Stegerwalüs Vanülungen. Genosse Franz Krüger gibt in einer parteigenössischen Korrespondenz folgende Darstellung der mit Herrn Steger- wald um die Umbildung der preußischen Regierung geführten Verhandlungen: Genosse Wels hatte bei den Verhandlungen im Reichstage über die Bildung der neuen Regierung den Vertretern des Zentrums und der Demokraten erklärt, daß nach Auffassung der sozialdemokratischen Fraktion ihr Eintritt in die Reichsregierung auch eine Neubildung der preußischen Regierung zur Folge haben müsse. Herr T r i m- dorn(vom Zentrum) erwiderte, das halte auch er für s e l b st v e r» stündlich. Als Herr Stegerwald noch am Abend im Reichs- tage von Wels vor dieselbe Frage gestellt wurde, erklärte er, daß er die gleiche Anschauung vertrete. Am nächsten Tage beauftragte die sozialdemokratische Land- tagsfraktion, von diesen Versprechungen informiert, die Genossen Wels, Siering und mich, sofort mit Herrn Stegerwald in weitere Verhandlungen einzutreten, da nach unserer Auffassung die Reu- blldung der Regierung sofort, noch vor der Pfingstvertagung des Landtags, vorgenommen werden müsse. Herr Stegerwald bestätigte darauf die einleitenden Bemerkungen des Genossen Wels, daß er die Neubildung der Regierung für unbedingt notwendig halte. Die Sozialdemokratie habe Anspruch darauf, nachdem sie in schwerster Stunde die Mitverantwortung im Reiche übernommen habe, von ihm genau so anständig behandelt zu werden; als er geglaubt habe, die Deutsche Volkspartei behandeln zu müssen, solange sie in der Reichsregierung saß. Man könne nicht verlangen, daß die Sozialdemokratie im Reiche die schwere Ver- antwortung trage und im größten Verwaltungs- staat Preußen ausgeschaltet bleibe. Er habe auch gegenüber einigen Herren im Zentrum, die die Auffassung vertreten, daß es in Preußen vor- läufig ruhig so weitergehen könne, sofort betont, daß er das nicht mitmache. Herr Stegerwald erklärte weiter, daß er allerdings, da er zuletzt mit den Stimmen aller bürgerlichen Parteien gegen die Sozialdemo- traten gewählt fei, in sein jetziges Ministerium nicht einfach die So- zialdemokratie aufnehmen könne. Er müsse daher zunächst zurück- treten, und die Parteien, die die neue Regierung bilden wollen, müßten sich auf einen neuen Ministerpräsidenten verständigen. Er halle es auch für zweckmäßig, daß diese Verständigung bereits vor seinem Rücktritt herbeigeführt werde, um die erneute Wiederkehr des unerfreulichen Schwebezustandes zu vermeiden. Bei diesen neuen Verhandlungen könne nicht er, sondern müßten die Parteien die Jni- tiattve ergreifen, da er ja gar nicht wisie, ob er Ministerpräsident bleibe. Bleibe er es nicht, so würde er an der neuen Regierung überhaupt nicht teilnehmen. Er müsse sich überhaupt sehr überlegen, ob er noch weiter Mini st er bleibe, da seine Gewerkschaften ihm bereits lebhafte Vor- würfe machten, daß er sein früheres Versprechen, wieder in ihre Leitung zurückzukehren, nicht ein- gelöst habe. Unser Verlangen, die Regierungsneubildung noch vor den Pfingstferien vorzunehmen, hielt Herr Stegerwald nicht für durch- führbar, da die Zeit zu kurz sei und bei Zentrum und Demokraten auch führende Personen, die fiir die Verhandlungen unentbehrlich 'i feien, nicht mehr anwesend seien. Diese Ueberstürzung sei auch nicht notwendig, da er so seinen Standpunkt, daß sofort nach den Pfingst- ferien die Verhandlungen zwischen den Parteien aufgenommen werden mühten, auch bereits in einer Erklärung an die Presie niedergelegt habe. An feinem Standpunkt ändere sich also nichts mehr. Und der Landtag habt es ja in der Hand, die Ferien nicht zu lange