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Str. 394 44. Jahra. Ausgabe A nr. 201

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Der Borwärts" mit der illuftrier. ten Sonntagsbeilage Bolt und Zeit" sowie den Beilagen Unterhaltung und Wissen", Aus der Filmwelt". Frauenstimme", Der Rinder.

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Sonntagsausgabe

Vorwärts

Berliner Volksblatt

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Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands  

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Sonntag, den 21. August 1927

Aufschub abgelehnt!

Letzte Rettungsmöglichkeit für Sacco und Vanzetti: Begnadigung durch

Gouverneur Fuller.

New York  , 20. Auguft.

Der oberste Gerichtshof hat den Aufschub der Hinrichtung von Sacco und Vanzetti endgültig abgelehnt.

Die Hinrichtung wird erfolgen, falls Gouver­neur Fuller Sacco und Vanzetti nicht begnadigt.

Ein Formfehler.

Washington, 20. August.

Die Verteidiger Saccos und Vanzettis konnten heute das Re­visionsgesuch dem Obersten Bundesgericht nicht ein reichen, da die Gerichtsbeamten erklärten, das Gesuch habe wegen Fehlens der Prozeßatten nicht die vorgeschriebene Fassung.

Coolidge   lehnt Eingreifen ab.

New York  , 20. Auguft.( TU.) Präsident Coolidge   hat erklärt, er beabsichtige nicht, sich in die Angelegenheit Sacco- Banzetti einzamischen, da es Sache des Gouverneurs Fuller fei, ob er die beiden Berurteilten be­gaadigen wolle. Sowohl bei Coolidge   wie bei Fuller liegen 3 ahl. reiche Petitionen vor. Auch die Preffe feht sich in ihrer Mehrheit für die Umwandlung der Todesstrafe in Zuchthausstrafe ein; Fuller jel hierzu berechtigt.

T

Hilfegesuch an den Papst und Mussolini  .

Rom  , 20. Auguft.

Die Bostoner   Rorrespondentin des Manchester Guardian" und einer andere Dame des Hilfskomitees für Sacco und Banzetti find nach kurzem Aufenthalt in Torre Maggiore, wo sie dem Vater Saccos einen Brief seines Sohnes überbrachten, nach Rom   weitergereift, um den Papst und Mussolini   zu einer Intervention in letzter Stunde zu bewegen. Man beurteilt die Aussichten dieses Schrittes sehr pessimistisch.

Die englischen Arbeiter an Fuller.

London  , 20. Auguft.

Der Generalrat des Gewerkschaftstongreffes und die Arbeiterpartei haben an Gouverneur Fuller ein Telegramm gefandt, in dem fie um Gnade für Sacco und Banzetti ersuchen. Dem Ansehen Ameritas, so heißt es in dem Telegramm, würde durch die Begnadigung fein Abbruch geschehen.

Ein Schreiben ähnlichen Inhalts mit den gleichen Unterschriften wurde an die amerikanische   Botschaft gerichtet.

Ein verspäteter Vorschlag.

Amsterdam  , 20. August.

Im Amsterdamer   Bureau des Internationalen Gewerkschafts­ bundes   ist ein Telegramm des amerikanischen   Sacco- und Vanzetti Komitees eingegangen, in dem der Internationale Gewerkschaftsbund  aufgefordert wird, zugunsten einer bebingungslosen Begnadigung Saccos und Vanzettis einen Proteststreit zu organisieren, der die ganze Welt umfassen soll.

Selbst wenn der Vorstand des JGB. auf drahtliche Einberufung noch bis Montag zur Beschlußfaffung zusammentreten tönnte, so wäre, ganz abgesehen von der technischen Durchführung, ein Beschluß nicht mehr ausführbar, da die Hinrichtung beffer der Juftizmord in der Nacht vom Montag auf Dienstag vollzogen werden soll. Im übrigen haben sowohl der Pariser   Kongreß wie die dem JGB. angeschloffenen Organisationen rechtzeitig und nachdrücklich Protest erhoben.

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Die Schwester Vanzettis besucht ihn.

Boffon, 20. Auguft.

Der Schwester Vanzettis, Luigia Vanzetti, wurde heute von der Gefängnisverwaltung ein einstündiger Besuch bei dem Bruder ge stattet. Entgegen dem Brauch erhielt Vanzetti die Erlaubnis, aus seiner Zelle herauszufommen, um mit feiner Schwester in einem Flur zusammenzutreffen. Bruder und Schwester umarmten einander und füßten sich. Sie sprachen sehr lebhaft miteinander. Luigia Vanzetti lehnte es nach ihrem Besuch ab, irgend etwas zu erzählen.

Maffenverhaftungen und Attentatsmeldungen. New York  , 20. Auguſt.( TU.) Nach Meldungen aus Chitago ist dort ein neues Bomben attentat verübt worden. Drei Häuser sind beschädigt worden. Ge= tötet wurde niemand. In der Nähe von Boston   find mehrere Radikale verhaftet worden, die angeblich ein Attentat planten. In einem Wald bei Boston   soll die Polizei 400 Pfund Dynamit gefunden haben. Aus zahlreichen amerikani­ schen   Städten kommen Meldungen über massenverhaf­tungen.

