Zwei Münchener verleumüerproZesse. München , S. Oktober.(Eigener Drahtbericht des„Vorwärts".) �or dem Schöffengericht München kamen heute zwei Beleidizungs- 'lagen des Genossen Erhard A u e r zur Verhandlung. In der ersten Verhandlung, in welcher der verantwortliche Schriftleiter des„Völki- schen Beobachter" angeklagt war, drehte es sich um Bemerkungen beleidigender Art, die der„Völkisch « Beobachter" im Anschluß an die Wiedergabe des angeblichen Bahngespräches zwischen dem Reichs- wehrmimster und Auer gemacht hatte. Der Schristleiter wurde zu einer Geldstrafe von 400 M. bzw. zur Gefängnisstrafe von 40 Tagen verurteilt. Der„Völkische Beobachter" versuchte nicht erst, den Be- weis für seine Behauptungen zu erbringen. Bezeichnend ist der „Entschuldigungsgrund" des Beklagten: er führte nämlich aus, den besagten Artikel habe er von der„Augsburger Abendzeitung" er- hallen. Diese habe ihm jetzt mitgeteilt, sie könne über den Verfasser keine weiteren Mitteilungen machen, da es sich um einen hohen Staatsbeamten handle. In der zweiten Verhandlung hatte sich der Schriftleiter des „Micsbacher Anzeiger" zu verantworten. Dieses Blatt hatte in einem Aufsatz dem Genossen Auer vorgeworfen, daß er in seinem Kampf gegen die Einwohnerwehr unter dem Einfluß des eng- tischen Generalkonsuls gestanden habe. Der englische Konsul bestritt dies als Zeuge unter Eid. Er erklärte alles für Unsinn: Auer habe immer das Gegenteil von dem gesagt, was der Beklagte behauptet. Weiter wurden als Zeugen die früheren Kriegs- und Kultusminister des alten Königreiches über das Verhalten Auers unmittelbar vor der Revolution vernommen. Die Vorwürfe des gegnerischen Anwalts lauteten, Auer habe vor der Revolution die bayerische Regierung in Sicherheit gewiegt und dann heimtückisch überfallen. Sowohl der Kultus- wie der Kriegsminister erklärten aber, daß Auer vor, während und nach der Revolution sich völlig korrekt verhalten habe. Der Schriftleiter des„Miesbacher Anzeigers" erklärte bei Ab- schluß der Beweisaufnahme, es habe ihn geradezu deprimiert, daß tatsächlich kein Wort an der Sache wahr sei. Der bewußte Artikel sei ihm von einer hochgestellten, im Range des Generalkonsuls stehenden Persönlichkeit übergeben worden. Das Urteil lautet« auf sechs Wochen Gefängnis._ Tagung ües Ausschusses für Oppau. Der Untersuchungsausschuß für Oppau hat gestern seine Arbeit aufgenommen. Der Ausschuß wird vermutlich mehrere Tage in Ludwigshafen zusammen sein. Di« Untersuchung soll mit dem Verhör des Sprengtechnikers ihren Anfang nehmen und sich nach Möglichkeit nur mit Feststellungen beschäftigen, die nicht etwa später durch die Resultate der Erhebungen der Chemisch -technischen Reichsanstalt umgeworfen werden können. Es wird an eine enge Fühlungnahme mit dem Frankenthaler Untersuchung?- richter gedacht. Die Sachverständigen, die der Ausschuß noch be- rufen wird, sollen zunächst kein umfassendes Urteil abgeben, sondern vorerst zu grundsätzlichen Fragen Stellung nehmen. Tele- phonisch wurde eine Reihe sachverständiger Personen geladen. Am Nachmittag traf der Ausschuß in Oppau mit dem Untersuchungs- richter zusammen._
Ungarisches Jener auf Oesterreich l Wien , 0. Oktober. (wTv.) Amtlich wird gemeldet: Dle ungarischen Banden halten seit gestern gegen jedes Bölkerrecht die offene 5tiidt Bruck a. d. Leltha andauernd unter Gewehr- und Blaschinengewehrfeuer. Wie das österreichische Korrespondenz- bureou ersährt, hat die österreichische Regierung diesen neuerlichen besonders krassen Bruch der internationalen Rechte sofort den Mächten zur Kenntnis gebracht und dagegen sehr energisch Sin- spruch erhoben.
