Nr.400+ 41.Jahrgang Ausgabe A Nr. 204
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Dienstag, den 26. August 1924
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Für Frieden und Demokratie!
Kampf gegen deutschnationale und kommunistische Demagogie im Reichstag.
Der erste Tag der parlamentarischen Feldschlacht ist vorbei. Man muß weit zurückgehen in der parlamentarischen Geschichte anderer Länder, um auf eine parlamentarische Entscheidung zu stoßen, die von gleicher Tragweite war wie die Entscheidung, die der Deutsche Reichstag fällen soll. Die Situation ist dramatisch zugespitzt: an der Entscheidung des Reichstags liegt seine eigene Existenz, hängt das Geschick der Wirtschaft und des Landes, hängen die Friedensaussichten und die Zukunft für Europa . Eine große und geschichtliche Entscheidung!
Der Kampf um diese Entscheidung wurde eingeleitet durch Herrn Hergt mit der Erklärung: Ich möchte beinahe fagen: hier stehe ich, ich fann nicht anders!" Könnte er es ehrlich ganz und nicht beinahe sagen, als ein ganzer Mann und Bertreter einer harten und ehrlichen Partei der Mächte der Vergangenheit, man könnte den ehrlichen Gegner grüßen in dem Augenblic, wo die Geschichte über ihn hinwegschreitet. Aber das ist nicht Wesen und Stellung der Deutschnationalen ! Wefen und Stellung der Deutschnationalen , das ist das Bei nahe" des Herrn Hergt, jenes Beinahe, das dafür Zeugnis ablegt, daß er nicht eine alte und tiefe Gesinnung bekannte, sondern daß er Gesinnung heuchelte, um dunkle und materielle Biele zu verbergen, daß er geschichtliche Entscheidung trifft nicht aus Gesinnung und Bekennermut, sondern nach den Berechnungen eines niederen Interessentenhandels.
Er wollte es beinahe sagen, das: Hier stehe ich, ich kann nicht anders. Beinahe! Er fann also auch anders, und wahr haftig, vielleicht hätte er ehrlicher gesprochen, wenn er, statt der Tiraden gegen das Ergebnis von London und die Unterhändler, zu begründen gehabt hätte, warum die Deutschnationalen dem Ergebnis von London zustimmten. Und vielleicht fönnen er und seine Freunde am Ende doch noch anders, wenn ihnen Bürgerblock und Zollvorlage mehr in der Nähe winken. Beinahe: das war der parteipolitische Inhalt der Rede von Hergt. Er sprach von Ablehnung, aber beinahe, noch nicht ganz! Dieses Beinahe kennzeichnet das Wesen der Deutsch nationalen , der Konjunkturpartei, dessen Nationalismus den Willen verbürgt, die Mächte der Vergangenheit noch einmal aur Macht zu bringen, um noch einmal eine Bolitik der rückfichtslofesten Interessentenvertretung wie in früheren Zeiten betreiben zu können.
Die Rede von Hergt war ein Bankrott des Geistes und der Ehrlichkeit. Die Abrechnung mit der Partei des Beinahe folgte auf dem Fuße: die Rede Hilferdings. Dort
Wege, den die Geschichte in Europa eingeschlagen hat, auf dem Wege zu Demokratie und Verständigung, sie wird mitgefchleift, nicht wollend, sondern wider Willen. Und wenn sie kämpfen muß unter dem 3wange der Situation, so wird sie widerwillig und mit halbem Herzen kämpfen. Denn mit halbem Herzen ist sie bei der Partei des Beinahe, bei der Parfei des Herrn Hergt. Herr Curtius, der Sprecher der Bolkspartei, war bewegt und entsegt bei dem Gedanken, daß seine Partei zum Kampfe gegen die Deutschnationalen gezwungen sein könnte. Er weiß nichts davon, daß eine große geschichtliche Entscheidung getroffen werden muß, und wenn er es wüßte, so würde er es verschweigen müssen. Denn diese Entscheidung fällt gegen die Halbheit auch seiner Partei, die sich wahrhaftig mehr als Partei der Vergangenheit, denn als Partei der neuen Zukunft fühlt.
