lässigen über den Problemen des innerstaatlichen Lebens be- deutet Anarchie und Zerfall. Eine solche Uebergangszeit erfordert politische Führung. Eine Führung, die mit dem Gegebenen rechnet und über dem Ziele der Zukunft das Notwendige der Gegenwart nicht über- sieht, und doch ihre Blick« unverrückbar auf die großen grund- sätzlichen Ziele in der Zukunft heftet, denen die Zeit entgegen- reift. Die englische Arbeiterpartei erfüllt diese schwerste aller vclitischen Aufgaben mit unvergleichlichem Geschick und Würde. Macdonald ist Führer. Der Widerstand gegen seine Politik wuchs, eine Koalition gegen ihn schloß sich zusammen. Seine Regierung, die seinem Lande Ansehen und Ehre ge- geben hat, ging einer schleichenden Krise entgegen. In der schleichenden Krise mußten notwendig die Zügel der Regie- rung am Boden schleifen, mußten die brennenden Probleme des Tages ungelöst bleiben und Schwierigkeit über Schwierig- keit, Verwicklung auf Verwicklung entstehen— wochenlang, monatelang vielleicht. Macdonald, der Führer, hat nicht nur seiner Partei eine günstige Situation wahrgenommen. Er hat seinem Lande eine Zeit der schleichenden Krise, der drohenden Anarchie, der Würdelosigkeit, der Beschämung erspart. Mit männlicher Tat hat er um des Landes willen dem Volke selbst erneut die Eni- scheidung in die chand gegeben, und so wahres Führertum und echt demokratische Gesinnung verbunden. Ein lehrreiches, ein großes Beispiel für alle Völker, die ähnliche Uebergangszeit durchleben! Uns drängt sich die Parallele auf: Ramsay Macdonald — Wilhelm Marx . Aber nein, nein, reden wir nicht von Deutschland ! * In Boulogne-sur-Mer tagt gegenwärtig der Kongreß der radikal-sozialen Partei, heute wird der Ministerpräsident H e r r i o t eine mit großer Spannung erwartete Rede vor den Delegierten halten, die gewissermaßen ein Rechenschafts- bericht sein wird, den der bisherige Vorsitzende und jetzige Regierungschef vor den Vertrauensmännern seiner Partei ablegen soll. In den früheren Iahren hieß es allgemein in Frankreich , die Radikal-Sozialcn seien zum baldigen Ver- schwinden oerurteilt, denn sie hätten mit der Erledigung des französischen Kulturkampfes ihre eigentliche Daseinsberechti- gung verloren. Und wenn alle diese Propl�ezeiungen durch die Tatsache widerlegt werden, daß die Partei Herriots bei den letzten Wahlen wieder einmal als die stärkste aus dem Kampfe hervorging, so liegt es nicht nur an der Unvorsichtig- keit der Reaktion, die unter dem Deckmantel des Nationalen Blocks versuchte, diesen Kulturkampf neu zu entfachen, es liegt auch an der alten politischenSchulungdesfranzö- fischen Bürgertums, das übe? alle rein Wirtschaft- lichen Interessen hinweg noch einige überlieferte Ideale aus den früheren Revolutionen zu wahren verstanden hat. In Frankreich gibt es eine starke, lebensfähige, k a m p f e s f re u d i g e bürgerliche Demokratie, die sich in den entscheidenden Stunden auf die Seite der Arbeiterschaft gegen die plutokratisch -schwcrindustrielle Re- aktion stellt und Schulter an Schulter mit ihr ringt. Es ist gar nicht zu leugnen, daß dieses überlieferte tätige Interesse der französischen bürgerlichen Demokratie, die stets frei von jedem Untertanengeist gewesen ist, an den Geschicken der Nation wesentlich dazu beigetragen hat, Frankreich nach seiner schweren Niederlage von 1870-71 wieder hochzubrin- gen und ihm die Sympathien und die Hochachtung des Aus- landes zu gewinnen. Das