Deutschö'fterreichs Ausverkauf. Wie lange noch so weiter? Wien . 6. Oktober. (WTB.) Der Ausverkauf der Wiener Ge- schäfte schreitet unker dem Einfluß des tiefen Baluiastandes in b e- ängstigender Weiss fort. 3m Verlaufe des heutigen Tages kamen Landbewohner in die Stadt, um alle erschwinglichen Waren zu kaufen. Der Andrang war derartig, daß viele Geschäfte vorübergehend sthließen mußten. Auch begannen viele Geschäfte, wieder an dle Säufer nur geringe Warenmengen abzugeben. Be- sonder» heftig ist der Andrang aus die Lebensmittelge- schäfte. Mehrfach verlangten die Kaufleute bereits dle De- Zahlung in ausländischer Valuta(l). Die starke Venn- ruhigung. von der die gesamte Bevölkerung ergrissen ist, findet auch in den Blättern lebhaften Ausdruck.
Der Busgang ües Tifza-Prozesses. Zu dem Todesurteil gegen Keri und dem Zuchthausurteil gegen Gärtner in Budapest schreibt die„Ungar. Korr.": Im Tisza-Prozeß gab es drei politische Angeklagte: Stephan Friedrich, den christlich-nationalcn Demagogen, der als Empor- kämmling den demokratischen Kreisen verhaßt war. Ladislaus Fenyes, der als ehemaliger oppositioneller Abgeordneter den ungarischen Liberalismus verkörperte, und Paul Keri, der ge- wescne Prioatsekretär des Grafen Karolyi, der als Repräsentant der ungarischen Oktoberrevolution auf der Anklagebank saß. Gegen Stephan Friedrich mußte die Anklage mitten in der Beweisaufnahme fallen gelassen werden, einmal, weil seine politische Position, der Nymbus seines Namens und feine Beziehungen zu m a ß g e b e n- den Persönlichkeiten zu stark waren, als daß die Regierung seine Verurteilung hätte wagen können, zum anderen, weil es ihm ge- lungen war, den Beweis dafür anzutreten, daß die Anklage gegen ihn auf einer skrupellos betriebenen ketze einer dunklen, der Familie des ermordeten Tisza nahestehenden Clique beruht. Schon damals war es osfenbar, daß von Rechts wegen nicht nur das Verfahren gegen Friedrichs sondern auch gegen Keri und Fenyes eingestellt werden müßte, da es ja auf demselben Ma- terial beruhte wie gegen Friedrich. Trotzdem wurde der Prozeß fortgesetzt und hat nunmehr zu der Verurteilung Keris zum Tode geführt. Fenyes mußte freigesprochen werden, weil seine Verurteilung im jetzigen Augenblick, wo das bestehende Regime in Ungarn durch inner- und außenpolitische Konflikte ohnehin einer starken Belastungsprobe unterworfen ist und die liberalen Ideen wiederum merklich an Boden gewinnen, einen zu großen Sturm der öffentlichen Meinung erregt hätte. Keri aber wurde für schuldig erklärt: durch seine Verurteilung soll indirekt der Graf Michael karolyi und dle ungarische Oktober-Revolution an den Pranger gestellt und mit der Blutschuld des Tiszo-Mordes belastet werden. Das Todesurteil konnte um so leichter gefällt werden, als eine Voll- streckung ohnehin nicht in Frage kam. Ken, der in einem früheren Verfahren wegen Teilnahme an der Räterepublik zu zehn Iahren Zuchthaus verurteilt worden ist, befindet sich nämlich auf der Liste der an Rußland auszuliefernden politischen Gefangenen. Der mitoerurteilte G S r t n e r ist nachgewiesenermaßen am Tage des Mordes in der Villa des Grafen Tisza gesehen worden. Seine Verurteilung hat keinen politischen Charakter und besitzt immerhin »ine gewiff» auf Tatsachen begründet« Berechtigung.
