ttr. 412 ♦ 44. Jahrgang Ausgabe& Nr. 210
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Zentralorgan der Sozialdemokrat» feben parte» Deutfchlands
Donnerstag, den 1. September 1927
vorroärts-verlag G.m.b.H., Gerlin EW. bL, Änüenstr.Z Postscheckkonto! Berlin 37 58»-«anNonto:«an« der Arbeiter,»naeftellten und Beamten. Wallstr. 55: Diskonto-Sefelschaft. Deuosttenkast« Lindenftr. 8.
Die Gerichte einer Enttäuschung. Die jüngste Etappe der anglo-russischeu Gewerkschaftsverhandlungen.
Neüaktwn unü Verlag: öerlin SW. H8, Linöenstraße Z i�ernsprecher: Dönhoff Ä0Ä— 2S7.
EW. London , 30. August. Am 5. September tritt in Edinburgh (Schottland ) der Kon- greß der britischen Gewerkschaften zusammen. Er wird von der kontinentalen Arbeiterschaft mit ungewöhnlicher Spannung erwartet. Die Vorkommnisse aus dem Pariser Kongreß des JGB. haben der gesamten organisierten Arbeiterschaft Europas gezeigt, auf welch tragische Weise die Frage der a n g l o- russischen Gewerkschaftsbeziehungen auf die inter - nationale Gewerkschaftsorganisation zurückzuwirken vermag und wie die Meinungsverschiedenheiten zwischen den Briten und den konti- nentalen Arbeitern diesem Probleme gegenüber beinahe die gesamte internationale Organisation lahmgelegt hätte. So kommt zur Orlen- tierung vor dem Kongreß die D a r st e l l u n g gerade zurecht, d i e der Generalrat der britischen Gewerkschaften in seinem Bericht an den Kongreß über die jüngste Etappe der anglo-russischen Verhandlungen gibt. Will man diese Darstellung richttn verstehen, so muß man sie im Lichte der Entwicklung der jüngsten drei Jahre sehen. Die Stellung der britischen Gewerkschaften zur anglo-russischen Zu- sammenarbeit hat in diesen Jahren schrittweise eine merkliche Ver- änderung erfahren: aus dem himmelhohen Feuer der B e g e i st e- rung für die Zusammenarbeit mit den Russen(192S) ist »in Jahr später eine„Pflicht zur Kooperation mit den Russen" geworden und fast möchte es scheinen, als hätte sich jetzt, 1927, der Gedanke an die anglo-russischen Verhandlungen in den Köpfen der führenden Männer zu einem wahren Alptraum ausgewachsen. Die Geschichte der Verhandlungen der Engländer mit den Russen ist, von den Engländern aus gesehen, die Geschichte einer Enttäuschung. In dem umfangreichen Bericht befindet sich ein Memorandum, in dem der Generalrat der britischen Gewerkschaften die Entwick- lung der anglo-russischen Gewerkschaftsbeziehungen im vergangenen Jahre schildert. Dies Memorandum, das am 27. Juli 1927 an den Bundesvorstand der russischen Gewerkschaften gesandt wurde, stellt einen Versuch der Klarstellung der augenblicklichen Situation dar und ist von einem Briese begleitet worden, in dem die russischen Gewerkschaften darauf aufmerksam gemacht werden, daß die Möglichkeit oder Unmöglichkeit der Fortsetzung der seit März unterbrochenen Sitzungen des Gemeinsamen Anglo-Russischen Gewerkschafts-Komitees von der Antwort auf dieses Schreiben abhängen werde. Der britische Generalrat erinnert in diesem Memorandum zu- nächst daran, daß das Gemeinsame Komitee im Jahre 1S2S ge- gründet worden ist. Der Generalrot hat sich hierbei von dem Wunsche leiten lassen, der Verwirklichung der gewerkschaftlichen Einheit zu dienen, indem er seinen Einfluß als Vermittler zwischen der russischen Gewerkschaftsbewegung und dem JGB. einzusetzen gedachte. Im Juni 1926, nach dem Abbruch des englischen General- streiks, hat der Bundesvorstand des Allrussischen Gewerkschasts- bundes einen völlig ungerechtfertigten scharfen Angriff auf den Generalrat veröffentlicht, in dem die Führung des Streiks durch den Generalrat aufs heftigste getadelt worden ist. Gegen diese unberechtigte Einmischung in die internen Verhältnisse der britischen Gewerkschaftsbewegung wurde Einspruch erhoben. Kurz« Zeit darauf hat Tomsky in seiner an den Gewerkschaftskongreß Bourdemouth gerichteten Botschaft einen neuerlichen unprovozierten Angriff gegen die britischen Ge- wertschaftsführer unternommen.