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!♦ dC0 OtöJOf Sottktag, 1». März 1H26
Märzwwd stürmt durch die Straßen. Hagelschauer und Sonnenschein kämpfen um die Herrschaft. Dazwischen pfeift der Frühling respektlos auf den Schornstein ein Spottlied über Winters Abschied, treibt große Fetzen Zeitimgspapier hoch in die Luft und rüttelt unbarmherzig an allem Molschen und Verdorrten. Und heilsam fährt jetzt auch in die schon etwas muffig werdende Atmo- fphäre der Republik der Märzwind des Volksbegehrens. Seit den Novembertagen gab es keine Botschaft, die so„Sln alle" ging. Kleinbürgertum und niedere Beamtenschaft— die die Revolution.mit- machten*, um doch ein Kriegsende zu haben, heute sind sie erwacht. Sie haben acht Lahre Elend geduldig ertragen— acht Jahre Inflation, Stabilisierungselend, Krise: sie haben zähneknirschend. lränenfammernd gelernt, auf die Fata Morgans des geruhigen Lebensabends Verzicht zu leisten. Und vielleicht haben sie sogar noch vor einem Jahr daran geglaubt, daß ein treusorgender Landesvater ihnen all da» Elend hätte ersparen können. Da kamen die Finanz- anspräche all der Potentaten und Potentätchen, die gesalzenen Rech- nungen oll der allzu teuren Landesväter— das war zu starker Tobak. Jeder glaubte schon die gierigen Fängen de» sürstlichen Raubzeuges über seinem letzten, kleinen bißchen Eigen gezückt zu sehen— endlich, endlich tritt das Volk, nicht die.gewählten Re> Präsentanten des Volles", wieder einmal selbst aus die Bühne. Jetzt kennt es keine Parteien mehr—, jetzt kennt es nur noch zwei Fronten: für die böse alte Zeit— und für die helle Zukunft! Koröen. Sonntag. Aber hier merkt man nicht viel vom Feiertag. Ein kalter Regen fegt durch die kahlen Straßen. Schon stehen die ersten. Gäste an. um sich möglichst bqld im..Hotel zur Palme* vor d.ein schneidenden Wind zu bergen. Einige machen von der Ein- tragungsmöglichkeit in der benachbarten Barocke Gebrauch. Die anderen schieben sich an den Gittern und Zäunen hin.„Ja- woll, een Poleh is de Palme ja nich. Menschcnskinder— wenn die janzen Schlösier mal frei wirden! � Een Mensch soll der alles haben, un wir. wir ham nich mal ne Prstjche alle Dage!"— Ein noch sauber gekleideter Mann hält sich etwas abseits. Er schielt nach meinem Zeitungsblatt, und als ich es ihm wortlos hinreiche, bricht plötzlich der Jammer aus ihm heraus. „Herrgott, bloß eine Woche nochmal in'nem Bett schlafen können, eine Stube haben, wo einem keiner rausjagen kann! Sechs Monate trage ich das Elend: meine Sachen wurden mir gestohlen, meine Arbeit habe ich verloren. Vor dem Kriege, da war ich selbständig. Das Geschäft ging zugrunde, die Frau wurde krank, da» machte die Kricgskost, mein Kind ist bei freinden Leuten, und ich— ach, ich tun obdachlos. Die„Brenne" zerlumpt die letzten Sachen; und alle Tage bettelt man vor neuen Türen um sein Brot, sein bisjel Essen. Mein« link« Hand ist st eis, aber meine Rente i st g e st r i ch e n: Der Schaden ist durch Anpassung und Gewöhnung ausgeglichen... Jawohl! Wir müssen uns anpassen, wir müssen uns gewöhnen! Bloß unsere allerhöchsten Herrschaften, die können sich nicht anpassen!— Und wenn ich acht Tage um meinen Ausweis ruinlaufen soll: Ich will jetzt stimmen! Ich will! Einmal noch fühlen, daß ich Mensch bin. daß mein Wort so viel gilt, wie das anderer Bürger! Abfindung!— Wie sieht meine Absindung aus? — Die„Palme" und die„Brenne"! Damit habe ich mich abzu- finden!"