cagetfinblgf hst. der als solcher nach einer früheren Miiieilnng des Reichskanzlers keinen Einzelfall darstellt.(Wurde zunächst offi- ziös abgeleugnet! Red. d. V.) Er muß ober eigenartig be- rühren, daß das amtliche französische Bureau beinahe schon 24 Stunden, nachdem der Brief in den Händen des französischen Ministerprüsidenien sein konnte, die Vertraulichkeit des Briefes brach, und hieraus ist die große Bewegung entfacht worden, die dann von innen und außen gegen die Notifizierung des Widerrufs ein- gelegt wurde. In maßgebenden Kreisen der Reichsregierung dürfte man der Auffassung sein, daß der Ankündigung auch die Tat folgen muß, wenn eine Regierung nicht auf ihr« Autorität oer- zichten will. Der Widerruf der erpreßten kriegsschuldlüge dürfte auch die Grundloge für den deutscheu Beitritt zum Völkerbund sein. (Widerruf durch wen? Der deutsche Widerruf ist schon 1919 durch Scheide mann und Bauer erfolgt, den der anderen ab- warten heißt den Eintritt in den Völkerbund ins unendliche»er- tagen. Red. d. V.). Ehe diese Jcage nicht geklärt ist, ist die An- Meldung Deutschlands unmöglich. Wenn in der Oeffsnkkichkeit der Eindruk? erweckt wird, als ob bereits Einladungen an Deutschland erfolgt seien, so muß demgegenüber betont werden, daß noch keiner- lei Einladung vorliegt. Wenn die Alliierten Wert darauf legen, den„leeren Stuhl Deutschlands " besetzt zu sehen, so holten sie durch ihre Botschafter und Gesandten das Deutschland längst wissen lassen können. Auf eine deutsche Anfrage ist sogar eine ab» lehnend« Antwort erfolgt. Auch während des vierzehn- tägigen Aufenthalts der deutschen Delegation in London ist von der Gegenseite nicht einmal Gelegenheit genommen worden, ein Wort über den Beitritt Deutschlands zu sagen. Di« Führer der deutschen Delegation sind auch einmal drei Stunden bei Lord Parmoor zum Frühstück gewesen, ohne daß auch der englische Vorkämpfer des Völkerbundes nur eine Andeutung gemacht hätte. Die Frage ves Beitritts Deutschlands ist vom deutschen Standpunkt aus«ine Frage der Zweckmäßigkeit, aber sie ist nur möglich unter Verhältnissen, die die Gleichberechtigung garantieren. Es ist auf die Satzungen oerwiesen worden. Diese Satzungen aber sind von den Siegern geschaffen worden in einer-Jeit, in der sie nur die Absicht hatten, Deutschland auszuschließen. Wenn man seht den Einirilt Deutschlands wünscht. so ist eine neue Situation entstanden, aus der auch die Gegenseite die Konsequenzen zu ziehen hätte. Leider aber konnte auch von dem hervorragend st en Sozialisten im deutschen aus- wärtigen Dien st nur der Standpunkt vertreten werden, daß der gegenwärtige Augenblick für die Anmeldung Deutschlands nicht geeignet sei. In den Kreisen der Rcichsregierung ist man übrigens der Anficht, daß Graf Keßler fein« Rolle in Genf nicht als offizieller Beobachter, sondern in einer offiziösen Mission korrekt gespielt heb?. Der Rame des Grafen Keßler ist einer auswärtigen Macht auf Wunsch für irgendwie notwendige oder mögliche ver- milkler aufgaben genannt worden.(Siehe dazu die Kehler beleidigende Ableugnung des Auswärtigen Amts vor wenigen Tagen. Red. d. V.) Da der Urlaub des Reichskanzlers und des Außenministers vor dem Abschluß steht, ist zu erwarten, daß das Kabinett sich bereits Anfang der nächsten Woche mit diesen Fragen entscheidend beschäf- tigon wird und man hegt deshalb in den Kreisen der Reichsregierung nur den Wunsch, daß diese für Deutschland so außerordentlich wichtige außenpolitische Frage in der Oeffentlichkeit water dem Gesichtspunkt der Außenpolitik und nickt unter dem inncrpolitischer Kom- binationen behandelt werden mochte.(Ja, wenn das wirklich ge- fchehen wäre! Red.) Wir haben unsere Bedenken gegen diese eigenartige Erklärung schon in einigen Einschiebungen in ihren Text zum 2lt!sdn.!ck gebracht. Manches wird noch na6)zutragen sein. Aber wenn sich diese eigenartige Erklärung darauf be- ruft, daß der„hervorragendste Sozialist in divloma- tischen Diensten" in der Bölkerbundfrage mit.dem Urheber der eigenartigen Erklärung einer Meinung sei, so muß dazu noch bemerkt werden, daß allerdings e i n Sozialdemokrat im diplomatischen Dienst früher vom Eintritt in den Völker- bund abriet, jetzt aber zu ihm rät! Das dürfte zunächst genügen.
