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Sonnabend

21. März 1925

Unterhaltung und Wissen

Eine italienische Strafkolonie.

Bon Orazio Chum.

Unter Italiens   strahlendem Himmel, den fruchtbaren Gestaben Toskanas   nahe, erhebt sich aus den tiefblauen Fluten des Mittel­meeres der einstige Berbannungsort Napoleons  : die Insel Elba  . Inmitten der Schönheit der Natur aber, die sie umgibt, trägt Elba  auf ihren an Erzen reichen Felsen eine Stätte höchsten menschlichen Jammers: über der Meeresbucht von Bortolongone, hinter verfallenden Mauern eines alten spanischen   Kastells, verbirgt sich eine italienische Straffolonie. Italien  , das die Todesstrafe abgeschafft hat, unterhält hier das Bagno der zu lebenslänglicher Haft verurteilten Galeerensträflinge. Ein Grab lebender Menschen.

Bor furzem nun berichteten italienische Zeitungen, daß einem Herrn Commendatore Cominetti pon dem Justizministerium in Rom  eine bronzene Gedenkmünze verliehen worden jei als Anerkennung für eine der Etraftolonie in Bortolongone gemachte Schenkung. Herr Cominetti hatte nämlich durch freiwillige Spenden einen Fonds zum Antauf eines finematographischen Apparates gesammelt, den er mit einigen Films belehrenden und patriotischen Juhalts für die Ge­fangenen von Bortolongone der Berwaltung schenkte.

Herr Cominetti, der in Turin   ansässig ist, berichtet über den Anlaß zu dieser Stiftung folgendes: Während des Krieges hatte ein italienisches Kriegsgericht einen Soldaten in Innsbrud namens Go betti in contumaciam der Desertion und Fahnenflucht beschuldigt und zu lebenslänglicher Haft verurteilt. Dieser junge Mensch, der sich in Gefangenschaft befand, fehrte nach Beendigung des Krieges ahnungslos in das fleine heimatliche Dorf zurück, wo er mit Schreden die über ihn verhängte Berurteilung und Strafe erfuhr. Entfeßt juchte er ins Ausland zu entfliehen, aber an der Grenze wurde er verhaftet und von dort zur Verbüßung seiner Strafe nach Bortolon­gone verbracht. Gobetti, ein vollkommen harmloser, unerfahrener Bauer, fast ein Kind, war absolut unfähig, fich gegen die ihn zu Unrecht betroffene Berurteilung zur Wehr zu sehen; obwohl er in der Lage gewesen wäre, für seine Unschuld Beweise und Zeugen zu er­bringen, unternahm er nichts, um sich seiner Einterferung zu wider­jezzen und seiner Schuldlosigkeit Geltung zu verschaffen. Ein Bruder des Armen bemühte sich nun, Herrn Cominetti für die Sache zu interessieren und nach schwierigen und endlosen Berhandlungen gee lang es ihm, das Berfahren wieder aufnehmen zu lassen und durch Entscheidung des höchsten Militärgerichts wurde die Berurteilung Gobettis ridgängig gemacht. Herrn Cominetti wurde es durch be fondere Bergünstigung ermöglicht, die Erlaubnis zum Besuche der Straffolonie Bortolongone zu erhalten, um dem unschuldigen Sträf­ling die Nachricht seiner Freilassung zu überbringen. Die uner wartete Runde überwältigte den jungen Menschen derart, daß ihn ein hohes Fieber von 40 Grad befiel und er erst am folgenden Tage inftande mar, in Begleitung feines Beschützers das Bagno zu ver laffen. Indes hatten die seelischen Erschütterungen, die Kriegsge fangenschaft in der Fremde und danach die Leiden seiner Haft in Bortolongone zu schwer auf Gobettis Konstitution eingemirft.- Seine Freiheit fonnte er nicht lange genießen; er starb taum ein Jahr da nady im Krankenhaus zu San Giovanni.

Killingers Jungmannen.

S

Beilage des Vorwärts

O.KOESTER

Patentlösung: In der Nacht vor dem Wahltag werden sämtliche republikanischen Präsidentschafts­

Die Eindrücke, die der Besuch in Bortolongone bei Herrn Co. kandidaten gekillt. Dann kommt Jarres totficher durch."

minetti hervorgerufen, waren derart tiefgehend, daß er beschloß.

fich für das Los der dortigen Strafgefangenen einzufezen.