hat sich im Jahre 191ä in einem für Deutschland sehr schmerzlichen Maße gezeigt: und auch im Jahre 1924 ist es den vereinten Kräften der bürgerlichen und der proletarischen Demokrat:» innerhalb weniger Wochen gelungen, Frankreich aus jener moralischen Isolierung zu befreien, in die es durch die Rcchtsblockpolitik Poin- c a r � s hineinmanövriert worden war. Starke, kampfesfreudige bürgerliche Demokratie, treu ge- hütete Ideale aus bürgerlichen Revolutionen der Vergangen- heit, Emanzipation vom Geiste des Untertanen, gemeinsamer
Der verlorene Standpunkt. Ich habe das schon immer gesagt: und ich habe das— so wahr irnr Hesiferich helfe— durchaus nicht, wenigstens nicht nur, aus Loialpatriotismus behauptet: Man kann zuweilen sogar in Berlin etwas erleben. Ich habe an diesem Glauben mit einer Art von oerbisienem Fanatismus festgehalten, trotzdem die Kätnersfrau Wilhelmin« Pege- low aus Pribslaw bei Schivelbein in Hinterpommern mir schon 1917 sagte:„Ik wet nich, wo Ii in Berlin lewen künnt. Ii möt doch dotblicwen vor Langemiell" Mein Glaube ist belohnt worden. Und zwar in der durch die Kirche traditionell vorgeschriebenen, also klassischen Form— durch ein Wunder. Wenigstens— und für diesen Ausdruck kann ich mich wieder auf einen klasitschen Zeugen, den verflosienen Herrn Reichs- kanzler Michaelis berufen— wie ich es auffasse. Höven Sie zu! Ich kam gestern am Reichstag vorüber. fBitt«! Ruhel Das ist durchaus nicht verdächtig. Mein Schneider wohnt in der Nähe.) Plötzlich stürz: aus«wer Ssitentür«m Herr hervor, leb- Haft gestikulierend und mit sich selbst laut sprechend. Das fiel mir auf. Selbstverständlich— dann besser« Herren sprechen nicht laut mit sich selbst auf der Straße, das machten sie un Sanatorium ab. Und schließlich mag man vom Reichstag denken, was nian will, auch mir ist bekannt, daß man dort viel und laut mit sich selbst spricht, aber trotzdem müßte man doch wohl die Behauptung, der Reichstag s e i«in Sanatorium, nur als schlechten Witz ansehen. Indem gestiku- liert dieser Herr an mir vorüber. Nun ist meine Wirtin, Frau Pinsternagel in Berlin-Wilmersdorf , ein« enrogierte Leserin der Scherlpresse. Auf einem gewissen Ort lagert ständig wenigstens ein Jahrgang der„Woche'. Auf diese Weise(— ob August Scherl auch damit gerechnet hat?!—) bin ich selbst bereits gut bekannt geworden mit all den Leuten, die uns herrlichen Zeiten entgegen führten. Da ich außerdem durch einige Besuch« von Sechstageremien und völ- tischen Versammlungen mir so etwas wie«inen kriminalistischen Scharfblick erworben habe, so konnte ich zwar nicht feststellen, wer dieser Herr war. aber doch, daß er in Augusts „Woche" in Ehren abkonterfeit war. Das wäre nun natürlich alles nichts Besonderes, aber jetzt kommt jw'such erst das, was ich eigentlich erzählen will, und warum ich an dem Tag nicht zu meinem Schneider gekommen bin. Also, wie dieser Reichstagspatient gerade meinen Weg kreuzt, höe ich ihn deutlich murmeln:„Ich habe meinen Standpunkt verloren, meinen Standpunkt verloren...' Nun hat ja jeder schon allerlei verloren, nicht nur den Regenschirm oder den Zahn oder die Geduld. aber, bcc- müssen Sie schon zugeben, die Erklärung eines besseren lierrn auf offener Straße,«wen Standpunkt verloren zu haben, hat etwas Ungewöhnlichem Ich jedenfalls war davon derartig be- troffen, daß ich ohne Bedenken meinen Schneider Schneider sein ließ und diesem interessanten Herrn folgte. Ich folgte, er murmelte, er
