Nr. 22S ♦ 44. Jahrgang
2. Heilage des vorwärts
Sonntag, 15. Mai 1927
Ueberblickt mon die amtlichen und nichtamtlichen Kundgebungen zu dem katastrophalen Börsenzusammenbruch am letzten Freitag, so kommt man zu eigenartigen Schlüssen Die Reichsregierung läßt erklären, daß sie die Beschränkung der Kredite nicht beschlossen habe. In einem großangelegten Interview, mit dem der Reichs. bankpräsident Schacht ausgerechnet in den„Lokal-Anzeiger" des Herrn Hugenberg gegangen ist, erklärt auch der Reichsbankleiter, daß«r nicht eigentlick) einen Druck auf die Banken zu diesem Schritt ausgeübt habe, der den Kursen so verhängnisvoll werden sollte. Die Reichsbank will also die Verantwortung von sich abwälzen, ebenso die Reichsregierung. Die erster« versichert, sie habe lediglich dahin gedrängt, daß die Großbanken von sich aus eine größere Liquidität anstreben sollten. Gekennzeichnet ist die Situation wohl dadurch, daß die Großbanken von der Reichsbank eine Diskont- erhöhung verlangt hatten, die diese ablehnte und auf den nun beschrittenen Weg verwies. Ein eigenartiges Spiel um diese Verantwortung, die keiner tragen will. War die Maßnahme aus währungs- oder wirtschaftspolitischen Gründen notwendig, so wäre e» Pslicist der Reichsbani oder der Reichsregierung gewesen, diese zu fordern und beide waren mindestens in der Lage, mit Druck- mideln zu drohen, wenn die Banken nicht Folge leisten wollten. Die Negev die Dinge laksächlich? Schacht selbst muß zugeben, daß die Verkürzung der Vörsenkredite im Sinne seiner Wünsche log. Er wird wohl ebeikso wenig wie die Reichsregierung bestreiten können, daß diese von seinem Vorhaben mindestens durch einen Vortrag gewußt hat. Er wird schließlich nicht bestreiten können, daß die Ablehnung einer Diskonterhöhung auf die Banken derart gewirkt hat, daß dies« sich zur Verkürzung der Börsenkredite entschlossen. Jedenfalls ist es doch sehr verfänglich, die Berantwortung abzulehnen für eine Mahnahme, die man in vollem ilmfange billigt und volkswirtschaftlich zu ver- treten bereit sein sollte. Es scheint, daß der starke Kurseinbruch am Freitag verschiedenen maßgeblichen und unmaßgeblichen Stellen den Mut genommen Hot, sich zum eigenen Willen zu bekennen. Und dazu, zu dieser Flucht vor der Verantwortung, liegt allerdings reichlich Anlaß vor, wenn man die Dinge nach ihrer Volkswirtschaft- lichen Tragweite hin beurteilt. Der sind die vekroffenen? Einmal ist es die Spekulation. Für jeden Unbeteiligten war es ein fast widerwärtiger Anblick, wie ein kleiner Teil des deutschen Volkes in der Zeit des größten Massenelends sich von Tag zu Tag mit mühelosen Kursgewinnen bereicherte. Der phan- tastisch« Stand einiger Spekulationspapiere, die bei geringen Divi- denden fltorse von 400 und 500 Proz. erklommen hatten, war ein Hohn auf die vielen Redereien von der Verarmung Deutschlands , die manche Vertreter dieses Kapitalistenpublikums dauernd im Munde führten, während die wirklich Derarmten überhaupt nicht zum Wort kamen und mit steigender Erbitterung die Entstehung ge-