Da, mie bereits ermähnt, in Italien   die Todesstrafe nicht besteht, werden die von den Gerichten zu lebenslänglicher Haft Berurteilten nach den meist auf Inseln eingerichteten Straffolonien verbracht, je nachdem: zu Einzelhaft, zu Strafarbeit oder einfacher Internierung. Auffallenderweise werden die Internierten in Bortolongone ebenso wie auf der Insel Nisida nicht zur Arbeit gezwungen, im Gegenteil, erst durch jahrelanges Wohlverhalten können fie die Berechtigung zur Bebauung eines Stüd Landes oder als Handwerker die Auf nahme in die Anstaltswerkstätten erlangen, und da ein strenges Schweigegebot herrscht, verbringen viele der Sträflinge somit ihr elendes Leben in qualooller Untätigkeit. Die in den Belfen der Einzelhaft Lebenden suchen, um den Gebrauch der Sprache nicht zu Derlieren, hurch lautes Lesen die Zunge beweglich zu erhalten. Das Geschent des finematographischen Apparats foll nun den von der menschlichen Gesellschaft Ausgestoßenen in ihre trostlose, nuglofe Cristenz einen Strahl von Daseinsbewußtsein bringen und Erinnerungen an die für fie verlorene Welt und an das Treiben des Lebens zurückrufen. Allerdings mag es fraglich erscheinen, ob damit nicht für manchen der Unglücklichen das Los um so schmerz licher, um so qualpoller gestaltet wird.

Ich bin ein echter Kommunard.

3]

"

Bon Ilja Ehrenburg  . ( Aus dem Russischen überfest von Hersto.) Louis Rour fah, daß die Republit" in Kalefchen und Equi­pagen davonfuhr. Er fragte die anderen Blusenmänner, was statt der Republik   geblieben sei, fie antworteten ihm: Die Pariser Kommune  ," und Louis verstand, daß die Kommune nicht weit von der Straße der schwarzen Witwe lebe.

Doch die Stutzer und die Frauen, die Paris   verfassen hatten, wollten die schönste aller Städte nicht vergeffen. Sie wollten fie nicht den Maurern, Zimmerleuten und Schmieden überlassen. Und wieder zerstörten Kanonenkugeln die Bauten, aber diesmal schickten die Kugeln nicht die bösen Preußen, sondern die guten Stammgäste des Café England und der anderen Cafés. Und Louis begriff, daß er auf seinen Blaz auf dem Fort St. Vincennes zurückkehren müsse. Run war Frau Monaut, die Inhaberin des Gemüselabens wat, nicht nur eine gute Frau, sondern auch eine gute Katholikin. Sie wollte den Sohn eines jener Gottesleugner, den Mörbet des Erz bischofs von Paris  , nicht in ihrem Haus behalten. Da nahm Louis Rour feine Pfeife zwischen die Zähne und seinen Sohn Baul auf die Schultern und ging zum Fort St. Vincennes. Er schleppte die Angeln zu den Kanonen, und Baul spielte in der Nähe mit den leeren Patronen. Nachts schlief der Kleine in der Hütte des Wächters des Bumpenhauses. Der Wächter schenkte Baul eine ganz neue Lon pfeife, genau wie die, welche sein Bater rauchte, und ein Stückchen Seife. Sobold es Paul zu langweilig wurde zuzusehen, wie die Kanonen die Kugeln ausspudten, nahm er seine Pfeife und machte Seifenblasen. Die Seifenblasen waren von verschiedener Farbe, blau, rosa und lifa. Sie glichen den Luftballons, die die Stuger und sorglofen Frauen in den Tuileriengärten den geputzten Knaben fauften. Freilich, die Seifenblasen des Maurerfohnes lebten nur einen Augenblic lang, während die bunten Luftballons der Rinder aus den Bierteln der Einsäischen Felder einen ganzen Tag lebten, doch die einen wie die anderen waren herrlich und die einen wie die anderen starben sehr schnell. Wenn Paul die Seifenblasen aus seiner Tonpfeife pustete, vergaß er den Mund aufzufperren und auf ein Etüd Brot zu warten. Go oft er zu den Leuten, die man kommu­narden" nannte, herankam, preßte er mit ernster Miene die Pfeife zwischen die Zähne, genau wie fein Vater Louis Rour. Und die Männer vergaßen einen Augenblid die Ranone und sagten lustig Baul: Du bist ein echter Romununard."

Bekannten wiedererkannt hätte. Die Begegnung war erschütterud.

