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alle Kirchen. Wenn praktisch nur die katholische Kirche   durch die Maßnahmen der Calles-Rcgierung betroffen wird, so liegt das daran, daß die Mißstände, gegen welche diese Maß- nahmen sich wenden, nl;r von der katholischen Kirche   ge- schaffen wurden. Die Machtstellung der katholischen Kirche   in Mexiko   und ihre ungeheuren Reichtümer sind die Folgen der spanischen  Eroberung. Sie gehört mit zu den Ausbeutern des Kolonial- landes und war als solche immer daran interessiert» daß Mexiko   ein Kolonialland bleibt, obwohl einige katholische Priester sogar führend an dem mexikanischen Unabhängig- keitskampf gegen die spanische Herrschaft teilnahmen. Die Kirche als solche kämpfte stets und kämpft auch heute gegen die Agrarreform, weil sie sich ihren gewal- tigen Grundbesig erhalten will. Während der ganzen Zeit, in der sie das Monopol für die Volksbildung besaß, hat die Kirche bewußt die Bildung der Bevölkerung v e r h i n- d e r t. In dem Aberglauben der analphabetischen indiani- schen Massen, die sie faktisch nicht einmal zu Christen ge- macht hat, fand sie die beste Stütze ihrer Herrschaft. Die mexikanische Verfassung von 1917 und die spätere Gesetz- gebung erkennt der Kirche die vollkommene Freiheit in der Ausübung ihrer religiösen Tätigkeit zu, beschränkt aber ihre Eigentumsrechte und untersagt sowohl den religiösen Organi- sationen wie auch den einzelnen Geistlichen jede politische Tätigkeit. Die letztere Bestimmung könnte als eine Be- schränkuna der- bürgerlichen Rechte gewiß bedenklich er- scheinen, sie wird aber durch frühere traurige Erfahrungen nur allzusehr verständlich und gerechtfertigt. Mexiko   steht heute wieder vor einer großen geschicht- lichen Entscheidung, und dabei handelt es sich im Grunde um dieselbe Schicksalsfrage, wie vor siebzig Iahren. Entweder wird Mexiko   als ein wirklich selbständiger Staat weiter- existieren, in dem bereits heute alle Ansätze der Entwicklung zur sozialen Demokratie vorhanden sind, oder aber nnrd es nur eine nominelle Selbständigkeit behalten und faktisch in den Zustand eines Kolonial gebiets zurück- sinken. Der erste Weg hat den Sieg der Calles-Regierung zur Voraussetzung: jede andere Regierung, die, von außen ans Ruder gebracht, im Innern von der katholischen Kirche  vollkommen abhängig wäre, wird nur ein Organ der Herr- schüft des fremden, d. h. amerikanischen   Kapitals sein. In ihrem Kampf muß sich die mexikanische Regierung nicht nur gegen Gegner von rechts, sondern auch von links wehren, �hre Politik wird von kommunistischer Seite am schärfsten bekämpft. Für die Kommunisten ist sie zu wenig radikal, zu demokratisch,sozial-ver- räierisch* usw. Trotzdem muß die erstaunte Welt jetzt aus dem Munde der amerikanischen   Regierung erfahren, daß die mexikanische Regierung nichts anderes sei, als ein Werkzeug derbolschewistischen" Verschwörung! Der Bolschewismus will von Mexiko   aus zuerst Mittel- und dann Nord- ämerik-i erobern, die Komintern befiehlt und Mexiko  pariert! Deshalb dietonfiskatorifche" Gesetzgebung, des- halb der Kamps gegen die Kirche, deshalb die nationale Be- weguog in Nikaragua  ! So lächerlich sie ist, so hat diese Pro- paganda doch eine nicht zu unterschätzende Bedeutung. Sie ist als psychologische Vorbereitung des Krieges ge�en Mexiko   gedacht. Es kann nicht mehr bezwesfelt werden, daß es dem amerikanischen   Imperilismus mit diesenr. Krieg völlig ernst ist. Bis. jetzt stößt er dabei auf den stärksten Widerstand der öffentlichen Meinung: das Schreck- aespenst des Bolschewismus soll dazu dienen, diesen Wider- stand zu überwinden, die öffentliche Meinung umzustimmen. Bisher ist es der Regierung, nach allen Meldungen aus Amerika  , noch nicht gelungen, die amerikanische   Bevölkerung zum Blutvergießen für ihre imperialistischen Pläne willig zu machen. Die KHngsgefahr bleibt aber weiter bestehen trotz der E i n st i m m i g k e i t, mit welcher der Senat am 23. Januar die Resolution über die schiedsgerichtliche Rege- lung der Differenzen mit Mexiko   angenommen hat. Diese Einstimmigkeit selbst ist schon verdächtig: sie beweist, daß