Awei Meistersinger. Schal japin und Wüllner. Der Zufall will es, daß sie Tür an Tür zur gleiche» Swnde singen: Theodor Schaljapin und Ludwig Wüllner . Der große Russe ist eine Sensation der Welt. Wenn er, ein Riese an Wuchs, auf des Podium tritt, so weiß man: dies da ist der groß«, einzige, weltmännische Rattenfänger, der den Befehlen der Sowjet- Machthaber trotzt«, den Liebe und Anbetung fast auf Zarenthron gehoben hätte. Eine schlenkernde Grandezza, eine Ucberlegenheit der .Haltung, ein weiches oder brutales Gestikulieren mit den überaus schöne« Händen— auch die Männer müssen ihm in Verehrung zu- schauen. Das ist einmalig, wie die Mimik des großen Kunstlers. Aus Stimmung heraus musiziert er so frei, als gelte es«ine Probe. Er dirigiert die Vo-rsp!el« des unglücklichen Begleiters, feuert ihn an, beschwichtigt das aufsässig« Klavier, schimpft auch einmal und dreht sich fast um die ganze Achse. Ein jeder soll sein wundervoll ge- schnittenes Gesicht sehen: hier stehe ich, Schaljapin . Und jedes Lied, jede Arie wird zu einer geschlossenen Nmnmerz jeder Ton wird Geist, jedes kleine lyrische Ereignis malt sich in den Zügen des Singenden. Ein Lted von Rubinstein, eins von Schubert: nein, das sind kein« Lieder mehr. Ganz undeutsch, ganz ohne Sentimentalität, ohne das weiche, beschauliche, ebenmäßige Abrollen eines Melodiefadens. Im russischen Lied des Zuchthäuslers scheint die Enge und Kahlheit des Raums wie der Stimme mitzuklingen. Schaljapin ist kein Jüngling mehr, und das Riesenhafte, Ungeschlachte. Pechschwarze des Basses umtost uns nicht mehr. Der Ton muß viel von Schmelz und Kan- lilenenguß umsetzen in Pointen. Nicht diese Stimm«, fondern ihre Unterordnung unter die Dacftellungsidee überwältigt uns. Wer ihn hört, ist kaum betört: wer ihn gleichzeitig sieht, für den erblüht das groß« Wunder eines mitleidenden, einfühlsamen Menschen. Ein Schauspieler des Konzertpodiums. Wehe, wenn einer diese wunder. bare Willkür imitierte! In Trinkliedern wirkt die torkelnde Lustig» keit des Mannes ansteckend. Rufsische Bubenköpfe wackeln den Rhythmus mit, und unser Atem geht schneller. Die Leporelloari« endlich und das Mephistolied sind geniale Höchstleistungen. Nicht nur jeder Ton,— jede Pause lebt, klingt, ist erfüllt von Theaterstimmung. Großer, liebenswerter Schaljapin , kehre uns wieder zurück und zeig« dich auif der Bühne, als Boris, als Figaro, als Mephisto. Wir kennen jetzt dein« Begrenzung, zeig dich uns in deiner grenzenlos großen Thoaterkunst. Von oll dem, was Schaljapin auszeichnet, hat Wüllner auf dem Podium nichts. Die Stimme gegen die des Russen ein Hauch, die Mimik primitiv, der Atem kurz. Dennoch: über die Schwächen des Materials hilft die künstlerische Durchlebung des Stoffes hinweg. Altdeutsche Volkslieder von Brahms höre ich mit einer Weichheit Ausdrucks singen, die zu Tränen rührt. So spricht, so fingt ein