Die Entlaffung Gobettis aus dem Zuchthaus hat selbstverständ- I bem gealterten Gefangenen von Bortolongone niemals den einstigen lich bei allen Sträflingen die Sehnsucht nach Freiheit neu entfacht und bei einzelnen die Möglichkeit einer Revision ihrer Verurteilung und die Hoffnung auf Freiheit neu aufleben lassen.

Bon dem düsteren Hintergrund der sich hier erbarmungslos rächenden menschlichen Gesellschaft hebt sich versöhnend die Gestalt warmblutigem Mitleid und barmherziger nächstenliebe, beschränkt er eines bem Buchthaus zugeteilten Franziskaners ab. Beseelt vont fein Borrecht der Ansprache nicht auf die katholischen Formeln, jon­dern er spricht den Sträflingen auch von Dingen, die sie von dem Gedanken ihrer verzweifelten Hoffnungslosigkeit ablenfen. Ja, er fterbende Saite der Heiterkeit im Herzen der Unglücklichen zu rühren. Ungeachtet des mit schweren Strafen drohenden Verbots, weiß er zumeilen in den weiten Aermeln seiner Franziskanerkutte diesem oder jenem eine Ergänzung zur fargen Gefängnistost zuzufchmuggeln -belohnt durch ein Aufleuchten un stummen dankbaren Blid des Empfängers.

Auch unter den in Einzelhaft sitzenden Schwerverbrechern, deren Straftaten in Italien   als Senfation sehr bekannt sind, soll einer, ein Mörder, noch andauernd seine Unschuld beteuern. Bei seinem Rundgang hatte Cominetti auch ein unerwartetes Er lebnis: Bor   Jahren hatte er in Turin   einen eleganten jungen Schweizer   E. getannt, einen anständigen, gebildeten Mann, der sich für vermögend ausgab und den auch Cominetti in sein Haus aufgewagt fogar, gelegentlich durch einen fleinen Scherz an die er nominen hatte. Er verließ dann Turin   und Cominetti verlor ihn aus den Augen. Einige Monate darauf wurde der junge Mensch aus den Augen. Einige Monate darauf wurde der junge Mensch als feindlicher Spion verhaftet und wegen Hilfeleistung bei der Bere fentung des Panzerschiffes Benedetto Brin  " in Taranto   zu lebens länglichem Kerter verurteilt. 2n einer trockenen Brotfruste fauend, faß der Beklagenswerte in der Zelle. Auf seinen Zügen hatte das furchtbare Schicksal fo tiefe Furchen gezogen, daß märe Cominetti nicht durch den befannten Namen aufmerksam geworden er in

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Die Blusenmänner hatten wenige Kanonen, wenige Rugeln und fie waren nur wenige. Die Leute, die Paris   verlassen hatten und jetzt in Bersailles, der ehemaligen föniglichen Residenz, wohnten, fchickten jeden Tag neue Soldaten, Söhne jener armseligen und be­schränkten Bauern Frankreichs  , und neue Kanonen, die ste von den bösen Breußen erhalten hatten. Immer näher tamen sie den Bällen von Paris  . Biele Farts maren schon in ihrer Hand, und niemand tam mehr, um die gefallenen Kanoniere, die zusammen mit Louis Roug das Fort von St. Vincennes verteidigten, abzulösen. Der Maurer schleppte selbst die Kugeln herbei, lub selbst und feuerte auch felbst, nur zwei unverwundet gebliebene Blufenmänner halfen ihm.