auszudehnen. Wir gaben uns mit diesen Erklärungen des Herrn Stegerwald zunächst zufrieden, da aus ihnen ganz deutlich hervorging, daß Herr Stegerwald zwar nicht die Leitung der Verhandlungen zwischen den Parteien über die Regierungsneubildung übernehmen wollte, daß er aber damals auch nicht gewillt war, den bisherigen Zustand aufrechtzuerhalten und ohne Teilnahme der Sozialdemo- kratie an der Regierung Ministerpräsident zu bleiben. Noch den Pfingstferien des Landtags hat Herr Stegerwald, je mehr er sich über diese Frage geäußert hat, sich auch immer mehr zum gegenteiligen Standpunkt durchgemausert. Seine letzten Reden und Interviews waren geradezu eine Aufforderung an Zentrum und' Demokraten, sich auf keine Verhandlungen über eine Neubildung der preußischen Regierung unter Beteiligung der Sozialdemokratie einzulassen und mindestens von der Forderung nicht abzugehen, daß auch die Deutsche Volkspartei hinzugezogen werde. Er ist ja bereit,.aus Trotzt Minister zu bleiben, solange es ihm— und den Deutschnationalen beliebt. Wenn Herr Steger- wald in seinem letzten Interview in der.Germania" erNärt, daß die nächsten Aufgaben der preußischen Politik nicht gelöst wer- den können gegen den Widerstand der vereinigten Rechtsparteien, so bedeutet das nicht» anderes, als Herr Stegerwald glaubt, zwar ohne Sozialdemokratie, aber nicht ohne Rechts- Parteien regieren zu können, und daß er seine Politik auch tat- sächlich hierauf einstellen will. Herr Stegerwald oerleugnet also offen die Anschauungen, die er damals uns gegenüber vertreten hat, und die Versprechungen, die er uns gab. Herr Stegerwald stand also vor Pfingsten ungefähr bei W i r t h. Jetzt ist er in seiner Entwicklung auf halbem Wege zu Kohr. Mit seiner Behauptung, gegen die Rechtsparteien J nichts ausrichten zu können, hat er sich dieser ganz in die Hände gegeben. Es versteht sich von selbst, daß eine Regie- rung, die ihre Abhängigkeit von den Rechtsparteien bekennt, bei der Sozialdemokratie auf schärfsten Widerstand stoßen muß. v_ die Schulüen Zrieörlch Leopolüs. Seit der Revolution SO Millionen durchgebracht! Zwischen der preußischen Regierung Stegerwald und dem Prin» zen Friedrich Leopold ist laut„ß.-A." ein Vergleichsvertrag zustande gekommen, wonach die Regierung sich verpflichtet hat, als Vorschuß auf die Einnahme der von ihr beschlagnahmten Liegenschaften des Prinzen sämtliche Schulden des Prinzen, die dieser in Lugano gemacht hat, zu begleichen. Ausgenommen sind zwei Beträge von je 200 000 Arank, die als erste Hypotheken auf den beiden Villen stehen bleiben, die sich der nolleidende Mann aus dem Hohenzollern - Haus hat bauen lassen. Der bar zu zahlende Rest beträgt 1 400 000 Schweizer Aranken. Mit den beiden obengenannten Beträgen be- tragen die Gesamtschulden Friedrich Leopolds 1S00 000 Schweizer Franken, das sind nach dem jetzigen Valutastande nahezu 20 ZNillio- nen Mark. Dieses kleine Schuldensümmchen ist seit der Revolution ange- sammelt worden. Ein Zeichen, in welche Notlage die Hohenzollern durch die Revolution versetzt worden sind und mit welch s p a r t a- nischerCinfachheitsie ihre Not ertragen. Während nach dem Zeugnis der rechtsstehenden Presie die deutschen Arbeiter prasien und schlemmen, hat sich Friedrich Leopold durch Hunger und Entbehrungen M Millionen Schulden„erspart". Hut ab vor den HohenzollernI
