Nr. 298 ♦ ZH. Jahrgang
Seilage öes Vorwärts
Vkenstag, Sen 27. Juni 1922
Die?agö hinter öen Möröern.
M öer Iahnöung. Auf Grund vieler Mitteilungen aus dem Publikum wurden gestern zehn Personen nach dem Polizeipräsidium gebracht, unter dem Verdacht, der Organisation C anzugehören und vielleicht mit dem Verbrechen in irgendeinem Zu- sammcnhang zu stehen. Die Abteilung Ja des Polizeipräsidiums hat alle Meldungen und Angaben der Ängehaltenen sorgfältig nach- geprüft. AllezehnhabenihrAlibieinwandsreinach- gewiesen. Auch sonst liegt keinerlei belastendes Myterial gegen sie vor. Weder bei ihnen selbst, noch in ihren Wohnungen wurde irgend etwas gefunden. Eine andere vorläufige Festnahme, die gleichzeitig erfolgte, ist noch nicht erledigt. Der Angehaltene bleibt vorläufig noch in Gewahrsam, weil die Nachprüfung seines Alibi- beweises noch nicht abgeschlossen ist. Verschiedene Meldungen be- sagen, daß dieser Mann am vergangenen Sonnabend vormittag kurz vor dem Mord in einem Automobil vor der Küstriner Str. 23 in Charlottenburg mit einem anderen und einem Chauffeur hielt. Die beiden Insassen zogen sich Lederjacken und Kappen an. Es kam dann noch ein Mann, der einen dunklen Anzug und nach einer An- gäbe eine Marincmütze, nach einer anderen einen Strohhut trug und eine Aktenmappe unter dem Arm hatte. Kurz darauf setzte sich das Auto in Bewegung. Der dritte Mann fuhr noch ein Stück Weges durch die chektorstraße auf dem Trittbrett mit, sprang dann ob und winkte dem Auto nach. Der angehaltene Mann bestreitet jedwede Beteiligung bei dem Verbrechen und auch jeden Zusammen- hang mit der Organisation Consul . Er hat in der letzten Zeit nicht mehr in seiner elterlichen Wohnung, sondern in mehreren Pensionaten gewohnt. Zu der Wagenfahrt behauptet er, daß es sich um einen harmlosen Ausflug gehandelt habe. Mehrere Beamte sind noch unterwegs, um seine Angaben nachzuprüfen. Von dem Ergebnis hängt es ab, ob er in Haft bleibt oder wieder entlassen wird.
Nicht durch die Lust! Vom Luftschiffbau Zeppelin-Staaken wird mit- geteilt: Die gestrigen Abendblätter melden, daß die Mörder Rathenaus in einem Flugzeug von Staaken aus entkommen seien. Dies ent- spricht nicht den Tatsachen. Von der Lloyd-Lufwerkehr Sablatnik sind zwei Flugzeuge, nämlich morgens um 7,4S Uhr eins nach Danzig und um 8 Uhr das zweite nach Bremen aufgestiegen. Von der Deutschen Luftrecderei um 1 Uhr 30 das Flugzeug D74 mit einem Fahrgast nach Hamburg und um 4- Uhr 10 das Flugzeug D 124 nach Dresden mit dem Flugzeugführer Lange. Sämtliche vier Flugzeuge wurden von der Flugpost untersucht. Die vier Flugzeuge waren sämtlich fahrplanmäßig. Nichtfahrplan- mäßige Flugzeuge sind nicht gestartet.
