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Darüber wirb abgestimmt: Gesetz zur Enteignung der Mrstenvermögen. Auf Grund Art. 153 der Reichsverfassung wird bestimmt: Art. 1. Das gesamte Vermögen der Fürsten , die bis zur Staatsumwälzung im Jahre 1918 in einem der deutschen Länder regiert haben, sowie das ganze Vermögen der Fürsten - Häuser, ihrer Familien und Familienangehörigen werden zum Wohle der Allgemeinheit ohne Entschädigung enteignet. Das enteignete Vermögen wird Eigentum des Landes, in dem das betreffende Fürstenhaus bis zu seiner Abdankung regiert hat. Art. 2. Das enteignete vermögen wird verwendet zugunsten: a) der Erwerbslosen, b) der Kriegsbeschädigten und Kriegerhinterbliebeaen, c) der Sozial- und Kleinrentner. d) der bedürftigen Opfer der Inflation, e) der Landarbeiter. Kleinpächter und Kleinbauern durch Schaffung von Siedlungsland auf dem enteigneleu Laudbesitz. Die Schlösser, Wohnhäuser und sonstige Gebäude werden für allgemeine wohlsahrts-, Kultur- und Erziehungszwecke, insbesondere zur Errichtung von Genefungs- und Versorgungsheimen für Kriegsbeschädigte, Kriegerhinlerbliebene, Sozial- und Kleinrentner, sowie von Kinderheimen und Erziehungsanstalten verwendet. Art. 3. Ave Verfügungen einschließlich der hypothekarischen Belastungen und Eintragungen, die mit Bezug auf die nach diesem Gesetz enteigneten Vermögen oder ihre Bestandteile nach dem 1. November 1918 durch Urteil, Vergleich, Vertrag oder auf sonstige Weise getroffen wurden, sind nichtig. Art. 4. Die Ausführungsbestimmungen zu diesem Gesetz werden durch ein Reichsgesetz festgelegt, das innerhalb dreier Monate nach amtlicher Feststellung des .bstimmungsergebnisses zu erlassen ist. Dieses Reichsgesetz .,at insbesondere die näheren Bestimmungen zur Ausführung des Artikels 2 dieses Gesetzes über die Verwendung der enteigneten Fürstenvermögen durch die Länder zu treffen.
Zürften und Heldentod. Eine kunstvoll zurechtgemachte Statistik. Unter den zahllosen Flugblättern, die die früheren Fürsten - Häuser und ihre Trabanten gegen den Volksentscheid in Massen oer- breiten lassen, trägt eines die Ueberschrift:„Wo blieben die Fürsten im Weltkrieg?" Der Zweck des Flugblattes ist der, die in den Massen des Volkes weitverbreitete Ausfassung zu widerlegen, daß die Fürstenhäuser im Weltkriege am wenigsten B l u t o p f e r gebracht haben. Um nun den Gegenbeweis zu führen, werden die Namen aller Mitglieder vormals regierender Fürsten - Häuser aufgezählt, die im Kriege gefallen sind. Diese Liste enthält 18 Namen. Sieht man sie sich aber genau an, dann bemerkt nian verschiedene Eigentümlichkeiten, die beleuchtet zu werden ver- dienen, da sie für die Methoden charakteristisch sind, mit denen die Fürsten für sich Stimmung zu machen versuchen. Während bei fünfzehn wirklich gefallenen Fürsten genaue Angaben über die Umstände ihres Heldentodes ewhalten sind, sind in drei Fällen die betrefsenden Namen nur mit dem-f-Zeichen(g e- st o r b en) versehen. So beim Prinzen Adolf zu Schaumburg-Lippe , der als General der Kavallerie im 58. IahrbeieinemStabe gestorben ist. ohne daß das Flugblatt zu behaupten versucht, daß eine auch nur mittelbare Kriegseinwirkung den Tod des nahezu Sechzigjährigen verursacht hat. Dagegen wird beim Prinzen Karl A lto«, von Hohenzollcrn-Sigmaringen ausdrücklich verzeichnet.an den Folgen seines Kriegsleidens". Dieser ist aber drei Monate nach Kriegsende als Generalleutnant a. D. im Alter von 61 Iahren gestorben, d. h. in einem Alter, wo die Menschen, sogar fürfllichen Geblüts, manchmal sterben� ohne daß ihr Leiden ein„Kriegsleiden" ist. Da«.Kriegsleiden" eines General leutnants a. D. dürfte wohl ganz.ziviler" Art gewesen sein. Den noch steht der Sigmaringer ebenso wie der Schaumburg-Lipper auf der List« derer, die den„Heldentod" starben. Schließlich ist noch unter den achtzehn ein Prinz Moritz Georg zu Schaumburg-Lippe ausgeführt, der als Rittmeister der Reichswehr am 10. März 1920 in Breslau gestorben ist. Es steht zwar gedruckt „beim Grenzschutzdienst gegen die Polen ", aber das gewöhnliche -f-Zeichen ohne jede weitere Angabe als Breslau als Sterbeort gab die Vermutung, daß dieser Prinz nicht infolge