Nr. 405 ♦ 38. Jahrgang
5. Beilage des Vorwärts
Sanntag, 28. /lagust 1921
GroßSerüu Die l-Uhr-polizeistunAe. Die Regelung für Berlin . Auf Grund der ministeriellen Verfügung über die Neuregelung der Polizeistunde hat der Berliner 'Polizeipräsident für den Polizei- bezirk Berlin jetzt folgende Regelung getroffen: Für Vergnügungsparts(sogenannte Rummelplätze) wird die Polizeistunde in der Zeit vom 1. Mai bis 15. September auf tO Uhr, in der Zeit vom 10. September bis 3l>. April auf 8 Uhr abends festgesetzt. Für einzelne dieser Unternehmungen kann durch Verfügung des Polizeipräsidenten die Polizeistunde bis 10% Uhr abends verlängert werden. Für Theatervorstellungen und alle Darbietungen, welche bei gewerbsmäßiger Ausübung einer Erlaubnis aus 8 332 der Reichsgewcrbeordnung bedürfen sowie für alle Lichtspiel- Vorstellungen wird die Polizeiststunde auf 11'/- Uhr festgesetzt. Für Gast-, Speise- und Schankwirtschasten so- wie für Cafes wird die Polizeistunde aus 1 Uhr festgesetzt. Be- triebe der vorbezcichneten Art dürfen nicht vor 6 Uhr morgens für dos Publikum geöffnet werden. Ausnahmen hiervon können bei dringendem Bedürfnis durch Verfügung des Polizeipräsidenten unter Vorbehalt jederzeitigen Widerrufs bewilligt werden. Erweist sich der Unternehmer eines der in den Para- graphen 1 bis 3 bezeichneten Betriebe in der Ausübung seines Gewerbes als unzuverlässig oder erocben sich aus seiner Geschäftsführung Unzuträglichkeiten für die öffentliche Ruhe, Sicher- heit und Ordnung, so kann die Polizeistunde für seinen Betrieb durch Verfügung der Polizeibehörde bis auf 10 Uhr abends herabgesetzt werden.- In einzelnen besonders gearteten Ausnahmefällen, insbesondere bei Wohltätigkeitsveranstaltungen, kann die Polizeistunde über den in 8 1�-3 bezeichneten Rahmen, jedoch nicht über 2 Uhr nachts hinaus verlängert werden. Handelt es sich um Wohltätigkeilsoeranstaltungen, so ist die Verlängerung von der auf Grund der Bundesratsverordnung betreffend die Kriegs- Wohlfahrtspflege vom 15. Februar 1S17 vorher eingeholten Ge- nehmigung abhängig. Die Verordnung tritt mit dem I. September 1S21 in Kraft. Ter Spätverkehr auf der Stadtbahn. Die Maßnahmen der Eisenbahn ans Anlaß der verlängerten Polizeistund« liegen nunmehr fest. Danach werden im ganzen zwei neue Zugpaare gefahren, und zwar das eine auf der Stadtbahn, und zwar zwischen Charlottenburg und Spandau , ab Charlottenburg 11.57 Uhr abends, an Spandau West 12.20 Uhr nachts, und die der Gegenrichtung ab Spandau West 12.40 Uhr nachts, an Charlottenburg 1.03 Uhr nachts. Das andere neue Zug- paar wird aus der elektrischen Vorort st recke Groß-Lichter- feldc- Ost— Potsdamer Bahnhos gefahren: ob Pnts- domer Ringbahnhof 1.15 Uhr nachts, an Lichterfelde Ost 1.32 Uhr, ob Lichterfelde 1.35 Uhr, an Potsdamer Bahnhof 1.52 nachts. Auf der Ringbahn, Wannfeebahn, Stadtbahn und auf der Strecke Berlin -Oranienburg treten ab 1. September insofern Aenderungen ein. als die bisher verkehrenden letzten Züge ausfallen und durch entsprechend später verkehrende Züge