auch die schlimmsten-Scharfmacher für diese Revolution ge- stimmt haben sicherlich in der Hoffnung, daß man durch Aufstellung einiger, für Mexiko   unannehmbarer Vor- bedingungen das Schiedsverfahren zum Scheitern bringen könnte. Der Krieg kann jeden Tag von Banden, die die Grenze überschreiten und in Mexiko   eineRevolution" machen, provoziert werden. Und in der kongreßlosen Zeit vom März bis Dezember werden die Möglichkeiten der öffentlichen Kontrolle der Regierungspolitik geringer und weniger wirtsam sein: Die Kriegsgefahr ist weiter vorhanden. Die demokratischen Kräfte in Amerika   sind es. die den Kampf gegen den Krieg führen und sicherlich auch weiter führen werden, wobei sie vom gesamten Lateinischen Amerika   unterstützt werden. Aber auch die europäische Demokratie hat ein Wort zur Kriegsgefahr in Amerika   zu sagen. Man hat in den letzten Iahren mehr als einmal feststellen können, daß sowohl die öffentliche Meinung wie auch die Regierenden in Amerika   nicht unempfindlich dafür sind, was in Europa   über sie gesagt wird. Alle demokrati- schen, pazifistischen. antiimperialistischen Kräfte, und vor allem die sozialistische Arbeiterschaft haben jetzt die Pflicht, sich mit dem mexikanischen Konflikt näher zu beschäftigen. Nie wieder Krieg" dieser Kampfruf des Friedens und der Freiheit gilt für die Neue Welt so gut, wie für die Alte.
Aufmarsch ües Lanübunües. Politische Provokationen. Der Reichslandbund veranstaltet sein« diesjährige Tagung in der alten Zlutohalle am Kaiserdamm, die bei der Eröffnungs- feier am heutigen Morgen bis auf den letzten Platz gefüllt war. Obwohl der Wunsch des Landbundes nach einer Teilnahme an der republikanischen Regierung erfüllt worden ist vielleicht gerade deshalb! leistete man sich sofort eine Reihe von Provoka. t i o n e n. Der Tagungsraum, in dem mehrere Vertreter der neuen Regierung und zahlreiche Angehörige der deutschnationalen und der volksparteilichen Fraktionen neben vielen Behördenvertrctern an- wefend waren, ist mit schwor zweißroten Fahnen und mit den Farben der Länder, der Mark Brandenburg und Berlins   ge. schmückt. Militärmärsche leiteten die Eröffnungsfeier ein. Die Zeitungsverkäufer zweier großer demokratischer Blätter wurden demonstrativ aus dem Saale   verwiesen. Die Eröffnungsrede des Landbundprösidenten Graf von Kalck- reuth war ein bewegtes Klagelied über die Notlage der Landwirtschaft, obwohl die Roggenpreise gegen das Vorjahr gewaltig gestiegen sind. Er verlangte die Ausrechterhaltung des er. höhten Zollschuges, wie er in dem deulsch-schwedischen Handels- vertrag vorgesehen ist. Die Zölle auf Fleisch, und Vieh- Produkte sollen sogar heraufgesetzt werden. Natürlich fehlte auch die Klage über die angeblich so hohen Löhne und über die sozialen Lasten nicht. Man laufe Gefahr, daß die produktive Wirtschaft durch ein Staatsrentnertum e r st i ck t w- r d e. Er schloß seine Rede mit folgenden Worten: Das kommende Jahr wird viel. leicht schon die Entscheidnng.bringen. welchen Weg Deutschland   end- gültig einschlagen wird: Den Weg zur Freiheit oder den Weg zur internationalen W i r t sch a f t s k o l o n i e. Wenn es uns gelingt, den Willen des Landvolkes trotz aller Jer- splitterungsversuche zusammenzufassen in der Richtung aus dos eine große Ziel, dann wird und muh der Sieg unser sein: Nachdem sich so Kalckreuth zum Sprecher der nationalistischen und sozialpolitischen Reaktion gemacht hatte, versuchte der zweite Landbundpräsideut Hepp einiges wieder einzurenken, indem er den vom Landbund bewußt genährten Gegenfqtz zwischen Stadt und Land. Produzent und Konsument, a»s der Weil leugnen wollte. Be- sonders hat es ihm das Agrarprogramm der Sozialdemokratie an- getan. Hierzu führte er aus: Das Agrarprogramm der Sozialdemokratischen Partei sehe die Zerschlagung des größeren Besitzes vor, um Bauernschaft zu gewinnen, aber nicht etwa mit dem Ziel«, den Bauern oder den
