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Abendausgabe

Nr. 15944. Jahrgang Ausgabe B Nr. 79

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10 Pfennig

4. April 1927

Vorwärts=

Berliner   Volksblaff

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Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands  

Friedenspolitik der Internationale.

Der neue Weg.

Der Balkankonflikt vor dem Völkerbund!- Gegen die imperialistischen Vorrechte über den Handelsvertrag sind hier in den letzten zwei in China  - gegen die Friedenssabotage des Faschismus.

Paris  , 4 April.  ( Eigener Drahtbericht.) Am Sonntag tagte in Paris   eine konferenz der sozialistischen Internatio­nale mit der Gewerkschaftsinternationale, die fich mit den brennendsten Fragen beschäftigte: dem jugoslawisch- italieni­fchen Konflikt, den Ereignissen in China   und dem Faschismus. Die Gewerkschaftsinternationale war durch ihren Präsidenten Oudegeest und die beiden Bizepräsidenten Jouhaug und Mertens vertreten. Von der sozialistischen Internationale waren anwesend der Generalsekretär Frik Adler, Wels für Deutsch­ land  , Bliegen für Holland  , Brockway für England fowie Delegierte Belgiens  , Italiens  , Rußlands  , der Tschechoslowakei   und der Schweiz  . Frankreich   war durch Longuet vertreten, auch Blum und Rénaudel waren anwesend. Die Morgenfihung wurde ausschließlich durch eine Vorlesung eines jugoslawischen Delegierten über die Lage auf dem Baltan und in Albanien   ausgefüllt. In der Nach­mittagssigung wurde in eine Prüfung der Ereigniffe eingetreten und eine Kommiffion gebildet, die der Nachtfihung drei Resolu­fionen: über das Balkanproblem, über China   und über den Fa­fchismus vorlegen follte.

In der um 11 Uhr durch Adler eröffneten nachtfihung nahm die Konferenz nach längerer Debatte drei Resolutionen an. In der ersten verlangt die sozialistische Internationale in Ueber­einstimmung mit der Gewerkschaftsinternationale im Namen der ge­famten Arbeiterschaft, daß der jugoslawisch- italienische Konflift vor dem Bölkerbund behandelt wird. Sie fordert: 1. Anwendung von Artikel 11 dés Völkerbundstatuts, also die Einberufung des Bölkerbundstats im Falle eines Krieges oder einer Kriegs. drohung; 2. die von Italien   gegen Serbien   vorgebrachten Be­schuldigungen sollen in ihrem Wortlauf veröffentlicht

werden; 3. die Debatte muß vor den Völkerbund kommen, damit durch die öffentliche Aussprache die Gefahren der Geheim­diplomatie beseitigt werden; 4. der Völkerbund  , der entweder die Untersuchung selbst führen oder mit den Ergebnissen der Enquete befaßt werden wird, muß in einer öffentlichen Debatte zu den Schluß­folgerungen dieser Untersuchung Stellung nehmen; 5. dieje Schlußfolgerungen müssen sich besonders für die Anerkennung des Selbstbestimmungsrechts Albaniens   ausfprechen und dafür, daß Albanien   unter fein Protektorat, weder unter ein italienisches noch unter ein ferbisches tomme, selbst wenn der Bölkerbund dafür die Garantien übernimmt; 6. der Völkerbund muß wachfam bleiben, um jeder verschärfung der Zwischenfälle zuvorzukommen. In der zweiten Resolution über die Ereignisse in China   ver­langt die sozialistische und die Gewerkschaftsinternationale die Ab­fchaffung der ausländischen privilegien in China  , den Verzicht auf die Konzeffionen und die Zurüdziehung fämtlicher Truppen und die Kriegsschiffe, die bisher dorthin entfandt worden felen, um ungerechtfertigte Privilegien zu verteidigen". Um jede Ausbreitung des Krieges zu vermeiden, follen sofort Berhandlungen aufgenommen werden auf der Grundlage der Anerkennung des Rechtsanspruches Chinas   auf seine nationale Unab­hängigkeit. Die organisierten Arbeiter der gewerkschaftlichen und der Sozialistischen Internationale werden aufgefordert, fich mit allen Kräften dem Krieg gegen China   zu widersehen.