einer Verletzung oder eines„Äriegsleidens", sondern eines ganz n a t ü r lichen Todes gestorben ist. Diese Annahm« wird nun durch die „Kreuz. Zeitung" vom 11. März 1920 bestätigt, in der ganz trocken gemeldet wird, daß der Prinz an Lungenentzündung— ohne jede Anspielung auf ein etwa im Felde zugezogenes Leiden— in Breslau „gestorben" ist. Es bleiben demnach in Wirklichkeit nur fünfzehn Mit glieder der Fürstenhäuser, die tatsächli ch für Deutschland ge fallen sind und alle sonstigen prozentualen Angaben des Flugblattes find infolgedeffen völlig wertlos, denn sie gehen von einer rafsinierl gefälschten Grundzahl au». Es ist ferner bemerkenswert, daß unter den fünfzehn wirklich gefallenen Prinzen nicht weniger als a ch t i n den ersten drei Monaten des Krieges starben, also zu«wer Zeit, wo die allgemeine Kriegsbegeisterung sogar die Fürstensamilien veranlahte, ihre Mitglieder ins Feuer zu schicken. Dann aber und gerade infolge dieser verhältnismäßig hohen Verluste wurden die Angehörigen der Fürstenhäuser, weil sie selbstverständlich ein besserer Menschenschlag waren als das übrige Volk, möglichst von der Front zurückgezogen, so daß in den folgenden vier Kriegsjahren(48 Monaten) nur noch sieben insgesamt sielen, anstatt acht In den ersten drei Monaten des Krieges. Don den hohenzollernprinzen ist nur ein einziger, der Prinz Friedrich Karl , als Flieger gefallen. Es befanden sich in der Zell des Weltkrieges nicht weniger als sechzehn preußische Hohen- zollernprinzen im militärpflichtigen Alter, fast alle aktive Offiziere. Es wäre interesiant, festzustellen, ob auch nur eine einzige andere Familie in Deutschland während des Weltkrieges unter 16 triegs- dienstfähigen Angehörigen mit Offiziersrang nur einen einzigen Toten zu beklagen hat. Was insbesondere den letzten deutschen Kaiser betrifft, so ist bekanntlich von seinen sechs Söhnen nicht ein einziger gefallen. Gibt es in Deutschland auch nur einen zweiten Fall dieser Art? Die Zahl und der Prozentsatz der gefallenen Fürsten wären übrigens ganz erheblich geringer, wenn nicht die Familie Reuß f. L. allein vier Tote(von achtzehn krlegsdienst. fähigen Mitgliedern) zu verzeichnen hätte. Auf alle übrigen Familien fallen demnach nur elf Tote, daninter nureinHohen- zoll er und auch nur ein W i t t e l s b a ch e r. obwohl letztere Familie nahezu zwanzig Männer im kriegsdienstfähigen Alter zählle. Von den regierenden Häusern in Anhalt, Baden, Braunjchweig. Ho ist ein. Mecklenburg . Schwerin ,
Genf , 14. Juni. (Eigener vrahlbericht.) Im Uölkerbunds- sekrelariak ist heule mittag ein Telegramm der brasilianischen Regie- rund eingetroffen, in dem der Austritt Brasilien » aus dem Völkerbund offiziell angemeldet wird. Räch den Statuten des Völkerbundes wird der Austritt aller- dings erst in zwei Jahren, also am 14. Zuul 1928, vollzogen sein. Genf , 14. Juni. (Eigener Drahtbericht.) Die am Rlonlag veröffentlichte Depesche der brasilianischen Regierung an das völterbundsselretariat mit der formellen Austritt». erklärung Brasiliens wird als eine rund ablehnende Antwort auf die Aussprache vom Freitag im Völkerbundsrat aufgefaßt, in der sämtliche Ratsmitglieder den brasilianischen Vertreter öffentlich ersucht hatten, seiner Regierung nochmals ihren eindringlichen Wunsch zu unterbreiten, die angekündigte Austriltsdrohung nicht wahr zu machen. Außerdem findet man. daß dieser letzte Schritt Brasilien » besonder» stark den Stempel von t h e a t r o- lischer Ausmachung an sich trägt. Darüber, ob die Au»- lrittserklärung Brasiliens durch die vereinigten Staaten irgendwie ermuntert oder wenigstens begrüßt worden fei, enthält man sich in den völkerbundkreisen jedes Urteils. Die Gründung eines be- sonderen amerikanischen Völkerbundes, auf die im Zu- sommenhang damit hingewiesen wird, belrachlct man hier vorläufig nur als ein Schlagwort für den politischen Tagesgebrauch, weil in der Institution des panamerikanischen Kongresse» so etwa» wie ein amerikanischer Völkerbund bereits besteht und man einen Ausbau in Genf nie als ein Konkurrenzuuternehmen angesehen hat. Von sämtlichen amerikanischen Staaten gehörten neben den vereinigten Staaten noch Mexiko und Ecuador nie