Prozente von öer Einheitsfront. Eine kleine Anfrage des Landiagsabgeordneten Gen. Krüger an die preußische Staatsregierung macht auf folgendes Institut auf- mertsam: In Berlin , Vendlerstraße 16, besteht ein Bureau mit der Firma.Nationale Einheitsfront". In dessen Auftrag bereist ein Mann namens D o n n e r das Land, um Mitglieder und namentlich Geld zu sammeln. Donner hat die vertragliche Zu- sicherung, daß ein erheblicher Prozentsatz des gesammellen Geldes ihm als Provision verbleibt. Anderen Organisationen hat sich Donner früher gegen eine 50 pcozentige Provision von den ge- sammelten Geldern angeboten. Soweit uns bekannt ist, hat Herr Donner, bevor er den(finan- ziellen) Wert der nationalen Einheitsfront entdeckte, in Kriegs- beschädigten spekuliert. Zu diesem Zweck verband er sich mit dem Vorsitzenden des gelben Esiener Kriegsbeschädigtenverbandes Adorf, ließ sich kostspielige Bureaus in zehn Städten einrichten und verlangte dafür 50 Proz. der eingehenden Gelder. Die Entrüstung der Kriegsbeschädigten verdarb ihm das schöne Geschäft. » Im„Deutschen Abendblatt" vom 14. Juni(Herausgeber Rein- hold Wulle) findet sich folgende Notiz: »Wer Geld verdienen will, stelle sich in den Dienst der Wohltätigkeil. Zuschriften anst. gebild. Herren und Damen(über 25 Jahre) unt. A. 2 Deutsch. Tageblatt, Leipzig , Wintergartenstr. 10." Wenn das Inserat nicht in seinem Blatt stände, würde Herr Reinhold Wulle sicher das Inserat selber wie seine Aufnahme in seiner Zellung als„echt jüdisch" bezeichnen.
Der Tote üer Z9V. Der Tod des Oberwachtmeisters B u ch h o l z von der Z. B. V. 1 Charlottenburg (Hundertschaft zur besonderen Verwendung) erscheint in immer seltsamerem Lichte. Der Tod des Oberwachtmeisters war amtlich als Selbstmord gemeldet worden. Wie uns jetzt auf das Bestimmteste versichert wird, hat die auf Drängen der Angehörigen vorgenommene Sezierung der Leiche nicht Selbstmord, sondern Tätung durch fremde Hand ergeben. Für diese Annahme spricht auch, daß Buchholz kurz vor seinem Tode verschiedene Handlungen vorgenommen hat, die nicht auf Todesabsicht schließen lassen: er ließ sich rasieren, seinen Anzug zum Ausgang bügeln usw. Es erscheint nicht ausgeschlosien, daß Buch- holz aus Gründen getötet worden ist, die in das öffentliche Gebiet hinüberspielen. Der Tote war bekanntlich wegen angeblicher Unterschlagungen verhaftet, dann aber wegen mangelnder Beweise auf freien Fuß gesetzt worden. In den Stunden vor seinem Tode arbeitete er noch intensiv an der Rechnungsführung, um die— wie er sagte— wirk- lich Schuldigen zu entlarven. Diese Absicht hat er auch Verwandten gegenüber ausgesprochen. Vielleicht wären dabei nun allerlei Interna der Z. B. V. 1 zur Sprache gekommen,— und man sagt, daß diese frühere Hundertschaft des Herrn v. Kessel mehr Ge- h e i m n i s s e in sich birgt, als mancher ahnt. Da kam der plötz- liche Tod des Buchholz. Daß mit dieser Hundertschaft„zur besonderen Verwendung" vieles nicht in Ordnung ist, beweist auch ein Fall aus dem vorigen Jahre, den der damalige Innenminister Severing als„an Meuterei grenzend" bezeichnet hat. Bei der Z. B.D. 1 wurden verborgene Waffen entdeckt. Als der Kommandeur der Schutzpolizei Major K a u p i s ch sich persönlich von dem Sachverhalt überzeugen wollte, wurde ihm in der Kaserne ein Empfang zutell, der alle Pflichten gegen den Vorgesetzten außer Acht ließ. Da- mal»— es war im November 1920— sollte der Führer der Z. B. V. 1 OberleuMant(jetzt Hauptmann) S t>e n n e s versetzt werden. Dagegen lehnte sich die Hundertschaft in einer an Meuterei grenzenden Weise auf und setzte tatsächlich ihren Willen durch. Stennes ist heute noch Führer der Hundertschaft. Es wird übrigens behauptet, daß der getötete Oberwachtmeister Buchholz Herrn Stennes bereits bei Uebernahme der Kasie ein vorhandenes Defizit von 20 000 Mark gemeldet hat.