In der dritten Resolution spricht sich die Konferenz fehr scharf gegen die Machenschaften des Faschismus aus, der andauernd alle Friedensbemühungen der Völker fabotiere", insbesondere die Aftions fähigkeit und Unabhängigkeit des Völkerbundes und des Internatio­nalen Arbeitsamtes zu verringern sich bemühe.

Tschangkaischek nur Oberbefehlshaber

Wangschingwei Vorsitzender der Kuomintang.

drei Schiffen zu verstärken.

Die Uneinigkeit der Mächte.

Wiederaufnahme der dentsch- polnischen Verhandlungen. Die deutsch   polnischen Verhandlungen Jahren immer wieder besprochen worden. Heute, wo nach halbamtlichen Mitteilungen ein neues Stadium erreicht ist und eine neue Methode erprobt werden soll, wollen wir die oft und scharf fritisierten Borgänge und Persönlichkeiten der Ber­gangenheit beiseite laffen und in aller Kürze die Erfordernisse der Zukunft umreißen.

Daß die überalterten und von gegenseitigem Mißtrauen erfüllten Kommissionen verschwunden sind, ist gut. Wer zwei Jahre lang, aus welchen Gründen immer, zu feinem Ergebnis. gelangt ist, tut gut daran, einmal vom Berhandlungstisch zurückzutreten. Der neue Weg diplomatischer Besprechungen über die hauptsächlichsten Streitpuntte, alfo ohne Brotokoll und tägliches Bulletin, hat seine Borzüge. Er ist mehr auf gegenseitiges Vertrauen eingestellt, das Ent­gegentommen ist von beiden Seiten erleichtert, da nicht an greifbare Einzelresultate, sondern ein gewisses Gesamtergebnis der öffentlichen Beurteilung unterbreitet wird. Bei gemein­famem gutem Willen zum Bertrag müßte mit dieser Methode weiter zu fommen sein als auf dem bisherigen Weg, der mit einmal eingenommenen Standpunkten und hartnäckigen Prestigegründen gepflastert war.

Bei gemeinsamem gutem Willen! Nur dann! Und zwar nicht bei einem solchen, der Lippenbekenntnis bleibt, fondern der sich in der Erkenntnis ausdrückt: Was sind die legalen Bedürfnisse der Gegenfeite? Welche berechtigten For­derungen sind zu erfüllen, wenn man zu einem Vertrags­abschluß gelangen will?

Wir haben immer betont, daß deutscherseits dem Niederlassungs und Einreiserecht aus guten Gründen eine wesentliche Bedeutung beigemessen wird. Ge­rade deshalb wünschten wir aber, daß die deutschen Forde. rungen auf diesem Gebiet fich fernhalten von allem, was auf Der Gegenseite als Wiederaufnahme von Kolonisierungs­bestrebungen gedeutet werden könnte. Je reiner das Nieder­laffungsrecht auf Handel und Industrie beschränkt wird, desto weniger hat Bolen Grund, diese berechtigten deutschen   Wünsche abzulehnen.

Ueber deutsche Tarif und 3ollforderungen foll heute nicht gesprochen werden. Es ist klar, daß der Ver­trag der deutschen   Ware, in möglichst umfassender Weise den Weg nach Polen   öffnen muß. Und ebenso flar ist es, daß steigerten Protektionismus unmöglich machen darf, insbeson= dere nicht durch einen solchen, der sich noch kaum eristierender und sicher nicht lebensfähiger Industrien anzunehmen bestrebt.

Shanghai  , 4. April.  ( Reuter.) Nach einer Besprechung Hantau zu begeben, um das bereits dort liegende Geschwader von Bolen diesen wirtschaftlichen Vorgang nicht durch einen über­mit dem Borfihenden der Kuomintangpartei Wangidhingwei fandte Tschangtaifchet ein Rundtelegramm an die unter nationaler Herrschaft stehenden Provinzen, in dem er erklärt, er beschränte fich von jeht an auf den Oberbefehl bei dem Feldzuge gegen den Norden und stelle die Regierungsgeschäfte unter die Leitung von Wangschingwei. Dies wird als ein verzweifelter Berjuch Tschangtaischets ausgelegt, feine erschütternde Stellung in der Partei dadurch zu stärken, daß er sich die Unterstüßung Wangfchingwels fichert.

Eine chinesische Darstellung.

