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Nr. 222» ZS.Fahrgattg
Heilage öes vorwärts
Ireitag, 15. Mai 1921
Krakeel gegen öen Oberbürgermeister. Die Polizeischietzereien auf Fliehende. Eine Verteidigung der Prügelpädagogik.
Daß bei der Oberbürgermeisterwahl die Unabhängigen mit ihrem Kandidaten unterlegen sind, können sie immer noch nicht verwinden. Ihren Haß gegen Oberbürgermeister Böß bekundeten sie und die Kommunisten in der gestrigen Stadt- verordnetensitzung aus Anlaß einer Magistratsvor- läge, die mittellte, daß nur der Stadtverordnetenversammlung in ihrer Gesamtheit, nicht aber einzelnen Stadtverordneten das Recht der Einsichtnahme von Magistrats- akten zugestanden werden kann. Gegenüber dem Versuch, diese Auffassung als einen Ausfluß selbstherrlicher Gesinnung des Oberbürgermeisters hinzustellen, erklärte Stadt­syndikus Lange, daß die Magistratsvorlage einem ein- st immigen Beschluß des Magistrats entspricht. Zu einer Debatte über die Prügel alsErziehungsmittel" kam es bei einer Vorlage über die Hausordnung der Er- ziehungsheimeLindenhof" undStruves- .h o f". Hier traten die Redner der rechtsstehenden Fraktionen als Verteidiger der Prügelpädagogik auf, wobei am brutalsten sich der Deutschnationale Dr. Steiniger äußerte. Der neue Direktor vonLindenhof", Genosse Blum, erwiderte, daß Liebe und Vertrauen gerade in der Fürsorgeerziehung die besten Erziehungsmittel sind. Der Verzicht auf die Prügel- strafe wurde von den linksstehenden Fraktionen gebilligt. Ein Antrag der Kommunisten wandte sich gegen A u s s ch r e i- tungen der Polizei gegenüber Verhafteten, besonders gegen Schießereien auf Fliehende. Das Ergebnis der Debatte war, daß ein Antrag der Unabhängigen, der den Waffengebrauch der Polizei verwarf und die V e r- stadtlichung der Polizei forderte, von den drei links- stehenden Fraktionen angenommen wurde. Sitzungsbericht. Die Versammlung fährt heute in der Erledigung der 61 Punkte fort, die auf die gemeinsame Tagesordnung für Dienstag und heute gesetzt waren. Auf Grund eines Antrages der Kommunisten aus dem Februar dieses Jahres wird beschlossen, den Magistrat zu ersuchen, unnerzüg- lich eine Revision des Gemeindebeschlusses von 1908 betr. Bewilligung von Ruhegeld und Hinterblisbenenversorgung für die nichtpensionsberechtigten im Dienste der Stadt dauernd de- fchäftigten Personen(zum Zweck der Ausdehnung auf die neuen Gemeindeteile) vorzunehmen und der Versammlung eine Vorlage zu machen. Die für den TurnvereinFichte" aus Anlaß der Teil- nähme mehrerer feiner Mitglieder an dem Ausbildungskursus für Turnwarte in der Landesturnanstalt Spandau   nachgesuchte Bei- Hilfe von 3000 M. wird bewilligt und der Magistrat ersucht, ähn- liche Belvilligungen in Zukunft planmäßig vorzunehmen. Dem Antrage der D. Vp., für die Darlehnskasse für Beamte, Angestellte und Arbeiter der Stadt Berlin   sofort weitere Mittel zur Verfügung zu stellen, wird insoweit entsprochen, als der Kasse noch ein« Rate von 800D00 M. bewilligt wird, aber mit der Maßgabe, daß der Zinsfuß herauf-, die Höchstgrenze herabgesetzt, und ein Darlehen nur in den allerdringlichsten Fällen gewährt wird.- Am 8. Februar 1920 hat die Versammlung beschlossen:Die Mitglieder der Versammlung sind jeder Zeit berechtigt, Einsicht in die Magistratsokten zu nehmen/ Am 9. April 1921 hat der Magistrat geantwortet, daß die Versammlung mit dieser allgemeinen Fassung des Beschlusses ihre Befugnisse überschritten habe. Der Magistrat sei bereit, der Ver- sammlung im Rahmen des 8 37 der Srädteordnung im weitesten Umfange Einsicht zu gewähren, lchne ober die allgemein« Forde» rung ab. Freund(U. Soz.) findet in diesem Bescheid eine nnerhört« Brüskierung der Versammlung. Diese besitze das unbedingte Kon- trollrecht über die Verwaltung; der Versuch des Oberbürgermeisters, es ihr zu nehmen, finde in der Städteordnung keine Stütze. Der Redner beantragt, den Beschluß vom 8. Februar 1920 aufrechtzu- erholten unter ausdrücklicher Bezugnahme auf§ 37 StO. Stadtsyndikus Lange: Die Empörung des Vorredners ist völlig unverständlich. Es handelt sich um einen einstimmigen Magistratsbe- fchluß. Nicht die Versammlung ist brüskiert worden, sondern der Magistrat. Ein Parteigenosse des Vorredners,«in stellvertretender