Saargebiet und Völkerbund. Passive Resistenz der Saarregierung. Saarbrücken , 8. Oktober. (WTB.) Die Meldungen über die Tätigkeit der saarländischen Delegation in Genf werden hier vor- läusig abwartend aufgenommen, da ein positives Resultat nicht erzielt worden ist und da die der Caarregierung zur Weiterleitung übergeben« Denkschrift noch nicht in Genf eingetroffen ist. Ein sofortiges Ergebnis erwartet man um so weniger, als es kaum wahrscheinlich ist, daß sich der Bölkerbundrat noch vor Schluß dieser Sesiion mit dem Saargebiet— seiner Schöpfung!— beschäftigen wird. Zu der Denkschrift schreibt die„V o l k s st i m m e"(SPD .): „Die Saargebietsdelegation hat nach Genf eine ausführliche Denk- schrift mit auf den Weg genommen, welche außerdem der R e- gierungskommission mit dem Ersuchen zugeleitet war, die Denkschrift dem Bölkerbundrat amtlich zu übermitteln. Diese Ueber- reichung an die Regierung hat die Regierungstom Mission bis zur Abreise der Delegation von Genf noch nicht vollzogen. Die Delegation war daher nicht in der Lage, offiziell vom Völkerbund - rat geHort zu werden. Sie hat sich auch nur auf die n i ch t a m t- l i ch e Ueberreichung der Denkschrift an die einzelnen Abordnungen des Völkerbundrates und auf private Unterredungen beschränken müffen." Saarbrücken , 8. Oktober. (WTB.) Die Direktion der Saar - gruben hat die Arbeiterorganisationen davon in Kenntnis gesetzt, daß am Montag, den 10. Oktober, die zweite Feierschicht für diesen Monat eingelegt wird. Saarbrücken , 8. Oktober. (DA.) Der Aus kauf des Saar- gebiets durch Dalutäre erweckt rasch zunehmende Empörung.
Die militärischen Sanktionen. Paris , 8. Oktober. (EE.) Offiziell wird bekanntgegeben: Im Laufe des Gesprächs, das der deutsche Botschafter Dr. Mayer bei seinem gestrigen Besuche bei Briand mit diesem führte, legte der deutsche Botschafter die gegenwärtige Situation Deutschlands dar. Ohne dabei ein posittves Ersuchen um Aufhebung der mili- tärischen Maßnahmen auszusprechen, äußerte der deutsche Botschafter, daß die Durchführung einer solchen Maßnahme auf die deutsche Oeffentlichkeit eine glückliche Rückwirkung haben würde.
Der deutsch -amerikanische Jriedensvertrag. In seiner Donnerstagsitzung nahm der Reichsrat Kenntnis da- von, daß der Reichstag den deutsch- amerikanischen Frie- densvertrag unverändert angenommen hat. Nachdem nun- mehr auch diese Formalität erledigt ist, kann der Vertrag amtlich veröffentlicht werden und damit Gesetzeskraft erlangen. Der Beschwerdeausschuß für Zeitungsverbote wird künftig aus zwei Senaten des Neichsrats zusammengesetzt sein, die je sieben Mitglieder und je sieben Stellvertreter haben. Der erste Senat soll zuständig sein für Entgegennahme von Beschwerden und der zweite zur Entscheidung von Meinungsverschiedenheiten, die zwischen dem Reichsministerium des Innern und den Landeszentral- behörden über Zeitungsverbote entstehen. Nach der abgeänderten Verordnung des Reichspräsidenten ist bekanntlich der Reichs- ratsausschuß als entscheidende Instanz bei solchen Meinungsver- fchiedenheiten eingesetzt. Angenommen wurde der Entwurf einer Anordnung an die Landesfinanzämter zur Beseitigung von Doppelbesteue- rungen im Verhältnis zum Sayrgebiet. Danach bleibt Ein- kommen, das ein Steuerpflichtiger im Saargebiet hat, von der Be- steuerung im übrigen Deutschland frei. Diese Bestimmung findet auch auf nichtphysische Personen entsprechende Anwendung. Angenommen wurde noch ein Gesetzentwurf, wonach auch die Vertrauensmänner für die Auswahl von Schöffen und Ge- schworenen eine Entschädigung beziehen werden.