Das Ziel üer Aktion. Die Deutschnationalen und die Kriegsschuldfrage. Die„Pommersche Tagespost" vom Freitag zeigt, was das Ziel der von den Deutschnationalen geforderten Kriegsschuld- aktion sein soll. Diese Aktion, so erzählt sie ihren deutsch - nationalen Lesern, werde die UnioersalmejZizin sein, die Deutsch- lond heilen, der Schlüssel, der seine Ketten sprengen werde: „Frei soll uns dieser Widerruf machen, die Ketten sprengen, die unser Volk zu zermalmen drohen und unserem Vaterland die primitivsten Völkerrechte wieder bringen. Dazu ge- 'hört vor allem die Wiedervereinigung des deutschen Volkes. Wer es nicht wagt, an dem Versailler Lügengebäude zu rütteln, der verrät unsere Westpreußen , die Oberschlesier , Schleswig- Holsteiner , die Saarländer und nicht zuletzt das deutsche Elsaß . Was uns an deutschem Land und Volk geraubt wurde, muß uns wieder- gegeben werden. Nicht zu vergessen die deutschen Kolonialländer, die unter der Mandatswirtschast völligem Verfall entgegenschreiten, während sie Deutschland bitter.not tun! Auch sie wurden uns ja nur durch Lüge und Heuchelei entrissen." Der Kampf gegen die Kriegsschuldlüge und der Wider- ruf soll also die Zerreißung des Versailler Vertrages bedeuten, den Widerruf der Unterschrift und der deutschen Verpflich- tungen. Zugleich die Sprengung der Ketten. Da man durch Erklärungen keine Ketten sprengt, erscheint der Revanchekrieg im Hintergrund. Das soll also der„Sinn" der Kriegsschuld- aktion sein. Die Nationalisten des Auslandes werden diese deutsch - nationalen Gedankengänge benutzen, um ihre auf die Nieder- Haltung und dauernde Bedrückung Deutschlands abzielende Politik neu zu beleben. Herr Poincarck wird das ihm dar- gebrachte Gotteshsschenk ausnutzen. In Wahrheit sind die Phrasen der„Pommerschen Tages- post" nur der demagogische Nebel, mit dem die Deutschnatio- nalen ihre Aktion umgeben, um sie in großen Dimensionen erscheinen zu lassen. Es handelt sich bei ihnen nicht um die tettensprengende Befreiung Deutschlands , sondern um die Be- freiung ihrer Partei aus der würgenden Verstrickung, in die sie sich durch den fünf.zigprozentigen Umfall vom 29. August gebracht hat. Die deutschnationale Aktion in der Kriegsschuld- frage ist ein demagogisches Ablenkungsmanöver, phrasenhafter Lärm, um über die Auswirkung der ungeheuren Blamage hinwegzukommen. Ein Manöver, das um so schäbiger ist, weil eine ernste wahrhaft nationale Sache damit zum Partei- politischen Spekulationsobjekt gemacht und diskreditiert wird. Es ergibt sich also folgendes Bild: die Deutschnationalen leiten eine Aktion in der Frage der Kriegsschuld ein, die inner- politischen Motiven entspringt und innerpolitische Ziele ver- folgt. Um die innerpolitische Motivierung zu verdecken, setzen sie ihre außenpolitischen Ziele, an die sie selbst nicht glauben. Diese Zielsetzung aber gefährdet die Entwicklung zur Be- freiung Deutschlands und liefert den gehässigsten Gegnern der Verständigung Material gegen Deutschland . Mitglieder der Regierung aber machen dies Spiel mit. Das Ganze: Bürgerblockpolitik.