„Der Generalrat," sagt das Me- morandum,„wäre also berechtigt gewesen, eine Auflösung des Ge- msinsamen Komitees vorzuschlagen. Er hat jedoch von einem solchen Vorgehen Abstand genommen, um den rußlandfeindlichen Elementen, die damals für einen Bruch der diplomatischen und Handelsbeziehungen mit Rußland warben, keinerlei Vorschub zu leisten. Der Generalrat ist sich jedoch bewußt ge- wesen, daß die britische Gewerkschaftsbewegung vor der Wiederholung solcher Eingriffe in Zukunft gesichert werden müsse. Er hat daher entsprechende Vorschläge formuliert und der Sitzung des Gemeinsamen Komitees(der letzten Sitzung des Komitees) in Berlin , März 1927, unterbreitet. Auf dieser Sitzung haben die Vertreter der Russen ihren.ehrlichen Wunsch beteuert, weitere Reibungen und Mißverständnisse zu ver- meiden und einer Klausel ihre Zustimmung erteilt, die beide Landes- bewegungen gegen Eingriffe in die eigenen internen Angelegenheiten schützen sollte. Dieses Statut ist, wie das Memorandum feststellt, von Tomsky verletzt worden, der am 13. Mai den Gen/ralrat der britischen Gewerkschaften, die Dcle- giertenkonferenz der Gewerkschaften und die führenden Mitglieder der britischen Arbeiterbewegung wegen ihrer Haltung gegenüber dem Gewerkschaktsgesetz angriff. Aufgefordert, hierfür eine Erklärung zu geben,.antwortet« Tomsky mit einer geschwätzigen Polemik und stellte fest, daß er sich durch die Bertiner Erklärungen nicht al» ge- banden betrachte". Am 14. Mai kam ein Telegramm vom All-
russischen Gewerkschaftsbund, das um eine foforfige Einberufung des Gemeinsamen Komitees bat. In der sich daran entspinnenden Korrespondenz schlug der britische Generalrat eine Besprechung der beiderseitigen Vorsitzenden und Sekretäre vor. Am 11. Juni erhielt der Generalrat ein dringendes Telegramm, in dem die Russen kate- gorisch die Einberufung des Gemeinsamen Komitees forderten. Dem Telegramm folgte ein Brief, in dem die Russen mit der Publikation der Korrespondenz drohten. Die Sitzung zwischen den Vorständen und Sekretären fand am 18. und 19. Juni statt. Gleichzeitig veröffentlichte der(kommunistische) „Sunday Worker" die Korrespondenz! Diese Ver- öffentlichung war ohne Autorisation des Generalrates erfolgt„und offenkundig als ein Druckmittel geplant, um den Generalrat in der Frage der Einberufung des Gemeinsamen Komitees gefügig zu machen". Die britischen Gewerkschaftsführer kamen in diesem Stadium zur Ileberzeugung, daß die Angelegenheit nunmehr dem JGB. übertragen werden müsse. Am 28. Juni beschuldigte eine russische Erklärung den Generalrat des„Verrotes". Das Memorandum schließt wie folgt:„Der Generalrat der britischen Gewerkschaften hat in seinen Verhandlungen mit dem Bundesvorstand der Allrussischen Gewerkschaften die aller- größte Geduld und Zurückhaltung bewiesen. Er hat sich zu wiederholten Malen Beschimpfung und bitterste Kritik gefallen lassen und sich hierbei der Gefahr ausgesetzt, daß sein» Haltung.als Schwäche ausgelegt werden konnte. Es ist ihm schwer geworden, eine Mentalität zu begreifen, welche auf der einen Seite zur Zusammenarbeit zwischen den Vertretern der beiden Organisationen aufruft und dabei die anderen öffentlich als Ver- räter, Renegaten und kapitalistische Lakaien bezeichnet. Der Generalrat hat den Versuch gemocht, den Kontakt mit der rstssischen Gewerkschaftsbewegung aufrecht zu erhalten, nicht weil er mit der Gesamtpolitik dieser Bewegung einverstanden war, sondern weil er der