Schanghai  , 4. April.  ( Ch. N.) Die Bemühungen der britischen Propaganda, aus der Uebertreibung der geringen Defferenzen zwischen den einzelnen Führern der Kuomintang politischen Ge­winn zu ziehen, fönnen infolge der Rückkehr des ehemaligen Bor. fizzenden der Nationalregierung Wangichingwei als gescheitert be­trachtet werden. Wangschingwei hatte Kanton im vorigen Jahre frankheitshalber verlassen und sich nach Paris   zur Behand. lung seines Leidens begeben. Auf Grund der politischen Lage im vorigen Jahre bestand zwischen Wangschingwei und dem Obertom. mandierenden Tschangtaischet eine gewiffe Berschiedenheit in der Beurteilung der damals anzuwendenden Tattit. Es ist für die jeßige Lage bezeichnend, daß Mangschingwei bei seiner Rückkehr von Tschangfaischet aufs herzlichste willfommen geheißen wurde. Nach der in den Kreisen der Nationalregierung vertretenen Ansicht bedeutet die Rückkehr Wangschingweis die Be. hebung aller Schwierigkeiten und die Festigung der Kampffront der Nationalbewegung auf allen, d. h. sowohl auf politi schen als auch militärischen Gebieten.

Zeichen der Krife: Englische   Minister machen fein Wochenende.

London  , 4. April.  ( TU.) Baldwin, Chamberlain und der Kriegsminister find während des Wochenendes wegen der chinesischen   Krise in London   geblieben.

Flucht der Hankau- Japaner auf die Schiffe. Shanghai  , 4 April.  ( Reuter.) Ein japanischer Marine­funkspruch meldet aus antau: Infolge eines Streites zwifchen einem japanischen Matrofen und einem Ridichatuli drang eine Menge von& ulis in die japanische Konzeffion ein und begann die Läden zu plündern und japanische Staatsangehörige auf der Straße anzuhalten. Eine Abteilung japanischer Matrosen wurde daraufhin eilig von den Kriegsschiffen gelandet, die fich genötigt fahen, mit Maschinengewehren auf die Menge zu feuern, wodurch zwei Chinesen verwundet wurden. Die Menge wurde schließlich zerstreut.

Die Mehrheit der Innerhalb und außerhalb der Konzession an­fäffigen über 2000 Perfonen zählenden Japaner fuchte auf den Ariegsschiffen 3uflucht, die übrigen blieben unter dem Schuhe japanischer Soldaten in den anderen Fremdenniederlaffungen zurüd. Japanische Matrofen bewachen jetzt die Niederlaffung. Bier japanische Kriegsfchiffe haben fofort den Befehl erhalten, sich nach

New Bort, 4. April.  ( WTB.) Herald Tribune" betont, die Erregung der Mächte über die Mantinger Zwischenfälle stehe in um. gefehrtem Verhältnis zu dem Schaden, den sie erlitten hätten. Die erste Folge der gemeinsamen Gefahr am Dangte sei gegen feitiges Mißtrauen an allen anderen Orten. I a pan, dessen Angehörige am meisten bedroht seien, instruiere seine Breffe, fich nicht mit der chinesischen Gefahr zu befaffen. Die Franzosen  , die mehrere Landsleute verloren, übten sarkastische Kritik an dem britischen Imperialismus. Vereinigten Staaten schwiegen. Nur die Engländer, die am wenigsten ge litten hätten, äußetten die größte Empfindlichteit über die Berlegung ihrer nationalen Würde und sprächen von Vergeltung. Mittlerweile werde als reizenbes Symbol der internationalen Har monie zwischen der französischen   und der internationalen Nieder­monie zwischen der französischen   und der internationalen Nieder laffung Schanghais Stacheldraht gezogen. einigten Staaten in Betracht kommen, wünsche niemand hierzulande ausgedehnte militärische Operationen, die überdies durch den Um fang der amerikanischen   Interessen nicht zu rechtfertigen wären.

