fir. 324 44. Jahrg. Ausgabe A fr. 165
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Dienstag, den 12. Juli 1927
Englands europäische Politik.
Interpellation der Arbeiterpartei im Unterhaus.
Chamberlain antwortet.
Die Arbeiterpartei im Unterhaus hat die Herabsetzung des Gehalts des Außenministers um 100 Pfund Sterling beantragt, um dadurch eine Aussprache über die außen= politische Lage herbeizuführen. Als Sprecher der Arbeiter- rechtlich geworden. Chamberlain dementierte hierauf die ihm unter
partei gab Abg. Ponsonby, im Kabinett Macdonald Unterstaatssekretär im Außenamt, einen außerordentlich pessimistischen Ueberblick über die Weltlage. Er sprach zunächst über die deutsch französischen Beziehungen. Diese stünden seit Locarno nicht mehr außerhalb des unmittelbaren britischen Wirkungstreifes. unmittelbaren britischen Wirkungskreises. Großbritannien sei nunmehr in der feineswegs bencidenswerten Lage, im Falle eines Konflikts bestimmen zu müssen, wer der Angreifer sei und hätte seine gesamte bewaffnete Macht auf die Seite des Angegriffenen zu stellen. Angesichts dessen müsse das Haus in Zukunft über alle Schwankungen der deutsch - französischen Beziehungen auf das genaueste unterrichtet werden. Trotz des LocarnoPattes sei eine Veränderung des Tones zwischen Paris und Berlin im ungünstigen Sinne einge= treten und Reden Poincarés und Stresemanns hätten den Eindruck erweckt, daß Locarno nicht zur endgültigen Erneuerung der Freundschaft zwischen den beiden Nationen geführt habe. Bonjonby fragte darauf, melche Stellung die Regierung zur Frage der Rheinlandräumung einnehme.
Dann wandte sich Ponsonby dem Plane zu, einen Krieg zwischen Frankreich und Amerifa widerrechtlich zu machen und regte an, Großbritannien möge einen ähnlichen Schritt unternehmen. Sich den Verhältnissen in Osteuropa zuwendend, erinnerte Ponsonby an die Zusammenfunft zwischen Chamberlain und Mussolini . Die Arbeiterpartei habe gegen eine solche Unterredung an und für fich nichts einzuwenden, die Weigerung der konservativen Regierung, alle ihre internationalen Verpflichtungen zu veröffentlichen, berech tigte jedoch zu regem Mißtrauen. Den Bruch mit Rußland nannte Bonsonby eine plumpe und dumme Politik, die zu politischer Unraft in Europa geführt habe. Die Lage in Europa fönne in diesem Augenblick nicht friedlich genannt werden. Der Völkerbund gerate ins Hintertreffen und werde muur mit Fragen zweiter Größe beschäftigt. China , Albanien und Ingoflamien diese wirklich brennenden Fragen seien nicht vor den Bölkerbund gebracht worden. So oft irgendeine Frage von erster Größe auf tauche, stelle sich automatisch irgendein Grund dafür ein, den Völferbund von einer Meinungsäußerung auszuschließen. Statt dessen sei ein Wachsen des isolierten diplomatischen Vorgehens fest
zustellen und es zeige fich
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alle
neuerdings eine Neigung zu Bündnissen und Gruppenbildungen. In einer solchen Atmosphäre bestehe wenig Hoffnung auf Entwaffnung: Italien , schloß Ponsonby, zeigt einen beunruhi genden Ehrgeiz; Furcht herrscht in Rußland , Gereiztheit in Deutschland , Argwohn in Frankreich , Gefahr in Polen , Wirrwarr auf dem Balkan , Mißtrauen in Amerika und Krieg in China !"
Die Antwort des Außenministers Chamberlain war auf die optimistische Note gestellt. Er versicherte, daß Peinerlei Geheimabmachungen bestünden. Großbritannien habe nicht ohne Erfolg sein Bestes getan bei der Beilegung von Differenzen, die zwischen Regierungen bestanden, behilflich zu sein. Die Behauptung Ponsonbys, daß die politische Atmosphäre von 1927 ungünstiger sei als die von 1924, fönne durch Tatsachen nicht belegt werden. Der Völkerbund und der Völkerbundsrat seien heute stärker als vor drei Jahren, und Fragen, die damals überhaupt
Kohlenpreiserhöhung nochmals abgelehnt. Vom großen Ausschuß des Reichskohlenrats.