Die Polizeikräfte in New York   sind auf 14 000 Mannver= stärkt worden. Ungewöhnlich starke Polizeiwachen sind vor dem Totenhaus in Boston   aufgestellt.

Keine prozentuale Truppenverminderung?( geeinten) Sozialdemokratie geöffnet wird. Die Schaffung eines

Die Rheinlandbesatzung wird nicht wesentlich kleiner. Paris  , 20. Auguft.( Eigenbericht.) Zur Frage der Herabsetzung der Rheinlandbesagung sagt der Temps", daß man eine Herabsehung der Truppen von 70 000 auf 60 000 Mann prinzipiell ins Auge gefaßt habe. Das bleibe aber noch weit hinter der deutschen   Forderung zurüd.

linken Blocks und eine feste Annäherung an die deutsche Sozialdemokratie hat für die Sozialisten, Demokraten und fortschrittlichen Bundesgenossen einen größeren Wert als die zweifel­hafte Mache in einer Bürgerregierung."

Tschechischer Spionageprozeß.

Da aber zwischen den englischen und französischen   Interessen Schwere Strafen für angebliche Aussvähung zugunsten

am Rhein   grundlegende Unterschiede beständen, könnte man v französischer Seite einen bestimmten Prozentsatz für die Herabsetzung nicht anwenden.

Das Journal des Débats  " bestätigt, daß Frankreich  eine Herabsetzung um 5000 Mann in London   vorgeschlagen habe. Die franzöfifche Regierung habe diesem Vorschlag hinzugefügt, daß, fails Deutschland   eine größere Herabsetzung wünsche vielleicht 10 000 bis 12 000 Mann- England die englischen Bejagungstruppen um den noch fehlenden Rest herabsetzen möge.

Sozialisten und Svehla- Regierung. Die tschechischen Genossen bleiben in der Opposition.

Prag  , 20. August.( Eigenbericht.) In der Meldung eines Prager   Blattes über den bevorstehenden Eintritt der tschechischen Nationalsozialen in die Regierung war auch behauptet worden, daß die tschechische Sozialdemokratie bald in die Regierung eintreten werde. Dazu schreibt in dem Oftrauer Organ der tschechischen Sozialdemokratie Abg. Genosse Bechynje:

Niemand von uns denkt an den Eintritt in die Regierung. Wir befinden uns mitten im Rampf gegen die Regierung des Unternehmertums und mir wollen diesen Kampf mit demokratischen Mitteln durchführen. Nach der ein­mütigen Auffassung in unserer Partei muß die Regierung des Unter nehmertums gefturat merden, damit der Weg zu einer neuen

einer reichsdeutschen Organisation!

Prag  , 20. Auguft.( Eigenbericht.)

Vor einem Dreirichterfenat hatte sich der deutsche   Student der

Philosophie Karl Spinta wegen Spionage zu verantworten. Er soll zugunsten einer reichsdeutschen Organisation" in Falkenau und Pilsen   Spionagedienste getrieben und dem Chef der Nach richtengruppe Breslau  , Hauptmann Griebl, Nach. richten über geheim zu haltende Dinge der tschechischen Armee zur Verfügung gestellt haben. Gleichzeitig angeflagt war der Vater des Studenten und sein Freund Casanova. Nach zehnstündiger Berhandlung wurde Spinta   zu 6 Jahren schweren Ker­kers verurteilt, der Vater des Studenten wurde freigesprochen. Der Bantbeamte Cas mova erhielt 3 Monate Gefängnis, die durch

die Untersuchungshaft verbüßt sind.

Deutscher   Protest in Kowno  . Wegen der Rechtsbrüche im Memelland  . Der deutsche Gesandte in Kowno   hat bei der litauischen Re­gierung Vorstellungen erhoben. Es handelt sich um die Verstöße der drei im Memelland   regierenden Instanzen Gouverneur, Kriegstom­mandant und das ohne Bertrauen des Landtags regierende Landes direktorium gegen das Memel   statut sowie gegen die Genfer  Bersprechungen des Ministerpräsidenten Woldemaras. So bald das Ergebnis dieser Aktion vorliegt, wird sich die Reichsregie­rung über eventuelle weitere Schritte schlüssig werden.

Vorwärts- Verlag G.m.b.H., Berlin   SW. 68, Lindenstr.3

Bostichedtonto: Berlin   37 536 Bankkonto: Bank der Arbeiter, Angestellten und Beamten, Ballftr. 65; Diskonto- Gesellschaft, Devontentaffe Linden ftr. 3.

Jenseits des Ozeans.

Volk und Presse in Amerika  .