Herr Wulle und Frau Ruth Fischer , der rechte und der linke Fuß, auf dem die Partei der Deutschnationalen steht mit ihrer Scheinmacht und ihren Ansprüchen. Hemmungsloseste Demagogie von rechts und von links, auf deren Schultern die Deutschnationalen in den Bürgerblod steigen wollen, parlamentarische Erscheinungen, die zum guten Teil nur als Nachwirkungen der Inflationsverzweiflung zu verstehen sind, und deren Stimmen bei der kommenden Entscheidung doch ins Gewicht fallen für neue Inflation. Das fennzeichnet die schweren Bedingungen, unter denen der Kampf für Demofratie und Frieden durchgefochten werden muß. Ein treues, aber trauriges Abbild der politischen Zustände Deutschlands , diese Debatte, die sich vom Mittag bis in den späten Abend ausdehnte.
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nicht zur Abstimmung, da das Haus um 41,15 Uhr nach elfs stündiger Sizung beschlußunfähig war.
Nächste Sigung heute 11 Uhr vormittag.
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In Fortführung der Debatte tam nach Wulle zunächst zu Wort Abg. Erkelenz( Dem.): Niemand ist so international wie die Nationalisten; denn die blutige Internationale besteht nur dadurch, daß ihre Leute hüben und drüber sich so gut in die Hände arbeiten.( 3uruf rechts: Wer hetzt denn? Sie doch bei Ihrer Verfaffungsfeier in Weimar !) Gewiß befriedigt uns das Abkommen nicht, aber es handelt sich eben nur um einen Zwangsvergleich, der uns durch die geschichtliche Lage Deutschlands , durch den verlorenen Krieg aufgezwungen worden ist. Die Ruhrbese hung ist weder rechtlich noch moralisch haltbar, sie darf nicht als eine Ruine in dem neuen Land der Verständigung und des Bertrauens stehen bleiben, wo sie nur provozierend wirft.
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Helfferich hat im Kriege vom U- Bootfrieg gejagt:„ Wenn diese Karte nicht sticht, ist Deutschland auf Jahrhunderte verloren!" ( Unruhe b. d. Dnat.) Bon diesem Gesichtspunkt muß der praktische Politiker die Londoner Abmachungen beurteilen. Der Redner ver gleicht den verzweifelten Zustand vom November 1923 mit dem heutigen und erklärt, man fei der Reichsregierung zum Dant ver pflichtet, daß sie die Aussichten so sehr verbessert habe.( Beifall i. d. Mitte.) Der Einfluß der amerikanischen Bantiers Kriegsheber heute nicht über diesen Einfluß beschweren. sei nur eine Folge des Krieges, also dürften sich gerade die ( Gehr richtig! b. d. Komm.) Herr Hergt habe heute die befehten Gebiete preisgegeben zugunsten der Junter Im Often und Norden. Herr Hergt, der die Bereitwilligkeit des Auslandes zu neuen Verhandlungen Ein treues, handlungen prophezeit, hat sich immer als schlechter Prophet erwiesen. Leider hat bie Außenpolitik der letzten Jahre Deutschland ganz im Einne Poincarés in eine Isolierung hineinmonöwriert, die nun hoffentlich mit London ihr Ende gefunden hat. Das zeigt sich auch in der Haltung der deutschen Regierung zum Internationalen Arbeitsamt in Genf . Als der deutsche Arbeitsminister einmal nach Genf fuhr, mußte er vor der Abreise in Berlin fchwören, daß er ja nicht die Internationale Arbeitskonferenz besuche. Wir wünschen eine tia: rere Steffung der Regierung zum Völkerbund und zur A brüstungsfrage im Sinne der Denkschrift von Schüiding und Montgelas . Das Londoner Abkommen befriedigt uns nicht, aber wir betrachten es als eine wichtige Etappe auf dem Wege zu einer befferan Zukunft. Neben diefem Reparationsabfommen brauchen wir nun ein zweites Reparationsabtommen zwischen den deutschen Arbeitgebern und Arbeitnehmern. ( Beifall b. d. Dem.) Reichskanzler Marx:
Es war halb neun geworden, als Herr Marr das Wort ergriff, um die Angriffe Hergts und Wulles zurückzuweisen. Die Tonart dieser zweiten Kanzlerrede war erheblich schärfer als die der ersten vom Sonnabend. Sei es, daß Herr Mary fich durch die Vorwürfe der Rechten gereizt fühlte, sei es, daß er die Hoffnung, die Herr Curtius auch noch am Grabe aufPflanzt, die Hoffnung auf den deutschnationalen Umfall, schon aufgegeben hatte gleichviel, Herr Marr nahm tein Blatt mehr vor den Mund, wenn er der Rechten zurief, solange sie keinen besseren Weg zeige, verbitte er sich ihre Kritit. Wenn er Herrn Wulle den Schildknappen Poin nationalen feststellte, gab es regelmäßig einen Mordstrach.