Kampf der bürgerlichen und proletarischen Kräfte des sozialen Fortschrittes gegen die Reaktion, Wiederausstieg eirted Volkes nach schwerer Niederlage durch Gewinnung der Sympathien der demokratischen Außenwelt— uns scheint, daß das deutsche Volk in dieser Hinsicht manches von Frankreich lernen könnte. Aber reden wir nicht von Deutschland , reden wir nicht vom neuesten trübsten Kapitel der deutschen Geschichte! >» Die schwedischen Wahlen sind vorbei. Schlag auf Schlag sind die Schlußfolgerungen gezogen worden— wie es dem Geiste der Demokratie und des Parlamentarismus entspricht. Der Ausgang der Wahl bedeutete Regierungskrise — Regierungskrise heißt Zwang zur Lösung. In wenigen Tagen ist diese Aufgabe erfüllt worden. Schweden hat eine Regierung. Aber Deutschland ? ch Z. R. 23, der kühne Uebersegler des Atlantik, hat in stolzem Fluge, im brausenden Triumphgesang seiner Motore, die Grenzen der moralischen Isolierung Deutschlands gesprengt. Da sprach man in den Wandelgängen des Deutschen Reichs- tags, Z. R. 3 hat soviel gewonnen, daß Herr Stresemann ein halbes Jahr brauchen wird, um zu zerstören, was Z. R. 3 gewann. Aber da reden wir von deutscher Politik, von Herrn Stresemann, von deutscher Regierungskrise. Nein, reden wir nicht davon! O nein, nein, pfui, pfui!
„ftegierimgstolT. Deutschnationales Urteil über Teutschnationale. Am 29. August hatte der Kanzler die A u f l ö s u n g s- genchmigung in seiner Aktentasche. Aus Angst vor der Auflösung kommandierten die Deutschnationalen 48 ihrer Mitglieder zum Jasagen ab, oder wie die„Deutsche Tageszeitung" das ausdrückte: sie übten „Vernunft", um der Auflösung zu entgehen. Dafür ließen sie sich als gute Kaufleute von den Strese- männern und einigen Zentrumsleuten vier Mini st er- sitze versprechen. Als aber die Abstimmung vorüber war, ging der Krach im eigenen Lager los. Mißtrauens- b c s ch l ü f s e gegen die Jasager Hagelten nur so und der Rück- tritt der Führung— lies: Hergt— wurde stürmisch verlangt. Schließlich sagte Hergt selbst, um dem Sturm zu begeg- neu, eine„Reform der Partei an Haupt und Gliedern" zu und kündete„schärfste Opposition" für den Fall an, daß sie nicht den versprochenen maßgebenden Einfluß im Kabinett er- hielten. Seit der Zeit schachern und feilschen sie nun um die Ministersitzc mit einem Eifer, den sie in ihrre eigenen Sprache als„orientalisch" zu bezeichnen pflegen. Aber während die Bolksparteiler ihnen als Lakaien nach- laufen, um ihnen Trosttropfen gegen ihre Zerfetzungskrankheit zu spenden, rührt sich im Körper der Deutschnationalen Partei der Widerspruch gegen solche Tränklein. Ein„hervorragendes Mitglied" der Deuifchnationalen spricht in einer Zuschrift an die„Deutsche Zeitung" davon, daß es nur„mit Zittern und Beben" die Zeitungen in die Hand nehme, um über den neuesten Stand der Krise sich zu unterrichten: Wir svayen um immer vorn neuem nicht nur. wie die Lamms- gcduld zu erklären ist. die von unserer Parteileitung bei den un- w ü r d i g e n P e r h a>i i> l u g en mit dem Reichskanzler und den anderen Parteien wegen der Regierungsumbildung bewiesen wird, sondern wir gehen den Dingen auf den Grund und werfen die Frage auf, w:««s überhaupt zu erklären ist, daß denkende Politiker von Nomen und Ansehen sich darauf versteiseu, ln eine Regierung hinein zu wollco, deren wesentlichsls Vertreter aus tausend guten Gründen von der Part.i bekämpst werden mußten, die sich in nichts geändert haben, sondern im Gegenteil ihren Weg zum Jnter. nationalen folgerichtig weiter gegangen siiud.... Deshalb möchte ich für mich und im Namen nicht gleichgültiger Gestnnungs-