Landarbeiter mit«wem ganz einwandfreien Eigentumsrecht an seiner Scholl« auszustatten, vielmehr soll bei der Verwertung d«, als reichseigen" bezeichneten Bodens die Rechtsform der E r b p ach t. des Rentengutes oder des Erbbaurechtes Anwendung finden. Gegen einen derartigen Staatssozialismus müsse man sich wenden, da er geneigt ist, die privat« Wirtschast zum Staatsinstrument zu machen. Di« Eingriffe, die der Staat in das fein« Uhrwerk privat- wirtschaftlicher Betätigung zu seinem eigenen Schaden gemacht habe, sei als kalte S o z ia l i s i e r u n g zu kennzeichnen, die auf die öffentliche Verstaatlichung hinauslaufe und zur Aufblähung des öffentlichen Apparates führe. S e l b stb e s ch r ä n k u ng desPar- la m e n t s und durch die Stärkung der Stellung des Reichsfinanzministers, damit die Bewilligungsfreudigkeit der Parlamente eingeschränkt werde. Damit entstehe der Ge- danke einer Erweiterung der Rechte des Reichsprirsidenten und des Ausbaues der Kompetenzen des Reichswirtschastsrates.
Eine verdiente Strafe. 500 M. Geldstrafe für den monarchistischen Hetzer der Börsenzeitung". Seit einigen Jahren erfreut sich die»Berliner Börsenzeitung", die einer Reihe von Industrieverbänden nahesteht, und lediglich den hochbezahlten Inseraten der Industrie und Hochfinanz chr« Existenz verdankt, eines monarchistischen Chefredakteurs, dessen ganzem Auftreten man den Aerger darüber anmerkt, daß er so wenig Beachtung in der Oeffentlichkeit findet. Eine der traurigsten Gestalten des deutschen   Zeitungswefens verdankt dieser Dr. Paul. O est reich nicht etwa zu verwechseln mit dem gleichnamigen entschiedenen Schulreformer natürlich der Hilgenberg. Presse. Bis 1920 hat sich dieser Mann in Chile   ausgehalten und den Krieg siegreich überstanden. Als er zurückkehrte, fühlte er sich natürlich als geborener Richter des deutschen   Volkes und erging sich unausgesetzt in niedrigen Schmähungen gegen die Politik der repu- blikanischen Parteien und ihrer Führer. Sein politischer Charakter gestattete ihm dabei auch, hier und da recht deutlich a n t i s« m i- tisch zu werden, obwohl er sich gern aus jüdisch« Kronzeugen, we den Denunzianten Tannenbaum, berief: wenn ihm aber dies« onst- semitische Einstellung vorgehalten wurde, war er mutig genug, sich hinter Ausflüchten zu verstecken. Jetzt hat diesen Ehrenmann endlich einmal eine verdiente Strafe erreicht und ihm die ersehnt« Beach- tung in der Oeffentlichkeit verschafft. Zur Berfassungsfeier hatte Oestreich in seinem Blatt einen Leitartikel mit der Ueber- schrift»Parteipolitische P r o v o k a t i o n s s e i e r" ver- ösfentlicht, darin die Regierungsform abgelehnt»mit allen ihren moralischen Gebrechen und den durch D o l ch st o ß und Revolution ermöglichten Sklaoenketten. Sie ist auf Grund des Verbrechens der Revolution mit Gewalt geschaffen wor- den so heißt es wester und sie macht mit ihrem hemmungs- losen Parlamentarismus die niedrigsten Instinkte der Per- sönlichkeit und des Voltes zum ausschlaggebenden Fat- t o r im Gemeinschaftsleben." Es sei ein Glück, daß Hindenburg  an der Spitze des Staates stehe, aber jede Wahl korrum- piere weiter, und mit jeder neuen Präsidentenwahl werde auch dieses höchste Amt die Wege der parteipoliiischen Morallosig- keit und der.Interessenwirtschaft genau so gehen, wie das in ande. ren Republiken der Welt auch so ist. ..Setreu. feiner Sampsesmeise versuchte Oesterreich   auch vor der Anklage wieder, zu kneifen. Er erklärte, er habe mit diesem' Artikel keine Verachtung ausgedrückt,, noch ausdrücken wollen! Der Vertreter der Staatsanwastschast aar anderer Meinung: der Artikel