Zeilungsverbot. Wegen des Artikels vom 18. September mit der Neberschrift„Eine Abwehr des Weimarer Bürgerbundes" ist die „Thüringische Landeszeitung " vom S. bis 9. Oktober verboten worden. Mißkrauensvolum gegen einen versaffttngsseind. Der Kreistag des Landkreises stamm nahm gestern mit den Stimmen der ge- samten Linksparteien einen Antrag an, der dem Landrat Schulze- Pelkum das Mißtrauen ausspricht und seinen Rücktritt ver- langt. Der Antrag soll dem Minister des Innern unverzüglich zur Kenntnis gebracht werden. Zur Begründung wurde auf verschiedene verfassungsfeindliche Aeußerungen des Landrats sowie auf seine Be- strebungen zur Bewaffnungder Landbevölkerung hin- gewiesen. ver neue polnische Gesandte vr. v. INadeysN ist vom Reichs- Präsidenten zur Entgegennahme seines Beglaubigungsschreibens emp- fangen worden. Der Reichsminister des Auswärtigen war zugegen. Zur Russenhilfskonserenz in Rußland «».sendet Deutschland den Legationsrat stauschild.— In einem Bericht vom 26. September teilt Prof. Mühlens mit, daß die stilfsexpedition des deutschen Roten Kreuzes in Petersburg von Vertretern der Regierung, des russischen Roten Kreuzes, der Aerzteschaft, sowie der Gewerkschaften, a u f d a s sterzlich sie empfangen wurde. Dem Wunsche des russischen Roten Kreuzes gemäß wird sich die Expedition zunächst in das am schwersten heimgesuchte Gebiet des Gouvernements Kasan begeben, um von dort aus auch die Wolga -Distrikte zu bereisen. Die Aus- rüstung des Sanitätszuges ist nahezu vollendet, so daß er spätestens am 19. Oktober von Petersburg abgehen kann.
die kleinen Etats. Im Preußischen Landtag beantragte am Donnerstag Abg. Dr. Weyer(Komm.) für die Opfer in Oppau L Millionen Mark zu bewilligen, deren Deckung durch Kürzung der Ausgaben für die Schutzpolizei erfolgen soll, ferner zur Linderung der stungersnot in Rußland 20 Millionen Mark. Da beide Anträge, die auf Wunsch Dr. Meyers sofort auf die Tagesordnung gefetzt werden sollten, nicht gedruckt vorliegen und außerdem Widerspruch gegen die sofortige Beratung erhoben wird, sind sie zunächst erledigt. stierauf wird die zweite Beratung des standels- und Gewerbe- etats in Verbindung mit der Großen Anfrage der Kommunisten über die Stillegung der stöchster Farbwerte fortgesetzt. . Abg. knokh(Komm.): Es ist nicht wahr, daß der Betrieb in den Lsunawcrken ohne Gefahr für die Arbeiter ist. Das dortige Akkordsystem ist dasselbe wie in Oppau und folglich ist es auch möglich, daß in Leuna dieselbe Katastrophe sich ereignet. Abg. Ulmer(U.Soz.): Eine Revision des Frledensoerlrage« halten auch wir für notwendig, um aus den wirtschaftlichen Schwierigkeit� herauszukommen. Eine Verbreiterung der Koalition nach rechts wird aber diesem Ziel kaum zuträglich sein. Die erneute stehe der Rechten gegen den Achtstundentag beweist, wie sehr die Reaktion in den letzten Wochen wieder oben- auf ist. Ein ernsthaftes Attentat auf den Achtstundentag bedeutet den Bürgerkrieg. Den Vertretern der freien Gewerkschaften muh im standelsministerium ein größerer Einfluß eingeräumt werden. Einen Ausbau der deutschen standelsflotte wünschen auch wir, aber nicht die Benennung neuer Schiffe mit den Namen von reaktionären Feldherren und Staatsmännern, stinsichtlich der R e g i e r u n gs- Umbildung haben wir das berechtigte Verlangen, noch vor dem 18. Oktober zu erfahren, wie der Wind weht. Wir haben es