Noch immer beherrscht das Schicksal Saccos und Vanzettis die öffentliche Meinung in allen Kulturländern. Gespannt horcht man über den Ozean, ob nicht doch ein letzter Augenblick unmöglich mache, was nun schon mehrfach als ganz unvermeidlich und unabwendbar ausgegeben war. Ob nicht doch noch ein Att der Gnade eine Tötung verhindere, die von Millionen als Justizmord empfunden würde. Amerika  - dieses Land, das nach Goethe   feine verfallenen Schlösser und feine Basalte hat, dies Land ohne Sentimentalitäten und von vermeintlich unbegrenzten Möglichkeiten, dies Land der Pinkertons und Trusts, ohne Sozialgesege, aber mit muce­rischem Settengeist erfüllt, dies Amerita ist Gegenstand der Aufmerksamkeit aller, die noch an ein Recht glauben

wollen.

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Zweifellos verbindet Europa   mit Amerika   nicht nur die Schiffahrt, das Kabel, die Aetherwellen, die vollendeten und geplanten Ozeanflüge. Zweifellos leben im Volke der Ver­einigten Staaten Ueberlieferungen aller europäischer Bölker. Und doch ist auch dieser neue Kontinent noch immer ein großes Geheimnis für alle, die auf dem alten leben. Gelegentliche Studienreisen fönnen nur ein schwaches Bild vom Bolls­charakter geben, der unter besonderen und eigentümlichen Ber­hältnissen ganz selbständig und ohne Rücksicht auf frühere Ber­bundenheiten gewachsen ist. Selbst ein umfangreiches Schrift­tum vermag nicht alles zu erklären, was dem ,, Greenhorn" auf amerikanischem Boden fremd und unverständlich erscheint. Selbst die Gewißheit, daß alte bodenständige Demokratie auf dem weiten Gebiet vom Atlantischen bis zum Stillen Ozean  heimisch ist, eine Demofratie ohne fozialen Nebenklang, aber mit start fapitalistischer Note, selbst diese Gewißheit läßt ein großes Fragezeichen angesichts der seltsamen Berirrungen, wie wir sie in dem berühmten Affenprozeß" und in der Juſtiz­tragödie von Boston   erlebten.

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Dieser Tage hatte Berlin   zahlreiche amerikanische   Gäste, die gekommen waren, um deutsche   Verhältnisse in wirtschaft­licher, fultureller und sozialer Hinsicht zu studieren. Auf Ver anlassung der Carnegie- Stiftung hat eine große Zahl a me­ritanischer Journalisten das alte Europa   und auch Deutschland   aufgesucht. Sie wollen hier sehen, hören und erleben, um später die so gewonnenen Eindrüde in irgend einer Form in ihrer Heimat wieder aufleben lassen zu können. Wenn Gäste ins Haus fommen, pflegt man sie freundlich zu begrüßen. Auch diese amerikanischen   Gäste sind hier und an anderen Orten offiziell und inoffiziell begrüßt, bewirtet, unter­richtet worden. Sie haben sicher mancherlei gefehen und er­fahren, wenn sie auch so wenig wie andere Gäfte in die Elendsquartiere der Großstadt geführt wurden, die ihnen deutlicher als die schönsten Reden zeigen würden, wie schwer das deutsche Bolk noch immer unter den Folgen des Weltkrieges zu leiden hat. Aber sie haben Industriemerfe mern wieder ein neues Leben zu erwecken.

besichtigt und den arbeitsamen Willen gespürt, aus den Trüm­

der Bresse   gedacht worden, das Verständnis und die Ber­Bei den Begrüßungsansprachen ist der großen Aufgabe ständigung unter den Völkern zu begründen und zu vertiefen. Auch die hemmungslosesten Nationalisten stimmen zu, wenn von solcher Pflicht in festlicher Rede gesprochen wird. Pflegen begeistert unterstrichen hatten. aber furz darauf selbst zu vergessen, was sie soeben gehört und

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...

Die amerikanische   Presse, deren Abgesandte diese Studienreise durch Europa   unternehmen, iſt, in ihrer Gesamtheit gesehen, selbst für alte europäische  Journalisten nach ein fast unbekanntes Sonderland. Ihre Art ist von der unserer deutschen   Blätter ganz wesensverschieden. 3war greift die Amerikanisierung" auch schon und in oft recht bedenklichen Formen auf das Gebiet der deutschen   Presse über, zwar sucht man auch hier schon das äußere Bild der amerikanischen   Zeitungen nachzuahmen, aber bisher sind das vereinzelte Versuche, die an dem Kern des Amerikanismus im Zeitungswesen nicht herantommen.

In Amerita wuchs das Zeitungswesen mit dem ein­wandernden und siedelnden Volke selbst. Aus dem Gemisch der zusammenströmenden Völkerschichten, aus ihren sich neu­gestaltenden Intereffentreifen und Kulturstufen erstand auch Die besondere Form des amerikanischen   Journalismus, die heute von jener anderer Länder so völlig absticht. Während in Deutschland   und dem größten Teile Europas   an eine selbständige und freie Preffe noch gar nicht gedacht werden tonnte, während der Absolutismus   die Zuchtrute der Zensur über jedem Druckerhause schwang, erkämpften sich die primi­tiven Druderzeugnisse in den Siedlungsstätten Neu- Englands eine so hervorragende Bedeutung, daß man nicht ohne Grund den Satz aussprechen konnte, die Journalisten hätten die Un­abhängigkeit Ameritas pon England erftritten, sie hätten dem