waltiger neuer Reichtümer ansehen mußten. Weiter werden sicher betroffen einige kleine Bankfirmen und Makler, die sich nicht recht- zeitig einzustellen wußten. Höchst wahrscheinlich ist, daß die Groß- danken schon seit Wochen und Monaten sich von ollen riskanten Verpflichtungen an der Börse freigemacht hatten und infolge- dessen zuschauen können, wie jetzt die um den Kredit verkürzten Kunden zu Verkäufen mit Verlusten gedrängt werden, nachdem noch vor kurzem an den Depositenschaltern zu neuen Käufen ermuntert worden ist. Vom Privatpublikum werden diejenigen Kreise am wenigsten betroffen, die Aktien als dauernde Kapitalsanlage erworben haben in der Hoffnung auf eine günstige Dividende oder ander« Vorteile, die aus dem Aktienbesitz hervorgehen(Bezugsrechte bei Kapitalerhöhunaen usw.). Diese Kreise brauchen nicht überstürzt zu verkaufen und können warten, bis die aufsteigende Wirtschafts- konjunktur ihnen die Erfüllung ihrer Hoffnungen bringt. Industrie und Kaplialmarkt. Wichtiger aber ist die Wirkung der Börscnderoute für große Kreise der Industrie, vie jetzt eben mit Rücksicht auf den besseren Geschäftsgang zu Kapitalerhöhungen schreiten wollten. Ihnen wird durch die Unsicherheit, die am Aktienmarkt eingerissen ist, die Ausnutzung geschäftlicher Möglichkeiten, ja selbst die Aus- dehnuna der Produktion und des Absatzes beschnitten. Bei derart tollen Kursschwankungen ist die Unterbringung neuer Aktien ent- weder überhaupt nicht oder nur mit übergroßen Risikoprämien für die Banken und großen Verlusten für den Kapitalsucher möglich. Damit wird also die eine Säule des deutschen Kapitalmarktes empfindlich erschüttert, nachdem der Markt der festverzinslichen Papiere durch die Ueberspekulation geschwächt ist und die neuerliche Versteifung des Geldmarktes auch die Unterbringung von Renten- papieren erschwert. Kein Kapitalmarkt und keine Industrie kann derartige Störunaen leicht verwinden. Sie wirken sich aus in Nach- teilen für den A r b e i t s m a r k t, da die Produttion nicht in gleichem Tempo fortschreiten kann wie der Bedarf, weil die Er- schütterung des Kapitalmarktes die Dispositionen über die Waren- erzeugung erschwert. Die Fehler in der Kredittvirkschaft. Man muß sich daher fragen, ob dieser Schritt des großen Un- bekannten— denn es will ja keiner gewesen sein— richtig war. Die Fehldispositionen am Kapitalmarkt, die Vergeudung von Geldern in der Spekulation und der Mangel an Wirtschaftskrediten datieren nicht seit heute und gestern. Der Reichsbankpräsident selbst ist stolz darauf, daß er„schon" im vorigen Oktober die Sache be- griffen hat, auf die der„Vorwärts" freilich schon Monate vorher hingewiesen hatte. Aber Schacht hat aus dieser Erkenntnis keine Schlußfolgerungen gezogen. Cr hat die Dinge gehen lassen. Hätte er damals systematisch und allmählich von Monat zu Monat eine Verkürzung der Spekulationskredite erwirkt, so wäre das volks- wirtschaftlich von größtem Borteil gewesen. Die enorme Hausse an der Börse wäre freilich entweder ausgeblieben oder nicht in diesem unsinnigen Umsange aufgetreten. Das Kursniveau hätte sich all- mählich und langsamer erhöhen können, der Wirtschast wären aus
