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Nr. 42+ 42. Jahrgang

1. Beilage des Vorwärts

Sonntag, 25. Januar 1925

Das geheime Waakarchin

ANKET 2.5.

Zwischen den Stationen der Untergrundbahn Bobbielsti- Allee| Martgrafen nicht für sicher genug hielt, und verwaltet wurde bas! und Dahlem  - Dorf liegt das Preußische Geheime Staats- Archiv von Geistlichen. Erst im 16. Jahrhundert siedelte das Archiv archiv. Es wird gewiß nicht wenige geben, die nicht wissen, in das Schloß über, und seine Dokumente wurden in jenem Teil des Schloffes untergebracht, den man den Grünen Hut" nennt. welchen Zweden das stattliche Haus dient, und die keine Ahnung Der erste, eigentliche Archivbeamte erscheint erst 1598. Es war davon haben, welch unerfäßliche Schäße auf Papier   und Bergament Erasmus Cangenhaim. Die Geschichte, die zu diesem ersten Archiv­unter feinem Dach lagern. In diesem Haus in der Archivstraße in beamten führt, ist furios und, wenn man will, zugleich pitant genug. Dahlem   enthüllt sich einem die Geschichte Preußens ohne Schleier Der Kurfürst Johann Georg  , der von 1525 bis 1598 lebte, und Schminke, man tann gewissermaßen einen Blid hinter die Rus Tiffen tum. Einen eigentümlichen Reiz bedeutet es, bei einem Rund­gang durch das Archiv diese Schätze der Bergangenheit vor fich aus. gebreitct zu sehen und einen, wenn audf nur flüchtigen Blid in Schriftstüde zu tun, die vor vielen hunderten von Jahren verfaßt wurden.

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Das neue Heim in Dahlem  .