Severins gegen Dominicns. . Der Hauptausschuß des Preußischen Landtages setzte am Dienstag die Vorberatung des Haushalts des Ministeriums des Innern fort. Abg. Severing(Soz.) wendet sich im Lauf der Debatte gegen den Abg. v. Campe(D. Vp.) und gegen Minister Dominicns. Er verliest einen Erlaß des demokratischen Regie- rungspräsidenten Pohlmann aus Magdeburg vom 8. Mai 1921, der eine starke„Gesinnungsschnüffelei" darstellt und der beweise, daß der Minister die Revolution vergcsien habe. Wir haben ein republi- kanisch-demokratisches Staatswesen. Deshalb ist nicht allein die sachliche Vorbildung, sondern auch die politische Haltung der höheren Verwaltungsbeamten maßgebend. Die Berufung von Außenseitern muß solange fortgesetzt werden, bis die Arbeiter eine Pertretung im Staatsleben haben, die ihrer Zahl und ihrer Beden- tung entspricht. Deshalb haben mich die Worte des Ministers sehr überrascht, daß„im vorigen Jahre Mißgriffe vorgekommen" sind und daß es„so nicht mehr weitergehe". Der Minister wird die heftigste Opposition.be> ollen feinen Amtshandlungen von der Sozialdemokratischen Partei finden. Auch unabhängige So- zia'isten muß man zu Beamten machen. Verfehlt ist auch der Erlaß des Ministers gegen die Kommunisten. Zum Schluß bespricht Abg. Severing die Maßnahmen des Selbstschutzes in Ober- schlesien. Minister Dominicns: In welchem Umfange die Be- setzung der Stellen mit nichtvorgebildeten Beamten er- folgen könne, ist fraglich. Ich habe schon zwei(!) sozialdemo- kratische Landräte ernannt. Es besteht die Gefahr für den ordent- lichen Gang der Berwaltungsgeschäfte. Eine große Anzahl von Assessoren hat sich schon aus der Perwaltung geflüchtek. weil sie keine Hoffnung haben, Landrat zu werden. tWelch entsckliches Unglück! Red. d.„B"). Rur bereits bewährte Assessoren dürfen die Stellen erhalten. Diesen Standpunkt teilt auch der sozialdemokratische Regierungspräsident Grützner aus Düsiel- dorf. Man will draußen im Lande nicht Parteileute. sondern be- währte Vcrwaltungsbeamte. Mein Kommunistenerlaß schließt sie nur aus leitenden Stellen aus. Gerade der Aufstand in Mitteldeutschland hat mich zu diesem Erlaß veranlaßt. Der Kampf um üie Steuern. Der Steuerausschuß des Reichstages erledigte am Dienstag den Entwurf eines Gesetzes über die Verlängerung der Gültigkeitsdauer des Kohlensteuergesetzes, das bis zum 31. März 1922 verlängert werden soll Abg. Keil(Soz.) erinnert daran, daß seinerzeit ein Antrag von ihm im Ausschuß angenommen wurde, nach Anhörung des Reichskohlenrats eine Neuregelung des Sohlensteuergeseße« in Angriff zu nehmen. Es sei aber noch nichts geschehen, ebensowenig habe man etwas unternommen, um der Frage der Gemeinbewirtschaftung der Kohle näherzutreten. Keil fragt, ob die Regierung bei der Beratung des Deckungsprogramms diesem Ge- danken nähertreten werde.— Stgatssckretär Zapf erwidert, daß in der Frage der Sozialisierung das Reichswirtfchaf ts- m i n i st e r i u m zuständig ist, das wohl mit entsprechenden Vor-