Die Räumung in vollem Hange! Bochum , 12. September. (Eigener Drahtbericht.) Der A b- marsch der Truppen von der Ruhr ist in vollem Gange. Seil Freikag ist der Landkreis Bochum von französischen Truppen befreit. Auch der Landkreis Gelsenkirchen ist heule ge. räumt worden. Die beschlagnahmten Wohnungen. Schulen wurden endgültig freigegeben. Zlblransporle von Befahungstruppen wer- den ebenfalls ans den Landkreisen Recklinghansen sowie aus Gladbeck . Doerlen und Buer gemeldet. Räch Beendigung der Truppenbewegungen dürfte lediglich noch in den größeren Städten Zllilitör liegen. Die Liquidation der Regie steht ebenfalls unmittelbar bevor. Die baldige Räumung der von dem Regiepersonol und den Familien der Regiebeamten benutzten Wohnungen ist bereits vor- bereitet. Die Reichseifenbohn hat deshalb ebenfalls Vorbereitungen sür die Ilebernahmc der Regiebahnhöfe und-strecken getroffen. Sämtliche im Urlaub befindlichen Reichscisenbahnbeamten im besetzten Ge-
Weiser- zu den Kindern. Wir sind nicht gespannt, wir horchen nur. Auch wenn wir die Augen schließen, wissen wir. daß hier«in großes Gefühl gelöst wird, gelöst aus den Tönen und Klängen. Hier ist deutsche Lyrik auf sanften Fittichen in unser Herz getragen. Der Schauspieler vergißt sich und ist vergessen. Der große, gütige Mensch bleibt. Und in diesen Minuten ist aus Hörern eine Gemeinde von Frommen geworden. Der Genius des deutschen Lieds geistert durch den Saal. Kurt Singer ,
Dantes Hölle in Mrika. Noch immer hat es der menschliche Fortschritt nicht vermocht, auch die letzten Schandflecke auszutilgen, die sich als Ueberreste einer grausamen Denkweise vergangener Jahrhunderte bis in unsere Tage haben erhalten können. Die Sträflingskolonie von Cayenne, die Teufelsinsel, auf der die zu Zwangsarbeit verurteilten französi- lchsn Gefangenen mit einem Leben unsagbarer Pein für ihre Ver» brechen büßen müssen, ist seit der Dreyfus-Affär« in der ganzen Welt bekannt und berüchtigt. Zu den Kämpfern gegen diese Schmach gehört auch em Franzose, Albert L o n d r e s, der diese Gefängnisse aus eigener Anschauung kennt. Im vergangenen Jahr hat Londres die Ergebnisse seiner Studien in den Gefängnissen von Cayenne veröffentlicht und damit dem trägen Gewissen der französischen Oeffentlichkeit einen starken Anstoß gegeben. Es wurde«ine parlamentarische Kommission eingesetzt, mit der Aufgabe, ein« Reform des Strafvollzuges in dieser Kolonie vorzubereiten. Damit war es Londres noch nicht genug: er erbat und erbielt vom Kriegsminister die Erlaubnis, auch die militärischen Strafkolonien in Afrika zu besuchen und ihre Organisation zu studieren. Von einem kurzen Aufenthalt in Biribi tonnt« er geradezu Schreckliches berichten. Londres glaubt sich in einen der Höllenkreiss versetzt, von denen Dante in seiner Göttlichen Komödie berichtet. Seine Mitteilungen sind in Wahrheit schaudererregend. Er hat«in Buch erscheinen lassen, dessen Schilderung aufs tieffte ergreift, und das in jeder Zeil « Empörung auslösen muß. Man liest nicht ohne Eni» rüstung, daß die aufsichtführenden Unteroffizier« die ihrer Obhut anvertrauten Gefangenen in einer Weise quälen, daß diesen der Tod ein« Erlösung von täglicher Qual und unbeschreiblicher Marter scheint. Was die unglücklichen Deutschen , die aus Ahnungslosigkeit oder jugendlichem Leichtsinn in die Reihen der Fremdenlegion«in- getreten sind, von der Disziplin dieser Trupp« in ihren Büchern er- zählt haben, ist von den amtlichen französischen Stellen immer wieder bestritten worden. Das Buch von Albert Londres läßt keinen Zweifel mehr zu, daß jene Fremdenlegionäre die reine Wahrheit ge- sogt haben. Krank« Menschen, vom Fieber geschüttelt, werden ohne Wasser und Nahrung auf Tag«, manchmal sogar auf Wochen, in Zellen gesperrt, die dem erbarmungslosen Sonnenbrand ausgesetzt sind. Man schließt die Unglücklichen in Eisen, in die sogenannte „Crapaudine" und bestreicht ihr Gesicht mit Zucker, um die Mücken anzulocken. Der langsame Mord bildet das tägliche Vergnügen der entmenschten Wärter. Londres fordert in seinem Buch vor allem, daß man sämtliche Unteroffiziere der Strafkolonie aus den Reihen des Heeres aus»