dem Völkerbund an. während Eostarica vor etwa einem Jahre feineu Rücktritt erklärt hat. Dagegen glaubt man von Argentinien bestimmt annehmen zu können, daß es bis zur nächsten Völkerbundsversammlung seinen Wiedereintritt in den Völkerbund endgültig vollziehen wird. Spaniens dunkle Andeutungen. Madrid , 14. Juni. (Agentur Fabra.) Wie die Zeitungen melden, nahm der Ministerrat in seiner gestrigen Nachtsitzung den Vorschlag des Ministers des Auswärtigen an und beschloß, für einen nichtständigen Dölkerbundsratssitz nicht zu kandidieren und die Frage betreffend die Stellung Spaniens im Völkerbund als genügend erörtert zu betrachten. Der Minister des Auswärtigen wurde mit der Aufgabe betraut, im gegebenen Augen» blick und gemäß dem in Genf gefaßten Beschluß über die Forderung Spaniens nach den vom Ministerrat endgültig aufgestellten Nicht- linien zu handeln. Di« Zeitungen meinen, daß diese Entscheidung in eindeutiger Weise der Politik genau entspricht, die das Madrider Kabinett feit dem Augenblick verfolgt hat, wo der Völkerbundsrat die Frage der neuen ständigen Sitze aufrollte. * Der Austritt eines Landes aus dem Völkerbund, gleich- viel, wie groß und einflußreich dieses Land auch sein mag, und gleichviel, aus welchen Motiven sein Austrittsbeschluß
entspringt, ist stets zu bedauern. Denn die Gegner der Völkerbundsidee nützen für ihre Propaganda diese Tatsache aus, obwohl sie nichts Besseres an die Stelle des jetzigen Völkerbundes zu setzen haben. Gerade wir in Deutschland haben keinen Anlaß, uns über den Beschluß der brasilianischen Regierung zu freuen. Denn unser Eintritt ist nun einmal der äußere Anlaß des Konflikts zwischen dem Völkerbund und Brasilien . Deutsch - land trägt daran keinerlei Schuld. Eine Verant- wortung tragen höchstenns d i e Mächte, die schon vor Jahren Brasiliens Hoffnungen auf einen ständigen Ratssitz genährt haben, anstatt ihm von vornherein klarzumachen, daß dieser Anspruch schon wegen seiner Konsequenzen unerfüllbar wäre, weil sonst sofort zumindest zwei andere Mächte mit derselben Berechtigung die gleiche Forderung für sich erheben und der Völkerbundsrat dadurch arbeitsunfähig würde. Wenn jetzt der Eindruck in der Welt entstehen sollte, daß der Eintritt Deutschlands sofort einen Austritt anderer Bundesmitglieder zur Folge habe, so ist dies für uns zwar nicht gerade ange- nehm, aber wir können mit gutem Gewissen sagen, daß diese Auffassung oberflächlich und falsch ist. Entscheidend ist jeden- falls die Tatsache, daß Deutschland und seine einstigen Gegner im Weltkriege in diesem Falle einig sind und daß die Opposition von einem Staate ausging, der außerhalb Europas liegt und dessen Mitwirkung an der Sicherung des Weltfriedens nicht unentbehrlich ist. So sehr wir es da- her vorgezogen haben würden, wenn Brasilien seine Aus- trittsdrohung nicht wahrgemacht hätte, so sehr ziehen wir allerdings diese Lösung einer weiteren Obstruktion durch Herrn Mello-Franco vor: denn eine Neuauflage der März- krise wäre für den ganzen Völkerbund eine Katastrophe ge- wesen und demgegenüber ist Brasiliens Austritt entschieden das kleine re Uebel. Wesentlich bedauerlicher wäre ein etwaiger Austritt Spaniens . Eine Meldung der offiziösen Agentur Fabra erzeugt gerade durch ihre absichtliche Unklarheit ein Gefühl des Unbehagens. Es wird angedeutet, daß Spanien möglicherweise ebenfalls aus. dem Völkerbund austreten könnte, wenn ihm nicht in letzter Stunde doch der ständige Ratssitz gewährt wird. Die Madrider Regierung spekuliert dabei auf die Tatsache, daß nach dem Ausscheiden Brasiliens ein Anwärter weniger vorhanden und damit ein Argument gegen die Erfüllung ihres Anspruches weggefallen ist. Aber kann man es wirklich riskieren, die mühsam er- zielten Ergebnisse der Studienkommission jetzt noch Spanien zuliebe über den Haufen zu werfen? Dann würden sich auto - matisch China , Polen , B e l g i en gleichfalls melden— und dann fängt die Tragikomödie von neuem an! Solange dagegen keine absolute Sicherheit geschaffen ist, bleibt bei aller Sympathie, die sämtliche Völker für das spanische Volk empfinden» nichts anderes übrig, als gegenüber den Drohungen der Madrider Regierung fest zu bleiben.
