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großen Schaden erleiden würde. Me Situation ist ernst und deshalb beruft auch die Internationale Verewigung für den gesetzlichen Arbeiterschutz auf den 2. bis 5. Oktober L I. zu uns nach Prag   einen großen internationalen Kongreß der Sozial- Politiker ein, der vor allem über die achtstündige Arbeitszeit verhandeln wird. Es freut mich, daß zu diesem Kongreß neben hoch- bedeutenden Delegationen aus anderen Industrieländern auch schon eine zahlreiche Delegation der deutschen Sozial» Politiker und Repräsentanten der Arbeiterschaft angemeldet ist.
Die Abrechnung. Was steht hinter den dentschnationale« Jasager«? Vor Auflösung des vorigen Reichstags begründete die Deutschnationale Volkspartei   ihr Drängen nach Reu- wählen damit, hinter dem alten Reichstag stände nicht mehr die Mehrheit des Volkes: die Strömung fei zugunsten dernationalen" Erfüllungsgegner umgeschlagen. Die Wahlenvom4. Mai haben gezeigt, daß der Stimmungs- umschwung hinter den deutschnationalen Erwartungen zurück­blieb. Immerhin, dienationalen" Neinsager waren ein Machtfaktor geworden, wenn sie ihr Gewicht gemeinsam in die Wagschale warfen. Die Annahme des3 weiten Versailles  " durch diesen Reichstag war u n m ä g- l i ch, wen die auf Grund derNein"-Parole gewählten Ab­geordneten einstimmig gegen das Eisenbahngesetz gestimmt hätten. Aber aus 49 deutschnationalenNein"sagern waren über Nacht3a"sager geworden und das ,Lweite Versailles" wurde auf diese Weise durch die rechtmäßige Volksvertretung legalisiert. Die Deutschnationalen oerlangen nunmehr ihre Einbeziehung in die R e g i e ru n g s k o a l i t i o n der bürgerlichen Parteien. Was gibt ihnen ein Recht dazu? Vor den Wahlen leiteten sie das Recht aus dem Stimmungs- umschwung der Bevölkerung her, die die Jasagepolitik satt habe. Da sie jetzt nachträglich das Recht auf Eintritt in das Reichskabinett mit ihren 49 Jastimmen be- gründen, gestehen sie damit zu, daß ihre Argumentation zu- mindest heute nicht mehr stichhaltig ist. Aber das geben nur die 49 Jasager zu, die 50 Neinsager stehen nach wie vor auf dem Standpunkt, daß die Dawes-Gesetze untragbar sind, daß sie also bis aufs Messer bekämpft werden müssen. Daß man in diesem Kampf auch die S a b o t a g e als ein legales Mittel betrachtet, ist aus berufenem deutschnationalen Munde des öfteren gesagt worden und der deutschnationale Reichstags- abgeordnete Q u a a tz hat erst letzthin ausgeführt, daß die deutschnationalen Neinsager auch heute, nach Annahme der Gesetze, gewillt sind, dieses Mittel anzuwenden. Auf die Loyalität der deutschnationalen Neinsager könnte also selbst ein Kabinett unter der Führung eines deutschnationalen Ja- sagers nicht rechnen. Und den Fall, daß ein deutschnatio- naler Neinsager in ein etwaiges Bürgerblock- k a b i n e t t eintritt, kann ein ernster Politiker nicht ins Auge fassen. Den Machtzuwachs teilten am 4. Mai die deutschnatio- nalcn Neinsager mit den Nationalsozialisten. Diese aber haben durch ihre parteiamtliche Presie den deutschnatio- nalen Jasagern Urfehde ankündigen lassen. Auch der Alldeutsche Verband  , den die Deutschnationalen bisher als eines ihrer Wählerreservoire betrachteten, hat sich auf einer Stuttgarter Tagung am 1. September entschlossen, auf der Seite der Neinsager zu bleiben. Er bezeichnet in einer Resolution das Londoner   Abkommen als die äußerste Gefährdung der Zukunft und Ehre des deutschen   Volkes und kündet den schärfsten Kampf gegen alle an, die diese Schmach und Not verschuldet haben. Der Alldeutsche   Ver- band, so heißt es in der Entschließung, fühle sich schon jetzt durch Abmachungen nicht gebunden, die Unmögllches bestim- men und deshalb unsittlich sind. Wenn Worte einen Sinn haben, so bedeutet auch diese Resolutton eine Absage an