Bor zwei Jahren, allo in einer Zeit, als das wirtschaft. fiche Leben Preußens und Deutschlands   sich auf sehr schwankenden Füßen befand und der Dollar immer höher tletterte, wurde der Neubau in der Archiostraße in Dahlem   errichtet. Man war also Damals gezwungen, die größte Sparfamleit beim Bau walten zu laffen, mußte auf jeden Schmud und jeden Schnörkel verzichten. So entstand ein Haus, lediglich seiner Ruzbestimmung entsprechend aus. gestattet, aber darum doch nicht nüchtern in seinem Aussehen und in seiner Architektur. Das Haus in Dahlem   ist der Typ des modern­ften Archivbaus, den wir überhaupt in Deutschland   besitzen. Die zurüdliegende Front zeigt nur ein Stodmert, und zu beiden Seiten springen Flügel nach der Straße vor. Betritt man das Haus, so öffnet sich einem zunächst ein geräumiger Treppenflur, in dem die Büste Georg Wilhelm D. Raumers aufgestellt ist. eines verdienstvollen Mannes um die Staatsarchive, der von 1843 bis 1851 Direktor jämtlicher Archive war und die Trennung von Staats- und Hausarchiv der Hohenzollern   vornahm. Im Parterre liegen die Bureauräume fewie die Telephonzentrale und Wartezimmer. Auf einer breiten, gewundenen Steintreppe geht es hinauf in den ersten Stod. Hier befindet sich die Bibliothet mit 40 000 Bänden, mit Büchern in der Haupfache, die Beziehung haben auf das Archiv und feine Sammlungen. Hier liegt auch der Ccfefaal, einfach und zwed. mäßig ausgestattet. Außer ein paar Bureauräumen befindet sich dann im ersten Stod noch, untergebracht in mehreren Räumen, das Re. gister und der Ratalog des Archivs. Hinter dem Haupt­gebäude und verbunden mit ihm durch Gänge liegt das Gebäude, in Dem die Archivsammlungen untergebracht sind. In fehs Stodmerten -die einzelnen Stodwerte find aber, ähnlich den Zwischenstoden, niedrig, so daß dieses Haus und fein Dach über das Borderhaus nicht hinausragen befinden sich die Sammlungen des Archivs. Steht man in einer Etage und fieht den fangen Gang hinunter, zu beffen Seite fich Regal neben Regal reiht, fo erhält man einen geradezu imponierenden Eindrud, und es fieht aus, als ob diefer lange, schmale, mit Linoleum belegte Gang fich bis meit, weit hinaus und in bie Ewigkeit hinein fortsetzt und verlängert. Zwar vermag man nicht anzugeben, wieviel Schriftstüde, Dokumente und Urfunden in diefem Haus von Stein und Eisen lagern. Aber man befommt ge­wiß einen guten und überzeugenden Eindruck von der Fülle der Schäße, wenn man erfährt, daß fämtliche Regale, würde man sie nebeneinander ftellen, einen Weg von 27 kilometern ergeben. Sparfamteit mußte, wie gejagt, beim Bau des Hauses walten, und diese Sparsamkeit bedingte es auch, daß das Haus mit den Archiv häben ohne Heizung ist. Für den, der hier arbeiten muß, eine peinliche Sache im Winter. Die Faffade zeigi teinerlei Schmud, nur breite, abgeblendete Fenster, und zwischen den einzelnen Fen ftern fleine Borsprünge, mit niedrigem Gitter versehen, dazu be. stimmt, um die Atten und Schriftftüde entstauben zu fönnen. Und noch eine Eigentümlichkeit des Gebäudes sei nicht vergessen. Es gibt teine zweite Behörde in Breußen, in der, wie im Geheimen Staats­archio ein so strenges Rauchverbot erlaffen ist und auch befolgt wird. Einer der wissenschaftlichen Beamten des Archivs, Herr Dr. Poiener, der zugleich Hauswart ist, hält auf das ge. naueste auf Innehaltung der Verordnung. Generaldirektor ber Preußischen Archive und in dieser seiner Eigenfhaft auch Leiter des Breußischen Geheimen Staatsarchips ist Herr Geheimrat Kehr. Diese Stellung nahm vor ihm lange Jahre hindurch Geheimrat Rojer ein, der bekannte Verfasser der Geschichte Friedrich des Großen. Der große Kompler des Geheimen Staatsarchips und die vielen Arbeiten, die hier zu erledigen sind, werden von nur sehr wenigen Beamten ausgeführt. Eigentlicher Leiter und Direktor des Archivs ist der Archivdirettor Dr. Klintenburg, und neben ihm find noch zwölf wissenschaftliche Beamte tätig. Bureau­beamte sind nur drei vorhanden, und der Abbau hat auch hier feinerzeit Opfer gefordert. Die wiffenschaftlichen Beamten, die in den meisten Fällen Historie und Archivwissenschaften studiert und ein sehr gründliches Studium hinter sich gebracht haben müssen, er. halten in den ersten Jahren ihrer Tätigkeit das fürstliche Gehalt von 100 Mart im Monat. Man sieht, es gehört, weiß Gott  , viel Liebe zur Sache, um sich diesem Studium und Beruf zu widmen. Die ein wenig ertreme Lage des Staatsarchivs bedingt es, daß die Beamten in der Nähe, und zwar in Steglitz  , wohnen.

Die Geschichte des Archivs.

Wie alt das Archiv ist und an welchem Tage es gegründet worden ist, kann man heute mit Bestimmtheit nicht fagen. In einer Urtunde aus dem 13. Jahrhundert wird zum ersten Male erwähnt, daß Brandenburgishe Markgrafen Befehl gegeben haben, Urfunden aufzubewahren. Diese Urkunden, die den Grundstock des jeßigen Breußischen Geheimen Staatsarchivs bilden, wurden im Dom zu Stendal   aufbewahrt. Es waren politische Schriftstüde, Ber­träge mit Rachbarstaaten und Ländern, Kaufverträge und Testamente her Herrscher. Auch im Mittelalter wurden die Dokumente des Ar­chips in Rirchen und Röfter untergebracht, da man die Burg der