Haussuchung bei öen Deutschnationalen. Gestern(Montag) vormittag hat im Bureau des Landesver- bandes Berlin der Deutschnationalen Volkspartei , Schellingstr. 10, durch ein Kommando von 30 Kriminalbeamten im Auftrag des Oberregierungsrats Weih vom Polizeipräsidium Abt . Ja eine Haus- suchung stattgefunden. Der anwesende Generalseretär Kube ver- langte zunächst Vorweisung eines schriftlichen Befehls und erklärte, falls ein solcher nicht existiere, würde er sich der Haussuchung wider- setzen. Di« Kriminalbeamten zogen sich daraufhin zurück, kamen aber nach kurzer Zeit wieder und erklärten, sie hätten sich telephonisch mit Polizeirat Dr. Ossig in Verbindung gesetzt und von ihm An- Weisung erhalten, die Haussuchung sofort, auch ohne schriftlichen Befehl, vorzunehmen, da Gefahr im Verzuge sei. Darauf stellte der Generalsekretär Kube die Archive zur Verfügung, die durchsucht wurden. Es wurden eine Anzahl Listen und Schriftstücke mitge- nommen, in denen bisher nichts Belastendes gefunden wurde. Auch m der Hauptgeschäftsstelle des Verbandes Nationalgcsinnter Soldaten, die sich gleichfalls im Haufe Schellingstr. 10 befindet, wurde im Laufe des gestrigen Vormittags durch Kriminalbeamte der Ab- teilung Ja des Berliner Polizeipräsidiums eine Haussuchung vor- genommen und das gesamte Aktenmaterial des Verbandes einer Durchsicht unterzogen, die bisher nichts von Bedeutung ergab.
Die Polizei richtet jetzt ihre Aufmerksamkeit besonders auch auf geheime kleine Zirkel, zu denen sich politische Extremisten zusammenzuschließen pflegen. Manche Meldungen, besonders auch von auswärts, vermuten, daß die Mörder Landesfremde sein können. So bezog sich eine Mitteilung auf ein französisches Automobil, das mit der in Betracht kommenden Personenzahl von Leipzig aus- gefahren war. Dieser Verdacht erwies sich jedoch bald als ganz haltlos. Andere Mitteilungen vermuten die Täter in zaristischen Kreisen, denen die Mißstimmung über den Vertrag von Rapallo Veranlassung gegeben habe, Außenminister Rathenau zu beseitigen. Aber auch dafür fehlt bisher jeder Anhalt._ Dokumente nationalistischer Verrohung. Von einer grenzenlosen Verrohung zeugen Mitteilungen aus der Villa des ermordeten Ministers. Die Mutter und ander.' Angehörige des Ermordeten erhalten dort nach dem ruchlosen Ber - brechen ständig unflätige Zuschriften. Rüpeleien ähnlicher Art werden ihnen durch Fernsprecher zugerufen. Die Abteilung I A hat auch nach dieser Richtung hin ihre Maßregeln ge- troffen. Ferner wird uns mitgeteilt, daß, als der Tod des Mi- uisters in einem in der Neustädtischen Kirchstraße befindlichen S y n- dikatsbureau bekannt wurde, die dort anwesenden Angestell- ten einschließlich der Stenotypistinnen in einen wahren Freudenrausch gerieten. Man zögert unwillkürlich, diese Dinge niederzuschreiben und zu veröffentlichen, weil sie einen so unerhörten sittlichen Tief- stand verraten, daß man di eTäter unmöglich als noch dem deutschen Volke zugehörig beezichnen kann, wiewohl sie selber sich vermutlich als ganz besonders echt germanisch-teutonisch-arisch-völkisch-national vorkommen werden. Alles das gilt dem Juden Rathenau , und die weite Oeffentlichkeit erfährt hierdurch zum erstenmal, welchen u