Nr. 275.
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Vorwärts
11. Jahrg.
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Redaktion: SW. 19, Bents- Straße 2. Sonntag, den 25. November 1894. Expedition: SW. 19, Beuth- Straße 3.
Arbeiter! Parteigenossen! Trinkt kein boykottirtes Bier!
Jetzt hat die kapitalistische Gesellschaft den Kampf gegen die Umsturzparteien und für Religion, Sitte und Ordnung unter furchtbarem Geschrei angekündigt, und der Klassenstaat, ihr gehorsamer Diener, schmiedet im Schweiß seines Angesichts Ketten, um die bösen Umstürzler an Händen und Füßen zu fesseln, damit sie dem guten Trio: Religion, Sitte und Ordnung nichts anhaben können.
Doppelte Wahrheit." Igelten soll, was vor Jahrhunderten für Wahrheit angesehen kapitalistischen Gesellschaft und ihres gehor wurde, heute aber längst als Irrthum erkannt worden ist. samen Dieners: des modernen Klassenstaats andererseits Mit dieser Ueberschrift brachte vor mehreren Tagen die So erhalten wir denn thatsächlich eine doppelte Wahrheit, die sich aufgethan hat. Der Staat nennt sich christlich Voffische Zeitung" anläßlich der orthodoren Hazz gegen Wissenschaft erforschte und erwiesene. Wie ist aus diesem Zwieeine von der Kirche gelehrte und gebilligte, die andere von der und er bekennt sich zur Wahrheit der Re liberale Professoren einen sehr treffenden Artikel, der es palt herauszukommen? Die„ Kreuz- Zeitung " ist schnell mit der ligion, gleichzeitig aber bekennt er sich auch zur verdient, unseren Lesern mitgetheilt zu werden. Er lautet: Antwort bei der Hand:„ Auch die Professoren sollen Diener der Wahrheit der Wissenschaft, obgleich beide Wahrheiten Soll es auch in der evangelischen Kirche eine doppelte Kirche sein." Die Professoren sollen also das lehren, was die einander ausschließen wie Feuer und Waffer. Allein das Wahrheit geben? Eine Wahrheit, welche die Kirche lehrt, und Kirche lehrt, auch wenn es ihrer wissenschaftlichen Ueberzeugung ist nur eine theoretische Inkonsequenz und nur eine vereine Wahrheit, das gerade Gegentheil der ersteren, welche die ins Gesicht schlägt, auch wenn sie die Beweise haben, daß diese gleichsweise harmlose Heuchelei, die auf Gedankenlosigkeit Professoren lehren?" So fragt die„ Kreuz- Zeitung " und trifft Lehre der Kirche der von ihnen erkannten Wahrheit widerspricht. zurückgeführt werden kann. Weit gewichtiger, und moralisch damit den Kernpunkt des Streites zwischen Kirche und Wissen Was wäre die Folge? Keine andere, als daß die Theologie aus weit verwerflicher ist die Heuchelei, welche sich im Wider schaft. Die Kirche behauptet, daß die Bibel durch die Eingebung der Reihe der Wissenschaften ausschiede. Wollten die Pro- spruch zwischen Theorie und Praxis, zwischen Lehre und des heiligen Geistes entstanden, also göttlichen Ursprungs ist und fessoren der Theologie dieser Forderung nachgeben, so würde sich Handeln äußert. Und einen Tartuffe, der durch sein deshalb unumschränkte Autorität zu beanspruchen hat. Die erfüllen, was schon Schleiermacher vorausgesagt hat, daß die Kirche Wissenschaft lehrt, daß die Bibel menschlichen Ursprungs ist, un- mit der Unwissenschaftlichkeit zusammengeht und die Wissenschaft mit Handeln seine Lehre Lügen straft, betrachtet der gefunde gleichwerthig nach Form und Inhalt, nicht frei von dem Unglauben. Will man einen solchen Zustand herbeiführen, Rechtsinn des Volts mit Fug als den Ausbund von NiederIrrthümern, Entstellungen und Widersprüchen. Die Wissen wie man denn heute auf dem besten Wege dazu ist, so möge tracht, als das verächtlichste aller Wesen. schaft ist ist im im stande, dies an zahllosen Bibelstellen man es thun, aber man beklage sich dann auch nicht, wenn die nachzuweisen. Die Schöpfungsgeschichte, die im ersten Kapitel Gebildeten sich von einer solchen Kirche abwenden, die von ihnen der Bibel erzählt wird, ist längst als Mythus nachgewiesen, nicht gute Werke und gottgefälliges Leben, sondern ein Opfer deffen Einzelheiten von der Naturwissenschaft widerlegt sind. Die