Str. 244+ 41. Jahrgang
2. Beilage des Vorwärts
Der Herausgeber der„ Süddeutschen Monatshefte", Herr Mitolaus Coßmann, hat befanntlich in zwei Bänden seiner Beitschrift( 7 und 8) ,, Beweismaterial" für die Dolchstoßlegende gesammelt. Wie unbedenklich und grob fahrlässig er dabei in der Benuzung zweifelhaftester Quellen verfährt, wie tendenziös und einseitig seine Zitiermethode ist, darüber ist an anderer Stelle das Notwendige gesagt worden. Dennoch ge bührt Herrn Coßmann das Verdienst, eine Geschichtslüge aufgedeckt zu haben nämlich eine deutsch nationale. deutschnationale.
Es handelt sich um die Streitfrage über den bekannten Todesritt" der Flotte. Diese Frage wurde seinerzeit im ,, Borwärts" angeschnitten. Hier wurde am 14. November 1918 zum erstenmal auf die ersten Ursachen der Matrosenrevolution hingewief. Der Artikel stellte fest, daß diese Revolution fen Endes auf das Verhalten der damaligen Flotten. Ieitung zurückzuführen war, die sich mit aller Macht bemüht hatte, noch im letzten Augenblick des Krieges eine See. schlecht größten Umfangs herbeizuführen. Diesem Bestreben Tag einmal die abenteuerlich- romantische Idee zugrunde, lieber die ganze Flotte mit Mann und Maus untergehen zu laffen, als sie dem Feinde auszuliefern, zugleich aber auch die Absicht, die Waffenstillstandsverhandlungen in die Luft zu sprengen und so den Fortgang des Krieges zu erzwingen.
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Am 16. Nov. machte der Stabschef des Hochseetommandcs, Admiral v. Trotha, der Vorwärts"-Redaktion einen Besuch und wurde von mir empfangen. Er erschien in Be gleitung eines jüngeren Marineoffiziers, und es entwickelte sich eine intereffante Unterhaltung. Admiral v. Trotha machte den Eindruck eines völlig gebrochenen Mannes. Seine mit fchmerzbewegter Stimme gegebenen Darstellungen mußten den Eindrud größter Aufrichtigkeit erwecken.
Admiral v. Trotha bestritt die Absicht des Todes. ritts" in der bündigsten Weise. Man habe feinesfalls eine Seeschlacht provozieren wollen. Der Vorstoß der Flotte habe nur den 3wed gehabt, die durch den Rückzug des Landheeres freiwerdende flandrische Küste und die sich entblößende rechte Flante des Landheeres zu decken. Man habe sich rein defenfin gegen einen erwarteten Borstoß der Engländer wehren wollen. Auf den Einwurf, ob man nicht auch dabei mit der Möglichkeit einer größeren Seeschlacht hätte rechnen müssen, erwiderte Herr v. Trotha, das sei natürlich immer der Fall, wenn sich die Flotte auf hoher See befinde; gesucht habe man aber die Seeschlacht nicht.
Dieses Gespräch führte dazu, daß im„ Abend- Borwärts" bes gleichen Tages( Nr. 316 A pom 16. November 1918) folgende Notiz erschien:
Bon amtlicher Seite, namentlich von jenen Stellen, die damals die Berantwortung trugen, ist uns in der dringlichsten Weise versichert worden, es habe in jenen fritischen Tagen gar nicht die Absicht beffanden, einen Borstoß gegen die englische Küste zu unternehmen und unsere Flotte dabei aufs Spiel zu setzen. Vielmehr hatte die Operation, in ber die Matrosen den Anfang einer großen Seeschlacht mit den Engländern sahen, den Zwed, einen Borstoß der Engländer gegen die flandrische Rüfte abzuwehren. Es fönne also gar teine Rede davon sein, daß bei der Admiralität die Absicht bestanden habe, finn- und planlos die Flotte gegen den Feind zu werfen, fondern der Sinn unseres Borgehens fei nur der gewesen, den Vertehr des Feindes möglichst weitgehend zu stören und seine Streitkräfte erforderlichenfalls anzugreifen. Daß mit dem Auftreten von größeren feindlichen Geestreitkräften gerechnet werden mußte, hatte uns die Erfahrung bei früheren ähnlichen Gelegenheiten gelehrt. Von einem Verzweiflungsstoß oder gar einem Aufopfern der Flotte fönne man also nicht sprechen."
