Sonntag
29. November 1925
Aus der Film- Welt
Die Filme der Woche.
„ Halbseide."
( Richard- Oswald- Lichtfpiele.)
In dem nach ihm benannten Lichtspieltheater erlebte des berannten Regisseurs nauester Film, den er für die Deulig drehte, feine Uraufführung. Richard Oswald reizte das bunte Leben und Ireiben gewiffer Berliner Pensionen zum Gestalten, und so läßt er einen adeligen Nichtstuer und Frauenverführer aus Liebhaberei recht viel erleben. Also, aus Langeweile steigt Arthur von Hiller nach. Geibe, bas ist für ihn eine Dame der Gesellschaft, die läßt er ungeschoren. Baumwolle bedeutet ein fleines Mädchen, das ist ihm zu menig. Aber Halbfeide, die fefche Perfon mit den Allüren der Dame von Belt und der Zugehörigkeit zur Halbmelt, die reizt ihn. Als er Jagd auf eine Halbseidene macht, gerät er in die Pension Quififana. Hier lernen wir den Boger Aleg Bums fennen, der stets traftmeiert und andauernd Brügel bezieht. Wir werden mit Frau Beber befannt, die von der Unfauberteit ihres Gewerbes innerlich fiberzeugt ist, aber nach außen mit Gerissenheit die anständige Frau fpielt. Sodann lernen wir in Ritty, die gerne aus dem Sumpf möchte, und in Rita, die mit ihrer Berdorbenheit prahlt, bas ungleiche Töchterpaar fennen. Die Halbseidene verliert schließlich ihren Mann und geht den Weg, auf den Abenteuerluft und Leichtsinn schon manche Frau getrieben haben. Der betrogene Mann befommt zuguterlegt fein Mündel, die Kitty. Richard Oswald griff beobachtungsfroh hinein in diefes Durcheinander. Ihm gelang eine vorzügliche Milieuschilderung. Den größten Lacherfolg hatte Aler Bums urfomischer Bortampf, ber burch die Einschaltung der Zeitlupe tatsächlich Anforderungen an das 3merchfell stellte. Die Darsteller halfen dem Regiffeur wader. So waren Karl Bedersachs vorzüglich als Arthur von Hiller, Bernd Aldor bewußt zurückhalten als betrogener Ehemann, Hands Albers unendlich fomisch als Boger und Curt Gerron eine famose Ringertype. Balesta Stod schöpfte die Rolle der Frau Weber voll aus. e. b.
Ber Hunde fiebt und welcher gute Mensch tönnte Hunde nicht lieben? wird an Wolf, dem Hauptdarsteller des neuen Metro- Goldwyn Films seine helle Freude haben. Die Frage, ob das Tier Berstand oder nur Instinkt hat, erscheint restlos zugunften des Berstandes gelöst, wenn man die unglaubliche Schauspielerische Sicherhelt sieht, mit der Wolf die schwierigsten Situationen bewältigt, wie er fich langsam mit wundervollem Mienenspiel von einem betäubenden Schlage erholt, einen mürrischen Zuchthausinipettor harmiert oder um feinen gefangenen Herrn trauert. Man hat das Gefühl, daß der Geist dieses Hundes ben eines fleinen Rindes, mit dem der Hundeverstand oft ver. glichen wird, weit übersteigt. Das Gute an diesem Film, den man möglichst weit verbreiten müßte, ist es, daß er Liebe zur Kreatur ermeden muß Man fann auch angesichts eines so sympathischen Filmstars", wie Wolf einer ist, gern darüber hinwegsehen, daß bie Handlung des Films, in der ein Unschuldiger wegen Mordes verurteilt und der Schuldige mit Hilfe des Hundes entdeckt wird, reichlich abgeflappert ist. Interessant war allerdings die liebevolle Darstellung amerikanischen Buchthauslebens.
Boran ging ein toll mit rasenden Autobildern wirbelnder Grotestfilm Atlas, der ebensretter", den sich alle beut. fchen Regisseure megen seiner Technit einmal ansehen sollten.
