Die preußischen Seamten am I.Nai. Entsprechend dem Beschluß des preußischen Staatsmini- steriums hat nun auch das preußische Justizministerium fol- gendes angeordnet: Beamte, Angestellte und Arbeiter, die zwecks Teilnahme an der Feier des 1. Mai dem Dienst oder der Arbeit fern- bleiben wollen, haben rechtzeitig bei ihrem Dienstvorgesetzten um Befreiung vom Dienst nachzusuchen. Solchen Anträgen ist grundsätzlich überall insowest zu entsprechen, als da- durch die notwendige Fortführung des Dienstbetriebe» nicht in Frage gestellt wird. Bei der Entscheidung über derartige Ge- suche soll nicht engherzig verfahren werden. Die hiernach beantragte und bewilligte Freizeit ist bei Be- amten und Angestellten auf den Erholungsurlaub anzurech- nen. Das gleiche kann auf Wunsch bei Arbeitern geschehen. Wird von Arbeitern jedoch nicht ausdrücklich um Anrechnung auf den Erholungsurlaub nachgesucht, so wird gemäß% 29 letzter Absatz des Manteltarifvertrages vom Z. Dezember 1921 für die Dauer der Arbeitsversäumnis Lohn nicht gewährt.
Zromme verleumüermethoüen. Aus dem Bureau desReichspräfidenten geht dem United Telegraph folgende Mitteilung zu: t. Der.Reichsbote" schreibt in einem Artikel.cherr Ebert als Reichspräsident und Kandidat", der ehemalig« Abgeord- nete Ebert habe am 23. Oktober 1918 folgende Rede gehalten: .Wir Sozialdemokraten bekommen jetzt Macht, wir müssen sie ganz bekommen. Das Ziel langer Jahre steht numnehr vor der Tür. Was schiert uns die Not des Landes als Ganzes. Meuterer sollen begnadigt, jeder, der unsere Haltung öffentlich mißbilligt, soll bedroht und oerfolgt werden. .Der Tag der Abrechnung naht, nichts soll ihnen erspart bleiben!" Tatsache: An dieser wörtlich angeführten Rede ist kein Loch- stab« wahr. Ebert hat an diesem Tag« gar nicht gesprochen, wohl aber am 22. Oktober 1918, wo er ausführte: .Nur ärgste demagogisch« Verlogenheit kann behaupten, daß die Demokratie durch Preisgabe deutschen Lande« »der auf Kosten der Interessen des deutschen Volkes zur Macht gelangen wollte: Tatsache ist, daß sie die Macht ergreifen mußt«, weil nur sie noch imstande ist, Deutschland zu retten." 2. Der.Reichsbote" schreibt, der Reichspräsident habe beim Empfang de» Nuntius gelegentlich eine» Gartenfeste« diesen mit dem Hute in der Hand«ndienert, vis der Nuntius ihn endlich bat. sich zu bedecken. Tatsache: Der Reichspräsident hat den Nunüu« nie aus einem Gartenfest gesehen, noch zu einem solchen geladen, so daß die .deschämende" Szene nie stattfinden konnte. 3. Der.Reichsbote" schreibt, der Reichsprüfldent habe in der zweiten Dezemberhälste 1921, unmittelbar nach scharfen und ablehnenden Erklärungen der Ententemächte ein diplomatische» Fest- essen gegeben, zu dem auch die Vertreter dieser Mächte geladen ge» wesen seien. Tatsache: Der Reichspräsident hat am 1. Dezember 1921 da« diplomatische Korp« zum Essen bei sich gesehen. Tin Blick in den Geschichtstalender lehrt, daß kein auhenpolitlsche» Ereignis von Tragweite diesen Tag ungeeignet erschei- nen ließ. 4. J)»t.Seichsbote* schreibt, unmittelbar nach?mp- sang der Reparotionsnot«, am 2. Februar 1921, Hab« beim Reichs- Präsidenten «in Empfang und ein Lichtbildervortrag über oerschie- den« Dölkertypen stattgefunden, zu welchem die Marseillais« und Gack«are the King gespielt worden seien. Tatsache: Am angegebenen Tag hat bei einem parlamen- tarisch«, Bierabend Professor Doegen seinen bekannten Dortrag über in Deutschland. kriegsgefangene Völker" gehalten, weder bei dieser noch bei irgendeiner anderen Gelegenheit sind die genanalen Volkshymnea gespielt worden. Niemand verleumdet besser al» die Leute, die zehnmal pro Tag lehren:„Du sollst nicht falsch Zeugnis ablegen wider deinen Nächsten."