— Höhnisch pfeifend reißt ihm der Märzwind das letzte bittere Gelächter von den Lippen. Neukölln. Ein anderes Bild und„ooch ne schöne Iejend". Am Hohen» st a u f e n p l a tz stehen zwei Arbeiter vor der Litfaßsäule und suchen ihr Einzeichnungslokal. Beide nicht mehr ganz jung. Ein„besserer Herr" macht den schüchternen Versuch, ihnen was vom„Gesichts- punkte absoluter Gerechtigkeit",„früheren Verdiensten der Fürsten " usw. zu erzählen. Eine Weile hören die Arbeiter nihig zu. Dann ober bricht der eine los:„Nu hör'n Sc bloß uff mit Ihre jefchwolle- nen Redensarten! Jesichtspunkte— Sie, Sommersprossen sind noch lange tecne Jesichtspunkte!— Wat?— Die Fürsten haben immer unser Bcstet jewollt?— Ja aber natierlich, jcwih doch, sie häbcnt Irich bloß jewollt, sie habcnt sich einfach jenommen! Aber nu is Schluß! Nu woll'n wir't behalten!"—„Jehn Se man nach Hause. und bilden Se sich nich ein, det Sie andere Menschen erst noch det Denken beibringen müßten! Sind Se bloß nicht so einjebildet— Einbildung is ja zwar ooch ne Bildung, aber bloß wat vor welche!" —„Jawoll, und Koppjucken is noch lange keene Jehirntätichkeitl"— Der„bessere Herr" schlagt sich schweigend in die Büsch«. Im.vornehmen" Westen. Li» pompöse, romam'sche Schule für Töchter höherer Stände macht ein geradezu beleidigtes Gesicht. Zwar klebt an ihrer Fassade kein Zettel, der auf ihre Bestimmung als Einzeichnungslokal hin- weist— Sott sei Dank, diese Schmach hat man ihr. die die Tochter Wilhelms des Ausgewiesenen zur Patin hat, denn doch nicht an!— aber an der Tür der Turnhalle klebt so ein verwünschter Wisch. Und da kommen schon Menschen! Unverschämtheit! Noch zwanzig Minuten sind'», bis es losgeht! Im zugigen Haustor stehen zwei Frauen: die ersten Cinzeichner. Keine Proletarierinnen. Di« eine, eine runde, quicke Hausfrau, wohl fünfzig Jahr« alt. Di« andere ein wenig älter: noch immer markiert sie mit den kärglichen Resten ehemaligen Wohlstandes die„Dame": ihre desekten Hand» schuhe, der ruinenhaste Hut erzählen ein« ganz» Tragödie, die Tra» gädie des versinkenden Mittelstandes,„Sie sind so pünktlich» meine
Damen!"„Gewkß, und ich bin heute sogar schon zum zweitenmal hier. Man kann nicht wissen— ich bin kränklich: wenn ich nun morgen krank werden würde und ich könnte nicht kommen— ewig würde ich mir Vorwürfe machen."—„Organisiert?"—„Nein, bin ich nicht. Hierbei braucht man nur seinen gesunden Menschen- verstand fragen. Die Unoerschämthett geht nun doch zu weit. Wir anderen haben alles verloren— und die kriegen den Rachen nicht voll. Glauben Sie nur, hier wird mancher Deutsch - nationale sich auch einzeichnen, wenn er's vor seinen Leuten auch nicht öffentlich zugibt!" � Schon hat sich ein knappes
Aach im Westen wächst der Ansturm» Dutzend Personen gesammelt. Ein krlcgsbeschädigter junger Postler. eine elegante junge Dame, ein alter Genosse des Bezirks und ein recht wohlgenährter, bürgerlich aussehender Herr mit seiner Ge- mahlin, dem es ersichtlich peinlich ist, hier so unter dem gemeinen Boll warten zu müssen. Zielbewußt drängt er sich vor, bis er an erster Stelle steht. Und kaum beginnen die Beamten ihr Werk, so ist er an den Tisch herangeschossen. Wir machen ihm«in Kom- pllment über seinen Eifer.„Sie sind sicher politisch organisiert?!" Kurz dreht er sich um. Aus dem roten Gesicht faucht ein wütendes: „3 a w o h l l Sozialdemokrat!" Und in fluchtartiger Eile verläßt er„nebst Gemahlin" das Lokal. Mir Ist, als hörte Ich in der Ferne den Hahn zum dritten Male krähen...„Denn seine Fürstentreu« hört wohl auch beim Portemonnaie aus! Die Aus« wertungspopiere liegen ihm anscheinend schwer im Magen!" meiitt der junge Postler.— Krach! fliegt die Türe zu. Aus der Schwelle