murmelte, ich folgte in einem der Eigenort der Situation mir an- gemessen erscheinenden Abstand von fünf Schritten. Das ging so bis da. wo Wintergarten und Zentralhotel«ine etwas wilde Eh« eingegangen lind. Am Ufer war es ziemlich menschenleer gewesen. Nur ein paar Jungen hatten gerufen:„Kiek mal, det is'n Mieterrat', aber was sagen Iungens nicht, und übrigens, was soll das auch heißen? Aber hier am Wintergarten, wo die letzten Pferdebufse stellen, kam es anders. Mein Herr geht auf«inen zu. Jetzt fragt doch der Kutscher, wo er hin will. Und ich höre, wie der ander« sagt: „Meinen Standpunkt suchen.' Kennen Sie Droschkenkutscher? Dies war jedenfalls einer. Der sieht ihn so von der Seite an und dann sagt er:„Mann— wenn Sic schon am Vormittag'n dowen Geist verschluckt haben, dann lassen Se sich in'n Reichstag wählen, aber lasten Ss nur in Ruh', sonst können S« vielleicht heut noch uf'm Mars Radio zu hören kriegen.' Dies hatten nun aber doch schon verschiedene gehört. Drüben vom Wagen schreit einer rüber:„Du, Mensch, bring den nach'n Fundbureau, da werden sie ihm den Standpunkt schon klar machen.' Nun geschah das, was in Berlin immer geschieht, und deswegen ja meistens auch nichts passiert. In einer Minute war rund um uns rum«ine johlende Mäste. An der Peripherie dieser Mass« hatte sich das Gerücht zu bilden begonnen, einem Kastenboien wäre soeben ein« halbe Million in bar und ncch eine Menge Aktieneffekten(— so sagte einer—) gestohlen worden. Nach dem Zentrum zu hielt sich hartnäckig die Meinung, ans einen Reichstagsabgeordneten wäre ein Attentat verübt worden. Ab und zu schrie einer:„Haut'n doch, det verdammte Aas!' und neben mir sagt einer:„Diese verfluchten Juden, das ist es ja eben— und gemd« jetzt, wo der Zeppelin in Amerika ist. Di« müsten all« an den Beinen aufgehängt werden.' Di« beiden Hauptansichten waren nun gerade im Begriff,«ine Kombination in der Diagonal« der Kräfte miteinander«inzugehen, als es meinem Herrn, der im übrigen immer weiter gemurmelt und gestikuliert hatte, plötzlich gelingt, in den Wagen zu springen, so daß ihn alle sehen können. Jetzt wird es still und da sagt er ganz laut: „Meine Damen und Herren, ich komme soeben aus dem Reichstag —" na und so weiter, ich weiß das nicht mehr so genau, aber schließlich kam wieder die Gesch'chte mit dem verlorenen Standpunkt. Weiter kam er denn natürlich nicht, da ging das Gejohl« los. Aber in dem- selben Augenblick springt jemand von der anderen Seite in den- selben Wagen, schafft sich Ruh« und sagt:„Meine Herrschaften, einen Augenblick! Dem Mann kann geholfen werden.' Damit stellt er sich vor ihn hin, sieht ibn scharf an und fragt ganz Wut:„Sie sind Rcichstagsabgeordncter? Gut.— Sie haben ein« Regierungskrise? Gut.— Welcher Partei gehören Sie an?'„Deutsch « Volksvartei!' „So, Deutsche Volkspartei, ' sagt er, hebt— so beschwörend, misten 0:<— beide Hände hoch und sagt:„Sie sind gerettet, Sie haben keinen Standpunkt verloren, denn Sie haben nie einen Standpunkt gehabt!' Damit springt er runter vom Wagen und weg ist er. Was jetzt kam, kann ich nicht so erzählen. Es hat übrigens