die deutschnattonalen Jasager. Auf die Nationalsoziallstische Freiheitspartei und auf den Alldeutschen   Verband kann sich also die deutschnationale Iagruppe ebenso wenig stützen wie auf die Fraktionsgenossen von der Neingruppe. Fragt man sich, welcher M a ch t f a k t o r übrig bleibt, auf den sich die deutschnationalen Erfüllungspolitiker bei ihrem Eintritt in die Reichsregierung stützen können, so bleiben an Realwerten nur die 49 Jastimmen übrig. Die bürgerlichen Mittelparteien müßten ebenso große Esel wie die Deutsch  - nationalen sein, wollten sie den 49 deutschnationalen Dissidenten zullebe, unter denen sich nicht ein einziger Führer der Deutschnationalen befindet, die rücksichtslose Opvositton der 100 Mann starken sozialdemokra- tischen Fraktion eintauschen, zu der auch noch die Oppo- sitton der 28 Mann starken demokratischen Fraktion stoßen würde. Zumindest müßten sie bei diesem Wagnis offene und unzweideutige Erklärungen des Vorstandes und der Gesamtfraktion der Deutschnationalen Partei ver- langen, in denen sich die Gesamtpartei verpflichtet, die Durchführung der Dawes-Gesetze und die Linie Marx-Strese- mann in der Außenpolitik nicht zu durchkreuzen. Von innen- politischen Sicherungen ganz abgesehen. Aber eine f e st e Garantie würden bei der Disziplinlosigkeit und den Gegensätzen im deutschnationalen Lager auch diese offiziellen Erklärungen nicht bieten. Das Wagnis bliebe ein Wagnis. Eine Klärung der Haltung der Deutschnationalen und damit eine Klärung der politischen Lage überhaupt könnten nur Neuwahlen bringen.
Der Tropfen Schmach im Dlut. Noch eine Rede aus der dentschnationalen Ffraktion. Als die deutschnationale Reichstagsfraktion sich entschlossen hätte, 50 Proz. der Fraktionsmitglieder auszulosen, um mit Ja für das Eisenbahngesetz zu stimmen, und Herr H e r g t seine von uns mitgeteilte Rede an die Triarier der anderen 50 Proz. gehalten hatte, beschloß sie weiterhin, daß die zehn Minuten vorher gehaltene Rede des Abgeordneten Schlange- Schöningen   als nicht gehalten angesehen werden müsse. Der Beschluß ist leicht begreiflich, wenn man den Wortlaut der Rede von Herrn S ch l a n g e- Schöningen kennt. Hier ist er: Wenn das Gutachten angenommen werden sollte, so bedeutet das nichts anderes, als daß wir in die völlige Knechtschaft des internationalen Großkapitals kommen. Die Franzosen drehen uns militärisch und politisch das Ge- n i ck um, das internationale Kapital wird es wirtschaftlich tun, so daß nichts mehr von Deutschland   übrig bleibt als ein ent- nerotes Volt, das überhaupt nicht mehr ein Volk, sondern das Arbeitstter für andere Völker zu nennen ist. Ich darf dabei noch einmal das wiederholen, was ich seit einem halben Jahr ausgesprochen habe, daß es in Deutschland   erst in dem Augenblick besser werden kann, wenn ein« entschlossene Rechtsregierung am Ruder ist, d. h. ein« Regierung im Reich und namentlich in Preußen, die entschlossen ist, mit den Männern, die sie in Regierungsstellen schickt, querweg über alle Bedenklichkeiten, namlntlich aber querweg über das Geschrei der Straße, das zu tun, was zur Rettung von Staat und Volk not- wendig ist. Und deswegen habe ich es für richtig geholten, bis an die Grenze des Möglichen zu Konzessionen be- reit zu sein, zu versuchen, in die Regierung hineinzukommen, weil man nun einmal die Hand am Ruder des Staates haben muß. Es ist uns geradezu ein kategorisches Gebot der Pflicht, in die Regierung hineinzugehen, allerdings unter zwei Bedin- gungen: doß wir wirklich in die Machtstellungen des Staates hineinkommen, und glauben Sie mir, niemals wird sich ein« deutschnationale Parteileitung dazu hergeben, als Anhängsel mitzugehen, eine Rolle wie die Deutsche   Voltsportei werden wir niemals spielen. Der andere Gesichtspunkt ist der, daß wir bei einem Eintritt in die Regierung, um die ungeheuren Schwierigkeiten zu überwinden, von dem Vertrauen der Massen ge- tragen sein müssen.