In der ehemaligen Residenz der Könige Frankreichs   herrschte eitel Freude. Die schnell aus Holz aufgebauten Cafés fonnten nicht die Menge derer fassen, die rubinrote Liköre trinken wollten. Die Alebte in den veilchenblauen Goutanen sangen laute Danfgebete, ihre steifen Schnurrbärte streichend, unterhielten sich die Generäle fröhlich mit den angekommenen preußischen Offizieren. Und die tahlen Lakaten rüsteten schon das Gepäck ihrer Herren für die Rück­fehr nach Paris  , der schönsten aller Städte. Der prächtige Bart von Berfallles, erstanden auf den Knochen von 20 000 Arbeitern, die Tag und Nacht die Erde umgruben, Bäume abschlugen, Sümpfe trod neten, um die von dem Sohne des Königs geftellte Frist nicht zu überschreiten, war zur Feier des Sieges mit Fahnen geschmüdt. Am Tage bliefen die tupfernen Trompeter ihre Baden auf, die steinernen Tritonen von neun großen und vierzig fleinen Fontänen vergossen Tränen der Heuchelei, und in der Nacht, da in dem blut­leeren Baris teine Lichter auf den Boulevards glänzten, strahlten zwischen dem Laub der Bäume helleuchtende Inschriften auf. Der Leutnant der Nationalarmee, François d'Emognant, über. reichte seiner Braut Gabrielle de Bonnivette einen Strauß garter Lilien als Zeichen des Adels und der Unschuld seiner Gefühle. Die Lilien standen in einer goldenen, mit Saphiren verzierten Base. Sie war bei einem Juwelier aus der Friedenstraße in Paris   ge­tauft, der es verstanden hatte, seine Kostbarkeiten am ersten Tage des Aufruhrs nach Versailles   in Sicherheit zu bringen. Der Strauß sollte auch ein Zeichen des Sieges sein. François d'Emognant war für einen Tag von der Pariser   Front gekommen. Er erzählte feiner Braut, daß die Aufständischen geschlagen feien. Morgen würden seine Soldaten das Fort St. Vincennes stürmen und in Paris   einziehen.

Bann wird die Saison in der Oper beginnen?" fragte

Gabrielle.

Und dann begann ein Liebesgezwitscher, das so natürlich hit amischen einem helbenmütigen Bräutigam, ber von der Front kommt

Zu den schwierigften Broblemen unserer Kultur zählt unbe­ftritten die Frage des Strafvollzugs.

und einer liebevollen Braut, die für ihn einen atlasseidenen Labat­beutel stict. In einem besonders zärtlichen Augenblick, als er seine Braut mit der Hand eines tapferen Kriegers an sich preßte, jagte François:" Meine Liebe, bu meißt gar nicht, wie grausam diese Kommunarben sind. Durch meinen Feldstecher fonnte ich sehen. daß auf dem Fort St. Vincennes ein fleiner Junge mit der Kanone schießt. Und dent dir, dieser 3merg- Nero raucht schon eine Pfeife." Ihr werdet sie doch alle töten?" flüsterte Gabrielle und ihre Brust bebte heftig unter der Hand des Kriegers.

François d'Emogant wußte, mas er fagte. Am nächsten Tage betam sein Regiment ben Befehl, das Fort au stürmen.

Louis Roug auf die Soldaten. Da ließ François d'Emognant die Mit zwei noch unvermundet gebliebenen Blusenmännern feuerte weiße Flagge aufziehen, und Louis Roug, der einmal gehört hatte, daß die weiße Flagge Waffenftillstand bebeute, hörte auf zu schießen. Er dachte, daß die Seldaten Mitleid mit der schönsten aller Städte hätten und Frieden mit der Bariser Kommune schließen wollten. Lächelnd, thre Pfelfen rauchend, warteten die drei Männer auf die Soldaten. Der fleine Baul, der keine Gelfe zu Geifenblasen mehr hatte, hielt die Pfeife im Mund und lächelte auch. Als die Soldaten dicht an das Fort herangekommen waren, befahl François d'Emo gnant einen feiner beften Schüßen aus den Savoner Bergen, die drei Aufrührer zu erschießen. Den fleinen Kommunarden wollte er lebendig fangen und ihn seiner Braut zeigen. Die Savoyarden maren gute Schüßen, beim Einzug in das Fort sahen die Soldaten drei Männer mit Pfeifen nicht weit von der Kanone liegen. Die Soldaten hatten schon piele Tote gesehen und zeigten fein Erstaunen. Nur als sie den fleinen Knaben mit der Pfeife auf der Kanone erblickten, murben fie boch vermirrt, befreuzigten sich und riefen Gott  und den Leufel an

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" Du efelhafte Bange, moher fommst denn du?"

Ich bin ein echter Kommunarb," antwortete lächelnd Paul Rour. Sie wollten ihn mit den Bajonetten erstechen, der Korporal ver. hinderte es nach dem Befehl des Hauptmanns François d'Egmonant und ließ den leinen Kommunarden nach einem der elf Sammellager, darin die gefangenen Kommunarden zusammengepfercht waren, bringen.

Wie viele von uns er wohl erschossen haben mag, dieser fleine Engel?" brummmten die Soldaten und stleßen den Knaben mit bon Kolben. Der fleine Baul, der nie jemand getötet, sondern nur bunte Seifenfugeln aus feiner Tonpfeife geblasen hatte, verstand nicht, warum diefe Deute ihn so fräntten und mißhandelten. ( Schluß folgt)