CHEE STINYS PRE

Papstsiegel

vom Jahre 1191

int

Die Urkunde

des Tilsiter Friedens

hatte aus erster Che einen Sohn, den späteren Kurfürsten Joachim Friedrich  , den Begründer des Joachimthalfchen Gymnasiums. Johann Georg   verheiratete sich aber dann noch einmal, und aus dieser zweiten Ehe entsproffen nicht weniger als 23 Kinder. Die Mutter diefer 23 Kinder hatte mit allen Kräften dafür gesorgt, daß der Bater seine 23 Kinder reichlich versorgte und jedem von ihnen Teile der Mart als Erbteil ausfezte. Als Johann Georg   num gestorben war, gefiel dem Aelteften dieses Testament natürlich nicht. Er ließ zunächst einmal alle die Räte verhaften, die dem Kurfürften bei der Abfassung des Testaments zur Seite gestanden hatten. Zugleich be­auftragte er feinen besten Freund, den Erasmus Langenhaim, das Testament im Archiv zu suchen. Aber alle Bemühungen waren ver gebens, und es fonnte auch nicht gefunden werden, weil die ver mitmete Kurfürstin das Testament einfach mitgenommen hatte nach ihrer Heimat Ansbach  . Viele Jahre später erft fam es von dort in bas Archiv zurüd. Dieser Zwischenfall gab Beranlaffung, daß Eras. mus Bangenhaim offiziell als Beamter des Archivs angestellt und zugleich verfügt wurde, daß auch in Zukunft besondere Archivbeamte ihres Amtes walten sollten. Unter dem Großen Kurfürsten wurde das Archiv neu organisiert, und dem Archivbeamten Christoph Schönbed, einem bärbeißigen Mann mit einem ebenso fragbürftigen Diener, gebührt das Berdienst, eine fyftematische Sammlung ange­legt zu haben. Während des Dreißigjährigen Krieges, in jener Zeit, da in Deutschland   und Preußen alles drunter und brüber ging, be­fand sich das Archiv in Spandau  , dann wieder in Rüstrin, bis es 1804 wieder in das frühere Königliche Schloß fam. Es war nun das Archiv des Auswärtigen Amtes bis zum Jahre 1876, dann

27 Kilometer Urkundenregale

wurde es mit dem Archiv der Ministerien, dem fogenannten Mini­fterialarchiv, vereinigt und in einem Neubau in der Klosterstraße untergebracht. Dieser Neubau erwies fich schließlich als zu eng und beschränkt, wichtige Dokumente und Urfunden lagerten auf Böden und im Keller, und so mußte schließlich das neue Haus in Dahlem  errichtet werben. Eine ebenso schwierige mie heitle Arbeit war ber

Il mzug der Dokumente und Schriftftüde, und eine riesige An­zahl von Möbelwagen war notwendig, um die Schäße von der Klosterstraße nach Dahlem   zu transportieren. Das Preußische Ge heime Staatsarchiv ist jetzt das Archiv für die Preußischen Zentral behörden, d. h. also für die Ministerien und die Preußischen Staats verwaltungen, das sind also die Oberpräsidien und die Regierungen. In jeder Provinz befindet sich also ein Archiv; insgesamt gibt es in Preußen 16 Staatsarchive. Nach der Revolution ging das Archis in Bosen verloren; feine Schäße sind von den Polen   ein behalten worden, während von dem Archiv in Danzig   Teile nach Berlin   gerettet werden fonnten. Wenn heute eine Behörde, ein Ministerium z. B., wichtige Aften abgelegt hat, so werben sie dem Staatsarchiv überwiesen, meistens tommen zehn bis zwölf Möbel­wagen mit Utten an, und von den Beamten des Archivs wird dann die Sichtung und Sammlung vorgenommen. Vor einiger Zeit wurden dem Geheimen Staatsarchiv auch die preußischen Militäratten bis zum Jahre 1866, die die Kleinigkeit von 70 Möbelwagen füllten, überwiesen. Das Archiv gibt heute Antwort darüber, wie ein Rauf, oder wie ein Gesez entstanden, es gibt Auskunft über die Rechte bes Bersonenstandes, es tlärt auf über Eigentumsangelegenheiten, Grenz- und Polizeifachen. Viele der ältesten Schrifftüde werden nicht selten immer wieder und bis auf den heutigen Tag hervorge hoft und Gutachten als Beweis zugrunde gelegt. Das Archiv kann von jedem, der ein Interesse daran hat, sei es auf dem Gebiete der Personenstandsangelegenheiten oder der Eigentumsangelegenheiten benuht werden. Eine generelle Erlaubnis ist zwar vorher einzuholen. doch wird sie stets in loyaler Weise erteilt.

Schäße auf Papier   und Pergament.