In der gestrigen Situng des Reichstohlenverbandes und des großen Ausschusses des Reichstohlenrates wurden in längeren Erörterungen die Preiserhöhungsanträge des Rheinisch- Westfälischen, des Aachener und des Niedersächsischen Steinkohlensyndikats sowie des Mitteldeutschen und des Elbischen Braunfohlensyndikats und des Kohlensyndikats für das rechtsrheinische Bayern von dem großen Ausschuß des Reichskohlenrats a b. gelehnt.
Dreußisch- Süddeutsche Lotterie.
München , 11. Juli. ( Eigener Drahtbericht.) Der Haushaltsaus schuß des Bayerischen Landtages genehmigte am Montag einstimmig den Entwurf eines Gesezes über den Staatsvertrag zwischen Preußen, Bayern , Württemberg und Baden, der die Preußisch Süddeutsche Klassenlotterie auf eine neue für die jüddeutschen Länder wesentlich günstigere Grundlage ſtellt. Der Finanzminister wies bei Begründung des Entwurfs auf die vom preußischen Staatsrat vorgebrachten Bedenken gegen den Bertrag hin, meinte aber, daß auch Preußen die Ratifikation troßdem vornehmen würde. Im Laufe der Diskussion wurde von den Regierungsparteien mitgeteilt, daß sich der Losabjaz in Bagern seit einiger Zeit außerordentlich rasch steigere.
nicht erörtert werden konnten, würden jetzt im Geiste freudiger 3usammenarbeit diskutiert. Was die Anregung Ponsonbys Amerika bereits in den Herzen und Köpfen jedes Engländers widerüber Amerita anlange, so sei irgendein Krieg zwischen England und geschobene Absicht, einen antirussischen Block zusammenzubringen und gab dem Unterhaus eine ausführliche Darstellung der Zusammenfunft in Genf auf Wunsch Briands und Stresemanns in seinem( Chamberlains) Hotelzimmer. Gegenstand der Besprechung fei der Abbruch der Beziehungen zwischen Rußland und England gemefen. Er habe hierbei festgestellt, daß er feineswegs wünsche, Die Differenzen weiter zu treiben oder irgendeine Macht zur Nach ahmung des englischen Beispiels einzuladen. Der andere Gegenstand, der in Genf zur Sprache gekommen sei, sei die Frage der Hinzuziehung eines Deutschen in die Mandats: fommission des Bölkerbundes gewesen, eine Frage, über die Stresemann Aufschluß gesucht habe, ehe er im Böllerbundsrat den formellen Antrag eingebracht habe.
Weiter bat Chamberlain, auf jedes Mißtrauen gegenüber seinen und Churchills Zusammenfünften mit Mussolini zu verzichten. Wenn es vor dem Kriege zu regelmäßigen Zusammenfünften zwischen den verantwortlichen Leitern der Außenpolitik gefommen wäre, dann mürde der Ausgang vielleicht anders gewesen sein. Ist es wirklich ein Grund zum Mißtrauen, wenn ich mit dem Premier- und Außen minister in Rom zusammentreffe oder dem Premierminister und Außenminister in Frankreich oder
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Die Domelakaien.
Ein System am Pranger.
Köln , 11. Juli. ( WIB.) 3m Prozeß Domela verkündete das Gericht um 18.30 Uhr das Urteil. Es lautete wegen Befruges in vier Fällen im Rückfalle auf sieben Monate Gefängnis unter Anrechnung der Unterfuchungshaft von 6 Monaten.
Der Verteidiger hatte Freispruch, der Staatsanwalt 9 Monate Gefängnis, ebenfalls unter Anrechnung der Unterfuchungshaft beantragt.