Meinung war, die Probleme der russischen Bewegung könnten am besten von den russischen Ar- beitern selbst gelöst werden, wenn diese unbehindert vom Gefühle der Isolation wären, das sich möglicherweise im Falle einer Auf- lösung des Gemeinsamen Anglo-Russischen Komitees einstellen möchte. Dies war der Grund, warum der Generalrat.... die Vorschläge zu einer Erweiterung des Statuts gemacht hat. Aber keinerlei Statut, welches die Beziehungen dieser beiden Bewegungen regelt, kann— wie immer sein Wortlaut formuliert sein mag— wirksam sein, wenn es nicht ehrlich und loyal angenommen und von allen Beteiligten, dem Wortlaute und dem Geiste nach, befolgt wird." Soweit das Memorandum vom 28. Juli und soweit der ofsi- zielle Bericht des Generalrates an den Gewerkschaftskongreß. Die Antwort ist zurzeit von den Russen noch nicht einge- troffen, sie dürfte jedoch möglicherweise in einem Schreiben an den Kongreß zu gewärtigen sein. Es ist deutlich sichtbar, daß die englisch -russischen Beziehungen auf einem toten Punkt an- gekommen sind und man wird mit Spannung erwarten dürfen, ob der Kongreß den Anstoß zu einer völligen Liquidierung der anglo-russischen Beziehungen geben oder den neu zu wählenden Generalrat beauftragen wird, trotz aller Demütigungen und Beschimpfungen von russischer Seite die Verhandlungen von neuem und mit Nachdruck wieder aufzunehmen.
vanservelües iVieüerwahl gesichert. Argentinien südamerikanisches Ratsmitglied. Paris , 31. August.(Eigenbericht.) Am Donnerskag wird in Genf die 4 6. S i tz u n g d e s B ö l k e r. bundsrats zusammentreten. Es ist das lehiemal, daß er iu feiner gegenwärtigen Zusammensetzung tagt. Die Mandate von drei Mitgliedern: Belgien , der Tschechoslowakei und San Salvador sind nämlich abgelaufen. Bach den hier vorliegenden Meldungen glaubt man, daß sicher das belgische Mitglied wiedergewählt werden wird. Der Sitz der Tschechoslowakei wird Finnland und der Sitz des lateinischen Amerika der Repa» blik Argentinien zufallen, wenn diese sich noch rechtzeitig zur Teilnahme an der Bollversammlung entschließt. Das argentinisch« Parlament wird noch dieser Tage über die Entsendung einer Dcle- gation zur Bölkerbundsversommlung beraten. Für den Fall, daß die Entscheidung zustimmend ausfällt, sollen bereits einige in Europa residierende argentinische Diplomaten als Mitglieder der Delegation bezeichnet sein. Der Boranschlag de» Bölkerbunde» für 1928 belauft sich aus 24 873 000 Franken gegen 24)4 Millionen Franken für da» lausende Tahr.
Reichshilfe für Hausherren? Ist die Ha»»szinssteuer eine Mietsteuer?— Zum SteuervereinheitlichungSgesetz. Von Bruno Asch . Dem Reichsrat liegt zusammen mit den Gesetzentwürfest über die Realsteuern der Entwurf eines Gesetzes vor, das die bisher durch die Landesgesetzgebung geordnete Erfassung der Aufwertungsgewinne des bebauten Grundbesitzes reichsrechtlich regeln soll. Zweifellos wird sich der Kampf um diese Steuergesetze mit besonderer Heftigkeit auf das Haus- zinssteuergefetz(Gebäudeentschuldun�sgesetz) konzen- trieren. Seit Iahren wird dieser Kampf bereits in den einzelnen Ländern mit wachsender Heftigkeit geführt. Es ist zu be- fürchten, daß die Aufrechterhaltung dieser Aufwertung»- gewinnsteuer in ihrer bisherigen Höhe unmöglich ist, wenn nicht endlich für eine umfassende Aufklärung der breiten Massen der Bevölkerung über Wesen und Bedeutung der Steuer gesorgt wird. Ist doch immer wieder festzustellen, daß weite Kreise der Arbeiterschaft und der gesamten Mieter- s ch a f t sich in weitgehender Unklarheit darüber befinden und sich gegen die Hauszinssteuer wenden, weil sie in ihr eine Mietsteuer sehen und eine solche als besonders rohe und kulturwidrige Verbrauchssteuer