Es ist selbstverständlich nicht möglich, auch nur annähernd einen Begriff davon zu geben, was alles an Dokumenten, Aften, Teftamen ten und Konduitenlisten hier lagert. Es tommen dazu Tausende von Candkarten und Forstkarten. Ueberaus groß und überaus wichtig ist die Urkundensammlung. Biele der Ürfunden sind durch die Länge der Jahrhunderte so brüchig geworden, daß fie durch Seldenfchleier vor dem vollständigen Verfall gefchützt werden müffen. mit solchen Seidenschleiern auf das sorgfältigste überflebt, iſt, zum Beispiel, eine der ältesten Urkunden des Archivs, eine Bulle des Papstes Cöleftin III. aus dem Jahre 1191. Nicht minder wichtig und von höchstem historischen Wert ist das Original des Tilsiter Friedens. Es befindet sich in einer Mappe, deren Dedel mit hell­blauem Samt überzogen ist, an den Eden Schmuckstücke und in der Mitte ein großes, maffines N. aufweist.( Dieses ist das französische  Original, das deutsche befindet sich in Paris  .) Mit dem Interesse, das jeder an vergangenen Zeiten hat und namentlich an Zeiten, die von fo ausschlaggebender Bedeutung gewesen sind wie der Liffiter Friede, blidt man in das Dokument, das die Namen der damaligen preußi­schen Minister enthält, und zwischen ihnen, steil nach oben gerichtet, in fleiner, fast möchte man sagen, frizliger und tradeliger Hand­fchrift, den Namen Napoleon  . Ein mächtiges Siegel aus achs, das in einer großen, blanten Kapfel ruht, hängt an die Daneben fann man Einblid tun in ein ebenso fem Dokument. wichtiges Dokument, den Mitolsburger Frieden. Die Archivverwal tung hat, um diese unersetzlichen Schäze schonend zu behandeln, be fondere Mappen aus Pappe angefertigt, in denen fie neben den anderen Staatsverträgen in besonderen Schränken ruhen. Und dann noch eins: Ein besonderes Kuriosum und ein besonderes wertvolles aus dem Geheimen Staatsarchio. Es ist ein dicker Foliant, in Schweinsleder gebunden. Auf den einzelnen Blättern dieses Buches befinden sich furze, aftenmäßige Auszüge aus den Eingaben und Bittschriften, die seinerzeit Friedrich dem Großen vorgelegt wurden. Und daneben, am Rande, mit einer Handschrift, die merkwürdig unbeholfen anmutet, die eigenhändigen Randbemer­fungen Friedrich des Großen. Seltsame Dinge fiest man da, die be­zeichnendes Licht werfen auf Art und Gesinnung dieses Preußen fönigs. Und mit Erstaunen und einem Lächeln auf den Lippen nimmt man Runde davon, welch' merkwürdige Orthographie der Alte Frizz schrieb, der das h in den einzelnen Worten an die felthamsten Stellen jetzt, und dem es gar nicht darauf ankommt, Eigennamen mit einen Anfangsbuchstaben zu schreiben. Da findet man am Rand, von der Hand Friedrich des Großen hingefchrieben: Kein Geld!, Wird nicht bewilligt, Geh' er ans Gericht! Ein Haupt mann v. Bassemiß, der wegen seiner Heirat aus der Armee ausge schieden war, und der dann, als die Heirat in die Brüche ging, wieber Offizier werden wollte, erhält von Friedrich dem Großen die Randbemerkung: Die Armee ist tein Bordell". Einer der Nach fahren des Alten Friz, genannt. II. hat bekanntlich diese Art Randbemerkungen auf Schriftftüden nachgemacht. Sie find aber auch

danach.

Das ist in furzen Zügen das Breußische Geheime Staatsarchiv. Aber sein Wesen und seine wichtigkeit, seine Bedeutung und die Fülle seiner Urkunden und Testamente tonnten hier natürlich nur mit ein paar turzen Strichen ffizziert werden.

Eine merkwürdige Landkarte.

Man schreibt uns: Bor mir liegt eine Reisefarte des Nord. deutschen   Lloyd von Europa  ( figniert W. I. 624 T M); zum befferen Verständnis des Publikums, auf das man redet, ist alles in englischer Sprache eingetragen. Die Grenzen der euro­ päischen   Staaten sind auf Grund des Versailler   Friedens einge zeichnet, allerdings so ungenau, daß Genf   in Frankreich  , Straß­ burg   in Deutschland  , Aachen   in Belaien, Bofen und Bromberg   in Deuilchland liegen. Um polnischen Korridor steht groß Russia  ", der Name Polen  " tommi nicht vor; in Jugoflawien( auch dieser Name fehlt) steht ,, Hungary  " mit der Hauptstadt Belgrad  ; quer durch Rorbitalien, Deutschösterreich und Ungarn   steht Austria  ",

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