Bleiben die polnischen Forderungen, zu denen ein flares und eigentlich selbstverständliches Wort gesagt werden muß! Bolen ist ein Agrarstaat und die Kräfte, die in der Hauptsache hinter den deutsch  - polnischen Handelsvertrags­nerhandlungen stehen, sind die große und fleine Landwirtschaft, will man deutscherseits den Vertrag, so muß man agrarische Rugeständnisse machen, die den berechtigten polnischen Be­dürfnissen entsprechen. Jede andere Haltung ist töricht, un­ehrlich und in ihren politischen Auswirkungen gefährlich. Das muß man sich vor Augen halten, wenn man iegt in erneute Besprechungen eintritt, um den außenpolitischen Gefahren­moment nicht zu übersehen. Erneute Besprechungen, die durch polnisches Einlenten ermöglicht wurden und die noch einmal Soweit die Verfcheitern, aber diesmal an deutscher Intransigenz gegenüber dem polnischen Schwein, bedeuten eine grundlegende Ber­schlechterung der deutsch  - polnischen Beziehungen, eine Ver­emigung des Handelsfrieges, ein Uebergreifen dieses wirt­schaftlichen Kriegsauftandes auf andere, auf politische Gebiete. Wird das der Außenminister des Reichs zulaffen können?

Reichstag   und Arbeitszeit.

Die Debatte heute vormittag fortgefeht. Der Reichstag   hat heute vormittag die Debatte über das sogenannte Notgesetz der Regierung zur Abänderung der Arbeitszeitverordnung fortgefeßt.

Für die Partei der Scharfmacher, die Deutsche   Bolts­partei, sprach ein Unternehmerfynbitus. Gegenüber den ernsten wirtschaftspolitischen Darlegungen des Genossen Graßmann vom Sonnabend hatte er teine Argumente. Die Bartei der, induftriellen Wirtschaft" beschränkt sich bei diefer Debatte, die für die deutschen Arbeiter und die deutsche Boltswirtschaft von größter Bedeutung ist, auf die alten Mäßchen.

Die Arbeiter wissen nicht, was sie mit ihrer freien Zeit anfangen jollen! Das sagt ein Unternehmervertreter im Jahre 1927, im zwanzigsten Jahrhundert! Die deutschen   Unternehmer sind heute noch die felbe rüdständige, unwiffende, brutale Klasse wie die englischen Bourgeois der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts! Diese Worte hätte einer jener Arbeiter- und Kinderschinder sprechen tönnen, die aufheulten, als der Kampf um die Verfürzung der Arbeitszeit vor hundert Jahren begann. Man muß sich den Namen dieses Mannes merten. Er heißt Pfeffer, Der Arbeitsminister redete den Unternehmern ins Gewissen. Mit niedrigen Löhnen und langer Arbeitszeit tön nen sie nicht aus den wirtschaftlichen Schwierigkeiten heraus. Deshalb will die Borlage des Herrn Brauns den Zehn stundentag retten..

Die Taten zeugen gegen die Worte!

Mit dieser Frage mündet das deutsch  - polnische Problem in die große Bolitit des Reichs. Und hier fann gar nicht ernst genug davor gewarnt werden, zu glauben, die Welt betrachte Bolen fozufagen mit ostdeutschen Augen. In den volitischen Berechnungen der Großmächte find sicherlich alle Schwächen des heutigen polnischen Staates einfaltuliert, aber ebenso die positiven Eigenschaften, die ihn zu einem geographisch, wirt­fchaftspolitisch und militärisch bedeutsamen Machtfatior in Europa   machen. Das vergißt man zu leicht, insbesondere in Rechtstreifen, die noch in den Borkriegsgedankengängen des Oftmarkenverbandes befangen find. gleichbedeutend mit hoch mütiger Berachtung alles Polnischen  ! Das aber ist ein Geisteszustand, der außerordentliche Gefahren in sich birgt, insbesondere die eines höchst schmerzlichen Erwachens! All das darf der nicht übersehen, unter deffen Verantwortung aufs Neue der Versuch einer Normalisierung des deutsch  - polnischen Berhältnisses gemacht wird. Die Erinnerung an das ferbische Schwein wird ihm dabei sicherlich helfen!

Landbundminister und Handelsverträge.

Auf einem deutschnationalen Landesparteitag in Gelsen firchen hielt am Sonntag nachmittag der Reichslandwirtschafts minister Schiele eine Rebe, die bewies, welche Widerstände dem Bersuch einer Herstellung friedlicher Handelsbeziehungen von seinen Landbundfreunden zu erwarten find. Jeder außenpolitische und einem 3u handelspolitische Erfolg", der mit geständnis von Nahrungsmitteleinfuhr errungen würde, bebeute, so führte er aus eine weitere Berschiebung unserer Selbsterhaltungsgrundlage in den Bereich fremder Mächte. Für uns müffe die nationale Autotratie, d. h. vor allem Nahrungs­