genostsn für alle Fälle doch den Eindruck schildern, den wir. se länger je mehr, von dem Verhalten unserer Parteilei« tung bei den Verhandlungen über die Regierungsmnblldung be- kommen haben. Wir dürfen dabei nicht außer Betracht lasten, daß unsere Beauftragten weniger ihre Meinung oertreten, als die Beschlüsse ausführen, die in der Fraktion gefaßt worden sind. Und da muß gesagt werden, daß offenbar dort ein: Arl von Regierungslollhett ausgebrochen ist, ohne politische Einstellung, die Urteil und Würde im gleichen Motze vermissen lätzt und die nur eine brünstige Sehnsucht zu haben scheiuk: hinein in die Regierung um jeden Preis, also auch unter Aufopferung von Programmpunk- ten und Versicherungen, die vor der breitesten Oessentlichkeit festgelegt worden sind. „Führende Persönlichkeiten" der Deutschnationalen, sa heißt es weiter,„drängensichdanach.indie Regierung zu kommen und den Jammer vergrößern zu helfen! Ueber die Enttäuschungen, die unsere Partei uns gebracht hat. sind wir längst hinaus, noch nicht aber über das Gefühl der Beschämung, wenn wir so viel Mangel an Würde, und Stolz sehen!" Schließlich kündigt dies„hervorragende Mitglied dar Deutschnationalen Partei in Sachsen den„Regierungstollen" fürchterliche Abrechnung an. insbesondere den in Sachsen gewählten Abg. H o e tz s ch und dem Industrievertreter Dr. Reichert, von denen schon heute das Wort gelte: „Werft sie zu den Toten l" Daß die deutschnationale Seuche der Regierungstollwut durch solche Androhungen eingedämmt werden könnte, ist nicht anzunehmen. Vielmehr sehen die großen Strategen nach dem 29. August alle ihre Anhänger zerflaitern, so daß sie glauben, nur noch durch Eroberung der Regierungssessel ihre Partei zusammenhalten zu können. Deshalb die„Regierung?- tollwut", die sie befallen hat.
Gleiches Recht für jedermann. „Ei» bemerkenswertes Urteil." Der armen„Deutschen Zeiwng" ist großes Heil wider- fahren. Sie glaubt von„Severing-Dämmerung faseln zu können und begründet ihre Phantasien mit der Wiedergabe eines Urteils, das die Strafkammer Elberfeld am Freitag in einer Klage des Ministers S e v e r i n g gegen den. verantwortlichen Redakteur der„Bergisch-Märkischen Zeiwng", S i l g r a d, gefällt hat. „Der Inhalt de« angefochtenen Artikels war bekanntlich der Vorwurf, daß die politisch« Polizei in Elberfeld und der Minister mitschuldig an der Ermordung Schlageters gewesen seien. Seinerzeit wurde der Angeklagte von der Straf- kammer Elberfeld freigesprochen unter Zubilligung des§ 193. Das Reichsgericht, das auf Berufung des Staatsanwalts sich ml dem Urtell be fasten mußte, hatte den Spruch an die Vormswnz zurück- gewiesen mit der Begründung, daß zur Heranziehung des§ 193 ein persönliches Interesse des betreffenden Redakteurs vorliegen müsse. Die Strafkammer Elberfeld stellte sich am Freitag auf den Standpunkt, daß dies persönliche Interesse für den Angeklagten zweiselsftei als Vertreter einer nationalen Zeitung gegeben sei und sprach ihn wiederum unter Heranziehung des% 193 frei. Die Kosten, die nicht gering sind, fallen der Staatskast« zur Last. Verteidiger Sikgrads war Rechtsanwalt Dr. Lütg-brune-Göttingen. Di« Be- gründung des freisprechenden Urteils ist für die vaterländische Preste von autzerordenlstcher Wichtigkeit.' Das Urteil ist nicht nur für die„vaterländische Presse" von außerordentlicher Wichtigkeit. Wenn � die Urteilsbegründung vorliegt, wird sich herausstellen, daß die Begründung nicht die geringste Veranlassung gibt, von„Severing-Dämmerung" zu schwätzen, sondern daß vielmehr inderSachedie„Bergisch- Märkische Zeitung" sehr schlecht gefahren ist. Der Freispruch erfolgte lediglich aus formalen Gründen, lediglich deshalb, weil die Strafkammer erneut trotz des Einspruches des Reichs-