biet werden zurückberufen. Die Beurlaubungen der Reichseilen. bahnbeamten sind gesperrt. Weiterhin hat die Reichseisenbahn die erforderlichen Lclräge zur Deschossung fehlenden Materials zur Ver- sügung gestellt, um im gegebenen Augenblick den Verkehr hemmungslos zu bewä?iigen. Bei«iner in Essen staitgefundenen Be- sprechung zwischen Vertretern der Reichseisenbahn und der Regie wurde die stebcrgabe der Regie-Eisenbahnkasse an die Reichseisenbahn für den 5. O k t o b e r in Aussicht gestellt. Karlsruhe , 12. September. (-WTB.) Di« französischen Posten am Rheinhafen sind heute nachmittag eingezogen wor- den. Damit ist der Zutritt zum Rheinhafen wieder freigegeben. Die französischen Truppen sind aber bis jetzt aus ihren Quartieren im Rheingebiet noch nicht abgezogen. 1300 Ausweisungen zurückgenommen. Koblenz , 12. September. (WTB.) Die Koblenzer Ver» Handlungen wurden heute in mehreren Komitees fortgesetzt. Ter von der Reichsregierung bestellte Leiter der Verhandlungen in Koblenz und Düsseldorf , Landeshauptmann Dr. Horion, suchte im Laufe des Vormittags den französischen, belgischen und britischen Oberkommissar in der interalliierten Rheinlandkommission auf und hatte mit ihnen längere Unterredungen. Nach einer Entscheidung der IRK. vom 11. d. M. ist die Ausweisung von etwa 1300 Privatpersonen und Beamten zurückgenommen worden. Landeshauptmann Dr. Horion hat sich heute nach Düssel - dorf begeben, um dort die in Aussicht genommenen Verhandlungen mit dem französischen Oberbefehlshaber aufzunehmen.
Die örigaüe Ehrhardt. Wikingerleute als Räuber. München , 12. September. (Eigener Drahtbericht.) Es ist be- konntlich immer noch nicht gelungen, in das Treiben der im Herbst 1923 unter der glorreichen Regierung des Gensralstaatskommissars Kohr und unter dem direkten Oberbefehl des Kapitäns Ehrhardt zu- sammengezogenen sogenannten Grenzschutzverbände an der nordbaye- risch-thüringischen Grenze hineinzuleuchten. Daß sie aber teilweise gehaust haben wie wirkliche Räuber und Banditen und zur reinsten Landplage geworden sind, beweist ein Prozeß, der sich vor dem Schöffengericht in Bamberg dieser Tage abspielt«. An- geklagt waren 15 Angehörige des Witing-Bundes, an ihrer Spitze der stellvertretende Kompagnieführer. Kaufmann Georg Kriese aus Frankenstein in Schlesien(der übrigens«tn ziemlich aus- gedehntes Strafregister besitzt), die als Soldaten des sogenannten Jungdeutschen Regiments am 28. Oktober 1923 nach Unter- merzbach bei Bamberg vor das Haus des Kaufmanns Kar( G ol» stein gezogen sind und unter Androhung von Waffengewalt sich Eintritt in das Haus verschafften. Mit vorgehaltenem Re- v o l v e r veranlaßten sie G oistein zur Oeffnuug seines Kassen» schrankes, worauf sie Golstein und dessen Frau unter Miß» Handlungen in«in Zimmer sperrten, dem Tresor Wertsachen entnahmen und aus der Wohnung Kleidungsstücke und andere ihnen nützlich erscheinende Dinge raubten, darunter auch 5600 Zigakren und 30 000 Zigaretten. Di« Beut«, die mit unerhörter Frechheit und Brutalität gegen die Ueberfallenen gemacht worden war, wurde im Standquartier verteilt. In der Vernehmung waren sämtliche Angeklagten geständig, redeten sich aber darauf hinaus, daß sie auf militärischen Befehl gehandelt hätten. Außer- dem gaben sie an, daß die Verpflegung und Ausrüstung an Kleidern und Schuhen außerordentlich schlecht gewesen sei. Sehr interessante Mitteilungen mochten die Angeklagten über die ihnen, wie sie sich ausdrückien, von der Kahr-Lossow-Regierung in hülle und Fülle znr Verfügung gestellten Mittel, über die fie„aus vaterländischem Interesse" schwelgen müßten. Auf Beschwerde der Mannschaften wegen der mangelhaften Bekleidung wurde ihnen von den Offi- zieren entgegengehalten, sie sollten sich ihr« Bestände durch Re- quisitionen ergänzen. Ter im Ehrhordtschen Heer- lager und im Iungdeutschen Orden eine große Rolle spielende protestantische Pfarrer Johnsen- Koburg. jetzt völkischer Land- tagsobgeordneter in Bayern , erklärte:.Holt euch die Schuhe bei den Juden!" Di« Angeklagten redeten sich also darauf hinaus, daß sie