n- ermeßlichen, kaum noch gutzumachenden Schaden der unverhüllte und der noch weit schlimmere ge- Heime Antisemitismus hervorgerufen hat. Der tief- geberigten Mutter des Ermordeten und seinen Angehörigen mag es Trost sein zu wissen, daß das deutsche Volk dafür sorgen wird, daß diesem antisemitchen Lumpengesindel in Zukunft das Handwerk ge- legt wird._ Rathenaus Schwester passiert ahnungslos die Mordstelle. Verbäckst hatte, wie wir mitteilten, ein rotbraunes Auto erregt, das in schneller Gangart mit vier Personen an der Mord- stelle vorbeifuhr, während der erschossene Minister in seinem Wagen lag. Man rechnete mit der Möglichkeit, daß es die Aufgabe gehabt habe, den Wagen der Mörder zu decken. Auch diese Vermutung ist hinfällig. Der Wagen war der des Direktors Meier des Bank- Hauses Hardy und Co. In ihm saßen zwei Herren und eine Dame, darunter eine Schwester Rathenaus mit ihrem Manne. Diese kamen von auswärts und fuhren geschwind, weil sie sich verspätet hatten, ohne Ahnung des Äerbrechens an der Mordstelle vorbei. Sie sahen wohl, daß dort etwas vorgefallen war, achteten aber nicht weiter darauf. Das Auto mit den Mördern war bereits verschwunden._ �ibsperrmaßnahmen öer Schutzpolizei. Die Pressestelle des Polizeipräsidiums teilt mit: „Zur Aufrechterhaltunader Ruhe und Ordnung während der heutigen Beisetzung des Reichs- außen mini st ers Dr. Rathenau sind von der Schutzpolizei besondere Maßnahmen getroffen worden. Zum Schutze der Feierlichkeiten im Reichstag wird der Bannkreis ab 11 Uhr vormittags besetzt. Die Trauerfeier selber findet mittags 12 Uhr im Reichstag statt. Eine Kompagnie Reichswehr wird das Ehrenspalier bilden. Der Fahrzeugdurchgangsverkehr wird von 11 Uhr ab um den Königsplatz herumgeleitct. Die Haltestelle der Straßenbahn in der Sommer- straße wird nach der Haltestelle an der Charlottenburger Chausiee in Höhe des Kaiscr-Friedrich-Dcnkmals verlegt. Im Anschluß an die Feierlichkeiten im Reichstag findet die Ueberführung der Leiche im Leichenkraftwagen nach der Begräbnis- ftätte in Oberschöneweide statt. Der Leichenzug wird
durch Personenwagen der Schutzpolizei auf der ganzen Strecke be- gleitet werden. Ferner wird die Freihaltung des ganzen Weges öes Leichenzuges durch Streifen und Postierungen der Schutzpolizei in den betreffenden Straßenzügen gesichert werden. Es darf er- wartet werden, daß das Publikum durch eine dem Anlaß ent- sprechende Zurückhaltung die Maßnahmen der Polizei nach Möglich- keit unterstützt." Ilaggenfkanöal. � Die Tatsache des Fehlens jeglicher Flaggung auf dem Gebäude der ehemaligen Kommandantur und des Kronprinzen-Palais, die wir bereits in unserer Montag-Morgen- ausgäbe feststellten, ist auch allgemein aufgefallen, ebenso die mangelhafte Flaggung der Universität und der Staatsbibliothek . Das Hauptpostamt Franzö- fische Straße hatte überhaupt keine Flagge, obwohl es mehrere Flaggenmaste besitzt. Was soll das eigentlich heißen? Will man dort oder will man nicht? Auf dem Riesengebäude der AEG. in Moabit war noch gestern vormittag keine Spur einer Trauerbezeugung für den ermordeten Präsiden'- ten des Aufsichtsrats zu erblicken. Die Direktion mußte, so wird uns mitgeteilt, erst vom Betriebsrat aufgefordert