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Abendausgabe

Nr. 38640. Jahrgang Ausgabe B Nr. 194

Bezugsbedingungen und Anzeigenpreise find in der Morgenausgabe angegeben Redaktion: Sm. 68, Lindenstraße 3 Fernsprecher: Dönhoff 292-295 Tel- Adresse: Sozialdemokrat Berlin  

Vorwärts

Berliner Volksblatt

Preis 25000 Me.

Montag

20. August 1923

Berlag und Anzeigenabteilung Gefchäftszeit 9-5 Uhr

Berleger: Borwärts- Berlag GmbH. Berlin   S. 68, Lindenstraße 3 Fernsprecher: Dönhoff 2506-2507

Zentralorgan der Vereinigten Sozialdemokratifchen Partei Deutfchlands

Berlins Hilferuf.

Der Magistrat der Stadt Berlin   hat am 18. August die für die Betriebe dabei herauskommen, nicht verblüffen laffen.| Anbetracht dessen hat sich ein großer Teil der Unternehmer nachstehendes Telegramm an sämtliche in Betracht kommenden Eine Anzahl Tonnen Eifen, ein paar Ballen Stoffe oder einige bereits jetzt veranlaßt gesehen, dem Personal zu fündigen. Reichsministerien gerichtet, um, wenn möglich, noch in letzter fonftige hochwertige Lagerartikel werden bei den heutigen Preisen Sicherlich wird der gegenwärtige Zustand von diesem oder Stunde das weitere Steigen der Kohlenpreise, von ausreichen, um durch ihren Bertauf die Mittel für die jeweiligen jenem Unternehmer, der als Devisenbesizer die erhöhten Löhne dem aus eine neue ungeheure Teuerungswelle auszugehen Vorauszahlungen und die Rhein- Ruhr  - Abgabe bereitzustellen. Häu- zahlen könnte, ausgenutzt, aber es muß auch einmal ganz droht, zu befämpfen: fig fogar wird nicht einmal das notwendig sein, sondern der Ber  - offen zugestanden werden, daß viele kleine und mittlere Be­ Erbiffen dringend im Intereffe der Aufrechterhaltung der Ruhe, tauf einer Anzahl schwerer Aftien" oder eine nicht allzu erhebliche triebe vorläufig in der Tat außerstande sind, heute die Mark­des Verkehrs und des Wirtschaftslebens um Maßnahmen, daß Berringerung des Devisenbestandes wird bereits dasselbe Ergebnis beträge aufzubringen, die zur Zahlung der Gehälter und Kohlenpreise nicht wie bisher und vom Reichstohlenrat be- haben. Löhne notwendig sind. absichtigt, gesteigert werden. Heute noch ist der Kohlenpreis für Allerdings gibt es auch andere Betriebe, die nicht in einer In diesem Zusammenhang müssen wir auf folgendes ver­englische Kohlen ebenso hoch wie für deutsche Kohlen. Allein 20fache fo glücklichen Lage find, besonders solche mittlerer und fleinerer meisen: erst in diesen Tagen wurde wieder eine Besol= Frachterhöhung bringt deutsche Kohlenpreise 10 millionen über Art. Bei ihnen wird man manche finden, die keine dungserhöhung der Beamten in einem gewaltigen englische. Reichsfohlenrat will nach Mitteilung fohlenpreise um Effekten- und Devisenreserven haben und deren Warenvorräte Ausmaße vorgenommen, ohne jedoch bisher von der Deď ung 200 Prozent erhöhen. Ergebnis würde sein: Breis der englischen zusammengeschrumpft sind. Sie werden infolgedessen augen zu sprechen. Wir sind immer für eine angemessene Bezah­Kohle am Montag 35 Millionen, Preis der deutschen   Kohle am Mon- blicklich durch die neue Besteuerung etwas schwerer getroffen. lung der Beamten, Angestellten und Arbeiter eingetreten und fag 85 Millionen. Die gesamte Wirtschaft, insbesondere Gas, Elektri- Aber Binner macht mit Recht darauf aufmerksam, daß auch sie verwehren niemandem auch die jetzt zugestandenen Mittel. zität, Verkehrsunternehmungen gelängen zu Preisen, die für die Be- im Jahre 1922, das der jetzigen Besteuerung zugrunde liegt, viel Aber was ist auf die Dauer den Staatsbediensteten, besonders völkerung unerschwinglich und unerträglich find. Dauernde Er- fach noch sehr ansehnliche Papiergeldgewinne aber dem Bolte damit gedient, wenn fortgesetzt ungeheure Be­höhung der Löhne und Gehälter unabwendbare Folge. Erbitten gemacht haben. Ihnen bleibt, wenn sie sich zu hart belastet träge bewilligt werden, die z. B. jetzt den größeren Teil der fchärfftes Eingreifen gegen diese die Wirtschaft zerrüttenden Maß- glauben, immer noch die Berufung auf den Härte para neu beschlossenen Steuern auffressen, ohne daß neue Deckung nahmen. Die öffentliche Ruhe und Sicherheit erscheint schon heute graphen der neuen Geseze, die eine anderweitige Regelung dafür vorhanden ist. Bei dieser Wirtschaft muß die Inflations­aufs schwerste gefährdet." der Borauszahlungen zulassen, wenn die zu leistenden Voraus- welle trotz aller schönen Dämme gegen sie, ihren Fortgang Dieser Appell des Berliner   Magistrats an die Reichsregie- zahlungen außer Berhältnis zu den mutmaßlichen Einkommen nehmen. rung wirft ein grelles Schlaglicht auf die ungeheuren stehen. Die Rücksicht auf diese kleinen oder mittleren Betriebe die Inflation schnell und planmäßig abgebaut wird. Die Reichsregierung muß deshalb jetzt darauf sehen, daß Gefahren, in denen wir uns befinden. Kaum hat der Reichstag   unter dem Druck der Boltserregung sich zum ersten- darf jedoch die Finanzverwaltung in feiner Weise veranlassen, Es kommt darauf an, auch durdy brutale Mittel, wie im Reichs­mal dazu entschlossen, endlich dem deutschen   Steuer- nun auch bei den wirklich zahlungsfähigen Großbetrieben eine standal ein Ende