, Don Meer zu Meer." ( Urania.)
f. h. c
Schon die Bifinger wollten bie Beftfee( bie feßige Rorbfee) mit der Ostsee verbinden, meil sie etwas umständlich ist, die Fahrt durch das fiets fturmgefährbete Stagerraf. Was einst ein frommer Bunfch war, wurde später Erfüllung. So entstand vorerst der viel gefrümmte Elderfanal und dann der Kaiser Wilhelm- Kanal. Und für dieses eigenartige Baumert, bas bei 26 Stunden Fahriverfürzung den Schiffen einer gefahrlosen Beg von der Nordsee nad ber Offfee bietet, letzt sich der Film Bon Meer zu Meer" mit geididter Berbetätigkeit ein. Der Oberingenieur Friz A. Meyen, ben die Wunderwerfe ber Technif persönlich in eine andachtsvolle Stimmung verfeßen, hat schöne Bilderferien zusammengestellt, die auch bei dem Laien Begeisterung hervorrufen. Die Fahrt geht von London aus mit der„ Baltara", auf der man noch immer den un angenehm fraffen Unterschied zwischen Kajüte und Zwischended fennt, durch ben Kaifer Wilhelm- Kanal. Man wird mit der Zwed. mäßigkeit unendlich vieler technischer Einrichtungen befannt und ficht, wie sich alles dem Schiffsverfehr unterordnet. Der Kampf gegen den Schlid wird mit Saugbaggern betrieben, die durch Schlid auffaugi ng dem Ranal bie nötige Fahrtiefe erhalten und durch Schlicablagerung in der Unterelbe tünstlige Inseln entstehen lassen. Rebst den durch Tridfilme ergänzten technischen Erläuterungen wird man auch mit der Landschaft befannt gemacht. Der Film, beffen Uraufführung überhaftet vor sich gehen mußte, soll auch im A stand für die Benutzung des Kaiser Wilhelm- Kanals werben. Das mird er tun, denn er ist so gefaßt, daß er allen schiffahrttreiben Den Streifen viel Interessantes bietet. Rürzungen werden höchst wahrscheinlich noch vorgenommen. Es ist ratsam, dabei die eine ober die andere Großaufnahme von den Kriegsschiffen fallen zu fallen.
Das Geheimnis der alten Mamfell." ( Kammerlichtspiele.)
-g.
Das hätte fich die felige Marliti auch nicht träumen laffen, daß hundert Jahre nach ihrer Geburt ihr populärster Roman, der gleich zeltig ber verbreitetste deutsche Roman überhaupt fein foll, nach einmal als Film auferstehen würde. Ob die jungen Mädchen heute noch dafür schwärmen werden, 57 Jahre nach seiner Entstehung? Wenn der Film romanhaft( pannend, fentimental und die Unschuld perklärend fein foll, so ist diese Borlage entschieden dafür geeignet. Aber der Regiffeur Dr. Merzbach wollte die Handlung attuali. fieren und verlegte sie in die Gegenwart, und bas geht doch nicht gut. Die Marlitt ist heute bereits historisch, und so hätte man auch den Film in einem Stil der Vergangenheit geben müffen. Nur die alte
Mamfell repräsentiert die alte Zeit in ihrem Kostüm. und es steht ber Frieda Richard vortrefflich. Sie gibt der Figur überhaupt ein martantes Gepräge in ihrer Mansardenwohnung, die auch ein Stüd aus der alten Zeit ist. Aber die anderen Bersonen find modern. Hervorzuheben der würdige Konsul, den Hans Mierendorf mit Schöner Zurüdhaltung spielt, Julia Serda , seine Frau, und der altere Sohn Adrian des Anton Bointner. Sehr gute Typen find Guido Schamberg als Schaubudenbefizer und Hermann i ha als alter Schufter. Die verfolgte Unschuld, die in das bürger. liche Milieu hineinplagt und dort ihren Leidensweg burchmacht, ist Marcella 21 bani. Sie hat sehr gute Momente, aber ihr liebliches Gesicht gibt den Ausdrud für die ernsteren Konflitte noch nicht her. Dem Film voran ging eine luftige For- Groteste„ Bubi als Stierfämpfer".
Lippenstift und Bubikopf." ( Primus- Palast.)
T.
luftigste Many von Wien , der lärmend und ſtimmungerzeugend die Diefer Film gibt sich im Titel mondaner als im Inhalt. Der Schlaginstrumente einer Jazz- Kapelle handhabt, hat eine Frau, die ihm durchgebrannt ist, und eine Tochter, die in Strenge und Liebe bei ihm aufwächft. Die Zuschauer merden nun Zeugen des Kampfes zwischen Mann und Frau um das Kind. Er will das Mädchen als ehrenwerte Haustochter erziehen, fie möchte es zur Halbweltdame ausbilden. Zum Schluß verschwindet Mama, tritt einen ihrer Ver. ehrer an die Tochter ab und die wird mit reichem Gatten und Bapa nach Amerifa reifen. Dieses Geschehen wird nie zum Miterleben, da die Darstellerin der Frau, die italienische Schauspielerin Terribili, Maste und nicht Seele ist. Der Regisseur Amletto Palermi verlor sich in einer unerträglichen Sentimentalität. Er verführte Maria Corda zu einem leberschreiten ihrer Mittel, während er Bittor Bartonni, den eleganten, sympathischen Liebhaber, nicht zwang, eine persönliche Note in sein Spiel zu legen. Als einen glänzenden Darsteller lernte man Ruggero Ruggeri fennen. Er hat Rhythmus in fich, wenn er mufiziert, und wie verschieden behandelt er die Instrumente, je nachdem, ob Erschrecken, Freude oder Leid fein Innenleben bewegen. Die Bergnügungsstätte, das Milieu der 1001 Filmmöglichkeiten, ist überhaut nett geschildert. Der Tert ist abwechslungsretch, er fegt sich nämlich zusammen aus der verstiegendsten Lyrit und den banalften Worten, die man sich denken fann. e. b.
