Sonnabend
23. Mai 1925
Unterhaltung und Wissen
Humor in der Justiz.
Auch auf dem trodenen Boden der Justiz gedeiht die Blüte des Humors, ja, dieser Boden scheint ihr sogar besonders günstig zu fein, wie eine humoristische Sonderausgabe der Deutschen Juristenzeitung" beweist, die zum sechzigsten Geburtstag ihres Gründers und Herausgebers, Dr. Otto Liebmann , erschienen ist. 3ahlreiche Freunde und Mitarbeiter dieser Zeitschrift haben zu dieser Sonderausgabe Jus und Jur" Beiträge geliefert, und daraus ist ein Gefamtbild entstanden, das in das ernste Gesicht der Justitia recht fröhliche Züge bringt. Wir geben im nachfolgenden nach der Frant furter Beitung" eine kleine Auslese aus den vielen dort zusammengetragenen Mizellen.
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In der Eingabe eines Baters an das Bormundschaftsgericht heißt es:„ Ich darf wohl hoffen und bitten, daß man mir nicht das Baterherz aus der Brust reißen wird; sollte solches wider Erwarten der Fall werden, dann kann es nur aftenmäßig geschehen." Ein Aftenbend aus dem Jahre 1893 enthält einen Ministerialerlaß, der die nachgeordneten Dienststellen darauf hinweist, daß in den Bescheiden an dritte Personen die Worte Sie sich" beide groß zu freiben feien, und ausführt: Es muß heißen: ich mich- Du Dich er sich wir uns Sie Sich( oder Ihr Euch) Sie sich." An den Rand des Erlasses hatte jemand mit Rotstift geschrieben: Du mich." Ein Schriftsaz in einem Testamentsprozeß macht geltend: Wie oberflächlich und zerstreut der Erblaffer war, geht schon daraus hervor, daß er sich selbst das Leben genommen hatte. -Auf eine Eheanfechtung, die mit der Behauptung begründet war, daß die Frau bei Eingehung der Ehe nicht mehr unberührt ge mesen sei, erwiderte ein Schriftsaz des Anwalts der Beklagten :„ Die Beklagte war Privatsekretärin und war zur Zeit der Heirat 27 Jahre alt; sie hat immer in Berlin gelebt, überdies im banerischen Viertel. Der Kläger tonnte daher unmöglich annehmen...." In einem Strafalt megen Berbreitung unzüchtiger Schriften findet sich folgende Antwort auf ein Zeitungsinserat: Jch bitte böflichst um Zusendung Ihrer Prospekte über das weibliche Wesen. Bin mit einem Fräulein in einen fittlichen Zustand geroten und möchte ich diesen gern beseitigen. Es ist schon über zwei Monate im Gange.
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Ein Anwalt, der einen Dieb zu verteidigen hatte, erwiderte dem Anklagevertreter: Der Herr Staatsanwalt wirft meinem Klienten besondere Gefährlichkeit vor, weil er bei Nacht gestohlen bebe. Stiehlt er bei Tag, so ist das eine besondere Frechheit, bei Nacht ist es besonders gefährlich. Ich frage: Wann soll eigentlich der Dieb stehlen?" In einem juristischen Mißverständnis befand fich ein fleiner Junge, der eben in der Schule die Zehn Gebote gelernt hatte. Am Abend wird ihm übel, und er muß erbrechen. Wemend ruft er: Mama, ist das ehebrechen?"-In einem Kuppe leiprozeß ergeben sich Zweifel, ob die angeflagte Frau verheiratet ift. Sie erklärt auf Befragen: Nee, verheiratet bin id nich. Mein Mann is noch nich verheiratet." Der mitangeflagte Mann fügt hinzu:„ Wir leben, wie die Herren lagen, im Zölibat." Ein Anwalt beginn in einem Prozeß wegen Schadenersages für eine ertrunkene Rub feine Rede mit folgendem Gaz: In meinem langen Leben habe ich noch nie ein Lebewesen fennengelernt, das so ein zähes Leben hatte wie diese tote Kuh." Eine Frau, die ihren Mann nach vierzehntägiger Ehe verloren, sich aber bald wieder getröjiet hatte, wollte den bestellten Grabstein nicht abnehmen und bezahlen, well der Steinmez sich geweigert hatte, den von ihr gewählten Spruch darauf anzubringen. Dieser hatte folgenden sinnigen Bort nidur: Wenn du denkst, du haft'n, huppt er in den Kasten. ε An einem Amtsgericht waren zwei dide Bände mit dem netten Titel Beschwerden der Beamten übereinander" angelegt. In einer diefer Beschwerden befand sich folgender schöne Gaz: So dumme Rebensarten, wie der Attuar Gajulze fie mir gemacht hat, sind mir noch niemals, nicht einmal von meiner vorgesetzten Behörde, ge nacht worden." Ein Bürgermeisteramt gibt folgende Leumundsauskunft:„ Der Karl Mener ist mir persönlich bekannt. Sein Leu
mund ist talentvoll und erstrebenswert. Bermögensverhältniffe hat er feine. Dagegen lebt er in contumaciam.
