden Koufine. Wir umarmen Euch von ganzem Herzen.
Deine Dir ergebene Schwester Wittwe Meylan." Bei der Vorlesung des Briefes konnten weder ich noch Sylvia unsere Thränen zurückhalten.
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Aber man hat Amnestie bewilligt," bemerkte Sylvia, Wie," rief ich aus, ich sollte Euch verlassen? So und viele Republikaner, viele Deiner Freunde und sogar war es doch nur ein Traum, dieses süße Leben, welches die besten haben sie angenommen."
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wir bis jetzt geführt haben? Ich soll diesem harten Lebens- D'Herbois ließ sein Haupt auf die Brust sinken.
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Den Tag, nachdem das Volk gefiegt hat, nennt ein jeder sich Republikaner. Diejenigen, welche noch den Tag vorher Dich denunzirten, zeigen sich eifriger und ungeduldiger als die andern. Mißtraue diesen Republikanern von heute auf morgen", sie umarmen nur die Republik , um sie zu ersticken.
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