'fchlägen kommen werde. Abg. Dr. yelffersch hält die Soziyli, j i e r u n g zurzeit für undiskutabel, weil man damit der En- tente den Zugriff auf das Ruhrgebiet erleichtere.(!) Das Gesetz wurde hierauf gegen die Stimmen der Unabhän- gigen angenoinmen, nachdem in§ 6 der Absatz gestrichen ist, wonach der bei Ermäßigung der Steuer für einzelne Bezirke und Brenn- stoffarten entstehende Ausfall durch eine Erhöhung des allge- meinen Steuersatzes ausgeglichen werden soll,— Es folgte der Gesetzentwurf über die* Abänderung des Zuckersteuergesehes. Diese Steuer soll nach der Vorlage in Zukunft für 100 Kilogramm Reingewicht 100 ZN. statt bisher 14 Ist. betragen. Namens der Sozialdemokratie erklärte Abg. Keil, daß feine Partei nicht in der Lage sei, in die Beratung dieses Gesetzes einzutreten. Dies könne nur nach Vorlage und im Rahmen des gesamten Deckungsprogramms geschehen. Bei aller Anerkennung der Verpflichtungen, die durch die Unterzeichnung des Ultimatums uns auferlegt sind, ist nicht einzusehen, daß zunächst mit einem Steuer» gesetz angefangen werden muß, das zweifellos eine starke Be- lastung dSr Verbraucher darstellt. Es gäbe jedenfalls an- dere viel näherliegende und ergiebigere Quellen als die Zuckersteuer. Zuerst die B e s i tz st e u e r n und erst dann, wenn diese nicht aus- reichen, könne man an indirekte Steuern herangehen. Staatssekretär Zapf bittet, in die Beratung der Vorlage ein- zutreren. Die Deutschnationalen und die Deutsche Voltspartei geberden sich auf einmal, als liege ihnen die Er- f ü l l u n g der Bedingungen des Ultimatums, das sie bekanntlich ab- gelehnt haben, ganz besonders am Herzen. Sie reden von Steuer- sabotage. Genosse Keil antwortet ihnen entsprechend. Die Be- ratung der Zuckersteucrvorlage wird zurückgestellt.— Staatssekretär Zapf teilt dann mit, daß das Lohnstcuergeseh nun dem Reichstag zugegangen sei. Da indes keine Möglichkeit be- stehe, es noch vor den Reichstagsferien zu erledigen, sollen die im Gesetz enthaltenen Grundsätze im Wege der Verordnung hinaus- gegeben werden. Das Gesetz selbst soll erst am 1. Januar 1922 in Kraft treten._ Lager Sielow . Das Lager Sielow bei Kottbus , in dem Oberschlesier interniert sind, war Gegenstand einer Besichtigung durch die interfraktionelle Kommission. Von dieser wurden drei Fälle festgestellt, in denen Beamte ihre Amtsgewalt mißbraucht und Gefangene miß- handelt haben. Die Hauptbeschwerden der Internierten beziehen sich allerdings auf ihre Festnahme in Oberschleflen und auf den Transport nach Sielow , wobei zweifellos Mißgriffe und Uebergriffe vorgekommen sind. An den Tagen des Transportes, dem 9. und 10. Mai, herrschte große Hitze. Die Gefangenen wurden nicht mit der genügenden Sorgfalt betreut, die Wagen waren nicht genügend gelüftet, auch herrschte Mangel an Trinkwasser. In Kottbus kam es dann auch zu sehr erheblichen Mißhandlungen. Von dem Stadtrat Stein, der bekanntlich getötet wurde, wird jetzt offiziös behauptet, er sei nicht Opfer der Mißhand- lungen durch die Menge, sondern„lediglich das Opser seiner Körper- konstitution und der Strapazen der Reise". Aus deutsch also: Es ist auf seinen körperlichen Zustand nicht die mindeste Rücksicht ge- nommen worden. Ein gerichtliches Verfahren schwebt deswegen, aber wir haben nicht das mindeste Vertrauen zu unserer Rechts- pflege, daß sie hier irgendwelche ausreichende Sühne schaffen wird. Dos Lager Sielow wird übrigens im Laufe der Woche end- gültig aufgelöst. Die öeutschen Schulüverschreibunyen. Parts, 21. Juni(WTB.)