Von dem bekannten österreichischen Rechtslehrer Josef Unger weird erzählt: Die Gattin eines Finanzministers, dem die Herstellung Des Gleichgewichts im Staatshaushalt viel zu schaffen machte, eine auffallend magere Dame, erschien eines Abends in einer Gesellschaft in einem sehr fief ausgeschnittenen Kleide. Unger fragte einen neben ihm stehenden Banfier, wie das Dekolleté der Frau finanzwissen. fchaftlich zu benennen wäre," und gab gleich selbst die Antwort: " Das unbedeckte Defizit."
Franz v. Liszt, der berühmte Strafrechtslehrer, zählte zu seinen Schülern auch Japaner. Diese nennen ihren Lehrer Bater, den Lehrer ihres Lehrers Großvater. Eines Tages glaubte ihm ein Japaner eine Freude zu bereiten mit den Worten: Ich Ihr Entel." Lifzt antwortete:„ Ich bin mir nicht bewußt."
Aufruhr im Tierpark.
Bon Arnold Ulig.
6.
its der Oberwärter die erste Morgenrunde durch den kaum erwachten Tierpart machte und, wie es seine närrische Gewohnheit war, mit Rifolaus, bem menschenähnlichen Affen, schalthafte Gebärdenzwiesprache hielt, fiel dieser, aus unerfindlichem Grunde plötzlich bestialisch rasend, den kraftlosen Alten mit überwältigendem Jähzorn an, mishandelte ihn, entriß ihm den großen Schlüsselbund und trieb ihn fürchterlich vor sich her, bis der Unglückliche hinter der festen Tür des Wärterhauses erschöpft zusammenbrach und das menschenähnliche Hohngelächter des Affen gesträubten Haares vor dem Entschwinden seiner Sinne noch deutlich vernahm.
Nikolaus öffnete sodann der Reihe nach sämtliche Rerter; die Jahlreichen Schlüffel verfuchte er in unbeirrbarer Geduld, und nie hatte er in Mienen und Gebärden dem Oberwärter ähnlicher gefehen, als während dieses unbesonnenen Tuns.
Die Türen der großen fleischfreffenden Bestien ließ er wohl. weislich angelehnt und forderte nur mit höflichen Gebärden aus einiger Entfernung die Gewaltigen auf, sich in die Freiheit zu bemühen. Aber den ungefährlichen Tieren tat er die freischenden Pforten und Gatter sperrangelweit auf; er verneigte sich vor dem erhabenen Elefanten, der seiner nicht achtete; er schaute den ent. fliehenden fanften Rehen fast sentimentalisch nach, und über die forschend lauschenden, fachte heranwitternden und endlich pfeilscharf entftiebenden Wiesel und Marder und Füchse und huschenden Mäuse beluftigte er fich höchlich und hielt sich nach Menschenart vor Lachen den Bauch.
Dann eilte er in den Affentäfig zurüd, wo er die schwabende und tatlose Schar seiner Brüder mit einer herrischen und verächt lichen Kopfbewegung aufforderte, ihm zu folgen. Sie taten es mit viel Geschrei und Gaffenbubenübermut und fletterten auf die Bäume, die zu beiden Seiten des breiten Kieswegs unter der steigenden Sonne mit starten Düften erschauerten; nur Nitolaus hielt sich menschenähnlich auf dem Wege. Der Tau war schon verdunstet, und der Ries leuchtete in praller Weiße.