werden, ihrer Anftandspflicht zu genügen. Es gab nun zunächst ein Hin und Her, woran nicht ausschließlich die Direktion, sondem auch dos Reißen des Drahtes an der Fahnenstange schuld war. Schließlich wurde aber der Vorsitzende des Zentralbetriebsrats der AEG. vom Friedrich-Karl-Ufer herbeigeholt, der zwei diensthabenden Direktoren kurzweg erklärte, man kenne ihre Denkweise über den ermordeten Rathenau und wenn nicht binnen einer Viertel st unde das Gebäude Trauerschmuck trage, dann werde ein roter Wimpel vom Dache wehen. Nach einer Viertelstunde wehte aus einem Dachfenster halbmast schwarzrotgold. Ueber die Tatsache, daß Neuköllns Hauptpostamt obne Reichs- flagge blieb, schreibt man uns: Trotzdem seit Sonnabend mittag von den Ministerien die Ordre ausging, die staatlichen Gebäude halbmast zu flaggen, hielt der Oberpostdirektor Rhesc. Hauptpostamt Neu- k ö l l n, es noch nicht für nötig, am Sonntag das republikanisckc Fahnentuch zu zeigen. Ein persönlicher Besuch oerlies negativ durch seine Abwesenheit, an seinen Stellvertreter, Herrn Naschte,' ver- wiesen, konnte auch dieser Herr nicht ausfindig gemacht werden. Sollten beide sich an den Demonstrationen beteiligt haben? Das übrige Personal erklärte, ohne Genehmigung einer der Herren die Flagge nicht aufziehen zu dürfen. Bis Sonntag soll von der OPD. noch kein Auftrag zum flaggen eingegangen sein. Das in der Nähe der Post liegende Amtsgericht hatte balbmast geflaggt, die Post mit ihrem Fernschreiber aber nicht. Wenn der Fernschreiber nicht in Ordnung sein sollte, wäre es empfehlenswert, Herrn Rhese in Er- innerung zu bringen, daß er Reparaturen rechtzeitig zu melden hat. Im wesentlichen Gegensatz hierzu können wir noch nachtragen, daß am Sonnabend nachmittag selbst die fran- Zöschen , englischen und amerikanischen Bot- schaften ihre Nationalflaggen auf Halbmast ge- setzt hatten._ Ein Generalmajor schmäht die Republik . Ein alter Parteigensse teilt uns folgenden Vorfall aus Pots, dam mit: Als ich am Sonntag, den 25. Juni, zufällig in Potsdam war, las ich nachmittags um 3 Uhr mit ungefähr 30 Personen zusammen im Schaufenster der Redaktion der„Potsdamer Tagesezitunq" den von der Regierung verbreiteten Ausruf des Rcichstagsprsidentcn und des Reichskanzlers. Auf einmal rief ein Herr neben mir in richtigem Kasernenhofton„Nieder m i t d e r Republik!" Ich ließ den Mann sofort feststellen. Auf der Potsdamer Bahnhofswache entpuppte sich dieser Herr als ein G en e r a l m a j o r a. D. H a n s v. Felge n Hauer, Tempclhof, Berliner Str. 48. Anfnglich wollt« er streiten, daß er den Ausrus getan habe. Schließlich gab er es aber doch zu. Er verstieg sich dann noch zu verschiedenen anderen Ausdrücken. Bestimmt gesagt hat er zu mir:„Daß Sie mich haben verhaften lassen, wird Ihnen nach nach zehn Jahren in der Seele brennen." Nebenbei bemerkt, sti der betreffende Ge- ncralmajor a. D. Vorstandsmitglied der Deutschnatio- nalenVolkspartei in Tcmpelhoß Wenn der Generalmajor die Republik so wenig leiden kann, dann möchten wir ihm empfehlen, sich seine Pension in Zukunft von „seinem" Herrn in Holland zahlen zu lassen.
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Der Ruf durchs Fenster. Roman von Paul Frank.