Ueber 300
deutsche Zeitungen
aller Parteirichtungen haben einstimmig den
Riesenerfolg
des
Großfilms des Proletariats
Freies Volk
bestätigt.
Jeder hat die Pflicht
sich den Film anzusehen.
Berlin 0.: 27.- 30.11.1925 Konkordia- Palast, Andreasstraße Neukölln: 27.- 30.11. 1925 Kukuk- Lichtspiele, Kottbusser Damm Excelsior- Lichtspiele, Bergstraße Berlin NO.: 4.- 10. 12. 1925 Lichtspiele Friedrichshain , Am Friedrichshain 16.
Weitere Spieltermine folgen!
Beachten Sie die Anschlagsäulen!
alex as
„ Die rote Lilie."
( Mozart- Saal.)
Beilage des Vorwärts
Wenn man die Bunder der modernen Photographie genießen. fich des meichen faminen Tones, der mit seinen Abstufungen an die Bilbwirkungen der alten Holländer und ihre impressionistischen Nachfahren erinnert, erfreuen will, so sehe man sich diesen Metro. Goldmyn- film an, für dessen Photographie ein Rünstler feines Fachs Bittor Milner zeichnet. mit großer Treue ist von dem Regiffeur Fred Niblo das franzö Als Joylle jetzt der Film ein, fische Dorfmilieu gezeichnet. Der Sohn des Bürgermeisters Jean liebt Marise, das arme Schustermädchen. Aber der Alte gibt es nicht zu, und so fliehen sie nach Baris. Doch schon am Bahnhof merden sie getrennt, er mird megen angeblichen Diebstahls ver haftet, und das unschuldige Dorffind, bas tagelang an den Bahnhof zurückkehrt, um den Geliebten zu erwarten, wird in den Kampf ums Dafein hineingestoßen. Sie wird zur Dirne, und ihr Jean, der der Polizei eniflohen ist, gerät in die Berbrechertreise. Nach stadt aus ihnen gemacht hat. Sie pflegt ben von der Polizei langer Trennung treffen fie fich als das wieder, was die Groß schwer Berwundeten und opfert sich für ihn, als sie von einer Polizeirazzia überfallen werden. Sie fommt ins Krankenhaus und er ins Gefängnis. Aber dann finden sie sich, der Bater ist gestorben Lastern und Berbrechen durchschritten, ins Dorf zurüd, mo sie ein und beide tehren, nachdem sie die Hölle der Großstadt mit ihren zeichnung des Apachen- und Brostituiertenlebens bis an die Grenzen neues Leben beginnen werden. Der Film geht in der Renn unterirdischen Kanälen von Parts, aber aus all dem Schmuß erund bieett wild- aufrerende Szenen, u. a. eine Berfolgung in den blüht die Liebe, die versöhnt und erhebt. Die beiden jungen Menschen sind von Enid Benett und Ramon Rovarro hervor lung der Physiognomien unter dem Einfluß des Milieus zu ge ragend verförpert. Die Rollen geben Gelegenheiten, die Band. stalten, und so mird aus dem Engel des Dorfes die von Leid und Lafter Gezeichnete und aus dem harmlosen Jüngling der rohe leidenschaftsverzehrte Apache, bis sie beide wieder zu ihrer alten Natur zurückkehren.
„ Die Frau für 24 Stunden." ( Piccadilly.)
D.