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die Haltung der Halbheit, des Schwankens, der Unehrlichkeit carés nannte, das Handinhandarbeiten mit den Deuta Herrn Reichspräsidenten gerichtet, die ich aufs tiefste be
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-hier die klare und ganze Verfechtung der zielbewußten Bolitit der Demokratie und des Friedens. Dort der Versuch, durch unwürdigen Handel die Mächte der Vergangenheit, des Unfriedens, der Unterdrückung noch einmal zu galvanisieren hier das unbeirrte Vorwärtsschreiten auf dem Wege zu einer freien Zukunft. Hergt sprach von Idealismus, und meinte damit die materiellen Interessen der Agrarier, die Buhlschaft um Ministersize und Regierungsbeteiligung aus der Rede von Hilferding flang der wahre unerschütterliche Idealismus, der Glaube an eine bessere Zukunft, die erkämpft werden muß durch Verteidigung und Ausbau der jungen Demokratie, der Trägerin des Friedens in Deutschland und in Europa . Hergt gebärdete sich als nationaler Oppositioneller -Hilferding aber sprach das treffende und vernichtende Urteil über ihn und feine Partei: der Nationalismus hat das Nationalbewußtsein erschlagen!
Die messerscharfe Beweisführung von Hilferding zerstieß die Demagogie von Hergt. Politisch und wirtschaftlich: die Haltung der Deutschnationalen unehrlich und eine Gefahr. Die Tendenzlüge wurde schonunglos aufgedeckt. In großen Zügen umriß Hilferding das Gesamtproblem. Die Frage der Lastenverteilung, die innerpolitischen Fragen traten hervor. Gegen die Kommunisten, die freiwilligen Bundesgenossen der Partei von Hergt, rechnete Hilferding mit derfelben vornehmen Sachlichkeit, aber mit derselben Schärfe und Treff sicherheit ab.
Geschichtliche Entscheidung soll gefällt werden! Da gilt es, die Tatsachen herauszuarbeiten, den realpolitischen Zwang zu wägen, und doch die großen Ziele und Ideale der Weltentwicklung nicht aus dem Auge zu verlieren. Das war der Inhalt der Rede von Hilferding .
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Wissen die Regierungsparteien, daß fie um eine weltgeschichtliche Entscheidung fämpfen, fämpfen müssen? Es flingt leise an in der Rede des Zentrumsabgeordneten Dr. Raas, laut und vernehmlich, in den Worten des Demo fraten Ertelen 3. Aber zu den Regierungsparteien gehört auch die Deutsche Volkspartei . Sie geht nicht mit auf dem
Es zeigte sich, daß die Völkischen über nicht geringere Stimmittel verfügten als die Kommunisten. Warum ward nicht auch hier ein Eremepl statuiert, warum flog nicht Herr Ahlemann aus Krotoschin Herrn Schwarz aus Lichten berg nach? Schließlich gelang es dem Vizepräsidenten Rießer doch, mit etwas alttestamentarischem Palmöl die aufgeregten Bogen des völkischen Meeres zu glätten und dem Kanzler wieder Gehör zu verschaffen.
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Der erklärte nun, hörbar für jeden, daß die Regierung bereitfei, am 30. Auguft den Londoner Vertrag frei willig zu unterzeichnen und daß sie hierbei die Unterstützung des Reichstags erwarte. Das ward allgemein so verstanden, daß die Regierung am 30. August auf alle Fälle unterzeichnen wird, auch wenn sie die Unterstützung dieses Reichstages nicht finden sollte. Die Situation spitzt sich dramatisch zu.
Nach dem Reichskanzler nahm Dr. Pfleger das Wort, um das zustimmende Votum der Bayerischen Volkspartei zu begründen.