„Wie hat die Drohung gelautet?" „Das... weiß ich nicht mehr genau., „Doch! Besinnen Sie sich nur! „Ich habe die Fäuste geballt...* „Und im nächsten Augenblick haben Sie zugeschlagen... oder gar zugestoßen, nicht wahr...?" Der Präfekt hatte sich von seinem Sitz erhoben und starrte dem Studenten lauernd ins Gesicht. Der hob abwehrend beide Hände hoch.„Nein.. rief er,„nein! Ich habe Erika nicht berührt!" „Das lügen Sie!" knirschte der Präfekt. Dmochowski hielt seinen wütenden Blick aus.„Ich wäre dessen nicht fähig gewesen..." sagte er einfach. Tudolin warf den Bleistift mit einem ärgerlichen Ruck auf den Tisch, auf dem er bis nach vorn an die Kante rollte, wo er durch den rasch zugreifenden Protokollführer aufgehalten und am Fallen gehindert wurde. „Sie haben also nicht zugeschlagen?" wiederholte Tudolin mißmutig.„Sondern?" „Erika hat gerufen.„Zu Hilfe!" hat sie geschrien, zwei- mal hintereinander. Laut und deutlich hat sie gerufen." „Und was haben Sie getan?" „Ich habe bereut: ich habe Angst gehabt, daß man uns sehen oder hören könnte... Ich bin davongelaufen! Wie ein Hase bin ich davongelaufen." „Und dann?" „Nichts weiter. Ich habe mich gar nicht mehr umgedreht." Der Präfekt sah auf seine Uhr. „Und das sollen wir Ihnen glauben?" Der Student zuckte apathisch die Achseln. „Ich schließe das Verhör," sagte der Präfekt und erhob sich. „Verstockter Bursche!" rief er Dmochowski zu.„Aber wir kriegen ihn schon klein! Verlassen Sie sich darauf!" rief er dem Kaufmann Diest zu. Garbislander trat neben ihn, während Dmochowski in- folge der Aufforderung des Präfekten von den beiden Poli- zisten in die Mitte genommen und abgeführt wurde. Es drängte den jungen Schriftsteller, dem Präfekten seine Ansicht über den Studenten mitzuteilen; er hielt jedoch damit nach einiger Ueberlegung zurück; da er vorerst von Herrn Tudolin sich noch Näheres, Wesentliches berichten lasten wollte.
15. Die drei nebeneinander postierten Drehtüren, durch die man den Kastenraum der Rigaer Handels- und Gewerbebank betreten konnte, befanden sich in unaufhörlich rotierender Be- wegung, und die Leute strömten in den geräumigen Saal, an dessen Rückwand im Halbrund die Schalter angebracht waren. Ein Viereck saß neben dem anderen, in die spiegelglatte Marmorwand geschnitten, und nur in der Mitte durch die von ihr sanft ansteigende Freitreppe unterbrochen, deren Stufen aus Porphyr gefertigt und überdies mit einem roten Plüfch- teppich bedeckt waren. Während von der Saaldecke ein milchweißes, mildes Licht aus einer matten Glasschale abwärts fiel, erstrahlte in jedem einzelnen der Kassenschalter auf dem Schreibtisch des Beamten eine freundlich-grüne Schirmlampe. Der Ausschnitt war mit einem bronzierten Gitter versehen, das nur oberhalb des Zahltisches eine kleine Oeffnung frei ließ, die mittels Schiebefensters verschlossen werden konnte. Im Hintergrund kommunizierten die Schalter natürlich, und dort gab es, für den sichtbar, der gerade vor dem Gitter stand, ein Hin und Her, ein emsig-geschäftiges Getriebe, ein Durcheinander von Dienstwilligkeit und Beflissenheit. Ueber diesem Treiben schwang ein Summen und Surren, das, obwohl es zweifellos aus zahllosen, halblaut gemurmelten und erregt gesprochenen Worten und Sätzen gebildet war, durchaus nicht einem aus menschlichen Stimmen bestehenden Chor, fondern weit eher dem dunkel-charakteristischen, dröhnen- den Gesang ähnelte, der in Maschinenhäusern, in Fabrikbe- trieben über den rastlos laufenden Rädern und Treibriemen anzutreffen ist. Immer neue Leute betraten den Saal; die Bescheid wußten, eilten an den Schalter, der gerade nicht übermäßig be- lagert war, stellten sich, wenn es nicht anders ging, in Reih' und Glied an, um geduldig zu warten, bis sie vorgelassen wür- den, andere, die hier fremd waren, die den Kassenraum zum erstenmal betraten, nahmen die Gefälligkeit des bärtigen Portiers im Tressenrock in Anspruch, der, hoch wie eine Säule, unweit der Drehtüren Posto gefaßt hatte, und der die Fragen- den, um Auskunst Heischenden, dorthin wies, wohin sie zu ge- langen wünschten, der den Verkehr in diesem Raum regelte, ihn, in die abzweigenden Adern leitete, der den Hauptstrom die Treppe emporschickte und die vielen, feinen Nebenläufe an die einzelnen Schalter dirigierte. Diener, die durch die dunkelblaue Unisonn, die flache Schirmkappe und nicht zuletzt durch die am Riemen getragene breite Ledertasche kenntlich gemacht wurden, kamen und gingen.