ersetzt werden. Aus der Strecke Potsdamer Bahnhof— Zossen, Görlitzer Bahnhof— Königswnsterhausen, Potsdam — Stadtbahn— Erkner , Stadtbahn— Strausberg , Stettiner Bahnhof— Velten, Lehrter Bahn- Hof— Spandau— Nauen bzw. Wustermark werden Aenderungen im Spätvertehr vorläufig nicht eintreten. Zur Verzweiflung getrieben. Tragödie im evangelischen Arauenseminar. Im Elisabcthkrantenhaus liegt ein totes Mädchen, Armida Langner. eine Selbstmörderin, die noch nicht beerdigt wer- den kann weil die Formalitäten zur Freigabe der Leiche noch zu erfüllen sind. Als Flüchtling war die nun Verstorbene aus der oberschlesischen Grenzgegend vor einigen Monaten nach Berlin ge- kommen und fand hier eine Dienststelle im evangelischen Frauensemlnor Potsdamer Str. 73n. Außer ihr wurden dort noch zwei Mädchen beschäftigt. Die drei eigneten sich von der ihnen zugänglischen Bettwäsche soviel an, daß sie sich je z w e i Hemden davon machen konnten. Das wurde ruchbar und die Leiterinnen des Seminars teilten den Fall dem Pfarrer Thiele mit Dieser erklärte, daß er die Sünde nicht zur Anzeige bringen wolle, aber das Mädchen müsse fort. Das Mädchen wußte nicht,
wohin es sich wenden sollte, und da es auch mehr Ehrgefühl befaß als viele von den„reinen" Christen besitzen, trank es in der Ver- Zweiflung Lysol. Der herbeigerufene Arzt konnte nicht mehr helfen. «ie verstarb nach stundenlanger Oual im Krankenhaus, wohin sie durch die Polizei gebracht wurde. Von den beiden anderen Mäd- chen soll eine bereits entlass'n, die zweite aber noch dort sein. Angesichts der Tatsache, daß ein junges Msnschenleben einer Lappalie wegen vernichtet ist. müssen wir doch die Frage aufwerfen, ob es nicht viel richtiger gewesen wäre, vom christlichen Standpunkt aus die weiteste Barmherzigkeit zu üben und das Mädchen nicht eher zu entlassen, bis es eine andere Unterkunft gefunden? So und nicht anders hätte unserer Meinung nach der Herr Pastor als Prediger der Nächstenliebe handeln sollen. um ein junges Menschenleben vor völliger Verzweiflung zu schützen. kiingelfahrer. Eine ganze Familie auf der Anklagebank. Sechs zu einer Familie gehörige Personen waren gestern im Anklageraum der Ferienstrafkammer des Landgerichts 1 vereinigt. Die mehrfach erheblich vorbestraften Brüder Klempner Johannes Schreiber und Maler Ewald Schreiber» sowie ein dritter, nur einmal vorbestrafter Bruder, der Rohrleger Oswald Schrei- b e r, ferner bei mit ihnen als Baut, Ehefrau und Mutter oerwandt. schaftlich verbundene Frauen. Die drei Brüder pflegten durch die Straßen zu strolchen und die Gelegenheit zu Eiubruchsdieb stählen zu er- spähen. Wenn sie an den herabgelassenen Jalousien vermuteten, daß die Wohnungsinhaber verreist wären, wurde Oswald Schr. als„K l i n g e l s a h r e r" vorgeschickt und dann nach dessen Bescheid
SMUlM Benin m m. Die RNlglieder des Bezirksvorstandes kreffeu sich Alonlag, den 29. August, nachmilkags S Ahr, im Bezirksfekrekariat, Lindensirasie Z, um 5kellung zu nehmen zu der durch die ErmordungErzbergers geschaffenen polikischen Lage.