Sriefe öeutsther Gemeinheit. Der Leitartikler der.Deutschen Zeitung", ein Ausländer namens Otto v. Schillina, beginnt seine Wochenschau vom Sonnabend mit folgender Mitteilung: von einer Süddeutschland schändenden Ententekommlsflon wird berichtet, sie habe sich veranlaßt gesehen, die täglich gegen Judaslohn von Deutschen wider Deutsche erfolgenden Angebereien aktenmähig zusammenzufassen. Die Mappen dieser von schmutzigen Derleum- düngen strotzenden Sammlung habe die Kommission mit der Auf- schrift.l-ettre« de canaille" versehen....I-ettres de canallle" heißt im vorliegenden Falle frei, aber sinngemäß übersetzt: Briese deutscher Gemeinheit". Und wenn auch aller Wahrschein- lichtest nach drei Viertel der Schurkenbriefe nicht von Deut- s ch e n geschrieben sind, sondern bloß in deutscher Sprache, trotzdem bleibt als unser aller Schuld nach, daß wir nicht imstande find, solche Nichtswürdigkeiten im eigenen Lande zu ver- hindern. Nachdem Herr Otto v. SchMing sich dermaßen über An- gebereien von Deutschen wider Deutsche entrüstet hat, bespricht er andere Dinge, und man stößt im zweiten Teil des gleichen Artikels auf folgende Stelle: Ententen eugi erde könnte fragen, wie es möglich gewesen ist, daß die Erwerbslosenfürsorge allein in Berlin-Mitte im Jahr« 1921 für Fahrgelder und Automobilgestellung 4S0 000 M. ausgegeben hat und nachher um weitere Mittel einkommen mußte, da diese Summ« nicht gereicht habe. Nicht einleuchten wird auch den Ententebeamten. daß die.Zentrale für Heimatdienst" im Jahre 1921 drei Millionen Mark Reichsgelder zur Unterstützung des Zentrums, der Demokrati - schen Partei und der Sozialdemokratie bei den Reichstagswahlen verausgabt hat. Nach dieser Probe von Denunziatwnseifer dürfte aller- dings jedem Leser klar sein, wie er sich den Inhalt der„Briefe deutscher Gemeinheit" im einzelnen vorzustellen hat. Es wird aucb verständlich, warum der Ausländer Otto v. Schilling be- tont, daß diese Briefe.in deutscher Sprache, aber nicht von Deutschen " abgefaßt seien.____ Sorgen der Seamten und Staatsarbeiter. In den Verhandlungen der gewerkschaftlichen Spitzenorgcmi- sationen vom 24. und 25. April sind die Forderungen für die Be- amten und Angestellten und Arbetter zum Abschluß gebracht worden. Am 28. April ist der Reichsregierung und sämtlichen Reichsmfrristerien nachfolgendes überreicht worden: .Di« seit Inkrafttreten der neuen Gehalts- und Lahnfätz« zu oerzeichnende Preissteigerung macht«w« abermalige Er- h ö h u n g der Bezüge der Reichs-, Staats- und Gemeindebediensteten notwendig. Wenn auch die letzte Revision des Besoldungsgesetzes nicht alle grundsätzlichen Wünsche der Organisationen erfüllt Hot, so sind diese doch übereinstimmend der Ansicht, daß die jetzige Maßnahme lediglich den Charakter eines Teuerungsausgleichs haben sollen und infolgedessen die grundsätzlichen Fragen des Bssoltnmgs- und Lohn- systems jetzt nicht aufzurollen sind. Die notwendigen Zulagen sind daher in der Form derErhöhungderTeuerungszulagen zu gewähren. Was die Höhe der Zulc�en betrifft, so ist zu berück- sichtigen, daß unter schätzungsweiser Cinrechnung der im April vor sich gegangenen Preisstoigerungen die Kosten der Lebenshaltung selbst unter Berücksichtigung eines sogenannten Berelendungsfaktors für die der Reichsteuerungsstatistik zugrunde liegende unzureichend« Nach- kriegsration sich seit Oktober um etwa 133 Proz. erhöht haben. Eni- sprechend ist das Einkommen eines Beamten der Gruppe 3 gegen- über der Oktoberregelung zu erhöhen. Bon diesen Erwägungen ausgehend, kommen die nnterzeich- neten Spitzenvrganifationen zu folgenden Forderungen und ersuchen die Regierung, mst ihnen in Verhandlungen hierüber einzutreten. Für die Beamten, Beamten im Vorbereitungsdienst, Diätare und Pensionäre: 1. Der allgemein« Teuerungszuschlag zu Grundgehalt, Ortszuschlag und zu den Kinderzuschlägen ist aus 80 Prag , zu er- höhen. 2. Der bisherig« Sonderzuschlag aus die ersten 10 000 M. ist in der Weise zu verändern, daß aus die ersten 15 000 M. eben- falls 80 Proz.(Kapfzuschlag) gewährt werden. Für die Angestellten: Die sich an» der Maßnahme zu A, ergebenden Beträge sind aus den