setze die Republik   herab:. eine Gesundung des Volkes werde durch eine derartig, vergiftende und verhetzende Politik hintangeholten. Der Verteidiger Oestreichs schlug in dieselbe Kerbe wie der An- geklagte und wollt« von einer Beschimpfung der Republik   in dem Artikel nichts finden. Das Gericht verhängte trotzdem die eingangs erwähnte Strafe, mit der Begründung, die ganze Tendenz des Artikels sei beschimpfend und geeignet, die Republik verächi- l i ch zu machen. Die Revue aus Abbau. Die Revue, die eine Zeitlang ein Stück Theater zu verdrängen drohte, ist in der Dekadenz. Man kann die bereits gebotene Augenweide, das Schwelgen in Farben, das Aus- trumpfen von Nacktheiten nicht noch weiter überbieten. Und der Witz war schon lange dünn geworden. In dieser Krisis der Revue ersteht aufs neue ein Stehaufmännchen der Pleite Ianxs Klein in der wieder von ihm übernommenenKomischen Oper" und versucht, mit einer neuen Revue: 22 Bilder aus dem Leben einer schönen Frau, die ein Preisrätsel im HaupstitelD i e Sünden der Welt" heißt. Deutlich merkt man. daß die Revue im Abbau begriffen. Der Glanz und der Schimmer von ehemals sind bis auf einige schöne Reste verschwunden, man beginnt zu sparen, auch in Enthüllungen. Dafür gehen die Dichter Klein und Brestschneider mehr auf volkstümliche, sentimentale Wirkung aus und geraten mit ihren Texten bis ans Triviale. Die Geschichte des B:r. liner Manneguins. die, zur Modekönigin erkoren, von Schiebern und Filmleuten nach Hollywood   oerschleppt wird und schließlich, gan- unlädiert, in die Arme ihres treuen Chauffeurs zurückkehrt, ist natürlich nur Sorwand für dekorative und Tanzeffekte. Der Charte. ston und Black Bottom beherrschen die Musik, die fast nur noch Rhythmus ist. Franz Baumann hat zum Ersatz das deutsche Lied, das heißt die Sentimentalität, zu kultivieren, wofür sein? Stimme olle Oualitäten besitzt. Sonst gibt es Oberhof   mit Wüster- spart(hier blüht auch die Farbe in den Kostümen auf), eine ne:t? Aktualität: Domela  , der falsche Prinz, Szenen aus Hollywood   m� einer erschrecklich erotisch-sadistischen Begebenheit, die rechtzeitig e:- lischt, eine kesse Homburgerei zwischen Edich S ch o l l w e r und Mar M e n d s e n usw. In der Pause tritt Karl Bretsschneider an die Rampe hält-'r- lange Pauke auf leinen Direktor(ganz ohne Austrag natürlich) und erklärt ihn für einen vollendeten Ehrenmann, dem die persönlich«"' Feinde zusetzen, und bittet, die Künstler nicht darunter leiden zu lassen. Natürlich nicht. Herr Lrettjchneider. Kunst muß leider nach Brot gehen: wie es scheint, selbst wenn der Unternehmer a»f der schwarzen Liste der eigenen Gewerkschaft steht, die dieselben Künstler früher angerufen haben. Konstasteren wir also, daß Han� A l b e r s ein fabelhafter Draufgänger und Vicky Wcrckmeister(als Mode- königin) ein erstklassiger Reouestar ist, und daß von den Solisten wie den Chören sauber und hingebend gearbeit wird.-�r. Das größte Schleusentor der well. Montag wurde das erste der drei riesigen Schleusentore für den Nordseckanal, der Amsterdam  mit der Nordsee   verbindet, von Rotterdom nach s-nnem Beftimmungs. ort bei Ijmuiden   übergeführt. Das Tor ist S3.3 Meter lang. 8,4 Meter breit und 20 Meter hoch und ist dos größte der Welt. Das Gewicht des Schleusentores beträgt ungefähr 1 200 000 Ki'c». gramm. Es mußte in Holz verpackt und flach auf dem Waller liegend transvortiert werden. Der Nordseekanal wird, um den modernen Anforderungen zu genügen, beträchtlich ausgebaut, und zu diesem Zweck war eine erhebliche Vergrößerung der Schleusen- anlagen dieses Kanals notwendig. veussche BfUftienoerfrefeT In Tiarl«. Di« Prässbenlen der deutliben Sübnepgenosseulchalt Riitett und Wallauer, die tiuneit in Pari» weilen, werden heute naclimittaa im Internationalen Institut titr geistige Zusammet». arbest durch die stanzifisch« Ällgemewe Theater-Geselsschast«npjange».