steht die jung« Dam« mit dem Bubikopf und den Seidenstrümpfeu und schimpft! Schimpft herrlich wütend wie ein Rohrspatz.„Diese Sippschaft! Andauernd machen sie Schwierigkeiten! Nun soll mein Mädel erst noch aufs Stadthaus! Dreimal war ich heute schon hier! Der ganzen Gesellschaft ist es anscheinend noch nicht schlecht genug gegangen! Aber nun gerade!" Und wütend geht, nein. schreitet sie über den Damm, eine Jeanne d'Arc in Scidcnstrümpseir und Stöckelschuhen. �.L. Charlottenborg. Donnerwetter, ist hier Betriebt— Keine.fürnehme" Straße; mitten im A-rbeiterviertel Charlottenburg s. Vor der Tür der Schule drängen sich die Menschen, aber schnell bildet sich eine breite Gasse, als der Selbstfahrer eines Kriegs- krüppels anrollt, und dienstwillige Hände helfen ihm gern über die Schwelle. Mit hartem Aussetzen des Stockes drängt sich ein Alter durch die Menge: er hat eben mit umständlicher Sorgsatt seinen Namen auch in die Liste gesetzt. Auf der Treppe trifft er eins Nachbarin: auch sie eins alte Frau, die in höchstem Staat gekommen ist. Unter dem Kapotthütchen liegen graue Scheitel fest um ein knitterte? Gesicht. Die Perlenmontille steht offen. Darunter ficht man am Kragen die Brosche: Ein Kleeblatt mit drei Emaillcbildern. drei frischen, jungen Männergesichtern.„Nanu, Frau Nachbar'n, war Ihnen der Wind nicht zu kalt."—„Ach Rott, danach dürfen wir jetzt nicht fragen. Sie haben un» ja früher auch nich jefragt: und ich kann mir über zuviel Unverschämtheft zu doll ärjern. Dir Leute soll'n froh sein, daß sie leben! Und wie gut leben sie gegen unsereins!— Alle leben sie noch!— Wenn ich meine drei Jungs nocd hätte, denn wollte ich nischt von Rente und Abfindung wissen, die hätten schon fier mir jearbcitet. Alle sind se jefallcn.— Und da sind sieben, und kann nich eener arbeiten, alle sollen wir ernähren!"— „Ick bin drum ooch jckommen. Wenn ick ooch nischt von det Fürsten - oermöjen haben werde— ick klappe jetzt mächtich zusammen, det Lichskcn flattert bloß noch. Aber mit dem letzten Stummel wer ick der Jesellschaft noch heimleuchten!" Geisterbeschwörung. Nachdenklich gehe ich noch Hause. Im Abendnessel stehen an der Litfaßsäule zwei dunkle Gestalten. Die steife Haltung'zeigt den früheren Militär, der andere scheint selbst heute am Sonntag nach muffigen Akten zu riechen. Erbost stößt er mit dem Spazierslock nach dem leuchtenden Plakat„Keinen Pfennig den Fürsten ." Gräm- lich sehen beide einem jungen Paar nach, das mit den Worten:„Ob wir noch zurechtkommen?" dem nächsten Einzeichnungslokal zustrebt. Täusche ich mich? Nein, wahrhaftig, das sind ja klassisch gebildete Leute! Ich höre, wie der alte Militär knarrend zu seinen Gegen- über sagt: Jetzt ist man von dem Rechte weit. Ich lobe mir die guten Sllten! Denn freilich, da wir alles galten, Da war die rechte, goldene Zeit!" Rm, trum. Rm, trum———. Da biegt vis Knüppelmusit einer Reichsbonnerabteilung mit Trommeln und Pfeifen um die Ecke... Und als der Zug vorbei ist und ich mich nach wenigen Augenblicken umdrehe» find die beiden alten Herren verschwunden, wie triste Ge- spenster der Vergangenheit. Und wehklagend tönt es aus dem grauen Nebel, der die Ecke umflattert: Da» Wesen ist mir recht zur Dual Und muß mich baß verdrießen; Ich stehe hier zum erstenmal Nicht fest auf meinen Füßen.
Die kommen alle,