ihrer Wahrheitsliebe und ihrer Gewissenhaftigkeit fordert. Geschichte des Volfes Jsrael ist besonders durch die Arbeiten Vorläufig indeffen verhält es sich noch nicht so, daß die von Wellhausen und Stade einer gründlichen Umgestaltung unter Professoren der Theologie Diener der Kirche sind. Sie sind zogen worden. Man weiß heute, daß die Patriarchen Abraham , Diener des Staates und haben so gut wie die Lehrer aller Ffaat und Jakob so wenig als Einzelpersonen gelebt haben wie anderen Fakultäten die Pflicht, nach bestem Fleiß und Gewissen Herkules, Theseus und Jason. Man weiß, daß der größte Theil die Wahrheit zu erforschen und dem heranwachsenden Geschlecht des demi Moses zugeschriebenen Gesetzes erst der Zeit der Ver- zu lehren. Auf die Ansprüche der Orthodoxie tann man nicht Religion, Sitte und Ordnung! Doch wo bleibt die bannung und der Rückkehr aus der Berbannung ihre Entstehung besser antworten als mit dem Worte des jezigen Kultusministers Wahrheit? Giebt es eine Religion ohne Wahrheit? verdantt. Man weiß, daß die Geschichte der Könige in ein Bosse bei dem Festmahl zu Ehren des Professors Curtius: Die Giebt es eine Sitte ohne Wahrheit? Eine Ordnung ohne feitiger und zum Theil geradezu tendenziöser Weise dargestellt Wissenschaft läßt sich nicht fommandiren und nicht fncchten, auch Wahrheit? Die Frage verneinen, heißt Religion, ist und daß deshalb diese biblischen Geschichtserzählungen von in Preußen nicht; die Lebenslust der Wissenschaft ist harmonische Sitte und Ordnung für verlogenes Blendwerk er= der exakten Geschichtsforschung nur mit der äußersten Vorsicht Freiheit und Ehrlichkeit". klären, ihnen die sittliche und intellektuelle Grundlage ent benutzt werden dürfen. Wir hoffen, daß die preußische Regierung auch diesem ziehen, das Recht der Existenz nehmen. Mit dem Neuen Testament steht es nicht viel besser. Ab- neuesten Ansturm der Dunkelmänner gegenüber die Freiheit der gesehen von einigen Briefen des Paulus ist über die Verfasser Wissenschaft, insbesondere der theologischen Wissenschaft, beschirmt Wo ist nun aber die Wahrheit in der dieser Schriften nichts bekannt. Reins der Evangelien ist in und fördert. Die deutsche Theologie marschirt an der Spitze der heutigen Gesellschaft? Wir haben eine doppelte der Form, in der wir es heute besigen, von einem Beit: theologischen Wissenschaft aller Länder. Sie verdankt diese Ehren- Wahrheit, sagt die Bossische Zeitung". Und wir gehen genossen des Jesus von Nazareth verfaßt worden. Die drei stellung der Freiheit und Unabhängigkeit, mit der sie sich ent- weiter und sagen: die heutige Gesellschaft hat nicht blos ersten Evangelien stehen mit dem vierten in einem unlösbaren vickeln durfte. Wollte man ihr jetzt den Lebensfaden abschneiden, eine doppelte Wahrheit sie hat dreierlei Wahrheit, drei Widerspruche. Ebenso widersprechen sich zum Theil die übrigen so hätten vielleicht einige orthodore Politiker einen furzen verschiedene Wahrheiten: sie hat die Wahrheit der Religion, Evangelien, so Matthäus und Lukas in den Geschlechtsregistern Triumph, aber was der Kirche nüßen soll, würde zu einem die Wahrheit der Wissenschaft und die Wahrheit der Jesu. Die Bekundungen der Apostelgeschichte stehen in schroffem schweren Schaden für die Religion ausschlagen. Und zugleich Gegensahe zu den echten Briefen des Apostels Paulus . Wir würde man den Vorwurf auf sich sigen lassen müssen, daß der Gesellschaft. Sie hat die Religion im Mund, feiert die haben hier nur einige besonders auffällige Thatsachen angeführt. gegenwärtige Staat die Wahrheit nicht erträgt. Denn das Gerede Wissenschaft, welche die religiöse Wahrheit in Nichts aufWir könnten sie ganz beliebig vermehren. Und wir haben nur von einer doppelten Wahrheit ist eine Thorheit. Es giebt nur löst, und sie hat für sich noch die gesellschaftliche Wahrheit, solche Thatsachen aufgeführt, die wissenschaftlich ganz unumstößlich eine Wahrheit, und die ist bei der Wissenschaft. die der Religion und der Wissenschaft ins Gesicht schlägt.