ablehnen, die zudem wie eine Kopfsteuer wirkt. Wäre die Hauszinssteuer tatsäch- lich etwas derartiHes, so könnte der Kampf gegen sie gar nicht entschieden und rücksichtslos genug geführt werden, denn jeder Sozialpolitiker ist sich darüber klär," daß eine derartige Form der Besteuerung geeignet ist, das Lebensniveau der minder- bemittelten Bevölkerung zu senken und gerade den für Ge- sundheit und geistige Entwicklung besonders wichtigen Woh- nungsoerbrauch in noch schädlicherer Weise als bisher einzu- schränken. Auch die moderne Finanzwirtschaft lehnt eine der- artige Form der Besteuerung durchaus ab, und es gab be- reits im Kommunalabgabenrecht Preußens von 1893 das Verbot der Einführung von Mietsteuern. Die Hauszinssteuer aber ist keine M i e t st e u e r� Ihre Beseitigung würde in keinem.Teile des Landes zu einer Senkung des Mietpreisniveaus führen, sondern nur zu einer außerordentlichen Steigerung der Rente des Hausbesitzes und einer riesigen ungerecht- fertigten Bereicherung der Hausbesitzer. Diesen würden die Summen mühelos in den Schoß fallen, die auf Grund der Reichsaufwertungsgesetzgebung den Hypothekengläubi- gern entzogen worden sind. Um welche Beträge es sich handelt, kann nur schätzungsweise festgestellt werden. Der G e s a m t m i e t w e r t der gewerblich und zu Wohnzwecken genutzten Gebäude in Deutschland kann mit rund S M i l- l i a r d e n Reichsmark angenommen wenden; diese Zahl wird auch durch die bisherigen Ergebnisse der Hauszins- besteuerung in den einzelnen Ländern bestätigt. Die K a- p i t a l s u m m e, die durch eine Beseitigung der Hauszins- steuer den gegenwärtigen Hausbesitzern zugeführt werden würde, kann man mindestens mit 2 5 bis 30 Milliarden Reichsmark beziffern. Das find Summen, die den Kampf gegen diese Besteuerung verständlich machen und einen ungefähren Begriff davon zu geben vermögen, wie hartnäckig und mit welchen Mitteln dieser Kampf in der nächsten Zu- kunft geführt werden wird. Die Hauszins st euer muß erhalten blei- den. Die Aufgabe der Gesetzgebung ist es, sie so zu ge- stalten, daß sie mehr als bisher den tatsächlich erzielten Auf- wertungsgewinn erfaßt und damit auf eine möglichst gerechte Grundlage gestellt wird. Die Enteignung des Hypotheken- gläubigers darf nicht zugunsten privater Nutznießer erfolgt -sein. Die Hausbesitzer wollen es dennoch. Dann aber läßt sich die bisherige mühsam gewonnene Regelung des Auf- wertungsrechtes nicht aufrechterhalten. Vielmehr müßte eine Neuordnung stattfinden, die zu den schwersten Wirtschaft- hichen Erschütterungen führen würde. Eine solche Neuregelung könnte nämlich naturgemäß nicht bei der Hypo- thekenaufwertung stehen bleiben, sondern sie müßte den ge- samten Aufwertungskomplex erfassen. Dann aber würde sie unsere Kreditwirtschaft, insbesondere im Verhältnis zum Aus- lakd, in einer unerträglichen Weise gefährden. Die Ent- eignung der Hypothekengläubiger, die der Gesetzgeber durch- geführt hat. weil die Erfordernisse der Staatspolitik dazu drängten, kann vor diesen und dem gesamten deutschen Volke nur verantwortet werden, wenn diese Mittel ahne Ausnahme der Oeffsntlichkeit zufließen. Dringend notwendig ist es allerdings, daß sich diese Erfassung der Aufwertungsgewinne nicht wie bisher auf den Hausbesitz beschränkt, sondern daß man endlich mit dem Versprechen Ernst macht, den gesamten Kreis dieser Gewinne, insbesondere auch bei der Landwirt« schaft, zu erfassen. Der Gesetzentwurf der Reichsregierung unternimmt den Versuch, die» Steuer in der Form neu zu ordnen, daß er sie in zwei Teile zerlegt. Er geht davon aus, daß es Aufgabe dieses Gesetzes sei, zunächst den Aufwertungsgewinn als solchen zu erfassen, und bringt daher je nach der Höhe der