zu machen und mit der dringend not- in diesem Falle doppelt unangebrachte Nachsicht zu üben. tag ganz richtig gesagt wurde, dem Reiche die Existenzmöglich wendigen Finanzreform zu beginnen, da fängt gegen sie auch Jeder Versuch, die Substanzsteuern wieder auf die breite feit zu sichern. Sie barf deshalb auch nicht vor der Be= zurück­schon der Kampf der Interessenten, der Wirt Masse der Konsumenten abzuwälzen, wie das bei den neuen chlagnahme aller Devisenbestände fchaftstreise auf der ganzen Linie an, deren sinnloser Kohlenpreisen augenscheinlich beabsichtigt ist, muß ron porn- schrecken, die zu einem Mittelfurs abgelöst werden könnten. Eine Notverordnung des Reichspräsidenten   könnte die gesetzliche und furzsichtiger Egoismus uns ins Elend hineingebracht hat. herein rüdsichtslos unterdrüdt werden. Borbedingung schaffen, die dem Finanzminister die Möglich­Der Sinn der neuen Steuergeseze war der, daß diese Steuern feit gibt, bei den Banten   Nachschau zu halten. Die Devisen aus der Substanz der Wirtschaft bezahlt werden wie das Geld sollen dem Lande gehören, nicht zur Bereicherung follten. Wenigstens von den bürgerlichen Parteien wurde zum der einzelnen dienen. Es gilt hart zu sein oder nicht zu sein! erstenmal unter dem Druck der furchtbaren Not zugegeben, daß bie standalöse Schonung des Privatbesiges nicht mehr zu halten sei. Die Wirtschaftskreise scheinen darüber anders zu denken. Sie eröffnen nunmehr den Kampf mit Breiserhöhungen, deren 3wed offenbar ist, die neubeschlossenen Steuern aus permehrter Inflation zu zahlen und darüber hinaus die billige und bequeme Inflations. Durchgegriffen werden muß, wenn die Katastrophe vermieden zurüdgefehrten Dezernenten des städtischen Verkehrswesens, Stadt­verdienerei aufrechtzuerhalten. Ueber die Aufgabe der Reichs- werden soll. Nicht zuletzt hat die erft jegt wieder von der baurat Dr. Adler, um seine Ansicht über die Ursache der Straßen­regierung diesem spontanen Angriff gegenüber fann fein Schwerindustrie eingenommene Haltung auch diejenigen bahnkatastrophe befragt. 3weifel obwalten. Eine Regierung, die weiter wie bisher die 3u der lleberzeugung gebracht, die bisher noch auf zwangs Dr. Adler ist durch die katastrophale Verschlimmerung ber Wirtschaft schalten und malten ließe, unbefümmert um Deutsch- maßnahmen glaubten verzichten zu können. Bekanntlich wurde lands Schicksal, würde sich und Deutschland   erledigen! noch unter der alten Regierung mit der Industrie die Ver Straßenbahnlage gewissermaßen überrascht worden. Er führt den einbarung zur Ablieferung eines beträchtlichen Devisenbetrages 3ufammenbruch vor allem darauf zurück, daß die Hauptaus. für die Bildung eines Devisenfonds getroffen. Aber auch jetzt gaben der Straßenbahn, für Löhne und Strom, ihren Das Bestreben gewiffer Wirtschaftskreise", die vom hält die Schwerindustrie ihre Verpflichtungen nur zum Teil Friedens stand bei weitem überschritten haben, während Reichstag   beschlossenen neuen Steuern zu fab pein und versucht nach wie vor, ihre Spetulationsintereffen aus- es der Straßenbahn bisher nicht gelungen ist, durch entsprechende tieren, wird immer deutlicher erkennbar. Unmittelbar zufechten. Es wird u. a. behauptet, daß sie die schon abge- Tariferhöhungen ihre Einnahmen damit in Einklang zu bringen. nachdem diese Beschlüsse im Reichstag gefaßt waren, gab die lieferten Devisen zum Teil aus Papiermarffrediten der Reichs Beispielsweise ist der Strompreis, der im Frieden 8 Pf. für die Berliner Börsen- Zeitung" schon den Ton an, nach dem jeẞt Darüber hinaus foll ferner beobachtet worden sein, daß perteuerung heute bereits auf das zweimillionenfache gestiegen, bank gezahlt hat, die natürlich immer wieder gegeben werden. Kilowattstunde ausmachte, infolge der enormen Rohlen­die steuerscheuen Wirtschaftskreise zu tanzen suchen. In Goldichatscheine, die der Industrie für abgelieferte. h., er ist der normalen Entwertung gegenüber dem Friedensstand Zeitungen und in Bersammlungen wird das übliche Klagelied barüber angestimmt, daß die Steuern die Wirtschaft erdrücken" Devisen ausgehändigt wurden, wieder vertauft worden weit voraus. Der Durchschnittslohn eines Straßenbahners würden. Diesem Gerede tritt der Handelsredakteur des Ber  - find und mit dem Erlös Devisen zurüderworben betrug im Frieden rund 40 Pf. für die Stunde, heute dagegen be­liner Tageblattes", Dr. Felix Pinner, mit überzeugenden wurden. Nimmt dieser Zustand seinen Fortgang, dann ist trage der Lohn auf Grund der vom Staat festgesetzten Tarife mit einem polifommenen Fehlschlag der neu ein- 490 000 m. die Stunde( was bei einem Dollarstand von 4,2 Millio­Gründen entgegen: Die Wirkung der neuen Steuern wird, kurz gesagt, davon abgeleiteten Intervention zu rechnen, so daß jezt entschiedene nen Mart nicht ganz 50 Pf. Friedenswährung ausmacht Red. d. hängen, auf welchem Wege die von ihnen in erster Linie Maßnahmen mit aller Rücksichtslosigkeit und Schärfe durch- Borw."). Selbstverständlich find auch die Materialpreise, besonders geführt werden müssen. betroffenen Schichten der Industrie, des Handels und der Band­wirtschaft sie aufbringen werden, nämlich entweder auf dem