Dann aber dürfen wir auch nichts getan haben, was gegen die Ehre ver stößt, und ick> habe die Empfindung, wenn eine deutschnationale Fraktion sich bereitsinden würde, dieses Sachverständigengutachten, das unsere Brüder an Rhein  und Ruhr preisgibt, anzunehmen, dann hat sie damit linen Tropfen Schmach in ihr Blut bekommen, dann hat sie an ihrer Ehre gelitten und kann nicht über das Vertrauen verfügen, das wir haben müssen, um so zu regieren, wie es verlangt werden muß. Und deswegen bin ich der Ansicht, daß sich kein deutschnationaler Ab- geordneter finden darf, der für dieses Gutachten, ober besser für dieses zweite Versailler Diktat, seine Stimme ab- geben karm. Und wenn, was ausgeschlossen ist, sich ein Abgeordneter dazu bereitsinden sollte, so bin ich der festen Ueberzeugung, daß der Unwille der Deutschnationalen im Lande ihn sofort von seiner Stellung hinwegfegen würde." Herr Schlange-Schöningen sprach von dem einen Tropfen Schmach im Blut. Es ist nicht der eine Tropfen es sind 50 Proz.! Kein Wunder, daß die deutschnationalen Abgeord- neten, die an ihrer Ehre gelitten haben, diese Rede ungehalten machen wollten! DieKreuMitung" hat unsere Mitteilungen aus de? deutschnationalen Fraktionssitzung alsErfindungen" bezeich- net. Sie mag sagen: ist die von uns wiedergegebene Rede von H e r g t eine Erfindung? Und ist die Rede von Schlange- Schöningen   etwa auch eine Erfindung? Nach dem Umfall schrieb die deutschnationale Partei- leitung:im vollen Bewußtsein ihrer Einmütigkeit hat die Fraktion usw.". Es mag unangenehm sein, dokumentiert zu erhalten, daß die Einmütigkeit darin besteht, daß der eine das Tun des anderen als Schmach und ehrenrührig an- sieht! Wir sind gespannt, ob dieKreuzzeitung  " noch einmal von Erfindungen reden wird, oder ob sie es vorzieht, über die deutschnationale Familienschande, über denTropfen Schmach im Blut", stillzuschweigen._ Zentrum gegen Sürgerblock! DerSozialdemokratische Parlamenisdienst" schreibt: Es kann kein Zweifel darüber bestehen, daß der Drang nach dem Bürgerblock auch innerhalb der Zentrumsarbeiterschaft allge- meine Erregung hervorgerufen hat. Die letzte Sitzung der Zentrums- frakkion soll das Nar erwiesen haben, und es wird uns deshalb nicht ohne Grund versichert, bah das Zentrum vorläufig gar nicht daran denkt, die Sammlung des Bürgertums gegen die Sozialdemokratie, wie es sich die Deutschnationalen vorstellen. zu gestatten. Es ist erfreulich, daß jetzt der frühere Reichskanzler Dr. W i r t h diese Ankündigung in einem Interview bestätigt, in dem er sagt, der Bürgerblock sei kein Instrument zur Aus- führung der Dawes-Gesetze, er sei vielmehr aus dem Wunsche ge- boren, unter deusichnationaler Führung die politische Ent- Wicklung im Reich und in den Ländern völlig umzukrem- peln, und in dem er auf die Möglichkeit einer Reichstags- ouflösung hinweist. Die Rechte wird sicherlich versuchen, den Wert seiner Warte unter dem Hinweis herabzusetzen, daß Wirth mit wenigen anderen Fraktionstollegen einen linken Flügel bilden, dem es bisher nicht gelungen ist, ausschlaggebenden Einfluß in der