Er führte die Schar vor das Bartrestaurant, stieg mit einigen behenden Jünglingen in ein offenes Fenster, und ungestört von der
Vaterländische Schmerzen.
orbit Gott für Kaiser und Reich
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Bellage des Vorwärts
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„ Ob Monarchie oder Republik, diese Zukunftsfrage liegt bei unseren Kindern. Wir haben nur unseren Egon der ebenso wie wir für unser geliebtes Kaiserhaus schwärmt, aber unser Portier im Hause hat sechs Kinder alles stramme Republikaner . Ich sehe schwarz, Mathilde- woll'n wir nicht daraus die Konsequenzen zieh'n?"
Ber an einem Frühlingsmorgen brüben am Lauberhang fit, dem ist Rothenburg ein Traum.
Wie unirdisch die Stadt aus dem blütenfiebernben Tal auf. fteigt! Wie sich das graugrüne Mauerband um das Gebränge leuchtender Dächer schlingt! Und wie die Türme verwegen in den blaßblauen Morgenhimmel steigen!
So tann die Stadt gar nicht von Menschenhänden erbaut sein. Ein Gott muß sie geträumt haben in einer langen, schwülen Nacht. und ein Gott muß auch vor ihren Toren Wacht gehalten haben, daß die Jahrhunderte wehrlos an ihren Mauern vorbeigeschlichen find.
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Du trittst durch ein Tor und dich umfängt der Lebensatem einer ungefannten Welt. Da sehnen sich noch die Türme mit jener stillen Inbrunst der Gotit über das Irdische hinaus. Da stehen die Giebel breitschultrig und vieläugig in dem ersten berauschenden Daseinsgefühl der Renaissance. Bon allen Fenstern weht Beschau lichkeit. Alle Erfer strahlen Verträumtheit. Dem Eilenden stellen
mit entsetzlichen Schreien in ihrer Rammer sich verriegelnden Schaffnerin warfen fie die weißen und die buntgewürfelten Tischtücher hinab. Die Affen begriffen und deckten geschwindest die Tische. Nikolaus entnahm dem Büfettfchrant einige Kartenspiele, und herrenhaft lümmelnd saß er bald danach mit den Seinen an gedeckten Tischen, und man spielte Karten und machte die abgelernten Geften der Bürger, als spräche man mit brennendem Herzen Don
Politit.
Der Oberwärter inzwischen, aus Ohnmacht zerschlagen erwacht, hatte das Personal im Hause geweckt. An den Fenstern des oberen Stockwerks standen alle Bärter und schrien, drohten und flatschten mit den Händen, um die Affen durch den Lärm zu Berstande zu bringen, denn anfänglich wähnten sie, daß nur diese entwichen seien. Da aber Jah einer, wie den Kiesweg herab, gewaltig, melancholich und in Dumpfheit suchend, die Löwin wandelte, und er flüsterte erblaffend: Alle find los! Alle find los!"
Der Oberwärter wintte mit beiden Händen den Kollegen peinlichste Ruhe zu, denn er, der die meisten Tiere von Jugend auf tannte, war tief überzeugt, daß es sich um eine Revolte handele, die gegen fie, die Wärter, die doch nur um des täglichen Brotes willen und nicht aus Bosheit ihren Dienst versahen, rachgierig gerichtet war. So wankten bie Männer erbleichend zurüd, blidten behutsam wie Schüßen fnapp über den Fensterbord und lauschten ohne Laut dem gewaltigen Schreiten. ohne Laut dem gewaltigen Schreiten. Es verscholl; sie richteten fich auf.
Da lief schon fladernd und hochftaplerisch die Hnane vorüber, das Krokodil schleppte fich scheufäfig in ein Tulpenbeet, eine Gazelle das Krokodil schleppte sich scheufäfig in ein Tulpenbeet, eine Gazelle flirrte schwalbenhaft blihend dahin, das gute Zebra weidete träume. risch im Rhododendronboskett, der Fuchs zog perfide hinter der Hecke des Weges, die weißen Mäuse rieselten wie windgetriebener, weicher Flodenfall, und das Flußpferd madelte turzbeinig heran und trat tiefe Stapfen in den Ries, in die der grüne Schlamm feines Derlaffenen Bedens widerlich triefte.
mit warnendem und weisem Posaunen nahte der Elefant, und am Wärterhause hob er wie einen vermahnenden Riesenzeigefinger den grauen, rissigen Rüssel, der bis ans erste Stockwert pochte. Der Oberwärter verneigte sich unbewußt und sprach zu ihm: Was tönnen wir denn machen? Wir tragen teine Schuld, wir sind Beamte, sonst nichts!"
fich schwaßende Brunnen breit in den Weg. Und die Tore, die turmbewachten,[ potten mit zeitlosem Blid: Gemach, du flüchtiger Gesell! Am Abend ist Rothenburg ein Märchen.