Bezirksbürgermeister, nimmt zu der Frage eine entgegengesetzte Stellung ein. Dave Dem.): Herr Freund verwechselt den Oberbürgermeister mit dem Magistrat und den einzelnen Stadtverordneten mit der Ver- sammlung. Dörr(Komm.): Im Magistrot hat nur eine flüchtige Ab- stimmung stattgefunden.(Heiterkeit.) Der Oberbürgermeister meinte vor einigen Wochen, ich hätte in der betr. Sache überhaupt kein Urteil. An dieser Auffassung des Herrn Böß ist mir ein Dreck ge- legen.(Große Unruhe rechts.) Auf feine Urteile über uns pfeifen wir.(Beifall und große Unruhe.) Löwy(Soz.): Herr Dörr hat hier große Töne geredet im Namen einer Partei, die gar nicht mehr existiert.(Andauerndes Lachen bei den Komm.) Nach allen Kommentaren steht das Kontroll- recht nur dem Kollegium in seiner Gesamtheit zu: darüber ist auch nach der historischen Entwicklung kein Zweifel. Nicht nur formell, auch moralisch ist der Mogistrat im Recht. Wir stimmen gegen den Antrag. Der Antrag Freund wird gegen U. Soz. und Komm, abgelehnt. Die Vorlage wegen Hinzuziehung von Bertretern der Beamten, Angestellten und Arbeiter zu den Deputativnssitzungen geht an einen Ausschuß. Bon der Antwort des Magistrats betr. die Heringslager auf dem städtischen Mehhos und im Osthafen nimmt die Versamm- lung ohne jede Erörterung Kenntnis. Der Erhöhung des Eintrittspreises zu den städtischen Volkskonzerten des Philharmonischen und des B l u t h n e r. O r ch e st e r s auf 1,50 M.(Sammelprogramme 25 Pf.) wird zuge­stimmt. Die Sirafe der körpersicheu Züchtigung soll in der Hausordnung für die ErziehungsanstallenStruveshof  " undLindenhof" in Wegsoll kommen. A l b r e ch t(D. Vp.) macht Bedenken gellend; die Kinder seien keine Engel, sondern vielfach Bengel, und es müsse Strenge walten. Dr. Steiniger(Dnat. Vp.) bekennt sich als Anhänger der Prügelstrafe: 26 auf die Hosen seien manchmal sehr wirksam. Schneider(11. Soz.) hätte es nicht für möglich gehalten, daß noch 1921 eine solch« Anschauung gehegt werden kann. Blum (Soz.): Ich kann es nicht verstehen, daß in jetziger Zeit noch für die Prügelstrafe eine Simme sich erhebt. Kommen Sie einmal hinaus in die Anstalten, Sie werden erstaunt sein über das Material, das Sie vorfinden. Diese Jugend ist kein Abschaum, sondern es sind die unglücklichen Erzeugnisse der menschlichen Gesellschaft, des kapital!- stifchen Systems, das sich stark daran versündigt hat.(Zuruf des Stadtv. Pastor Koch, der einen stürmischen Ausbruch auf der Linken hervorruft.) Prügelstrafe als Erziehungsmittel ist gar nicht ange- bracht; Liebe und Vertrauen muß die Grundlage fein. Persönlich bemerkt Koch, er habe durch seine Zwischenrufe den Redner nicht beleidigen wollen, der erst seit 1918 das sozialdemokratische Lexikon beherrsche. Blum entgegnet, daß leider die Beamten früher die politischen Staatsbürgerrechte nicht besaßen, daß auch Koch daran mitschuldig sei, wenn man als Beamter erst feit November 1918 sich dieses Rechts erfreue. Der Magistratsantrag wird angenommen: dafür stimmt außer den drei Parteien der Linken auch ein Teil der Demokraten. Zur Verhandlung gelangt hierauf der Antrag der Deutschen Dolkspartei aus der letzten Märzwoche, der schleunigste Maßregeln zur Gewährleistung ungehinderten Verkehrs auf dem Rathause während der Versammlungssitzungen verlangt. In der Erörterung teill Stadtrat W e g e mit, daß in Zukunft dafür gesorgt werden wird, daß