Froknon zu gewinnen. Im allgemeinen mag das richtig sein, aber für die Auffassung der Zentrumsfraktion über den Bürgerblock soll das, wie uns immer wieder versichert wirb, nicht zutreffen. In diesem Punkt« so heißt es gehen Wirth und Marx gegen Stegerwald konform, und mit ihnen marschiert nach unseren Informationen bisher die Mehrheit, so daß die Er- klärungen des früheren Reichskanzlers Dr. Wirth die Auffassung der Zentrumsfraktion wiedergeben dürften. Wir glauben nicht fehl zu gehen in der Annahme, daß mit dem Interview des früheren Reichskanzlers Dr. Wirth die Offensive der Zentrumsmehrheit gegen den Bürgerblock eingeleitet ist. Bleibt das Zentrum bei seiner jetzigen Haltung, dann dürften die Deutschnattonalen endgültig um den erwarteten Preis be- trogen sein.
Sie dürfen alle Kräfte entfalten, die so lang« brach liegen mußten. Man fühlt es deutlich: sie sind nicht mehr verwachsen, unterernährt, pockennarbig, nein, vollwertige Menschen sind sie, Mütter in dieses Wortes schönster Bedeutung. Und ich freue mich an ihrem Glück und studiere voller Behagen das Wunder, das mit ihnen vorgegangen. Lieb«, welche Zauberin du bist!---
Große Ireuöe ist uns wiöerfahren. Ra". sagte mein deusichnationaler Bekannter,jetzt wird's ja wieder besser werden."So", fragte ich,werden die Deuttch- nationalen nun doch noch annehmen?"Quatsch, wer spricht denn von annehmen? Die Dawes- er sagte D a w c s Gesetze müssen wir natürlich ablehnen. Das ist ja auch alles Nebensache. Menschenskindl feinem Zahngehege entsprang ein förmlicher Iuchzer die Herbstmanöver kommen wieder. Am 1. September fangen sie schon an. Glauben Sie jetzt, daß es wieder vorwärts geht?" Er warf sich m die Brust. Ich war erstaunt und glaubte erst an einen sehr verspäteten Aprilscherz, aber die leuchtenden Augen und das vor Wonne ftrah- lende Gesicht meines Bekannten machten mich doch stutzig. Er fühlte sich anscheinend sicher. Bescheiden fragte ich, wozu wir denn eigcnt- lieh Manöver gebrauchen; ob etwa wieder ein neuer Schlachtplan, Patent Lindström, ausgeprobt werden soll. Naeh meiner Meinung hätten wir doch davon geradezu genug. Er würdigt« mich keiner Antwort, sondern reicht« mir nur sein Leib- und Magenblatt, den Berliner Lokal-Anzeiger". Da steht's drin, schwarz aus weiß, daß in der Neumark d.« Herbstmonöver stattfinden werden.,Die Freude der Bewohner ist sehr groß. Die Gewerbetreibenden hoffen auf eine Verbesserung ihrer allzu winzigen Einnahmen durch die Truppen und Zusehauer. Die Landwirte nehmen die Unannehmlichkeiten des Flurschadens gern auf sich, weil ihre Traditionskompagnien teilnehmen an den Manövern aus den historischen Kampfplätzen usw. usw." Ach so, dachte ich, aus di« Luke pfeift der Wind.Hören Sie mal," sagte ich,das ist doch aber paradox. Auf arm« Kartoffel- stoppler wird geschossen, und mit dem Flurschaden durch die Truppen sind die Landwirte einverstanden! Was meinen Sie denn dazu?" Cr sagte erst gar nichts, dann aber meint« er das fei doch etwas ganz anderes. Darauf trennten wir uns. Mir will es aber nicht aus dem Kopf und Ich find« es sogar noch viel