Tarifvertrag der AngesieMen entsprechend zu übertragen. Für die Arbeiter ist eine Lohnerhöhung zu gewähren, die im finanziellen Effekt der vorstehend geforderten Erhöhung der Teucrungszuschläg? für die Beamten entspricht. Hieraus ergibt sich eine Durchschnitts- lohnerhöhung von 5 Mk. für die Stund«. Gemeinsame Forderungen: Die Gehalts- und Lohnerhöhungen sind mit Wirkung vom 1. Mai ab in Kraft zu setzen. Den An- gestellten und denjenigen Beamten, die ihre Bezüge nachträglich er- halten, sind die Teuerungszuschläge spätestens bis zum 15. jeden Monats zu zahlen." Waffenfund in Schmargendorf . Di« Polizei hatte erfahren, daß im Hause KolbergerPlatz2 in Schmargendorf größere Mengen von Wösten und Munition lagern sollten. Gestern vormittag begaben sich mehrere Beamte dorthin und fanden in einem großen Kellerraum, in welchem auch Möbel aller Art untergebracht waren, große Mengen von Waffen und Munition. Der Besitzer des Hauses gab an, daß er diesen Raum an einen Kaufmann K u h n o w vermietet>habe. Als sich Beamte nach dessen angeblichen Wohnräumen begaben, wurde ihnen gesagt, daß dort ein Kaufmann Kuhnow weder wohne, noch gemeldet sei. Im Keller- räum fand man elf Kisten mit je vierzig Karabinern, zwei Kisten mit Fernschießgeräten, 153 Kisten mit je 50 Stück 7,7-Zentimeter-Kar- tuschenhülsen, 17 Kisten mit Handgranatenstilen, 1 Kiste mit 13 Tram- mein Maschinengewehrmunition, 1 Kiste mit Maschinengurten, gesülll mit Patronen, 2 Kisten mit je 10 000 Schuß Infanteriemunition und 23 Kisten mit Apparaten aller Art. Die gesamte Munition wurde zunächst nach der Westendlasern« gebrocht und wird der Reichstreu- handgefellschaft zur Vernichtung übergeben werden. Man nimmt an. daß unter den Möbeln noch weitere Wösten» und Munitionsbestände versteckt sind._ Landbund und Landarbeiterstreik. Die Landbündler und ihre Presse ziehen alle Register, um die Reichs- und Landesbehörden Ihrem Willen gefügig zu machen. Grausige Mordgeschichten, verübt von Streikenden, erfinden die sonst nicht so phantasiebegabten Soldschreiber und drahten sie in die Welt. Allerdings hätten die Streikenden allen Anlaß, sich gegen die unverschämten Provokationen de« Landbundes zur Wehr zu setzen. Erst lehnten die Unternehmer jede Derhand- lung mit den organisierten Landarbeitern ab. Sie erklärten in aller Offenheit, daß s i e d e n K a m p f w o l l e n und ihn auch aus- tragen werden. Das Arbeitsministerium versuchte Verhandlungen anzubahnen. Die Unternehmer lehnten schroff ab. Die übelsten und berüchtigsten Streikbrecher werden herangezogen. Die ehemaligen Baltikumer, die Roßbach-Helden, die..Kräfte' au« der„Palme" in der Fröbelstraß«, sie alle werden nach Mecklenburg- Strelitz transportiert, um den Streikender, in den Rücken zu fallen. Dies«„Nothelfer" erhalten weit höhere Löhne als die Streikenden je zu fordern wagten. Weiter: die Unter- nehmer verlangen von der Reichs- und Landesregierung, sie solle die Bestellarbeit al» Notstandsarbeit erklären. Dann solle die Technsche Nothilfe eingesetzt, die Gen- d a r m e r i e mobilisiert und die Reichswehr w das Streikgebiei beordert werden. Wenn