zum Einbruch mittels Dietrich und Brechstange vorgegangen. Gestern standen zunächst zwei solcher Wohnungseinbrüche zur Anklage; bei dem einen waren Wäsche und andere Wertgegenstände im Werte von 8000— 10 000 M.(Friedenspreise) gestohlen; im zweiten Falle solche im Werte von 50000 M. Die beiden ersten Angeklagten führten bei Ausübung der Verbrechen auch geladene Revolver bei sich, die sie bei ihrer Verfolgung zur Abwehr auf ihre Verfolger richteten.— Der Staatsanwalt beantragte gegen Ewald Schreiber 6 Jahre Zuchthaus, gegen Johannes Schreiber 4'4 Jahre Zuchthaus , gegen Oswald Schreiber 3 Jahre Zuchthaus und gegen die �weiblichen Angeklagten je mehrere Monate Gefängnis wegen Begünstigung. — Das Gericht verurteilte Ewald und Johannes Schreiber zu je 6 Iahren Zuchthaus und zu 10 Iahren Ehrverlust, Os- wald Schreiber zu 3 Iahren Gefängnis und 5 Iahren Ehrverlust, die drei Frauen zu je sechs Monaten Gefängnis. Tie Untersuchung gegen Grosimann. Don den Mädchen, die bei dem Mörder als Wirtschafterinnen sich einige Tage aufgehalten hatten, sind drei ermittelt worden. Sie wurden gestern verhört und dem Verhafteten gegenübergestellt. Eins dieser Mädchen gibt an, doß ihr Großmann einmal die Finger in den Hals ge st eckt hätte und sie sich nur dadurch habe retten können, daß sie den sonst ziemlich schwachen Menschen von sich gestoßen habe. Auch diese Mädchen hatte er wie die er- mordete Nitsche alle gefesselt. Bei der Gegenüberstellung kam es zu erregten Zluseinandersetzungen, da Großmann den Aus- sagen der Mädchen ständig widersprach, endlich ober, als ersah, daß seine Aussagen unglaubwürdig waren, erklärte er dann, dann müsse es schon so stimmen, wie die Mädchen aussagen. Für alle Beschul- digungen hat er aber sofort Erklärungen zur Hand, die aber stets frei erfunden sind. So will er dem Mädchen die Finger a u f deren Verlangen in den Mund gestoßen hoben, weil diese Brechreiz gehabt habe. Das Mädchen leidet heule noch an den Per- letzungen, die es dabei erlitten hotte. Obwohl eine Vorführung des Verbrechers an den Tatort zur weiteren Aufklärung seiner An- gaben von Dorteil wäre, so hat man bisher jedoch davon abgesehen.
Wanzenbckämpfung in Adlershof . Im Adlershofer Barackenlager, dessen von den Be- wohnern bitter beklagter Zustand auch in der letzten Bezirtsverordne- tcnsitzung des Verwaltungsbezirks 15(Treptow ) scharf gerügt wurde, hat eine sehr notwendige Besserungsaktion begonnen. Zu den sofort auszuführenden Maßregeln gehört der nachdrückliche Kampf gegen die widerwärtige Wanzenplage— und der ist seit der vorigen Woche im Gange. Damit völlige Ver- nichtung des Ungeziefers erreicht wird, müssen sämtliche Wohnungen mit ihrem ganzen Inhalt durch giftige Gase desinfiziert werden. Di« Barackenbewohner werden es wie eine Erlösung empsin- den, daß sie von der Wanzenplage, dieser Hinterlassenschaft aus der Kriegszeit, in der die damals errichteten Baracken mit Militär belegt wurden, nun endlich befreit werden sollen. Leider hat man aber nicht hinreichend Vorsorge ge» troffen, den Bewohnern der zu desinfizierenden Baracken vor« übergehende Unterkunft an anderer Stelle zu be- Ichaffen. In den Wohnungen, die zur Zusammenhaltung der Giftgase möglichst luftdicht verschlossen werden müssen, kann und darf selbst- verständlich kein Mensch ble-ben. Abgesperrt wird sogar die ganze Umgebung jeder einzelnen von den Desinfektoren in Arbeit gsnomme- nen Baracken, und an hemmenden Drähten warnen Plakate:„Eintritt verboten! Lebensgefahr! Giftiae Gaie!" Wer nun von dem söge- nannten M i e t e r b l o ck des Barackenlagers erwartet hatte, daß durch ibn die zuständige