paradoxer, daß ausgerechnet jetzt, wo Deutschland   ersten» absolut kein Geld hat, um kulturelle Ausgaben zu erfüllen, und zweitens, wo es um Deutschlands   Sein oder Nichtsein geht, große Herbstmanöver stattfinden sollen, um den Gewerbetreibenden der Neumart dieallzu winzigen Einnahmen zu erhöhen" und um den Landwirten ihreTradltionskompagnien" im kriegerischen Spiel, das durch das Geld der arbeitenden Bevölkerung bezahlt wird, in Freiheit vorzuführen. Wirklich,«ine große Freude ist uns widerfahren. K. S. Das Refldenzlheaker wird nach vollständiger Renovierung unter der Direktion Felix Reinhardt am Donnerstag, den 11. d. M., mit der Berlincr PosseDie vier Schlaumeier-, von Dr. Decker und Rich. Bar», Mussl von Walter W. Goctzc, eröffnet.
Die ürei alten Mäöchen. Von H. Wega. Schon vor einem Jahr begann die Veränderung. Damals, als ich ste nach ihrem Mieter fragte. Das übliche Tagesgespräch, seit jeder dritte Mensch, durch die Verhältnisse gezwungen, aus seiner Wohnung Nutzen zu ziehen versucht. Und meistens wirkt dies« Frage wie ein Sttch ins Wespennest. Man ergeht sich in Klagen.. Schimpfworteu, die noch wütender werden, wenn der Mieter eine Mieterin oder garein Ehepaar mit Kiichenbenutzimg" ist. Die wenigsten Menschen sind diesem engen Zusammenleben, das von beiden Seiten Takt und Nachgicbigkett erfordert, gewachsen. Aber meine drei alten Mädchen, die bisher ein« etwas säuerliche Verbitterung zur Schau getragen hatten, sahen sich bei dieser meiner Frage verständnisinnig an und lächelten mild, mild, beinahe mütterlich. Reizend ist unser Herr!" Ein so feines, liebes Menschenkind I" Wir leben ordentlich auf, seit wir ihn im Haus haben!" Di« Antworten überstürzten sich förmlich, und ein Abglanz dessen, was sie von ihrem Mieter Gutes sagten, lag auf den drei blassen, reizlosen Gesichtern. Viel Sonne mochten sie nicht kennengelernt haben m ihrem Leben. Die eine verwachsen, die andre sehr klein und viel krank, die dritte mit Blatternarben im Gesicht, verfügten sie wohl über keine einzige liebe Erinnerung, die geeignet gewesen wäre, ihr späteres Leben niit Wärme zu durchstrahlen. Ich kannte sie als Besitzer des Nachbarhauses seit 18 Jahren und hatte ein Hühneroerhältnis mit ihnen, d. h.. ich sammelte unsre Reste für ihre Hühner, was mir eine gewisse Anhänglichkeit ihrerseits eintrug. Die Mutter war ihnen früh gestorben, dann hatten sie dem Vater gemeinsam die Wirtschast geführt, bis auch dieser kurz vor dem Krieg starb und ihnen gerade in der schlimmsten Zeit die Verwaltung des Hauses aufzwang. Aengsttich und kurzsichtig, ohne praktischen und wirtschaftlichen Heb er­blich wie die Mädchen früher erzogen wurden, zeigten sie sich ihrer schweren Aufgabe nicht gewachsen. Sie ließen das Haus verkom- men, als es noch nicht nötig war, und lebten daher in ständiger Feindschaft mit den Mietern. Während der Inflationszeit mußten sie die Segel streichen und ihr Haus an irgendeine ausländische Ge- sellschaft verschleudern, die ihnen nicht einmal die Verwaltung belieh, weil die Mieter sich dagegen sträubten. Seitdem sah man sie noch kümmerlicher, noch verbitterter einhergehen als sonst. Alle Möglich. keiten, sich über Wasser zu halten, wurden ausgenützt, und trotzdem stcrnden ihnen oft Hunger und Not auf den welken Gesichtern ge- schieben. Zuletzt griffen sie zu dem Allheilmittel und vermieteten dos beste Zimmer an einen gutzahlenden Herrn. Und, wie gesagt, das Mittel schien einzuschlagen. Traf man die Verwachsene, die die Wirtschaft besorgte� während