„New Pork Herald" erklärt, in unter- richteten Kreisen glaube man, daß der stanzösische Plan, die deuffche Reparationsschuld durch beschränkte Ausgabe von Schuldverschrei- bungen seitens der einzelnen alliierten Gläubiger flüssig zu machen, binnen kurzem von der Reparationskommission gutgeheißen werde. Die amerikanische Finanzwelt werde den Plan b e g ü n st i g e n. Die Angelegenheit werde aus der Tagesordnung einer neuerlichen Sitzung der alliierten Finanzmänner stehen, die am Freitag in Berlin stattfinden werde. Man glaube, daß die Auegabe der Schuldverschreibungen durch die alliierten Länder vor dem 1. Dezember erfolgen könne. In der erwähnten Sitzung der Finanzdelegierten werde man sich auch von neuem mit dem Preise der auf dem Wasserwege von Deutschland gelieferten Kohle und mit der Verteilung der in Spa festgesetzten 6!4 Proz. der beut- schen Entschädigung unter die kleinen Mächte beschäftigen, da bis jetzt in der Kommission keine- Einstimmigkeit habe erzielt werden können. Wie der.Temps" mitteilt, haben folgende Mächte keinen Anspruch auf einen Anteil von der von Deutschland zu zahlenden Entschädigungsschuld, entweder weil sie keine Schadenansprüche stellten oder weil sie mit Deutschland vor dem Waffenstillstand sich nicht im Kriegszustand befunden haben. Es sind dies die Ver- einigten Staaten von Amerika , Bolivien , China , Kuba , Ecuador , Guatemala , Haiti , Hedschas , Honduras , Nicaragua , Panama , Peru , Polen und Uruguay .
Neue Regierung in Wien . Men, 21. Juni. (WTB.) Die Nationalversammlung hat mit 93 christlichsozialen und großdeutschen gegen 62 sozialdemokratische Stimmen die neue Regierung gewählt. Die neue Bundesregierung nahm die Wahl an. Die neuen Minister. Der bisherige Wiener Polizeipräsident Johann Schober , Kanzler und Aeußeres, der großdeutsche Dr. Waber, Innert, Settionschef H e n n e t, Ackerbau, Sektionschef Rodler, Verkehrs- wesen, Sektionschef Pauer, soziale Verwaltung, Sektionschef An- g e r e r, Handel, Sektionschef B r e i s k y bleibt Vizekanzler und Unterrichtsminister, Sektionschef P a l t a u f, Iustizminister, Sek- tionschef Grimm, Finanzminister und der christlichsoziale Abg. D a u g o i n, Heeresminister. Die Regierung Mayr war zurückgetreten, weil die bürgerlichen Steirer trotz aller Drohungen, besonders der südslawischen mit nacktem Landraub, durchaus ihre Anschlußabstimmung haben woll- ten. Es ist nicht klar, ob sie auch weiter darauf bestehen: jedenfalls hat der italienische Gesandte eben wieder gedroht. Da werden die Steirer doch wohl auf die leider nur platonische Kundgebung ver- zichten. Die neue Regierung besteht wie die alte aus Christlich - sozialen, Beamten und einem Großdeuffchen.
tzarüings völkerbunü. Washington . 21. Juni. (Pariser New York- Herald.) Zwei süd- amerilontiche Regierungen haben in Washington um Berichte über den Hardingschen Plan einer neuen Gesellschaft der Nationen er« sucht. Die Hauptpunkte der Antwort find folgende: Die Gesell- schaft werde zunächst ohne geschriebene Verfassung bleiben. Sie werde mit einem Rat aus Vertretern einer Anzahl von Nationen arbeiten, deren Entscheidungen mehr beratenden als bindenden Charakter haben sollen. Der gegenwärtige Oberste Rat werde al» kern für die Gesellschaft benutzt werden. Ein internationaler Ge- richtshof ohne zwingende Schiedsgerichtsgewalt und ohne Straf- mittel solle gebildet werden.