Der Angeklagte nahm das Urteil nicht an. ,, Die Wirklichkeit ist immer höchst unwahrscheinlich," spottet irgendwo Heinrich Mann . In der Tat: fast keiner von den Gegner Scham. Aus einem Mitleidsrest heraus möchten uns ist ohne Illusion. Instinktiv empfinden wir selbst für mir den schwarzweißroten Kaiserdeutschen nicht für so knechtfelig, für so hoffnungslos vertrottelt halten, wie er sich in Wirklichkeit gebärdet. Wohl haben wir über manche beißende Karikatur herzlich gelacht, doch immer mit dem stillen Vorbehalt: ,, Na, ganz so schlimm ist es denn doch nicht!"
Doch was fein Verstand der Verständigen sieht, das entdeckt die naive Gelassenheit einer leichtlebigen HochstaplerDas ist das Versöhnende an Gestalten wie dem Schuster Voigt, weiland Hauptmann von Köpenick , und dem falschen Prinzen Harry Domela : daß ihre durch kein Mitleiden beirrte. Menschenverachtung die ungeahnten Möglichteiten des militärischen Kadavergehorsams oder des residenzlichen Lataientums erfaßte. Hätte ein noch so scharfer Kritiker des deutschen Byzantinertums auch nur versuchsweise die Rolle Voigts oder Domelas durchführen sollen, er hätte zurückschaudernd ausgerufen: Nein, so dumm können doch die anderen nicht sein!" Boigt und Domela sagten ruhig: Sie sind so dumm und noch dümmer." Auf diese Karte setzten sie und gemannen glänzend. Ein heutiger Mephisto würde seinen Faust nicht mehr in Auerbachs Keller führen ,,, damit du siehst, wie leicht sich's leben läßt", sondern ins Hotel Rossenhaschen in Gotha oder
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dem Kanzler und dem Außenminiffer des Deutschen Reiches , mo ich mit ihnen zufammen war oder in Berlin , wo ich mit ihnen eines Tages zusammenzutreffen hoffe? Chamberlain fuhr fort: Nichts hat mehr getan, als deutsche Außenpolitik vor dem Kriege zu verbergen und die Katastrophe des Krieges herbeizuführen, als die 3 wangsvorstellung der damaligen Deutschen , daß es notwendig sei, dafür zu for gen, daß andere Regierungen Streitigkeiten miteinander hätten, und daß jede Beilegung von 3wiftigkeiten zwischen ihnen oder eine Verbefferung ihrer Beziehungen einen Schlag für Deutschland bedeute. Es ist tragisch, zu sehen, daß diese Zwangsvorstellung, von der Deutschland befreit worden ist, in einem großen und bena chins feudale Korpshaus der Bonner Borussen. Tritt ruhig barten Reich sich festiegen will.
Nach einer Darlegung der Völkerbundsarbeiten, insbesondere der See- Abrüstungsfrage, schloß Chamberlain: Die ganze britische Außenpolitik gründet sich auf die Unterstützung des Bölfer bundes und auf die Berufung an den Völkerbund als letzte Instanz. Das Ziel dieser ganzen Politik ist die Sicherung des Friedens für uns und die anderen.( Beifall bei den Ministeriellen.) Die Debatte sette spät abends Abg. Kenworthy( Arb.) fort.
Neuer Englandboykott in Südchina.
Condon, 11. Juli. ( Eigener Drahtbericht.) Nach Meldungen aus Hongkong wird der von der„ Boykottvereinigung" in der Provinz Ranton verkündete Boykott gegen Großbritannien und Japan am 15. Juli in Wirksamkeit treten. Falls diese Boykottbewegung gelingt, werden nach diesem Zeitpunkt feinerlei britische oder japanische Waren mehr in die Provinz Kanton eingeführt werden können. Das diplomatische Korps in Pefing hat in einer mit großer Eile einberufenen Sigung den Plan der Regierung von Nanking beraten, Banknoten herauszugeben, die durch die Salzsteuer gedeckt werden sollen. Trotz der schweren Bedenken murde jedoch beschlossen, von jeglichem Protest 3 un ä ch st abzusehen.
Clemenceau schwer erkrankt!
Man rechnet mit seinem Ableben. Paris , 11. Juli. ( Eigener Drahtbericht.) Das Befinden des früheren Ministerpräsidenten Clemenceau , der an Grippe erfrankt ist, hat sich plötzlich verschlimmert. Seine Familie ist telegraphisch an das Krankenbett gerufen worden. Man rechnet mit dem Ableben des siebenundachtzigjährigen Politikers.