Feuilleton.
Im Exil.
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feststehen, die von Niemandem geleugnet werden können, der Was die Vossische Zeitung" hier über die doppelte Die Religion sagt: eher geht ein Kameel durch ein Nadelüberhaupt einer wissenschaftlichen Beweisführung zugänglich ist. Wahrheit" sagt, ist Wahrheit, aber es ist nicht die ganze öhr, als daß ein Reicher in das Himmelreich kommt; die Man kann diese Thatsachen ablehnen, man kann sich stellen, als wüßte man nichts davon, aber man kann sie nicht wissenschaftlich spruch auf, in dem die Wahrheit der Wissenschaft und die die das Himmelreich sein sollte, wird durch die„ Reichen“, d. h. wüßte man nichts davon, aber man kann sie nicht wissenschaftlich Wahrheit. Das bürgerliche Blatt deckt wohl den Wider- Wissenschaft sagt, es giebt kein Himmelreich, und die Erde, widerlegen. Aber die Kirche erklärt die von der Bibel berichteten Vor der Religion stehen, aber es hütet sich wohl die gähnende die kapitalistische Wirthschaft, zur Hölle gemacht. Und die gänge für Heilsthatsachen, an denen menschlicher Fürwiß nicht Kluft zu zeigen, die zwischen der wissenschaftlichen und christliche und wissenschaftliche Gesellschaft verkündet die rütteln dürfe. Sie verlangt, daß noch heute für Wahrheit religiösen Wahrheit einer und der Wahrheit unserer Wahrheit, daß diese Hölle die beste der Welten ist, und sie Verbannte schon aufrecht erhalten hatte: daß sie die Em - fremde Sitten zu gewöhnen! Doch waren sie dann pörung des Rechtes gegen die soziale Ungerechtigkeit, daß wenigstens beisammen, sie würden sich noch enger als früher fie die Forderungen der Zukunft dem wilden, blinden Haß an einander schließen und sich in der Schweiz ein Stückchen ( Nachdruck verboten.] der Vergangenheit gegenüber verkörpern. Frankreich oder Paris schaffen. Zu dreien würden sie Judeffen zwang ihn seine Verurtheilung doch, einen fortan alles gemeinsam ertragen und dadurch schon in der neuen Plan für seine Existenz zu fassen. In Frankreich Erwartung besserer Tage weniger leiden. Roman von Georges Renard . Autorisirte Uebersetzung war seine Karrière für immer vernichtet. Lange Monate, René bestimmte seine Eltern nun nicht ohne Mühe zu Jahre vielleicht würden vergehen, ehe er die Möglichkeit dieser nothwendigen Uebersiedelung. Er hatte jetzt für die hatte, zurückzukehren. Seine Mutter sprach wohl davon, Seinen zu sorgen und brauchte Geld. Fieberhaft, ja mit Mehrere Male hatte René durch die dünne Wand, daß sie einige hochgestellte Personen veranlassen wollte, für einer wahren Wuth stürzte er sich in die Arbeit. Um sich welche die Klassenzimmer von einander treunte, gehört, wie ihn einzutreten, damit er durch ein Hinterpförtchen wieder bekannt zu machen, hielt er eine Reihe von Vorträgen. Und einer seiner Kollegen, der außerordentlich fruchtbar war im zurückkommen fönnte. Doch hätte er erst um Gnade bitten da die Leute in Vevey durch Berstreuungen wenig ver Anwenden neuer Epitheta gegen aufsässige Schüler, mit müssen, und schon der bloße Gedanke daran konnte ihn auf: wöhnt waren, hatte er das Glück, zu sehen, wie sie sich beDonnerstimme den Knaben zurief:" Petroleure!"" Kom- bringen. Auf lange Zeit mußte er also der Hoffnung Lebewohl gierig auf dieses neue ernste Vergnügen stürzten. Am munards!" Banditen!" René war jeden Tag darauf