Dann fällt die Dämmerung blau in die Gaffen. Die Turmgloden bimmeln verschlafen über dem Dächergewirr. Die Giebel tüden noch dichter zusammen- fich Gute Nacht zu sagen. Irgendwo springt noch ein Mädchen über die Gasse mit blanfem Krug, und der Brunnen jauchzt einen zischenden Wasserstrahl hinein.
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Stiller wird es und stiller. Nur die Brunnen rauschen gaßauf gaßab, spinnen die alten Geschichten weiter, die sich tags die schlohweißen Urgroßmütter erzählen, wenn sie an den Stadtmauern in der Sonne figen. Die Turmuhr zerhackt die leise rinnende Zeit Gröhnend in Stundenviertel. Und vor den Toren flöten die Amfeln die ganze Nacht in den Fliederbüschen.
Morgen will ich weiter. Das wird mir schwer werden. Zwei Sehnsüchte werden mich quälen: die zu wandern und die zu bleiben. Ich möchte bleiben, weil jeder Abend mit neuen Märchen loďt. Und ich möchte wandern, weil jeder Morgen mit seinen ziehenden Wolfen zu neuen Fernen mintt. Wenn ich wandere, weiß ich, daß ich wiederkomme. Franz Lepinsti.
Das Dromedar schautelte wie ein Matrose vorüber und schleifte mit den Hödern die Blüten der Bäume herab, und ihm gefellte sich, triebhaft und treuherzig, der braune Bär, der streckenweise aufrecht ging und fich wehmütig wiegte, und auch er stand vor dem Hause ftill und hob die Tagen, als erbitte er was.
,, Ach, mein Lieber," sagte der Oberwärter, willst du etwas von uns? Wir sind ärmer als du! Ich glaube, du weißt noch gar nicht, wie ernst die Situation ist."
Die Fütterungsstunde war gekommen, und die Bestien vermißten den Fraß, nur die Affen wußten bald Bescheid und holten aus dem Wirtshausschrank Zuder und Brot, aber die anderen irrten umher und brüllten.
Da holte sich der Wolf das Reh, da beschlich der Fuchs den Papageien, der eitel im Reifen schaufelte, und soff sein Blut aus dem schimmernden Geckengefieder hervor.
Der Löwe aber, schwermütig von Erinnerungen, lag träge auf dem Kinderspielplatz des Wirtshausgartens im Sandhaufen und hatte die Augen geschlossen. Bis die törichte Giraffe in seine Nähe fam, um an den Baumwipfeln zu nafcen. Da zitterte er durch den ganzen Körper und erhob sich. Alle Tiere, die ihn fahen, machten weite Bogen, nur der Schatal stellte sich hämisch abwartend hinter die alte Linde, und der Geier ließ sich mit fledermausweichem Flügelschlag auf der vergoldeten Zinne bes Raubvogelhauses nieder und lächelte böse. Dann sprang der Löwe in jähem Schwung, und die Giraffe zerbrach unter ihm.
Bon da an scholl aus dem Tierpart wahnwißiges und graufiges Gebrüll. Gebrüll. Rasende Heimkehr feierten, alle, zur schier vergessenen Natur. Hunger, Freude, Schmerz, Todesschrei, Triumph und Freiheit! Der Oberwärter weinte bitterlich, aber die Spaziergänger, die an den Bohlenzäunen des Gartens entlang heiter ins Freie wanderten, sagten nichtsahnend:„ Der Frühling tommt auch für das wilde Bieh!"
Erst gegen acht Uhr begann die Stadt etwas von dem Umsturz zu ahnen. In wundervollem Fluge strebte ein gewaltiger Bogel Don Often her über die Dächer; die vielen Menschen, die um jene Stunde auf dem Wege zu ihren Arbeitsstätten waren, reckten die Köpfe, und in tiefer Betroffenheit ließ ein Straßenbahnschaffner seinen Wagen auf freier Strede stehen und rief als erster:„ Ein Adler, ein wirklicher Adler!" ( Schluß folgt.)