Das deutsche Filmluftspiel hat diese Saison eine ausgezeichnete Ernte. Den bisherigen Treffern gefellt sich der neue Schünzel Film bei, dessen Manuskript er in Gemeinschaft mit Alfred Schiro fauer nach einer Novelle von Alexander Engel geschaffen hat. Die Schwantgeschichte von dem Botschaftssekretär, der infolge der Laune seines Chefs verheiratet sein muß und nun für 24 Stunden eine Frau leiht, ist voll luftiger Komit. Natürlich geht die Sache schief. Der Minister, der von dem Charme der Frau aufs äußerste ein. genommen ist, kommt dahinter, daß fie in Wirklichkeit mit einem anderen verlobt ist. Der Botschaftssekretär muß seinen Abschied nehmen, aber nun fann er das Mädchen, eine Schuhverkäuferin, in Wirklichkeit heiraten. Er hat ihren Wert erkannt, während er früher der Ansicht war, solche Mädchen liebt man, aber heiratet man nicht. Eine zweite Liebesgeschichte läuft nebenher. Für Ueber. raschungen und Situationswig ist im reichsten Maße gesorgt. Bor allem aber ist die Darstellung erstklassig. Lotte Neumann ist zwar nicht die fleine Schuhverkäuferin, weder ihrem Auftreten noch ihrem häuslichen Milieu nach, aber sie spielt ihre Rolle als Daine mit soviel Liebreiz und luftiger Schelmerei, daß man über alle Einwände gern hinwegsieht und seine helle Freude an ihr bat. Ihr ebenbürtig ist Harry Liedtte, ber Botschaftersekretär Graf, ber ihr an Feinheit des Mienenspiels und Eleganz der Erscheinung nichts nachgibt. Gegen alle Filmregeln spielt Kurt Belpermann feinen Jugendfreund mit einer grotesten Ausgelaffenheit der Gesten, die zu seinem versonnenen Wesen faum paßt. Aber gerade badurch bringt er ein vibrierendes Tempo in die sonst manch mcl ftodende Handlung. Ausgezeichnete Typen sind auch ber Mi nifter von Hugo Werner Kahle und der Botschafter Mar Kronerts. Ein nettes Tippfräulein, etwas aufs amerikanische hergerichtet, ist Maria Kamrabet. Der Regisseur hat die Hand. lung gewürzt mit mancherlei filmischen Einfällen, u. a. den Ge brüdern Schid, den Inhabern des Schuhgeschäfts, die einenber täuschend ähnlich immer paarweise auftreten, sozusagen als Ber doppelung. Er hat damit die Sacher doppelt auf seiner Seite. D.
Der Berliner Roman Mar regers ist hier ins ameri tanische überfest worden, allerdings mehr in bas Rührjelige, Herzige, als in die fühle Tatsächlichkeit, die sonst die Amerikaner auszeichnet. Die Personen haben englische Namen erhalten und aus Berlin ist New Dort geworden. Das Spezifische des Romans ist damit ver loren gegangen. Figuren und Borgänge sind aus dem Milieu geriffen worden, das sie bestimmt, schweben in ber Luft. Ueberhaupt haben sich die Bearbeiter darauf beschränkt, aus dem Kreberschen Roman eine rührende Familienangelegenheit zu machen, die man aus dem üblichen Durchschnittsfilm der Amerikaner fennt. Ent. fchiedene Sentimentalität, aufgeheitert durch groteste Szenen. Das foziale Moment, das immerhin der Krezzersche Roman enthält, ist faft ganz unberücksichtigt geblieben. Nur furz werden die geschäft lichen Unternehmungen des Mannes ohne Gewissen erwähnt. Hinzugefügt sind einige Szenen, die die Tränenbrüfen anfigeln. Der arme Mann, der aus dem Gefängnis zu Frau und Kind in die Gartenlaube und in das traute Heim zurüdtehrt, hat noch immer nicht seine durchschlagende Wirkung verloren, und ein fleines Kind, das Ehegatten versöhnt, ermeicht auch ein fteinernes Herz. Die Regie bemüht sich, nach deutschem Borbild Großaufnahmen van allen möglichen Gesichtern und Dingen zu geben und verschleppt badurch das Tempo. Selbst die unbedingt notwendige Massenszene, bie nach Lubitschs Borgang eigentlich überflüffig geworden ist, bleibt unbelebt. Die Statisten benehmen sich etwa wie Soldaten, die man zum Sturm auf eine Bant fommandiert. Inne Marlowe ver fucht sich hin und wieder mit Erfolg in eine Imitierung der Lilian Gish . Willard. Lewis sieht aus wie ein zu Jahren getommener Jannings, die anderen spielen brav und anständig ihre Rollen, nur Irene Rich den Durchschnitt überragend, ausbrudsfähig in Gefte und Haltung, von einer mimifchen Wandlungsfähigkeit, mie fie felten bei Amerikanern gefunden wird. J. S.
Marlitts berühmtester Roman
Das Geheimnis der alten Mamsell
Das Lieblingsbuch der deutschen Familie:: Der deutsche Foxfilm
Täglich 5, 7, 9 Uhr