nicht nötig, in der Regierung zu sitzen, wenn die Arbeiterschaft rn sich geschlossen ist.* Der staushalt des Handelsministeriums wird bewilligt, ebenso die 5 Millionen zum Ausbau der Fach- und Fortbildungs- schulen in leistungsschwachen Gemeinden: die Summe zur Förde- rung der nicht gewerbsmäßigen Arbeitsvermittlung und der Berufs- beratung wird auf 1 Million erhöht, für die Messen in Breslau , Köln , Frankfurt a. M. und Königsberg werden je 2H Millionen und als Zuschüsse für die Neueinrichtung von staushaltungsschulen ö Millionen in den Etat neu eingesetzt. Ferner wurde angenommen ein kommunistischer Antrag, solange die Einheitsschule nicht ver- wirklicht ist, das Fachfortbildungs- und Gewerbeichulwescn weiter auszubauen. Abgelehnt wird dagegen die Unentgeltlichkeit der Schulen und Lehrmittel. Die Anträge des stauptausschusses werden angenommen. Danach sollen z. B. � mehr Fraueu in der Gewerbeverwaltung beschäftigt werden: ein Vertreter des Handwerks soll als Referent ins Ministerium berufen werden, wo auch ein Beirat aus Vertretern der wirtschaftlichen Kreise zu errichten ist. Die Handelshochschule soll das Promotionsrecht(vr. commereialis. Red.) erhalten. Die Nebenarbeit gewerblicher Arbeiter ist zu bekämpfen, der Hafen von Emden wetter auszubauen. Bei der zweiten Beratung des Haushalts der MünZverwaltung wendet sich Abg. Müller- Breslau(Soz.) gegen die Verwendung des preußischen Adlers auf deutschen Münzen. Die scharfen Krallen des Raubvogels haben Deutschland ins Unglück gestürzt. Als Republikaner haben wir dafür zu sorgen, daß solche fluch- würdigen Symbole verschwinden.(Lebh. Entrüstungsrufe rechts.— Sehr richtig! b. d. Soz.) Der Haushalt wird bewilligt, ebenso der Haushalt der P v r- zellanmanufaktur unter Erhöhung der Summe von 29 009 Mark auf 199 999 M. für Erweiterungsbauten. Abg. Meyer- Rheine(Soz.) verlangt Aufbesserung der hochqualifizierten Arbeiter. — Zum Haushalt des Gesetzsammlungsamtes führt Frau Dr. Wegscheidel(Soz.) aus: Der„Reichs- und Staats- anzeiger" hat noch immer einen nichtamtlichen, offiziösen Teil, den eine parlamentarische Regierung nicht mehr braucht. Die Regierung sollte für einen musterhaft objektiven Parlamentsdienst und zur Unterstützung ihrer Wirtschaftspolitik für einen unabhängigen antt- lichen Wirtschaftsdienst sorgen. Zum Haushalt der Lottenevenvaltung beantragen Zentrum, Sozialdemokraten und Demokraten, die Prä- sidentenstelle künftig wegfallen zu lasten. Ein kommunistischer An- trag fordert Einstellung der Lotterie, zum mindesten Verwendung der Uebcrschüsse nur zu Wohltätigkeitszwecken. Abg. Richter-Neumünstcr(Soz.): Durch die Annahme des kom- munistischen Antrages würde die Spielwut nun in noch schlimmere Bahnen gelenkt werden. Es ist ein Skandal, daß in der Lotterie- Verwaltung an so vielen Stellen noch das Wort„Königlich" prangt. Ein Regierungsvertreter weist darauf hin, daß eine moralische Einwirkung in dieser Hinsicht zwecklos sei, daß aber Preußen auf die 2 Millionen Mark Einnahme nicht verzichten könne. Der gemeinsame Antrag wird vis zur dritten Lesung zurück- gestellt, der kommunistische Antrag abgelehnt und der Haushalt ge- nshmigt. Freitag 11 Uhr: Kleine Dorlazen, Rest von heute. Schluß 7 Uhr._
Wivtfdyaft Ausnutzung der Konjunktur bei KapitalerhShnnge». Wieder- holt ist geschildert worden, wie die Aktiengesellschaften bei Kapital- erhöhungen ihre neuen Aktien so billig ausgeben, daß die Aktienausgaben zu einem glänzenden Geschäft für die Aktionäre werden und Kapitalsvcrwästerungen eintreten. Daß es nicht not- wendig ist. Rechte auf den Ertrag der Produktion erheblich unter ihrem Wert zu verschleudern, dafür liefert jetzt die A.