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Das Reichsta binett beschäftigte sich am Sonnabend nachmittag in einer mehrstündigen Sizung mit den zu er greifenden finanz- und währungspolitischen maßnahmen. Die Beratungen werden am Montag nach­mittag fortgesetzt und jedenfalls zum Abschluß gebracht werden. mentsdienst", ist sich flar darüber, daß mit aller Entschiedenheit Die Reichsregierung, so schreibt der Sozialdem. Parla­

Wir müssen endlich zu stabilen Währungsver: hältnissen kommen, da sonst in absehbarer Zeit der Kampf aller gegen alle unvermeiblich ist. Die feit Anfang August ein getretene Entwertung der Mark war derartig, daß kleine und mittlere Betriebe heute vielfach außerstande find, die zum Leben notwendigen Gehälter an das Personal zu zahlen. In

Die Börse kauft weiter.

Die Not der Straßenbahn. Aeußerungen des Stadtbaurats Dr. Adler.

Ein Mitarbeiter des Ullstein- Berlages hat den aus dem Urlaub

Eisen, das die Straßenbahn in großen Mengen für ihren Be­trieb braucht, gegenüber dem Friedenspreis weit mehr gestiegen, als die allgemeine Entwertung es zulassen würde. Demgegenüber beträgt ber Tarif der Straßenbahn mit 100 000 m. für die Einzelfahrt heute" nur" das Ein- Millionenfache gegenüber dem Frieden.