die Regierung blind der Iunkerparole iolgi, dann kann der Streik niedergeknüppelt werden und mit ihm dir Organisation. So die Unternehmerlogik. Nun steht die Regie- r u n g den Dingen aber sachlich und kritisch gegenüber und prüft die Beschuldigungen, um bald festzustellen, daß die MordgeschickUen erfunden sind. Streikbrecher fühlen sich zur Arbeit nicht berufen! Sie sind„nationale Erwerbslose" und so organisiert. Mit ibrer Hilfe wird die Bestellarbeit nicht verrichtet. Da» ausgeworfene Geld ist umsonst verton. Die Streikenden� stehen bis auf einige Ausnahmen geschlossen zusammen. Sie führen einen schweren Kampf für die Tarifgemeinschast. Mecklenburg -Strclitz ist zur Operationsbasis des Pommerfchen Landbundes geworden. Beherrscht von einem größenwabnsinniaen Machtsimmel, wollen die Junker die Lohn- und Arbeitsbedingungen einseitig diktieren. Auch die Regierungen betrachten ste nach wie zu Serenissimi Zeiten als ihre Angestellten, die ihren Be- fehlen zu gehorchen haben. Die Zeiten sind vorbei. Die Herren haben den Kampf gewollt. Sie sollen ihn haben! Die Arbeiter werden sich durch kein« Provokation weder von ihrem Wege noch Ziel« abbringen lassen. Sie werden ihn unbcirri gehen. Da» Recht ist auf ihrer Seit«. In Aachen ist infolge der Verwundung eine, belgischen Unter. offiziers durch einen Ziegelstein der Verkehr in den Straßen nach 10 Uhr abend»» n t e r s a g t.
Mai-Reöe. Bon Artnr Zicklee. Run kommt wieder ein heller Mai. Neb « Genosienl ver grau« Winter ist»n, viel schuldig gebliebe«— mm wollen wir Bäume, Blume« und weiße woffeu IM« und fröhlich sein, munter and unverdrvsseä. wir wolle« die engen, häßlichen Häuier verlasiem draußen«artet sprießende» Land, alle Vögel fingen. r» weht ein herrlicher wind und die Knospen spring«»: wir wollen den Frühling wie ein schöne, Mädchen umfasse«! Wir dürfen dabei nicht unser« Fahnen vergesse«, die saugen die Sonn« und werden flammend erglühen und wie die Bäume und Blume« im strahlenden eicht« blühe» fle rauschen dem Leben die seligsten Messe». Dieser log ist unser, der prächtigste Tag im Jahr«, den seiern in allen Ländern die Frohen und Freien, die sich dem Bund« der schassende« Arbeit weihen. daß er die Völker znm Weltvolk schare. Denn unser Herz ist größer al» alle valertüader, wir lieben den friedlichen Menschen und sein« würde. Nach kreisen die Wölfe um unsere Hürde, noch flirren die Waffen der Freiheitsschänder.— Doch e» werden wie winterlich Eis zerrinne«. die den Völkern die Gräber de» Kriege» gegraben. wenn sich die Gerechten gefunden haben und wie ein Mailag zn leuchten beginueni
Meine erste Maifeier. Bon Karl Germer . Etwa dreißig Jahre mag es her sein, nicht lang« nach dem Fall de« Sozialistengesetzes, als ich,»in Kiek-w-die-Welt, der feine sechs bis sieben Sommer leicht trug, mit meinem Vater und einigen wenigen Sozialdemokraten den ersten Mai feierte, d. h. ich war zum ersten Male aktiver Demonstrant. Selbstverständlich erregte ich, aeschmückt mit einer großen roten Schleif«, besonderes Aufsehen, und Aeußerrmgen wie:„Seht doch den Knirp», in welchem Zuchthau» wird der noch enden?" usw. hasten noch in meiner Erinnerung. Die Bürger von damals sahen in federn Sozialdemokraten einen Berbrecher, oder wenigstens einen, der mit dem Teufel im Bund« steht. So entsinne ich mich noch genau der Abend«, wo ich mich mit meinen Altersgenossen in irgendeinem stillen Winkel zusammenfand und man sich gruselige Geschichten erzählte. Die Sozialdemo. kraten spielten in diesen Erzählungen«ine große Roll«. Schon der Rom « genügte, um meinen Freunden einen Schauder nach dem anderen über den Rücken zu jagen.