die Stadtverordneten bei ähnlichen Situationen, wie sie wiederHoll vorgelegen hätten, ungehindert zu den Sitzungen gelangen können. Haß(S�.) ist gegen den Antrag. Demonstrationen würden von allen Parteien gemacht; bisher hätten sie vor dem Rathause das Maß des Erträglichen nicht überstiegen, auch habe eine Beeinflussung, der Versammlung nicht stattzesunden. K ö l i tz (11. Soz.) und Dorr(Komm.) verlangen, daß Stadtrat Wege die neuen Abwehrmaßregeln bekanntgeben soll; er habe keine Diktator- rechte. Der Magistratsoertreter erkennt die Hohettsrechte der Versammlung an, lehnt aber nähere Angaben ab. Auch Dr. W e y l(II. Soz.) tritt gegen den Antrag auf; den Pulsschlaq der ösientlichen Meinung müsse man entgegennehmen, von einer Bann- meile dürfe keine Rde sein. Der Antrag wird zurückgezogen. Am 31. März hoben die Kommunisten Gäbel und Genossen beantragt, sofort Maßregeln zu treffen, die jede Mißhandlung
auf der Fluch t". Anschießen oder Erschießen von Personen oerhindern, wen» sie sich in den Händen der Polizei befinden. Heute beantragen die U. Soz. die Revision der Bestimmungen über den Waffengebrauch der Polizei und Schritte zur Verstcdtlichung der Sicherheitspolizei. In der Be- sprechung tritt der Fall Süll mit seinen Einzelheiten nochmals in den Vordergrund. Für den Antrag Weyl spricht auch Haß(Soz.). Hallensleben(D. Dp.) lehnt die Anträge ab; die Polizei in den Händen der Stadt würde eine Waffe in der Hand der Partei- Wirtschaft werden. Der Antrag Gäbel wird zurückgezogen, der Antrag Weyl gegen die Bürgerlichen angenomm e n. Müller- Franken(Wirtsch. Vgg.) begründet den Antrag, den Magistrat um Maßnahmen zu ersuchen, wodurch der Sicher- h e i t s w e h r und den militärischen Formationen das Uebungs- y hießen auf den Kasernenhöfen und öffentlichen l ä tz e n der Stadt ein für allemal verboten wird. Der Antrag, für den auch die U. Soz. und die Soz., letztere durch Heitmann, sich erklären, wird mit großer Mehrheit an. genommen. Ein kommunistischer Antrag bezweckt die Verbesserung des Loses der Insassen der Slädlifchen Blindenanstalt Es wurden nach längerer Aussprache, in der P f a n n k u ch (Soz.) die Parteigenossen, die in den Verwaltungsdeputattonen sitzen, anfeuert, auf den Bezug der betrefsenden Erzeugnisse aus der Blindenbeschäftigungsanstalt zu dringen, im übrigen aber dem An- trag angesichts der tatsächlichen Entwicklung der Verhältnisse eine größere Bedeutung nicht beimißt, verschiedene Punkte angenommen. dagegen ein Antrag Weyl auf Schaffung besonderen Wohlfahrts- fonds einem Ausschuß überwiesen. In der Woche nach Pfingsten findet keine Sitzung statt. Ein Antrag Kirchner(Dnat.)-Weyl(U. Sozo. der sich darauf richtet, die beabsichtigte Schließung bzw. Einschränkung der Tuber- kuloseheilstätten in Lichtenberg   und Beelitz   unter allen Umständen zu verhindern, wird noch noch 1410 Uhr eingebracht und noch Be- gründung durch Kirchner angenommen. Schluß:%10 Uhr._ Staatliche Müllgruben vor Gericht.~ Wie Slaatsgul verschleudert wird. Die großen Müllgruben auf den ehemaligen Schieß- und Truppenübungsplätzen bei Jüterbog   wurden gestern durch die Potsdamer Strafkammer gründlich durchforttert und das überraschende Ergebnis der Oefsentlichkeit übergeben. Wären dies« Müllgruben, die sich auf staatlichem Gelände befinden, rechtzeitig vom Reichsvermögensamt beachtet worden, so hätten viele Millionen dem Staate erhalten bleiben können. Wegen Diebstahls bzw. Hehlerei waren mehrere Alt, eifenhändler angeklagt. Die Angeklagten hatten sich aus den großen Müllgruben bei Jüterbog   zentnerweise wertvolles Heeresgut, was unter Alteisen in den Gruben herumlag, aussortiert und ange- eignet. Messingteile, darunter Stopfbüchsenmuttern, von denen das Stück allein mit 400 M. bezahlt wurde, ja komplette Militärbett st ellen waren in die Gruben