Am späten Abend meldet allerdings havas, daß diese Gerüchte übertrieben seien, und daß Clemenceau mur an einer leichten Influenza leide. Er ist allerdings 87 Jahre alt....
Dublin , 11. Juli. ( WTB.) Im Zusammenhang mit der Er mordung des Justizministers O'Higgins wurden mehrere Bersonen verhaftet. Der amtliche Bericht erklärt, daß fünf Personen an dem Morde beteiligt gewesen sind. 3wei hielten Bache und beim Erscheinen des Ministers schossen drei andere auf ihn, die sich in einem gestohlenen Kraftwagen aufhielten; die Polizei besigt eine genaue Beschreibung der Mörder. Alle Straßen um die Stadt mer den bewacht und alle Automobile durchsucht.
ein, lieber Fauft, im letzten abgeschabten Anzug, dein bißchen schmutzige Wäsche schamhaft im Rucksäckchen verborgen, nur martiere ein schneidig- feudales Aussehen. Blize aus blauen Augen, schnarre im hohen Diskant und zeige im übrigen die ftarre Gesichtsmaste des Aristokraten. Laß irgendwo ein Fürst von Lieven, und wenn du so viel aus eigener MachtPleines ,, bon" durchblicken, nenne dich Graf Pahlen oder vollkommenheit bist, werden dich die anderen ganz von selber zu mehr machen. Und je bescheidener du dann leugnest, der info nito reisende Prinz Wilhelm zu sein, desto enthusiastischer werden die anderen an deiner prinzlichen Natur festhalten ,,, Hoheit wünschen nicht... wir verstehen aber wir wissen Bescheid und gestatten uns usw. usw." Bon Hoheit möchten infognito bleiben... selbstverständlich den echten Prinzen unter Maske und Steifleinen wittert. Shakespeares John Falstaff haben sie den Instinkt geerbt, der
Wir haben als Kinder vom falschen Demetrius gelesen, vom falschen Woldemar und nicht recht begriffen. Ach, jetzt verstehen wir nur zu gut. Die monarchistische Knechtseligkeit bedarf des Herrn wie der Masochist der Knute. Wo eine erst lange zu fragen, ob er echt oder falsch ist. Mit Wollust Hand sie striegelt, da erkennt sie freudig den Gebieter ohne haben sie alle dem falschen Zollernsproffen ihren Tribut gezahlt und sich genügend belohnt gefühlt durch die Seligkeit, den Landstreicher Domela für einen wahrhaften Prinzen halten zu dürfen. Domela soll sie betrogen haben? Keine Spur! Für die Settflaschen und Zwanzigmartscheine, die sie ihm opferten, sind sie durch die genossenen Wonnen, einem vermeintlichen Prinzen die Hand zu lecken, reichlich entschädigt. Ebensogut hätte Sacher- Masoch seine Benus im Pelz wegen Mißhandlung verflagen fönnen!
Das unfagbar Komische ist nur, daß diese Demostiken, die sich am liebsten noch vor einer Uniform auf dem Garderobenständer in den Staub würfen, für sich eine besondere Männlichkeit in Anspruch nehmen. Deutscher Mannesmut und deutsche Mannestreue ist ihr drittes Wort, sie schwärmen von der starken Politik der gepanzerten Faust und verhimmeln jeden, der ein ,, immer feste druff" grölt. Diese ausgemachten Diener- und Lafaiennaturen bilden sich ein, die geborene Herrscherta ste zu sein und fühlen sich unendlich geschmeichelt, wenn irgendein übergeschnappter Günther oder Houston Steward Chamberlain sie wegen ihrer länglichen Schädelform für das geborene Herrenvolk der Welt ers flärt. Bei gewissen Negerstämmen erzielt man bekanntlich diese Schädelform, indem man den Kopf des Säuglings zwischen Bretter schnürt. Auch hier glaubt man die Wirkungen bicker Bretter vor dem Kopf zu erkennen.
rich Hussong, möchte uns andichten, daß wir diesen Fall zu einem vernichtenden Strafgericht über das alte Syftem auszuwalzen trachten. Ach nein, hier gibt es gar nichts auszumalzen. Selbst der Satiriker bekennt hier, nor einem Er