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Nun aber veröffentlicht Herr Coßmann eine Darstellung ber Borgänge, die den Behauptungen des Admirals v. Trotha in schrofffter Weise widerspricht und die ursprünglich im„ Bormärts gegebene Version des Todesritts" rest los wieder herstellt. Diese Darstellung ist dadurch bedeutungsvoll, daß sie von einer gleich autoritativen Seite stammi, nämlich Dom Ronteradmiral a. D. Magnus v. Levezom. Der im Kriege erster Berater des Chefs des Stabes Der Seefriegsleitung war, also in die Dinge zweifellos ebenso eingeweiht gewesen ist wie Admiral v. Trotha selber. Konteradmiral v. Levezom gibt eine Darstellung der befann. ten Vorgänge, die zur Einstellung des U- Boot- Krieges führ ten bekanntlich war diese von Wilson als Vorbedingung weiterer Waffenstillstandsverhandlungen gefordert worden er unterstreicht besonders kräftig den Widerstand, den die Ludendorffer, vor allem auch die Leitung der Marine, in diesem Stadium der Fortführung der Verhandlungen entgegensezten. Erst nach langen Auseinandersetzungen mit ihm wurde die Einstellung des U- Boot- Krieges beschlossen. Nun fährt Konteradmiral von Levezom fort: „ Der uneingeschränkte U- Boot- Krieg war zu Ende. Aber die Hochfeeflotte war nunmehr ihrer Fessel ledig, sie hatte ihre Freizügigkeit wieder erlangt.
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1425
DeutschSozial
Landliste
Deutsch
national
I. Parterre- Akrobaten Oder: Wir sind die stärkste Fraktion
II. Hergts großes Wunder Oder: Der Marsch zur Futterkrippe
so entschieden bestritten hat, er verteidigt und glorifiziert ihn fogar. Seine Darstellung ergibt flar, daß man um jeben Preis eine Seeschlacht größten Stils herbeiführen wollte, daß man mit dein Untergang der gesamten Flotte rechnete, fie läßt aber auch erkennen, daß dieser Plan zur Durchkreuzung der Waffenstillstandsverhandlungen tiger Impuls an die Heimat") dienen sollte.
Sollte Herr v. Trotha, der Stabschef des Hochseekommandos, wirklich nicht gewußt haben, was sein erster Berater wußte? Ach, Konteradmiral von Levezom bescheinigt ihm nicht nur seine Mitwisserschaft, sondern fogar feine mittäterschaft, denn er fährt in seiner Darstellung fort:
Die für diesen Fall bereits auf der hinfahrt zu ben Berliner Verhandlungen angestellte Ueberlegung hatte sich inzwischen vertieft und befestigt: Bo auf dem Lande das legte, schwere, blutigeittäterschaft, Ringen unserer Heere sich abspielte, da konnten und durften die Waffen des Seefrieges nicht brach liegen und im besonderen jetzt die
Hochfeeflotte nicht.
Ein Erfolg zur See würde der Heimat einen mächtigen Impuls geben, ja möglicherweise noch einen Umschwung der Ariegslage herbeiführen können.. Schlimmstenfalls unterlag die Flotte, dann stand auf Grund aller bisherigen Erfahrungen nach menschlichem Ermessen zu er marten, daß es nur geschehen konnte, unter ungeheurer gleidh zeitiger Ginbuße auf feiten der englischen Flotte, die auch für die Zukunft ihre Eristenz in Frage stellte.