Cin überalterter Shaw. Wenn das TheaterDie Tribüne" die Absicht haben sollte, eine Serie Shawscher Komödien herauszubringen, so ist das durch- crus zu begrüßen. Shaw hat uns immer etwas zu sagen, auch in scinxn schwächeren Stücken.»Der Liebhaber", den die Tribüne gestern aufführte, gehört nicht zu seinen Spitzenleistungen. Gerade jetzt beginnt sich eine leise Opposition gegen dgn irischen Dichter zu rege». Ob dieser Widerspruch sich von der äußerlichen Tatsache her- leitet, daß Shaw zum meistgespielten Dramatiker geworden' ist, oder ob man gegen den angeblichen Mangel an Innerlichkeit, Gefühlstiefe und Herzenswärme Front nrachcn will, den mancher in Shaws scharfem Intellekt zu spüren glaubt, in jedem Fall war die von der Tribüne getroffene Wahl des.Liebhabers" nicht sehr glücklich. Der Dichter hat die Komödie zusammen mit»Frau Warrens Gewerbe' und denHäusern des Herrn Sartorius" unter dem Gesamttitel»Un- erquickliche Stücke" schon vor 35 Iahren veröffentlicht. Sein Kamps gegen scheinbar genormte Anschoustngen und alteingesessene Moral- begriffe hat auch heute noch den Reiz der Aktualität. Bloh nicht mehr imLiebhaber", wo Shaw gegen die Jbsensche intellektuelle Ethik zu Felde zieht.' Sie ist heutzutage kein Tummelplatz mehr sür streitbare Geister, womit nicht gesagt ist. daß etwa derLiebhaber" eine langweilige oder uninteressante Komödie wäre. In bewunderns- wert feiner Weise macht sich Shaw über weiblich« und unweibliche Weiber, kurz über hochgespannte Ibsen  -Verehrung, lustig. Nicht die Frau ist das mit Nachsicht und Ueberlegenhcit behandelte Spielzeug des Mannes, sondern der Mann ein Spielball in den Händen der Frau. Das ist Shaws Meinung. An lustigen Situationen, geist- sprühenden Bonmots und innerem Gehalt bietet natürlich die Ko- mödie immer noch weit mehr als sonstige marktfähige Lustspiele. Aber bei Shaw sind wjr gewohnt, einen anspruchsvolleren Maßstab anzulegen., Der Regisseur John Gotiowt weicht in feiner Inszenierung von den genauen Bühnenvorschriften Bernhard Shaws erheblich ab. Das Recht dazu soll ihm nicht bestritten werden. Shaw selbst wäre der letzte, der dagegen etwas einzuwenden hätte. Aber Gottowt hat dabei keine glückliche Hand geführt. Die Titelrolle ist mit Lothar Müthel  , wenn auch nicht falsch besetzt, so doch falsch ausgefaßt. Bei Müihel ist der oerwähnte, nicht ernst genommene Don Juan   ein salopper Lebcjüngling. Er zeigt die liebenswürdige Frechheit eines unerzogenen Jungen, die man ihm eben wegen seiner Jugend und seiner offenkundigen geistigen Ueberlegenheit nicht übelnimmt. Durch diese Ausfassung geht ein guter Teil des Reizes der Komödie. ja zum Teil das Verständnis für die Shawschen Thesen verloren. Nach der Regieanweisung de? Dichters soll der Liebhaber ein älterer überragender, schon äußerlich originell wirkender genialisch angehauchter Intellektueller und nicht ein blasierter Klubmensch sein. Käthe H a a ck dagegen spielte den Gegenpart ganz köstlich. Es war
ritte erstaunliche Leistung, da sie gestern einen ganz anderen Typ verkörperte, als wir ihn sonst an ihr gewohnt sind. Mit sabelhaster Vitalität gab sie ein forsches, bis über die Ohren verliebtes keckes und dabei schmiegsam weibliches Frauchen, das sich bedenkenlos über �gesellschaftliche Schranken hinwegsetzt und doch die Dame von Welt bleibt. Ein neuer Name: Franz S ch a f h e i t l i n tauchte unter den Darstellern auf: Schafheitlin   hat zwar noch manche Ecken und Kanten, aber einige Momente zeigen doch erhebliches Talent zur Komik.. Ernst Degner.