-G. Reiß u. Martin ein Beispiel. Dies« erhöht ihr Kapital von 1 auf 2% Millionen Mark und behält davon zunächst eine halbe Million für sich. Die übrige Million wird den alten Aktionären zu 43 3 Proz. angeboten, die Gesellschaft erhält dafür selbst 42S Proz. Während also alle anderen Unternehmungen, die neue Aktien zum Parikurse herausgeben, nur soviel Betriebskapital bekommen, wie dem Nennwert der Aktien entspricht— bei obigem Beispiel wäre es 1 Million Mark—. fällt der Gesellschaft hier ein Betrag von 4,23 Millionen Mark zu, wovon 3,23 nach dem Handelsgesetz- buch dem Reservefonds zufließen würden. Auf diese Weise wird aber die Gesellsschast von der Pflicht enthoben, die zur Ncubeschaf- fung von Proouktionsmitteln notwendigen Rücklagen übermäßig auf Kosten der Preisgestaltung zu erhöhen. Mit anderen Worten: Sie kann, wenn sie will, billiger produzieren oder ober ihr Werk mit dem erzielten Aufgeld weiter ausbauen. Am Rande versteht sich, daß auch diese Kapitaler höhung noch ein gutes Ge- schäft für die bezugsberechtigten alten Aktionäre wird. Gelten doch die Aktien des Unternehmens heute nicht 433, sondern 1399 Proz. Man wird aber der Gesellschaft zugute halten können, daß die Kurse noch am Jahresanfang um 399 standen, um erst später derart hinaufzuschnellen. Immerhin ist diese Art der Kapitalaufnahme volkswirtschaftlich weit klüger als etwa die außer- ordentlich leichtfertige Kapitalverwässerung, wie wir sie z. B. bei der Sarotti-A.-G. kritisiert haben und die jedem Aklionär nicht Hunderte, sondern Taufende von Prozent an Sondergewinnen ein- bringt zum Schaden der Verbraucher, die diese Gewinne mit hohen Preisen bezahlen müssen. Erhöhung der StickstosfdüngemUlelpreise. Die Regierung hat eine Erhöhung der jetzt geltenden Preise für Stickstofsdüngcmittel verfügt, und zwar um 29 Prozent für Kali st ick st off, Ammoniak- dünger und Ammonsalpeterdünger, während der reine Natron- salpeter im Hinblick aus seine wesentlich höheren Gestebungskosten «in« Preiserhöhung von 37 Prozent erfahren hat. Nach dieser Preiserhöhung ist der Stickstoffdünger bei dem heutigen Markkurs in Deutschland halb so teuer wie im Ausland. Denlschland» Vierverbrauch. Im Gebiete der Biersteuergemein- schaft des Reiches sind im vorigen Jahre 23,3 Millionen Hektoliter Bier erzeugt worden. Auf den Kovf der Bevölkerung kommen allo danach jährlich 38 Liter Bier. Im Jahre 1913 sind im deutschen Biertteuergebiet 69,2 Millionen Mark oder 193 Liter pro Kopf der Bevölkerung erzeugt worden. Daraus ist zu ersehen, daß der Bierverbrauch in Deutschland ouf rund ein Drittel der Bor- kriegszeit gesunken ist. Diese„Ernüchterung" Deutschlands kenn- zeichnet die geschwundene Kaufkraft der Bevölkerung. Die Genuß- güter des einfachen Mannes werden für immer mehr Menschen un- erschwinglich. Ein Protest des Relchslandbundes. Zur selben Zeit, wo der Reichslandbund gegen den Vorwurf der Brot Verteuerung mit fadenscheinigen und absolut unzutreffenden Gründen mit großen Plakaten zu Felde zieht, wehrt er sich gegen eine Verfolgung des Kartoffelwuchers. Die Landesregierung von Braunschweig und die Landräte des Regierungsbezirks Stade haben Verfügungen erlasicn, durch die sie die Ueberschreitung der Kartoffelpreiss von 33 bzw. 49 M. mit Einleitung eines Wucher st rafverfahrens in jedem Einzelfall bedrohen. Der Rcichslandbund richtete darauf- hin Telegramme an das Reichsministerium für Ernährung und Landwirtschaft und den Preußischen Staatskommissar sür Volks- crnährung, in der er gegen die genannten Verfügungen Ein- spruch erhebt. Dieser Protest zeigt, daß der Landbund sich offen schützend vor den Wucher ste.llt, an dem er sonst gern seine Mitschuld bestreitet.