Behörde veranlaßt werden würde, irgend- welche Notauartiere zu beschaffen, der sah sich enttäuscht. Die ausquartierten Larackenbewohner waren genötigt, für ein paar Tage und Nächte in den ohnedies nur kleinen und nicht starkbevölkerten Wohnungen anderer Baracken einen Unterschlupf zu suchen. Um das zu ermöglichen, wird die Desinfektion so ausgeführt, doß in bestimmten Zeitabständen eine Baracke nach der anderen herankommt. Aber bei Familien von sechs bis acht Köpfen ist es nicht leicht, Platz und Zlufnahme in anderen Familie zu beschaffen, zumal da auch die Betten in den zu desinsi- zierenden Wohnungen zurückgelassen werden müssen. Einzelne Familien zogen es vor, im Freien zu übernachten, was bei der doch schon recht fühlbaren Kühle auch wieder nicht ganz unbe- denklich ist. Bisher sind auf dem Nordgelände von zehn Baracken erst vier in Desinfektion genommen worden, und schon haben diele Schwierigkeiten sich gezeigt. Auch das kam vor, daß ein Wohnungs- inbaber, vor den Desinfektoren flüchtend, in die Nnchbarbaracke übersiedelte und darin auch aus ihr durch d'e Desinfektoren vertrieben wurde, ehe seine desinfiziertd Wohnung wieder beziehbar ge- worden war. Für den weiteren Fortgang der Desinfektionsarbeit ist dringend zu wünschen, daß die Frage der Notquartiere besser erwogen und befriedigend gelöst wird. Die Besorgnis mancher Bewohner des Barackenlagers, daß in den Wohnungen noch Nachwirkungen der giftigen Gale entstehen könnten, ist hoffentlich un- bzgründet. Sehr gründliche Lüftung ist allerdings nötig, damit auch aus Betten, K'eiduna und Wäsche die letzten Reste der«ingedrungenen Gase sich verflüchtigen._ Der Weg der Gemeinschaftsschule. Ueber die Arbeitsgemeinschaftsschule sprach am letzten Freitag Frau Dr. W e g s ch e i d e r in einer öffentlichen Versammlung in Niederschönhausen , die von dem Aktionsausschuß zur Errichtung einer Gemeinschaftsschule im 19. Verwaltungsbezirk einberufen war. Die Referentin führte u. a. folgendes aus: Wir können nicht von der Gemeinschaftsschule sprechen, wenn wir uns nicht zuvor darüber klar geworden sind, daß sie bisherige Schule ein politisches Instrument war.(Lebhafte Zustimmung.) In den höheren Schulen wurden die Schüler auf die Berechtigung der gottgewollten Abhängigkeit hingewiejen, und in den Bolksichulen zu der Ansicht erzogen, daß es auch Knechte geben müsse, Gemein- schaftsgeist ist nicht gepflegt worden. Die ganze Einrichtung ist auf Haß und Kampf eingestellt gewesen und so ist der Grund ge- legt worden zu den politischen Morden, die wir jetzt zu beklagen haben, so ist der Boden bereitet worden zu der Der- achtung der Masse, von der diejenigen so oft erfüllt sind, die lurch eine höhere Schule gegangen sind.(Beifall.) Wir brauchen eine Ge- meinschaftsschule, weil wir die Gemeinjchaft bitter nötig haben. Wenn wir uns heute umsehen, so finden wir das Bewußtsein einer Gemeinschaft, die weit über Raum und Zeit hinausgeht, und die Sehnsucht dieser Gemeinschaft ist besonders stark in sozialistischen Kreisen. Ein Mensch ohne Gemeinschaft verdorrt. Rednerin ging dann aus die Mängel des heutigen Schulsystems ein und zeigte, wie durch ein ganzes Netz von Vorschriften die„Disziplin" der Kinder aufrechterhalten wird, wie das Kind lernt, nicht das zu ant- warten, was es denkt, sondern was der Lehrer gerne zu hören wünscht. Der Arbeitsunterricht, der von allen modernen Pädagogen gefordert wird, kann erst in einer Gemeinschaftsschule Segen wirken. Unter dem Scheinleben der heutigen Schule leiden sowohl Kinder
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Die Rächer. Noman von Hermann Wagner.