Sine neue Eüifon-öiographie. Zum 80. Geburtstag desZauberers von Menlo Park  ", der in diesen Tagen von der ganzen Well gefeiert wird, erscheint die erste große englische Edison-Biographie von George S. Bryan, die sein geniales Schaffen unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten behandelt. Da Edison hauptsächlich Erfindungen gemacht hat, die ins praktische Leben griffen und wirtschaftlich von größtem Wert waren, so hat sich die Oeffentlichkeit mit ihm sehr viel mehr beschäftigt als mit anderen großen Erfindern, und ein« Unmenge von Geschichten und Anekdoten von ihm erzählt, während in den wissenschaftlichen Werken seine Bedeutung meistens nur kurz gewürdigt wird. Bryan sucht zunächst die Haupteigenschaften festzustellen, die das Genie Cdisons ausmachen, und er findet bei ihm eine außerordentliche Energie und Zähigkeit, beträchtliche Kombinationsgabe und einen ausgesprochenen praktischen Sinn. Edison hat selbst einmal eine erfolgreiche Erfindung" als eine solche bezeichnet,die ein polnischer Jude kaufen würde". Mit diesem praktischen Sinn ist em Geschäfts- instinkt aufs engste verknüpft. Die Zähigkeit Edisons läßt sich aus der Geschichte jeder seiner Erfindungen nachweisen. Bei seiner Arbeit an der Glühlampe hat er, um einen befriedigenden Kohlen- saden zu finden, buchstäblich Taufende von verschiedenen Stossen verkohlt und Zehntausend« von Dollars ausgegeben. Seine Mit- orbeitcr durchreisten einen großen Teil der Welt, zum Teil unter großen Mühen, und das Ergebnis oll dieser Anstrengungen war die nicht sehr befriedigende Bambusfadenlampe. Seine Volkstümlichkeit beruht zu einem nicht geringen Teil auf die Erfindung des Phonographen. Auch dieser war zunächst ein sehr primitiver Apparat, und die Vervollkommnung durch Edison selbst wurde gehindert durch seine Taubheit, die ihn die Töne des Phonographen in einer Emfernung von 3 Fuß nickt mehr hören ließ. Aber auch hierbei leitete ihn mehr sein Instinkt als sein Wissen. Wie die meisten Männer von großer Energie und geringer Allgemeinbildung Edisons Schulbesuch dauene nur drei Monde hat er sehr merkwürdige Urteile abgegeben, ist z. B. ein großer Verächter der Mathematik. Was ihn bei allen seinen Erfindungen leitete, war seinRiecher" für Mechanik. Von den wissenschastlichen Theorien scheint er nichts zu wissen und kümmert sich jedenfalls nicht um st?- Er schwört aus deix Versuch und hat z. B., wenn er eine chemische Mischung mit bestimmten Eigenschaften erholten will, die verschiedenartigsten Chemikalien gemischt, bis er erhielt, was er wollte. Diese erstaunliche Energie aber, verbunden, mit seinem Instinkt, verleiht ihm unter den Erfindern des 19. Jahrhunderts einen ganz einzigartigen Rang.