Man«zählte unter anderem, daß die Sozialdemokraten jeden ersten Mai in ihrer„Kirche" zusammenkämen. Die Kirchentür würde dann zugenagelt und all« Sozialdemokraten oerwandelten sich in leibhaftige Teufel. In der Kirche würden schreckliche Tänze auf- geführt, ein Teufel nehme den anderen beim Schwanz und die ganze Gesellschaft fluch« dabei fürchterlich. Der oberste Teufel nehme«in große« Stück Papier und schreibe alle Flüche auf. Während die anderen noch tanzten, oerbrenn« er da» Papier , wobei er entsetzlich auf den lieben Gott schimpfe. Dann werde die Asch« des Papiers zu seinem Staub zerrieben, von dem jeder Teufel«in Häuflein er- halte. Auf einen Totenschädel und zwei gekreuzte Dolche schwöre dann seder Teufel, etwa» von dem Staub mindesten» einem Mit- menschen in die Suppe(es könne auch Kaffee oder Bier fein) zu tun. Und im nächsten Jahr« würde dieser Mensch dann auch So. zialdemokrat sein. So erzählte mein Freund, während allen anderen die Zähne angenehm klapperten. Und die Geschichte war wahr, buchstäblich wahr. Denn fem Kaplan hatte sie in der Schule erzählt und der würde doch nicht lügen? Alle meine Beteuerungen, die ganze Erzählung sei nicht» al» Schwindel, ja, meine Behauptung, ich müßt« das wissen, denn mein Dater und ich feien auch Sozialdemokraten, fruchteten nicht». Aber ich wollte meinen Freunden schon zeigen, wa» ein Sozialdemokrat warl Als der Festtag da war und ich am frühen Morgen(die Schule wurde selbstverständlich geschwänzt) mein« Kollegen, die auf dem Wege zur Schule waren, Revue passieren ließ, merkte ich schon cm ihren Gesichtern, daß sie mich als Sozialdemokraten anerkannten. Natürlich ahnte ich am Morgen noch nicht, zu welcher Größe mein Ansehen wachsen würde. Meine Baterstadt, die Kanonenstadt Essen seligen Angedenkens, zählte zur damaligen Zeit zehn bis zwölf Genossen, die sich am Nach- mittag vollzählig einfanden, um für ihre Ideale zu demonstrieren. Natürlich hätten in der Fabrikstadt die paar Leute kew Auf- sehen erregt, wenn nicht ebenso viele rote Schleifen wirtsam geholfen hätten und— was nicht zu vergessen ist— ein Schußinannsaufgebot von sechs Mann, das uns auf Schritt und Tritt folgt«. Am Spätnachmittag, gerade als die Sirenen der Kruppschen Fabriken Feierabend boten, kamen wir zurück. Wir marschierten durch die Fabrik, wo man uns mit großem Hallo empfing. Jetzt erst machte unsere Demonstration Eindruck, und zwar recht nachhaltigen. Tausende Arbeiter begleiteten«n, zum Bersamm- lungslokal, wo der erste Mai auch für die Partei einen erfreulichen Abschluß fand. Freilich sehr zum Leidwesen der Polizei und mancher anderen Leute. Noch am selben Abend traf ich meine Freunde, die mich mtt einer heiligen Scheu empfingen. Ich vertraute ihnen unter Auferlegung der größten Verschwiegenheit(jeder mußte drei Kreuze in seine Hand machen und auf mein abgebrochene» Taschenmesser schwören) an, daß wir am Mittag den Kruppschen Arbeitern alle unsere Teufelspuloer in den Henkelmann gestreut hätten, und nächstes Jahr gebe es ganz sicher schon tausend Sozialdemokraten in Essen . Hühl— wie mich meine Freunde bewunderten. Bei allen Streichen hörte man nur noch auf meinen Rat. Und ich— ich war stolz, daß ich einer von den gefürchteten„Roten " war. Nur«in unangenehme» Nachspiel hatte die Sache für mich.