von den Heeres- verwallungen hineingeworfen worden. In einem Falle hatte sogar ein heute als Zeuge vernommener Hauptmann schriftliche Er- laubnis zum Abfahren der Müll gruben einem Angx» klagten erteilt. Den Stempel auf diesen Schlendrian drückte der Adjutant des S digen Kreisblatt förderte. Ein est. ex jetzt unter seinem Eide aussagte, bei den wilden Händlern nich� weniger als 260 000 Zentner Eisen, das aus den staatlichen Müllgruben stammte. Im vorigen Jahre hatten sich auf den Schieß, platzen binnen acht Tagen 400 Händler in Jüterbog   niedergelassen. Was die Heeresverwaltung als Alteisen in die Müllgruben werfen ließ, brachte den Händlern, wie sie gestern selber bekundeten, H u n d e r t t a u s e n d e ein. Die Angeklagten, die zum Teil wegen gewerbsmäßiger Hehlerei angeklagt waren, gaben zu ihrer Entschuldi» gung an, daß sie diese Müllgruben als Freigut betrachtet hätten. Diese Entschuldigung tonnte das Gericht selbst mit einem großen Zeugenaufgebot n i ch t w id er l e g e n. Die Wirtschaft und Vergeudung mit dem Hceresgut war in den Kasernen und auf den Plätzen derart, daß der Staatsanwalt die Freisprechung beantragen mußte. Dementsprechend wurden die Angeklagten, sowohl Hehler wie Diebe, auf Kosten der Staatskasse freigesprochen. Diese hier geschilderten Vorgänge gehören, wie uns ergänzend mitgeteilt wird, keineswegs der Vergangenheit an, sondern noch heute werden, wie die Zeugen unter Eid aussagten, die Truppenplätze
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Sline Menschenkind. IN. Der Sündenfall. Von Martin Andersen Nexö  .
Das überhörten die Kleinen und ließen sich bei ihr nieder. Und was gibt es jetzt noch?" fragten sie. Rein, jetzt müßt ihr nach Hause. Dann sollt ihr mehr zu hören bekommen." Vom großen Klaus? Ja, und vom Kater Pers, der selbst Türen aufmachen konnte." Da stiefelten sie los: aber sehr schnell bewegten sie sich nicht vorwärts. Stine sammelte das Vieh ein wenig, und dann zog sie sich aus und wusch sich in einem kleinen Tümpel, der im Ge- büsch versteckt lag. Sie legte sich in dem lauwarmen flachen Wasser auf den Bauch und spielte, als ob sie schwömme; wenn sie sich auf die Arme hob und wieder senkte, umfaßte das Wasser weich und glucksend ihren Leib und die kleinen festen Brüste. Die Haut war nicht so dunkel wie im letzten Sommer. Dann setzte sie sich aufrecht auf die Wiese und scheuerte sich, um den Rest zu entfernen. Später saß sie halb angekleidet auf dem trocknen Moor- hang und sah ihre Sachen nach; ein Papier mit Näbzeug lag ausgepackt neben ihr. Das Bieh weidete ruhig: sie hatte Zeit und Ruhe, sich mit ihren eignen Dingen zu beschäftigen, ;r>it den Kleidern und mit dem andern, und Stine war jetzt in der richtigen Stimmung dazu. Sie freute sich darüber, allein zu sein. Leise vor sich hm summend saß sie so. halb in sich gekehrt, bei der Arbeit, beglückend frei von allen Sorgen. Kleine Ge- danken und Eindrücke flatterten in ihren Kopf hinein, und stogen wieder davon, ohne daß sie sie festhielt; von dem dick- gepolsterten Boden aus Moos und halbwelkem Grase stieg die Erdwärme auf und hüllte sie ein. Sie saß und wuchs. Drüben von der Landstraße her hörte man einen Wagen rollen, sie horchte aufmerksam. der Laut klang so eilig. Aber sie mochte sich nicht erheben und aufs Feld hinauflaufen, um zu sehen, wer es sein könne. Im Laufe des Rachmittase» kam StwA über die Lecker