gefaßt, sagen, Paris wiederzusehen und seinen alten Bosten dort wieder Schlusse einer Versammlung machte ein alter Herr, der ein in irgend einem Blatte seinen Namen unter Beifügung ähn- einzunehmen. Er hatte kein anderes Mittel, sich auf Däne oder Schwede sein mußte, ihm das schöne Kompliment: licher Titel zu lesen. Aber es gab so viele Geächtete und fremder Erde ein erträgliches Loos zu schaffen, als seine Ich gratulire Ihnen, mein Herr. Noch nie habe ich Gefangene! Die Zeitungen verzichteten aus Trägheit oder Arbeitskraft. Das Schlimmste war, daß er nicht nur an das stumme e mit solcher Vollendung aussprechen hören... Scham darauf, eine Liste derselben zu bringen. So erfuhr sich zu denken hatte; seine Eltern besaßen kein Vermögen. Besser war es, daß ein Druckereibesizer, der auch zu er, ohne daß es weiter Aufsehen und Lärm verursacht hätte, Der Vater bezog als kleiner Beamter eine bescheidene René's Zuhörern gehört hatte, ihm die Redaktion einer für im Februar von seiner Mutter, daß er in contumaciam Pension, einige hundert Franks per Jahr, gerade soviel, die Fremden bestimmten Zeitung anbot. Sie führte den zur Deportation verurtheilt worden sei. Nächst der um in Paris dabei verhungern zu können. Sie hatten poetischen Namen die Seemöwe". René nahm sofort den Todesstrafe die härteste, die ihn treffen konnte: Er darauf gerechnet, daß ihr Sohn ihnen ein ruhiges und Chefredakteurposten ein, was um so einfacher war, da er lächelte und zuckte unwillig die Achseln. Selbst vom sorgenfreies Alter bereiten werde. Sollten sie etwa, alt wie der einzige Redakteur war. Für 150 Frants monatlich be strengsten Standpunkt aus betrachtet bestand zwischen dem, fie waren, noch mühselig nach einem neuen Broterwerb richtete er über stattgefundene Feste, über Theatervorstellun was er begangen hatte und der drakonischen Strafe dafür, suchen? Da galt es nicht länger zu zögern. René mußte gen, wenn eine Schauspielertruppe die Stadt mit ihrem ein solches Mißverhältniß, daß René sich dadurch schon als sie zu sich kommen lassen und ihnen hier so gut wie möglich Besuche beehrte, über neue Bücher, von denen er annahm, unschuldig Verurtheilter fühlte. Das sollte Gerechtigkeit ein wohnliches Nest zu bereiten suchen. daß sie das kosmopolitische Publikum, an das er sich zu sein? Nein und tausendmal nein! Ein Mißbrauch der Es wäre freilich eine harte Trennung für die beiden wenden hatte, interessiren würden. Er beantwortete Fragen Macht, eine politische Rache, das war alles. Und so fühlte alten Leute, für diese beiden Pariser vom reinsten Wasser, der Abonnenten, die unter der Rubrik" Briefkasten" erscheinen er sich gefeit gegen die Entmuthigung, die ihn zu erfassen die selbst bei ihren weitesten Ausflügen niemals das Weich- sollten. Allein, da die Briefe nicht tamen, fabrizirte er selbst drohte. Er richtete sich auf in dem Stolz des unschuldigen bild der Stadt überschritten hatten. Mit so vielen lieben Fragen und Antworten, um das Publikum zu ermuthigen. Opfers, in seinem Entschluß, mit erhobener Stirn obenauf Gewohnheiten mußten sie beim Verlassen ihres Vaterlandes Er berichtete Neuigkeiten aus allen Hauptstädten des Erdzu bleiben, in der männlichen Ueberzeugung, die so viele brechen! Wie schwer würde es ihnen werden, sich an balles, er veröffentlichte Originalforrespondenzen aus Paris ,