Einer meiner Freund« hatte nicht dicht gehalten und dem Kap' an erzählt, welchen Teufelsschabernack wir bösen Sozi« den Kruppschen Arbeitern gespielt hatten. Es war derselbe Kaplan, der die Lügengeschichte über die So- zialdemokraten verbreitet hatte, der mich nun wegen meiner Lügen. baftigteit schlug. Mag ihm sein Himmel die Sünde vergeben. Ich Hab' es getan: denn er macht« mich, den Sechsjähriaen, zum„Mär- tyrer" für eine heilig« Sache. 3m Leffing-Atuseum wurden am Donnerstag Dichtungen von Alfred Hein vorgetragen. Ich will es gleich vorwegnehmen: Es ist schade, daß der Saal so klein ist, denn es sprach«in Dichter und er verdient, eine große Gemeinde zu haben. Alfred Hein , der unseren Lesern nicht unbekannt Ist, gehört zu den Gestaltern. Wie der Bildhauer au» totem Ton Leben formt, zwingt er das Wort zum Erlebnis. Sein« Welt steigt auf, der Gegenwart entrückt, bewegen wir uns in feiner Landschaft, unter seinen Menschen, so haben wir teil cm seiner Seele. Hein herrscht mit sicherem Griff über die Sprach«. Wo er klingen will, klingt er wie in seinem Marschlied. Wo er Stimmungen schaffen will, macht er heiter oder ttaurig, ollein durch die Kraft der Wort«. Di« Worte jubeln oder weinen. Au» seiner Worttunst strömt Wucht oder Milde, er schafft schöpferisch au« dem Schaß der Sprache wie der Maler au» seinen Farbentuben. Die stärksten Gedichte Hein» erinnern an August Stramm , Albert Chrenstein, Johanne» N. Lecher. Diese jung« Dichtkunst wandelt auf neuen ungewohnten Pfaden. Gewiß ist sie noch nichts Fertiges, geschlossen Darstehendes. Aber sie bedeutet Fortschreiten, Entwicklung. Darum ist st« noch nicht ollen Erlebnis. Der schöpferische Künstler eilt seiner Zeit vorauf. Er ist Wegsucher der Kultur. Di« Zeitgenossen kleben am Alten, bi» sie der Strom endlich packt. Dos alle» bezieht sich allein auf die Form. Hein meistert sie mehr al» den Inhalt. Ein Anklingen an« Lehrhafte stört zuweilen die Reinbeit seiner Gedanken. In seiner Dichtung „Europa , Glück, Untergang und Ewigkeit" strahlt reines Menschentum: aber ci« Anschauung ist manchmal kindlich. Die Skizze„Die Erkennung der Gesichte" ist ein plciti. sches Gemälde. Hein hätte stärker gewirkt, wenn er persönlich weniger vorgetragen hätte. Auch das Sprechen will studiert sein. Al» Ernst Deutsch au» den„Terzinen an die tote I s o t" las, war alle» im Bann des Dichter» und dieses reife» Schauspieler». E. D-r. Ein Buch von Judentum und Judenhetze hat Emil Felden geschaffen. Nicht etwa nur geschrieben, nein, erdacht und erarbeitet. Es hsißt w Anlehnung an eine bekannt« Pogromhetzschrift„D i e Sünde wider da» Volk"(Verlag Oldenburg u. Eo., Berlin ). Die Romanform wurde gewählt, viel bewegtes Menschenleben rollt vorüber, ober da» Buch bringt zugleich ausgiebig«, wissenschaftlich begründete Widerlegung der ontisemittschen Schlager. So wir- kungsvoll ist diese Polemik, daß sie selbst für den politischen Tages- kämpf nützlich fem muh. Denn die Juden, die ihre heiligen Schrif- ten kennen, die sink ja viel zu zurückhaltend, um den Hetzargumenten vom Talmud und vom SchUtchav-Aruch in öffentlicher Rede«nt- gegenzutreten: Nichtjuden aber, die soch« Kenntnis besitzen, sind Gelehrte und steigen nicht in den Tageskampf herab. Denen aber,