Der Abg. Her gt hat Angriffe gegen die Person des ziehen, er habe dem Reichspräsidenten vorgeworfen, daß er bei flage. Man fann aus den Ausführungen Hergis ben Schluß feinen Maßnahmen und Entschließungen fich nicht lediglich von sachlichen, sondern von taktischen und parteipolitischen Gründen leiten laffe. Dagegen muß ich den allerschärfsten Protest erheben. Es wird niemandem gelingen, für diese unwahre Behaup tung einen Beweis zu erbringen. Der Herr Reichspräsident hat sich, wie ich aus meiner viele Monate langen Tätigkeit mit ihm zufammen glaube bezeugen zu können, durchaus von sachlichen Gesichtspuntten bei seinen Maßnahmen leiten lassen. Gerade die Partei, die so gern für die Autorität des Staates ein. tritt, sollte doch in erster Linie dafür sorgen, daß die Staatsautori tät erhalten wird, indem sie nicht in dieser Weise gegen die Person vorgeht, die den Staat repräsentiert. Daß seinerzeit den Deutschnationalen ein Ultimatum gestellt worden sei, ist durch us unrichtig. Hergt wirft der Regierung weiter vor, sie habe in der Beziehung die Erflärung abgeben, daß wir bei jeber Ge die Schuldfrage nicht entschieden genug behandelt. Ich fann legenheit, die uns irgendwie dazu angetan scheint, diese Frage anregen und zur Aussprache bringen. Was die Ausführungen von Herrn Wulfe zu einem großen Teil einer Entgegnung und eines
Eingehens auf Einzelheiten entbehrfidy erscheinen läßt, ist der Ums stand, daß er sich lediglich auf negative Kritit eingelassen hat. Er hat uns in feiner Weise einen Weg angegeben, wie denn vorzugehen ei, wenn man nun einmal das Dawes Butadyben abzulehnen sei, wenn man nun einmal das Dawes- Gutachten abzulehnen bereit ist.
Wenn die Frage, wie Deutschland aus feiner außerordentlich drückenden Kreditnot befreit werden soll, nicht klipp und klar beantwortet wird, dann verbitte ich mit die Aritit.( Große Unruhe rechts.)
So lange die Herren nicht in der Lage find, einen besseren Weg vorzuschlagen, fage ich: mir bittigen das Dawes Gut
Herr Bredt erklärte sodann die Zustimmung der WirtSchaftspartei. Während seiner Rede sah man die beiden Oppofitionsführer v. Graefe und Katz vor dem Tisch des Hauses in angelegentlichem Gespräch, das später in den Restaurationsräumen noch angelegentlicher fortgesetzt wurde. Schließlich mußte das erschöpfte Haus auch noch eine Rede des Knippel Runze über sich ergehen lassen, der sich von feinem Badeabenteuer wieder erholt zu haben scheint. Um 11 Uhr abends war auch die Kunziade zu Ende. Dann fam es aber noch besser. Herr Wulle meldete sich zur Geschäfts- ten in der Hoffnung, daß es uns auch wirtschaftliche Besserung ordnung und trug mit gerötetem Gesicht und affoholisch be bringen wird. Der Abg. Wulle ist in mancher Richtung über die einflußter Stimme den Antrag vor, die Rede der Reichs- Tatfachen nicht orientiert. Es gehört ein starkes Stud dazu, die fanglers aus der Montagssitzung öffentia anzu- ehauptung aufzustellen, wir hätten feine Urfunde über die Bea schlagen. Vizepräsident Rießer erklärte, dieser Antrag mi nach Hause gebracht. In den Atten des Auswärtigen Amts reitwilliglett Herriots zur Räumung der Ruhr nicht ernst nehmen zu fönnen und damit war auch diefer befindet sich ein Brief von Herriot und Macdonald, in dem die 3wischenfall erledigt. Ueber einen Antrag Iwan Ka Rumunng des Ruhrgebiets in höchstens zwölf Monaten zugefagt die schon im Auswärtigen Ausschuß durchberatenen Gesetze wird.( Zuruf b. d. Natsoz.: Das ist doch kein Vertrag!) Diefer nochmals einer Ausschußberatung zu unterwerfen, tam es Brief ist von mir angenommen worden. Der Kanzler verliest den