Mecklenburg-Strelitz , Oldenburg , Sachsen , Schwarzburg-Sondershausen . Schwarzburg . Rudolstadt und Württemberg hat sich nicht ein einzige» Familienmitglied für das Vaterland geopfert. Dabei hätten gerade die Fürstenhäuser allen Anlaß gehabt, sich mit ihrem Leben für eine Sache einzusetzen, die in erster Linie ihre Sache war und die sie auch als ihre eigene Sache be- trachteten. Der Krieg war nicht zuletzt eine Folge der Politik der Fürstenhäuser, namentlich der Hohenzollern und Habsburger . So bleibt es dabei, daß die Fürsten zwar Millionen von Toten mit verursacht, aber nur ganz wenige Tote, auch prozentual gerechnet, verloren haben. Und wenn sie heute an die Tränen- drüsen des deutschen Volkes mit dem Argument des„Heldentodes" zu appellieren versuchen, so ist das eine Dreistigkeit, ganz be- sonders bei den Hohenzollern , die zwar einen Toten, aber auch zwei Deserteure zu beklagen haben.
Das Nrbeitsschutzgesetz. Baldige Veröffentlichung des Gesetzentwurfs. Die Vorbesprechungen mit den Spitzenorganisationen der Arbeitnehmer und Arbeitgeber im Reichs- orbeitsministerium über den vorläufigen Referenten- entwurf eines Arbeiterschutzgesetzes stehen vor dem Abschluß. Das Reichsarbeitsministerium will alsdann eine noch- malige Ueberarbeitung vornehmen und nach Verabschiedung durch das Kabinett die sofortige Veröffentlichung veranlassen. Das soll in ein bis zwei Monaten geschehen. Wir müssen vom Reichsarbeitsministerium und Reichskabinett verlangen, daß die Forderungen der Gewerkschaften im endgültigen Gesetzentwurs berücksichtigt werden und daß die wiederholt ver- sprochene baldige Veröffentlichung nun auch wirklich in ein bi» zwei Monaten erfolgt._, die Strafjuftiz ist wichtiger als die Ziviljuftiz Reichsgerichtspräsident Simons übernimmt einen Strafsenat. In der Festschrift, die der Reichsverband der Deutschen Presse zu seiner Düsseldorfer Verbandstagung herausgegeben hat, schreibt der frühere Außenminister und stellvertretende Reichspräsident, der von Ebert zum Reichsgerichtspräsidenten berufene Dr. Simons. über„Reichsgericht und Presse". Im Laus seiner Ausführungen— die sich u. a. gegen eine nicht seltene Verwechslung de» Reichsgerichts mit dem Staatsgerichtshof zum Schutze der Republik wenden, macht Simons der Oeffentlichkeit von einer sehr bedeutsamen Neuerung Mitteilung. Simons schreibt: „Ich habe mich(Ende Apriy entschlosien, von nun an die Leitung eines Strafsenats zu übernehmen. Das ist mir nicht leicht geworden: ich gab einen inhaltlich sehr interesianten, mir lieb gewordenen Wirkungskreis auf und durchbrach dabei eine Tradition, die so alt ist wie das Reichsgericht selbst. Seit dem 1. Oktober 1879(dem Tage, an dem das Reichsgericht seine Tättgteit begann. Die Red.) hat nie ein Chefpräsident einen Strafsenat geleitet. Das habe ich als einen Mißstand empfunden: denn es wird dadurch der Meinung Vorschub geleistet, als wäre die Slrafjustlz minder wertvoll und minder ehrenvoll als die Zivlljustiz. Leider ist diese Meinung weit verbreitet. Und doch hat es die Strasjusti, mit wesentlich wertvolleren Rechtsgütern zu tun als die Ziviljustiz, mit Ehre, Freiheit und Leben unserer Volks- genossen, nicht nur mit ihren Erwerbs», Vermögens- und