der großen Menge von flüssigen Geldern, die sich an der Börse stauten, wachsende Krebste zur Finanzierung der Produktion und des Absatzes zugeflossen. Aber die Großbanken sahen dem Börsen- taumel untätig zu. Sie verdienten derart an ihren Provisionen, daß sie nichts gegen das Spekulationssieber unternahmen. Und die gelegentlichen Warnungen, die sowohl aus' der Wirtschaft wie von manchen Bankleitern wie aus der Reichsbank lautwurden, dienten mit der Zeit allenfalls zur Erheiterung der Vörsenbesucher, die um so mehr gewannen, je mehr Unkenruf« erklangen. An diesem Treiben sind also alle mitschuldig, die ihm nicht entgegengetreten sind, angefangen vom Reichswirtschaftsminister über den Reichs- bankpräsidenten bis zu den Großbankdirektoren. Sie sind ebenso mitschuldig an der gewaltigen Erschütterung des Kapitalmarktes, die dem folgen mußte. Man hat den Eindruck, als ob irgendeine Primadonnenlaune diesen Plan ausgeheckt hätte, der kurz vor dem für die Spekulation so wichtigen Abwicklung?- termin der Monatsmitte greifbare Form annahm. Daß aber der Geld- und Kapitalmarkt von Launen abhängig ist, wo er einer sachlichen Führung bedarf, ist ungefähr das schlimmste Zeugnis, das man einem Reichsbantleiter ausstellen kann. Bankherren und Regierung bleiben verantwortlich. Denn es lagen keinerlei Gründe für die Ueber- Haftung vor. Weder früher noch auch jetzt. Wenn man mit der Drosselung der Börscntredite Auslandsgelder vom deutschen Markt abhalten wollte, so brauchte man nur die Börsenberichte von Freitagabend zu lesen, um zu erfahren, daß die niedrigeren Kurse die ausländische Spekulation wieder zu Effcktcnkäufcn ermuntert haben. Wenn man gegen die optimistischen Ausfassungen von der deutschen Wirtschaftslage demonstrieren wollte, so ist eine derartige Kundgebung zur Lächerlichkeit verurteilt angesicktL der Tatfache, daß es sich hier um einen Eingriff handelt, dessen Wirkung nur ein« vorübergehende sein kann. Es werden sich bald genug Hände finden, die ohne die Inanspruchnahme von Zirkulationskredite» Aktien kaufen und damit ungeheure Gewinne erzielen, weil ihnen der Kurseinbruch so vorteilhaste Möglichkeiten dazu bot. Mon wird in der Annahme nicht fehl gehen, daß gerade in Bankkreisen diese Konjunktur sehr gründlich ausgenutzt werden wird, aber auch in Interessentenkreisen, die ihren Besitz an bestimmten Wertpapieren „abrunden" wollen. Hatte man etwa die Absicht, die hier und da aus- gesprochen wird, der Versteifung der Devisenkurse entgegenzu- wirken und einen Sturz der Mark zu verhüten, so gab es dazu sicherlich noch ander« Mittel. Die Anhäufung von Goldbeständen bei der Reichsbank ist jedenfalls kein Zeichen für die Wehrlosigkeit der Reichsbank. Die ganze Erschütterung des Kapitalmarktes ist die Folge einer plan- und ziellosen Wirtschaftspolitik, für die weder Herr Curtius noch Herr Schacht die Berantwortung ablehnen können. Die Wirtschaft hat nach dieser Rechtsblockregierung ge- rufen. Die Produktion hat von dem Kurssturz ihren Teil weg. Die Spekulation, die bei dem ganzen Geschäft am wenigsten zu be- dauern ist, wird an ihrem Konto Rechtsblcckaktien ebenfalls starke Abschreibungen vornehmen müssen. Di« Arbeiterschaft jedoch, sowest sie von diesen Treibe- reien eine Gefährdung ihrer Beschäftigung zu befürchten hat, muß sich aufs schärfste gegen eine Kredit- und Wirtschaftspolitik wenden. die den Gesundungsprozeß der Wirtschaft gefährdet, und schließlich die Beschäftigungsmöglichkeiten einschränkt. Der Rechtsblock kann es als ein Verdienst für sich buchen, daß er wieder bewiesen hat, daß er den inneren wirtschaftlichen Wiederaufbau hindert, statt ihn zu fördern.
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