schließen soll«. Die Zustände in den Militärgefängnissen Nord» afrikas , in El-Bordj und in Sidi Moussah, spotteten jeder Beschrei- bung. Dort hat Londres Gefangene angetroffen, denen die Finger fehlten, deren sie sich selbst beraubt hatten. Die Gefangenen waren vor dieser Selbstverstümmelung nicht zurückgeschreckt, um den Qualen der Zwangsarbeit zu entgehen und in ihre Zellen zurückgeschickt zu werden. Di« Behandlung der Verurteilten steht in krassem Wider- sprach zu den amtlichen Vorschriften. Dies« Vorschriften werden, wie Londres nachweist, überhaupt nicht beachtet. Auf Grund der aufsehenerregenden Enthüllungen hat das französische Kriegsministerium eine Untersuchung angeordnet. Man darf gespannt fein, ob es jetzt gelingen wird, diesem Skandal ein Ende zu machen.
Cinkinöerspftem oder Kinderreichtum! Di« allgemein verbreitete Anschauung, daß das einzige Kind einer Familie die Aussichr hat. zu einem verkümmerten Schwächling und selbstsüchtigen Schädling heranzuwachsen, wird weder pon der Wissenschaft noch von der Statistik bestätigt. Dr. Hornell Hart, einer der führenden Kinderärzte der Vereinigten Staaten , hat kürzlich nach dieser Richtung eingehende Untersuchungen angestellt, die sich über 600 Familien erstreckten. Cr fand dabei, daß Kinder linder» reicher Familien weniger energisch, weniger liebenswürdig, weniger aufrichtig und weniger lmstündig sind als das einzige Kind einer Familie oder die Kinder kleiner Familien. „Kinder aus großen Familien," erklärt« er.„unteriiegon in geistiger, moralischer und sozialer Hinsicht Hemmungen." In jeder der untersuchten Familien konnte Dr. Hart die Feststellung machen, daß. je weniger Kinder vorhanden waren, um so höher sich das geistig« Niveau unter ihnen stellte. Am niedrigsten war es in den Familien von zehn und mehr Kindern. Ein Londoner Kinderarzt bestätigte die Feststellung seines amerikanischen Kollegen dem Be- richterstatter eines Londoner Blattes geqenübxr mit den Worten: „Nach meiner persönlichen Erfahrung ist das einzige Kind oder sind die Kinder der kleinen Familien körperlich und geistig denen aus großen Familien überlegen. Nicht, als ob sich schon die ersten vier K'.nder etwa bei der Geburt in körperlicher oder geistiger Hi r» ficht uberlegen zeigten: es steht indessen fest, daß sie eine sorgfältigere Erziehung und Pflege finden und daß fte als Erbe von den Eltern einen höheren Anteil geistiger und moralischer Eigen�schasten über- nommeii haben. Ich habe mich überzeugt, daß das fünfte Kind u.id die nach ihm geborenen Geschwister eine höhere Disposition zur Schwache und zu gesellschaftlicher Unterwertigkeit zeigen." Dr. Hetty Sayer, die ärztlich- Beirätin der Londoner Stadtverwaltung, kam durch dt« vergleichende Untersuchung von hundert geistig Mindzr» wertigen mit ebenso vielen nocmalen Kindern zu der Feststellung, daß aus den großen Familien die meisten kränklichen, entarteten und minderwertigen Kinder hervorgehen. Auch sie führt dies« Er- schcinung auf die Vernachlässigung zurück, unter der di« Kinder in großen Familien zu leiden haben. Demgegenüber bleibt allerdings die unbestritten« Tatlack« bestehen, daß geniale Menschen häufig gerade aus großen Familien hervorgegangen sind. Bolzac war bei- spielsweise das jüngste einer zahlreichen Kinderschar,. Napoleon das acht« Kind seiner Eltern. Benjamin Franklin war das jüngst« von 17 Kindern und Rembrandt da« fünfte von sechs. Schumann war