Familienangelegenheiten. In der Ueberschätzung der- Ziviljustiz liegt, den einzelnen Juristen unbewußt, ein Zug der lntellektualistischen und kapitalistischen Einstellung, die das IS. Jahr- hundert kennzeichnet. Für tos Volk, für die Oeffentlichkeit, jür die Presse ist die S t r a f j u st i z immer der wichtigere Teil der Rechtspflege gewesen, und mit Recht." Der Entschluß des Reichsgerichtspräsidcnten, einen Strafsenat zu leiten, zerbricht eine fast fünfzigjährige Tradition. Sie ist nur ein Teil- stück der seit langem in der deutschen Rechtspflege bestehenden Ueber- schätzung des„bürgerlichen", den Warenverkehr der kapitalisti - schen Gesellschaftsordnung regelnden Rechts. Die ge- samte Ausbildung des deutschen Richter- und Anwaltpersonals war und ist von dieser Ideologie beherrscht. Es galt als weniger„vor- nehm", Strafrichter zu werden. Die besten Köpfe wandten sich dem Zivilrecht zu. Der Entschluß des jetzigen obersten deutschen Richters, der kraft seines Amts und kraft seiner Persönlichkeit gerade unter seinen Berufsgenossen hohes Ansehen genießt, schlägt in die Front kapi, talistischer Vorurteile eine Bresche. Er enthält eine A u f f o r d e- rung an die deutsche Justiz, sich ihr selbst und ihrer Stel- lung im öffentlichen Leben zu besinnen.
Zinnlose Spielereien. Von zuverlässiger Seite wird uns geschrieben: Am Sonntag wurden die Bewohner der westlichen Vororte von Berlin durch eine militärische Uebung überrascht. Sie fand auf dem Exerzierplatz Spandau -Ruheleben statt und zwar in den Nachmittagsstunden, als der Zustrom von Ausflüglern be- sonders stark war. Neben Maschinen- und Infantriefeuer hörte man die Detonation von Minen und Handgranaten. In der Einwohnerschaft der westlichen Bezirke wie auch unter den Ausslüglern herrschte große Aufregung. Die Ansicht, daß es sich um eine herausfordernde Uebung handelte, war allgemein oer. breitet. Militärische Uebungen an Sonntagen sind verbotenl Welche Absicht verfolgte der betreffende Kommandeur mit dieser Demon- stration, über deren Wirkung er nicht im Irrtum sein konnte? Biel - leicht befaßt sich der Reichswehrminister einmal mit der An- gelegenheit! Internationaler Mieterbund. Seine erste Tagung in Zürich . Vor kurzem fand in Zürich ein internationaler Mieterkongreß statt. Delegationen waren fast aus allen Ländern Europas er- schienen. Von den Berichten aus den einzelnen Ländern wirkten be- sonders erschütternd die Darlegungen des ungarischen Vertreter» Dr. Sander, Budapest . Vom Mieterschutz ist in Ungarn überhaupt kein« Rede mehr, und besonders in den ungarischen Mittel- und Kleinstädten wütet der Hausbesitzerterror. Die Berichte aus den skandinavischen Ländern ergaben, daß man hier mit Hilfe großer Wohnungsbaugenossenschaften der Wohnungsnot energisch zu Leib« geht. Ebenso erfreulich lauteten die Berichte der österreichischen Delegation. Die unter sozialdemokratischer Leitung befindliche Stadt Wien hat im Einvernehmen mit den Mieterorganisationen Wien zu der Stadt gemacht, in welcher am besten eine großzügige Wohnungspolitik getrieben wird. Auch aus der Schweiz konnte Günstiges berichtet werden. Cs wurde die Gründung eines internationalen Mieterbundes beschlossen, der für die Verbesserung der Wohnkultur, für die Schaffung einer sozialen Miet- und Wohnungsgesetzgebung sowie für die entschiedene Förderung des kommunalen und gemeinnützigen Wohnungsbaues eintritt.