Plötzlich erscholl anhaltendes Klingeln, das weithin hörbar war und nicht zur Ruhe kommen wollte. Die Mehrzahl der Anwesenden wußte, daß das Signal den Kassenschluß ankün- digte. Die Uhr oberhalb der Drehtür zeigte, daß die dritte Stunde binnen weniger Minuten vollendet sein würde. War es so weit, wurden die Schiebefenster erbarmungslos herab- gelassen. Darum war auch mit dem Augenblick, da das Klin- geln eingesetzt hatte, vor den einzelnen Schaltern ein arges Ge- dränge entstanden, da, wer am Ende einer langen Kette stand, angstvoll den Uhrzeiger vorrücken sah, und damit rechnen mußte, unverrichteter Dinge abzuziehen. Die Kassierer ar- beiteten fieberhaft, waren bestrebt, die Wartenden, soweit es möglich war, abzufertigen. Die Banknoten wurden von zauber- Haft flink schwirrenden Fingern, in Empfang genommen oder ausgehändigt. Der Türhüter am Eingang hielt die neuerlich zuströmen- den Leute ab und wies sie an, am nächsten Tag wiederzu- kommen, da es heute schon zu spät geworden war und die Kasse unwiderruflich geschlossen werden mußte. Das Schrillen der elektrischen Klingel hielt pausenlos an, wodurch die Nervosität des Publikums noch gesteigert wurde. Jetzt tönten die Schläge der Uhr, dreimal weithin hallend, durch den Raum. Die Mehrzahl der Anwesenden war bereits abgefertigt: vor den Oeffnungen drängte sich ein kleinerKnäuel. Einer, ein stattlich-hochgewachsener Mann, der einen faltigen Mantel und einen breitrandigen schwarzen Hut trug. war ruhig in seiner Reihe stehengeblieben, ohne gleich den übrigen, die vor ihm standen, mitzudrängen und zu stoßen. Er schien der einzige Ruhevolle inmitten dieser jagenden Hast, und wartete, ohne sich zu erhitzen oder durch das Bimmeln der Signalglockc seinen Gleichmut zu verlieren. Er hielt zwei Banknoten in der Hand, schob sich langsam-geduldig um einen Schritt vorwärts, so oft ein Abgefertigter es zuließ, und erreichte schließlich den Schaltertisch in dem Augenblick, als das Schiebe- fenster herabgelassen wurde, das, als es mit dem Holzrand auf die Marmorplatte aufstieß, einen kurzen, harten Klang gab. Zugleich ertönte das Klingelgeräusch. Der Kafsenraum leerte sich, die Leute fluteten ab. Der Mann mit dem Radmantel stand noch immer unbe- weglich vor dem herabgelassenen Schiebefenster. Der Kassierer, ein noch junger Mann, mit aus der Stirn gestrichenem Blondhaar, der, den Bleistift in der Rechten, über seinen Tisch gebeugt stand, und eine auf einem langen Papierstreifen stehende Ziffernsäule zu addieren sich bemühte, hielt mehrmals in seiner Beschäftigung inne und warf einen Blick durch das Gitter auf den Zudringlichen. (Fortsetzung folgt.)