alles und noch vielmehr in der„B. Z. " gestanden. Zwischen Kom- munisten und Völkischen soll es eine schwer« Holzerei gegeben haben. Rost Wolffstein soll auch dabe gewesen sein. Mehrere sollen oerhastet worden sein. In der„Roten Fahne' und in der „Deutschen Tageszeitung' stand jedenfalls noch, die betreffenden Fraktionen würden einen Antrag einbringen, den Polizetpräsi- denten Richter sofort zur Disposition zu stellen. W« das nun alles noch gekommen ist, weiß ich natürlich nicht. Ich hörte nur noch, wie der Mann der Deutschen Volkspartei sagte:„Gott sei Dank, daß ich meinen Standpunkt wieder habe, denn was man n cht hat, kann man nicht verlieren, also muß ich noch haben, was ich noch hatte.' Was er eigentlich damit so richtig hat sagen wollen, Hab ich bis heute mcht rausgekriegt, aber das liegt wohl so allge» mein an der Deutschen Voltspartei. Uebrigens, der Droschken - kutscher rief ihm noch nack):„Sie, Ihnen fahr ik zwischen Weih- nachten und'n ersten Festtag jratis nach'n Reichstag zurück!"
verheimlichte Pestepiöemien. Vor einiger Zeit hat Lord Rothschild dem Britischen Museum zu London ein« reichhaltige Sammjung von Flöhen ver- macht. In dieser eigenartigen Kollektion zählt man nicht weniger als 700 Stück dieser wenig geschätzten Tiere. Sie sind sorgfältig konserviert und wohlerhalten. Die Sammlung darf als vollständig betrachtet werden! denn sie umfaßt sämtliche Arten. Es befinde: sich auch«in historischer Floh darunter, jener nämlich, der den sranzö- sischen Gelehrten Gauthier und Raybaud im Jahre 1902 be: ihren Versuchen. Pestbazillen zu übertragen, wertvolle Dienste geleistet hat. Diese Versuche sind damals glänzend gelungen und haben den Beweis erbracht, daß der Floh«in außerordentlich gefährlicher Schmarotzer ist, der vor ollen Dingen Epidemien wie die Pest zu oerbreiten vermag. In den Jahren 1917 bis 1920 hat man diese Gefahr in Paris zu spüren bekommen. Auf dem letzten Aerzte- kongreß in Brüssel hat Dr. Eduard Ioltrain berichtet, wie da- mals in Paris die Pest auszubrechen droht«. Di- Oessentlichkeit hat niemals etwas davon erfahren: denn die Regie- rung wachte mit großer Sorgfalt darüber, daß die K r a n k h« i t s- fälle geheim blieben, um keine Panik aufkommen zu lassen. Zuerst wurde die Erkrankung bei ungefähr zwanzig Menschen innerhalb eines bestimmien Bezirks festgestellt: es waren lediglich solche davon betroffen worden, die kurz vorher Tatenbesuchc gemacht hatten. Man stellte fest, daß Flöhe den Leichnam oerlassen und mu ihren Bissen die Krankheit auf die Lebenden übertragen hatten. Em ondener. ähnlicher Fall wurde bei einem Hausdiener beobachtet, der eine Ratte getötet hatte, ohne indes von dem Tier gebissen worden zu sein. Auch hier oerließen die Flöh« den Kadaver und siedelten auf den Körper des Menschen über. Auf diese Weise verbreitete sich die Pest rasch, und es kamen in kürzester Zeit 93 Fälle vor. Gegen diese Plage setzt« nun«ine cnergische Tätigkeit der Behörden und der Aerzte ein. Die Behörden erklärten den Raiten den Krieg und setzten einen Kopfpreis auf sie aus. Freilich waren die Ratten nicht die eigentlichen Urheber der Seuche, sondern viel- mehr ihr« Flöhe. Der Gegenseldzug, den die Aerzte unternahmen, bestand in sorgfältiger Behandlung der Erkrankten durch Antipest-