Wege der Substanzliquibation oder auf dem Wege der Abwälzung. Die ausgesprochene Absicht der gefeßgebenden Faktoren ging zweifellos bei den neuen Steuern dahin, daß sie als Eingriffe in die Substanz wirten und durch Liquidation von Sub Es ergibt sich danach das krasse Mißverhältnis, daß die Ein­ftanzteilen aufgebracht werben sollten. Diese Tendenzen entsprechen nahmen der Straßenbahn auf das Einmillionenfache, zweifellos für viele Zweige unseres Wirtschaftslebens der Gerech­die Ausgaben aber auf das weit mehr als 3 meimillionen­figkeit, und auch ihre Durchführbarkeit fann bis zu einem gewissen fache gestiegen sind. Eine Aenderung dieses Mißverhältnisses er= Grade als gegeben betrachtet werden. Es gibt in der deutschen  scheine im Augenblick unmöglich, denn die Verkehrsdeputation ist ein­Wirtschaft sehr breite Schichten, die in der Lage waren, mütig der Auffassung, daß eine Tariferhöhung über das jetzt be­während der letzten Jahre ihre Substanzen nicht nur zu erhalten, Der Rede Poincarés wurde an der heutigen Börse menig Be- fchloffene Maß hinaus für Berlin   unmöglich ist. Einmal, weil die sondern auch zu vergrößern. Nicht zuletzt sind diese Schichten achtung geschenkt. Auch in bezug auf die morgen zu erwartende Bevölkerung die ohnehin fchon unerträglichen Lasten nicht noch in burd) ersparte( sei es an sich zu geringe, sei es durch späte franzöfifche Antwort an England gibt man sich keinerlei Optimismus wesentlich vergrößertem Umfang zu tragen fähig fein würde, sodann Cinzahlung real verringerte) Steuern zu ihrer Substanzaffumu- hin. Immerhin hofft man, daß sich aus einer zu erwartenden Dis- aber auch wegen der starken Konkurrenz, die Stadtbahn und Unter­lation befähigt worden. Es ist durchaus gerechtfertigt, wenn zum fuffion vielleicht eine brauchbare Berhandlungsbasis ergeben grundbahn der Straßenbahn machen. mindesten diese durch Steuereriparniffe ermöglichten Substanz- fönnte. Bielmehr als mit der äußeren Lage beschäftigt man fich zunahmen( von den burch die sogenannten Kreditgewinne ermög. wieder mit den inneren wirtschaftlichen Verhältnissen, die sich lichten gar nicht zu reden) wieder aufgelöst werden und jetzt als mieder zuzufpihen drohen. Goldlöhne, Preise und Steuern sind aus Sonder oder Nachsteuern neben den laufenden Steuern durch Geld. Schlaggebende Faftoren am heutigen Devisenmarkt. Dazu kommt gahlungen in den Besitz des Reiches gelangen. Bielfach werden die immer mehr anwachsende Geldnot, die ein weiteres Hochtreiben berartige Substanzliquidationen auch möglich sein, ohne die der Devisen bewirkt. Auch befürchtet man eine teilweise Stillegung Morgen außerordentliche Magistratssitzung. Betriebe fubftanzarm zu machen und in ihrer produf der Industrie, was unabsehbare Folgen haben würde. Wenn auch Der Aelteftenausschuß der Stadtverordnetenversamm­tiven Weiterarbeit zu stören. Es bestehen bei sehr vielen Betrieben die Einfuhrbedürfnisse heute wieder überaus große Anforderungen lung beschloß heute mittag nach längerer Beratung, am Abend im übermäßige Waren-, Devifen- und Effektenvorräte, durch deren er an Material stellten, die Feftfehung der amil chen kurse ver- Beisein des Magistrats und der zuständigen Dezernenten zu einer trägliche Berringerung unschwer soviel Mittel freigemacht werden zögerte sich bis weit nach 1 Uhr hinaus. Der Effektenmarkt besonderen Sigung zusammenzutreten, um die mit der ungeheuren fönnen, als zur Begleichung der Steuern erforderlich find. Man bot ein ziemlich bewegtes Bild. Die Käufe des Auslandes Steigerung der Werkstarife zusammenhängenden Fragen zu lösen darf sich durch die hohen Multiplikatoren der Vorauszahlungen auf dauern an und haben sich zeitweise vermehrt. 3war zwingen die und auch fich mit der drohenden Stillegung der Straßenbahn zu be die Einkommensteuer und der Rhein- Ruhr  - Abgabe sowie durch die Steuern immer noch zu einigen Abgaben, doch überwiegt bie schäftigen. Im Anschluß daran tritt der Magistrat morgen vormittag riesigen Papiermillionen und milliardenziffern, Rafrage auch beim Publikum bei weitem. zu einer außerordentlichen Sißung zufammen.

Nach Ansicht Dr. Adlers gibt es also im Augenblick feinen an­beren Weg, als daß das Reich erfudyt wird, den täglichen Fehl­betrag von 50 bis 60 Milliarden aus eigenen Mitteln zuzu­schießen.