vom Hof her; es mußte also daheim irgend etwas nicht stim- men.Run ist er wieder da," sagte er und warf sich neben ihr hin,sie sind schon halb besoffen." Cr wandte sein Ge- ficht ab. Dann machst du dich wohl aus dem Staube?" fragte Stine und lächelte halb spöttisch. Sie begriff nicht, daß er immer noch zu Hause war und den Kopf hängen ließ. Ich Hab' es der Mutter gesagt, aber sie gibt mir zur Antwort: Reif du nur! Es ist ihr alles gleichgültig, wenn sie nur selber machen kann, was sie will. Aber jetzt ist es ernst, ich Hab' meine Sachen gepackt. Ich wollte dir bloß Lebewohl sagen." Er saß eine Weile da.Machst du dir auch nichts daraus, daß ich reife?" fragte er und umfaßte ihre Zöpfe. Stine schüttelte entschieden den Kopf:Nein, reif du nur ganz ruhig!" Er hatte ihr das Leben in keiner Hinsicht erleichtert. Bin ich denn nicht gut zu dir gewesen, bin ich nicht?" wiederholte er, als sie hartnäckig schwieg. Nein," sagte sie endlich, leise. Sie hatte Tränen in den Augen bei dem Gedanken an alle die Male, wo er sich hätte neben sie stellen müssen, wenn ihr Unrecht zugefügt wurde, es aber nicht tat. Auch er dachte vielleicht daran.Nein, ich weiß es wohl," sagte er gedämpft,denn ich war feige. Aber setzt bin ich es nicht mehr. Von nun an will ich versuchen, ein guter,. mutiger Mensch zu werden." Ja, denn jetzt hast du wirklich Kummer bekommen," sagte Stine und schaute ihm ins Gesicht. Sie wußte, wie schwer es war, von Hause fortzugehen. Verzweifelt starrte er ins Leere: ,', Hauptfächlich liegt es daran, daß es die Mutter ist und dann daß die Leute so viel über uns reden. Sie gaffen einen an, und dann stecken sie die Köpfe zusammen und flüstern. Die Menschen sind garstig. O, du... sie sind so boshaft! Aber das darf man ja nicht denken, man soll seinen Nächsten lieben." Er hielt plötzlich inne. Aus all dem soll man sich nichts machen." sagte Stine. um ihn aufzumuntern.'Laß du doch die Leute reden. Wenn man nur weiß, daß man nichts Verkehrtes getan hat. dann kann einem gleichgültig sein, was die andern meinen. Du h«st neulich ja selber gesagt, wenn man nur Frieden«st Gott
hat, so kann es einem einerlei sein, was die Leute über einen denken." Er hatte seinen Kopf an ihre Schulter gelehnt und saß mit geschlossenen Augen da.Es ist so schwer, stark in Gott zu sein," sagte er still.Wenn man ihn nur zur Seite hätte und nicht im Innern. so daß man ihn sehen könnte!" Geistesabwesend tastete er mit der Hand über ihren Rücken hin, dann richtete er sich mit einemmal auf und sah sie unter- suchend an. Ihre Bluse war über d'e eine Schulter herab- geglitten, sie hatte sie nicht richtig zugeknöpft; das Schulter- blatt ragte ein wenig hervor. Was hast du da?" fragte er und ließ die Handfläche auf einer Stelle ruhen. Ach, das ist davon gekommen, weil ich die kleinen Ge- schwister geschleppt habe," sagte sie errötend und bedeckte sich hastig.Es ist fast wieder weg," fiigte sie leise hinzu, mit abgewandtem Gesicht. Du brauchst dich doch deswegen nicht zu schämen," sagte er und erhob sich.Man ist dach nicht so einer!" Nein, Stine schämte sich gar nicht vor ihm; er war ja bloß unglücklich, schlecht und recht Aber fis war ärgerlich darüber, daß er die Schiefheit bemerkt hatte, jetzt, wo sie gerade im Begriff war. ganz zu verschwinden. Nun gab sie sich besondere Mühe, sich gerode zu halten; sie wov� einen ranken Rücken haben und eine runde Brust, wie die andern jungen Mädchen. Das Wort Sünde blieb ibr von der redung mit Karl im Ohre haften. War es Sünde, sich Schön- hell zu wünschen, und nützte das etwas? Der Bater fand ja, daß sie schon schön sei/Du wirst mit der Zeit ein bübsches Mädchen," pflegte er.zu sagen, so oft sie nach Haus« kam. Aber er war nicht unparteiisch. Stine hätte es gerne auch andere.sagen hören. Vor allem wollte sie natürlich ein gutes Mädchen sein; aber es konnte nichts schaden, wenn man auch ein bißchen nett war! Ueber dies und jenes dachte sie da draußen nach: E» war kein Gejage mehr von dem einen zum andern, Stine hatte Zeit, zu verweilen. Und schließlich hatte sie auch das gelernt. Während sie sich in den Moorlöchern wusch, entdeckte sie sich selbst, Zoll für Zoll. vorläufig ohne größere Freude. Es war viel auszusetzen aa dem Ganze«! (Forts, folgt.)