die andern beiden schneiderten und Wäsche nähten, beim Schlächter, so holte sie mit strahlendem Gesichtein Schweineschnitzel für unfern Herrn". Auch Bier wurde hin und wieder mit liebevoller Fürsorge ins Haus getragen, das sicher nicht auf ihren Tisch kam, und der Marktkorb quoll über von allerhand guten Sachen, die er lange nicht gesehen hatte. Geben Sie Ihrem Mieter denn Pension?" fragte ich einmal die Kleine bei der üblichen Hühnerfuttcrabgabe. Ja, denken Sie," mit einem glücklichen Leuchten in den tief- liegenden Augen,er hat uns gebeten, für ihn mitzukochen. Er ist doch aus dem besetzten Gebiet, hat eine junge Frau zu Hause und kann sich an das Restaurationsessen nicht mehr gewöhnen. Wir sorgen auch für seine Wäsche usw. Er ist ein zu netter Mensch!" Der Glückliche! Ich stellte mir vor, wie diese drei alten Mädchen- herzen alle Liebe, die sie in einem einsamen Leben aufgespeichert hatten, über ihn ausschütteten, ihn mit selbstloser Fürsorge umgaben, ohne etwas andres zu verlangen, als daß er eben mit seiner jungen Männlichkeit ihr leeres Haus erfüllt«. Seit einiger Zeit Höne ich auf dem Balkon, der zu dem abver« mieteten besten Zimmer gehört, Kinderjauchzen und sehe hin und wieder verdächtige kleine Wäsche hängen. Nanu", frage ich meine drei alten Mädchen, die im letzten Jahr zusehends jünger geworden sind,ist der Klapperftorch bei euch eingekehrt?" Wieder geht ein verschämtes glückliches Lächeln von der einen zur andern. «Er hat doch feine Frau nachkommen lassen, unser Herr!" Das konnten wir schließlich nicht ablehnen nach einem Jahr!" Und d-s Kind ist so süß!" Ist es auch, lieb und süß!" pflichteten die beiden andern eifrig bei. Aber die Arbeit, die Sie damit haben, die Kinderwösche, die Kocherei, das Geschrei" Da kam ich jedoch schlecht an bei meinen dreien, in denen die Mütterlichkeit voll erwacht schien. Unser Kind schreit nicht!" Unser Kind macht keine Arbeit!" Und das bißchen Wäsche, na!" Wieder habe ich Gelegenheit, die Glücklichen zu beneiden, die aus der durch Jahrzehnte aufgespeicherten Mütterlichkett der drei alten Mädchen Nutzen ziehen dürfen. Di« junge heitere und leben«. lustige Frau hat es äußerst bequem. Sie kann fortgehen, so viel sie will. Ihr Kind ist immer in bester Hut. Die Kleine sährt den Kinder- wagen, die Blatternarbige sitzt stundenlang mit ihrer Näharbeit auf dem Balkon und wacht über dem Säugling. Und die Verwachsene sah ich neulich heimgehen mit einem Luftballon um die Hand ge- wickelt, den sie stolz fürunser Kind" erstanden hatte. Dabei diese frohen, vielleicht zum erstenmal jungen Gesichter! Der Stempel, der ihr einsames, liebeleeres Leben ihnen aufdrückte, ist verschwunden.