Wie dem auch sei: der Einsatz der Hochseeflotte in dieser Stunde höchster feindlicher Bedrängnis unseres Baterlandes blieb eine Lebensfrage für die Marine und eine Ehrenfrage für thre durch Not und Tod bisher so glänzend bewährten, braven, tapferen herrlichen Besatzungen- e he unfereruhmgefrönte, tolze Flotte zum Handels objett in einem fchimpf lichen Frieden würde, war ihr Einfah erforderlich. Der nerantwortliche Entschluß hierzu war und bleibt richtig." Ronteradmiral von Levezom bestätigt hier also nicht nur ben Entschluß, den Admiral von Trotha mir gegenüber
חררם
Sonntag, 25. Mai 1924
III. Ein Höhepunkt der Debatte Oder: Die Extreme berühren sich
RUT FISCHER
Der Chef der Hochseestreitkräfte und der Chef
des Stabes stimmten uneingeschränkt zu: auch ihrer Ansicht nach sei ein baldiger Zeitpunkt für die Unternehmung erforderlich."
Und nun tommt noch eine außerordentlich interessante Dar. ( mächstellung des Operations plans, über den nach Konteradmiral von Levezom vollste Uebereinstimmung" herrschte. Man wolle sich hier erinnern, daß Admiral von Trotha mir gegenüber als den Zweck des Auslaufens die Deckung des rechten( flandrischen) Flügels des Landheeres dargestellt hatte, wobei nicht ein Angriff der feindlichen Flotte provoziert, sondern nur ein erwarteter Angriff abgewehrt werden sollte. Nach Levezow war der in vollster Uebereinstimmung" also auch mit Zustimmung des Admirals von Trotha- gefaßte Kriegsplan ein ganz anderer. Es standen nämlich ursprünglich zwei Bläne zur Beratung:
Admiral Scherr begab sich am Abend ins Große Hauptquartier
nach Spa zurück. Der Chef des Stabes der Seekriegsleitung fuhr im Auftrage des Leisals nach Wilhelmshaven zum Rommando der Hochseeflotte. Dort überbrachte am 22. Ottober, 11 Uhr vormittags, Kapitän zur See v. Levezom dem Chef der Hochseeflotte Admiral D. Hipper den folgenden Befehl der Seekriegsleitung: och fee. hochseefreitt räfte follen zum Angriff und Schlagen gegen englische Flotte eingelegt werden." Sobann referierte Rapitän zur See v. Levetzow dem Flottenchef, in Gegenwart vom Stabschef des Hochseekommandos Admiral v. Trotha über den Berlauf und das Ergebnis der Verhandlungen in Berlin vom 16. bis
20. Oktober.
Weiter wird geschildert, wie der U- Boot- Krieg abgebrochen und auch seine spätere Wiederaufnahme höchft unwahrschein lich fei, und refümiert:
Mit dem Vorgehen der Flotte dürfe daher nicht gezögert werden. Die Seefriegsleitung halte es für unerläßlich, daß die Flotte alsbald zum Endtampf einzusetzen sei.
Konteradmiral von Levezom berichtet uns auch über die Stellung des Herrn Admirals von Trotha zu diesem Vor haben, denn er schreibt:
Der eine richtete sich gegen die Ostküste von England, der andere gegen den englischen Ranal mit dem Ziel, die englische Flotte in der Berbindungslinie Hoovden- Deutsche Bucht zur Schlacht zu zwingen. Es war anzunehmen, daß das Erscheinen der deutschen Flotte im Kanal, verbunden mit einer Beschießung der feindlichen Stellungen bei Ostende durch unsere vorgeschobenen leichten Streitkräfte, besonders wirkungsvoll sein und die eng lische Flotte zum Auslaufen aus ihren nördlichen Biegehäfen 3 mingen würde... Diesem Plan wurde daher der Vorzug gegeben.
Also nichts vom Schutz des Landheeres, nichts von Abmehr befürchteter Angriffe! Man wollte in den Kanal fahren, weil man dies für das sicherste Mittel hielt, die Engländer zum Rampf unter allen Umständen zu zwingen. Die Ausführungen des Konteradmirals von Levezom geben eine Bestätigung des geplanten" Todesritts", wie sie iz größerer Klarheit nicht gedacht werden kann.