Nahezu zehn Jahre waren Lucie und Reisner mitein- ander verbunden, und nun war die Stunde gekommen, da sie miteinander abrechneten, das Ergebnis ihrer Ehe zogen. Es war eine bittere Stunde, nicht nur für Reisner, auch für Lucie, die beide erkannten, daß etwas zerbrach, das nie ganz ge- wsfen war.„. m. ,, „Ich geh«, weil ich dich liebe/ sagte � Rersner.„Um deinet- und um des Kindes willen gehe ich." „Du lügst," antwortete sie ihm haßerfüllt.„Nicht um meinet- und um des Kindes willen gehst du, fondern um deinetwillen, weil dich das Gefängnis schreckt, weil du feig bist!"_. Ihre Verachtung erbitterte ihn.„Sage mir: wurde es dadurch besser, wenn ich das Gefängnis vorzöge? Wovon solltet ihr leben?" „Vom Geld eines Menschen, an den du uns verrätst?" Er sank auf einen Stuhl und bedeckte das Gesicht mit beiden Händen.„Du hast recht." stöhnte er..chu hast recht... Aber kann ich es denn verhindern? Ich kann es nicht. Mir fehlt die Kraft. Ich fürchte mich. Ich fürchte mich vor dem Gefängms... Roch einmal—?... Nein, ich kann nicht! Mich schüttelt die Angst!" „So warst du schon immer," sagte sie kalt,„feig, grausam und undankbar. Du blähtest dich auf und warst doch nur ein �Popanz, der jetzt zerplatzt." „Da? sagst du mir?" „Ja. ich." „War ich feig, grausam, undankbar gegen dich?" „Du glühtest so lange für mich, als du mich wolltest. Als du mich hattest, wurdest du gleichgültig und kalt und gingst andere Wege... Meinst du. doß ich deine Wege nicht ge- kannt habe?" „Und du hast mir das nie,... nie— gezeigt?" flüsterte er fassungslos. „Nein," tagte sie hart,„ich habe es dir nie gezeigt das! war meine Rache." »Und du ließest mich gehen, alle Weg«, die ich wollte.. J
Du!" Er trat zornfunkelnd vor sie hin und packte sie im Handgelenk.„Du!" schrie er noch einmal und haßte sie mit einem Schmerz, für den es keine Linderung gab. Sie lachte ihm ins Gesicht.„Tut dir das weh?" Er ließ sie fahren.„Ja, dos tut weh. Ich habe nicht ge- glaubt, daß du mir so weh tun könntest.. „Und daß du m i r weh tun könntest, das hast du auch nicht geglaubt,— wie?" Sie wandte sich von ihm ab.„Ich war für dich nicht mehr als eine Magd, die ihr Kind zu behüten hatte,— ich hatte einen Platz, meinen Platz, während du hundert Plätze hattest, von denen du nur nach Haufe zurückkehrtest, wenn du müde und ruhebedürftig warft." „Warum hast du nicht ein Wort gesprochen," klagte er sie mit leiser, tastender Stimme an,„ein Wort, ein einziges?... Weißt du denn, wie ichr ich darauf gewartet habe, auf dieses eine Wort?... Dieses ungesprochene Wort war es, das zwischen uns stand. Ich konnte es nicht sprechen, denn ich war zu tief in deiner Schuld. Aber du! Du mußtest es sprechen! Und du host es nie getan. Nie... Und ich bin über diesem ungesprochenen Wort alt geworden, enttäuscht und gleichmütig... Warum spricht sie es nicht zu mir? fragte ich mich immer wieder. Weil sie mich nicht sieb hat! ant- wvrtete es in mir... Das Kind war dir alles. Ich war dir nichts. Deshalb trieb es mich auch fort. Weil ich vergessen wollte... trieb es mich fort, denn es gab ja soviel, das ich vergessen wollte... Und doch: d n hättest mich retten können, mit einem Wort, mit einem einzigen guten Wort! Und du hast ez nicht getan!" „Ich habe es nicht getan, weil ich gar nicht wollte, daß du gerettest würdest. Ich sah deinen Untergang, wie ihn andere sahen, nur deutlicher und sicherer, weil ich wußte, daß er kommen mußte. Und ich habe mich gefreut." „Du hast dich gefreut.. „Ja," sagte sie aufatmend,„und nun ist er da." „Nun ist er da... Und gibst mir den letzten Fußtritt." „Den letzten Fußtritt," rief sie,„ja!" Seine Stimme brach mitten entzwei.„Hassest du mich so sehr?" fragte er. Sie kchiiltcl!.' r-—' Ich wollte, ich könnte dich ■•y-c- i'h ke.i'>!'cht. M"N Herz ist ZU Stein g- /vi;::. Du Im'! es ge./zcht." „fiuciei" rief er aus.
„Ja," beharrte sie und stampfte mit dem Fuß. Er versuchte einen angstvollen Blick nach ihr hin.„Gibt es gor nichts, Lucie," flüsterte er,„gar nichts, das--- Könnte ich es— nie wieder... gutmachen?" „Nein.. „Es muß etwas geben... Bedenke doch, daß Lu— auch mein Kind istl" „Es ist m e i n Kind!" „Du hast es mir genommen..." „Du hast es nie besessen," sagte sie mit kalter Genug» tuung,„Gott sei Dank!" „Und es gibt nichts, nichts, nichts..." murmelte er. Sie sah ihn höhnisch und lauernd an, wie eine Katze, die mit ihrem Opfer spielt.„Bielleicht doch.— vielleicht doch... eins..." Er zitterte vor banger Erwartung.„Du," bat er heiß, „sage es mir,— sage es!" Sie maß ihn in einer Weife, als schätze sie ihn ab. „Geh,— geh... ins Gefängnis!" sagte sie langsam und scharf. Er taumelle.„Du,— du— willst...?!" „Ja!" Er schleppte sich in einen Winkel, siel auf einen Stuhl nieder und vergruh den Kopf in den Armen. So verharrte er lange. Alles in ihm war tot und leer. Er hatte das Wort gehört und war doch nicht von dem berührt worden, was sich damit verband: er dachte nicht an die Strafe, die ihn erwartete, an die jahrelange Haft, an das furchtbare Alleinsein, das tief zu Boden drückte und unsäglich elend machte, an alle die Stunden einer hoffnungslosen Qual, die er kannte. Cr dachte nur eines: Sie will es! Sie wünscht mir es! Es freut sie, es macht sie glücklich! Ihr Haß und ihre Ber- achtung sind so groß, daß sie sich an meinem Schmerz weidet! Ich bin ihr nichts, zu einer Stunde, wo sie weiß, daß sie mir alles ill! Ich bin allein Rettungslos allein. Und ich habe auch kein Kind, denn sie hat es mir weggenommen. Und dessen freut sie sich am meisten... Er stöhnte leis auf. Das Uebennaß an Schmerz war die Stütze, an der er sich festhielt. Sie umklammerte er. So konnte er nicht mehr fallen. Und a wollt» es auch nicht.(Forts, folgt.)