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Nr. 418 44. Jahrgang Ausgabe A nr. 213

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Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands  

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Sonntag, den 4. September 1927

Hindernisse der Gesamträumung.

Der Hauptgegenstand der Genfer   Besprechungen.

V. Sch. Genf  , 3. September.  ( Eigenbericht.) Briand   und Stresemann   hatten heute von 6 bis 17 Uhr ihre erste Aussprache; über ihren Inhalt wurde so gut wie nichts mit geteilt, außer daß beide Minister den günstigen Eindruck der deutsch­französischen. Wirtschaftsverständigung besprochen und ihren Willen befundet haben, die Politik von Locarno   fortzusetzen. Selbstverständ: lich ist in diesem Zusammenhang nicht nur von der bewilligten Truppenreduzierung im Rheinlande gesprochen, sondern auch das Problem der Gesamträumung zur Sprache gebracht worden. Aber beide Minister sind sich dessen bewußt, daß die jetzigen Genfer  Besprechungen nicht die Lösung der Räumungsfrage bringen werden. Auch ist man im allgemeinen darüber klar, daß eine end­gültige Regelung vor den Neuwahlen des kommenden Jahres in Frankreich  , Deutschland  , England und Belgien   nicht erfolgen wird.

Indessen könne und soll die Genfer   Unterhaltung dazu dienen, einmal flar und offen die Frage zu flären, welche Hinder nisse noch auf beiden Seiten überwunden werden müssen. Bisher ist diese wichtige Vorfrage nicht so klargestellt, wie es wünschens: wert wäre. Man hat bislang in Deutschland   den Eindruck ge­wonnen, daß immer neue Argumente oder Vorwände benutzt werden, um die Räumung hinauszuziehen. Einmal ist von den ungeheuren militärischen Sicherheitsgarantien im Rheinlande die Rede, ein andermal von dem fehlenden Locarno   des Ostens", ein drittes Mal von den mangelhaften Sicherheiten gegen eine Richt einhaltung der Reparationsverpflichtungen Deutschlands  , endlich perlangt man einen Verzicht auf den Anschluß Deutschösterreichs an Deutschland  . Diese Mannigfaltigkeit der Argumente mag darauf zurückzuführen sein, daß jeder Politiker sein Stedenpferd mit Borliebe reitet, aber es wird doch bei der öffentlichen Meinung der Eindrud erweckt, daß sich diese verschiedenen Argumente zu­sammenaddieren und das Problem der Räumung immer schwie­riger wird. Man sollte einmal klipp und klar festzustellen versuchen, melche Schwierigkeiten tatsächlich bestehen und wie sie zu über winden find.

Einfluß ausüben fann. Uebrigens lehnt ein größerer Teil der öffent­lichen Meinung in den Weſtſtaaten den Gedanken ab, die militärische Besetzung als ein Zwangsmittel für die Eintreibung von Schulden

aufrechtzuerhalten.

Was nun das Locarno des Ostens" hetrifft, so weiß Briand   sehr wohl, daß keine deutsche Regierung diefelbe freiwillige Anerkennung der deutschen   Ostgrenzen aussprechen würde, die in Locarno   für die Westgrenze erfolgt ist. Auch ist der französische  Außenminister eineswegs gesonnen, sich diese unmögliche Forderung zu eigen zu machen, die Jouvenel auf der Interparlamen tarischen Konferenz aufgestellt hat. Die Franzosen scheinen lediglich den polnischen Wunsch zu unterstützen, daß die gegenseitige Ver­pflichtung Deutschlands   und Polens  , fich auf keinen Fall gegenseitig anzugreifen, fefter geformt werde als im deutsch  - polnischen Schieds­gerichtsvertrag von Locarno  . Man kann sich zwar auf den Stand punkt stellen, daß die Formel von Locarno   eigentlich genüge, aber wenn durch eine noch bestimmtere Formulierung Polen   be friedigt und dadurch die franzöfifche öffentliche Meinung beruhigt werden könnte, so daß hiermit ein wesentliches psychologisches Hindernis für die Räumung fortfallen würde, so würde Deutschland  flug handeln, wenn es in diesem Punkte Entgegenkommen zeigte.

Ob eine solche Formel in einem deutsch  - polnischen Vertrag fest­zulegen wäre, steht noch dahin. Einstweilen weiß man nur, daß der polnische Plan eines allgemeinen Nichtangriffspattes in Paris  der polnische Plan eines allgemeinen Richtangriffspattes in Baris und in Brüssel   bereits unverbindlich besprochen worden ist, seinen Inhalt fennt man aber in Genf   noch nicht. Er dürfte auf Schwie rigfeifen besonders bei England stoßen, dessen konser native Regierung 1924 das Genser Protokoll abgelehnt hat, und es in, femer Form wieder auflehen lassen will.

Wenn es nur darauf ankommt, daß Deutschland   feinen festen Willen. bekennt, Polen   auf keinen Fali anzugreifen und eine Grenzrevision nicht mit Mitteln der Gewalt zu erstreben, so wird die deutsche öffentliche Meinung gern diesen Schritt weiter: gehen, der die vorzeitige Räumung im Westen erreichen fann.

Die entscheidenden Schwierigkeiten dürften in der Frage der militärischen Sicherheit im West en liegen. Hier kann man unmöglich die Räumung von dem noch recht Von den vier angeführten Argumenten dürfte das des Anzmeifelhaften Erfolg der Abrüstungskonferenz abhängig machen oder schlusses, das im Kopfe des Außenpolitikers des Matin" ent- gar von der Bollendung des französischen   Befestigungssystems. Da standen ist und von ihm als Grund für die weitere Besetzung benutzt gegen ist das Problem der militärischen Neutralisierung wird, ohne weiteres fortfallen Man weiß sehr wohl, daß des Rheinlandes von den beiden Regierungen bisher nicht feine deutsche Regierung sich darauf einlassen könnte, ernsthaft beraten worden. Wie in so vielen anderen Fällen so einen freiwilligen und endgültigen Berzicht auf den etwaigen Anschluß auch hier sind die sozialistischen   Parteien der beteiligten auszusprechen, der weiter gehen würde, als der in Versailles   und Länder den Regierungen vorangegangen. Sie haben St. Germain uns und Deutschösterreich aufgezwungene vor= sich im November in Luxemburg   auf einen Gesamtplan geeinigt, läufige Verzicht. der, ohne alle Einzelheiten erschöpfend zu behandeln, immerhin einen Weg zur befriedigenden Lösung dieses schwierigen Problems gezeigt hat. Es wäre gut, wenn die hier zusammentretenden Außen minister und ihre Berater, unter denen mehrer Sozialisten sind, die Luxemburger   Beschlüsse wohl beachteten. Biel  leicht würde sich dann herausstellen, wie verhältnismäßig leicht dieses angeblich entscheidende Hindernis für die vorzeitige Räu­mung des Rheinlandes aus dem Wege geräumt werden kann. ( Siehe auch dritte Seite.)

Auch das Argument der Garantien für die Erfül­fung des Dawes Blans fann nicht ernsthaft aufgestellt werden; mit Recht weist Deutschland   barauf hin, daß der Dawes- Plan  theoretisch noch etwa 60 Jahre laufen wird, die Versailler Besetzungs, frist aber im Höchstfalle nur noch siebeneinhalb Jahre. Andererseits würde eine vorläufige finanzielle Regelung, wie sie in Thoiry etwas oberflächlich besprochen worden war, die Hilfe Ameritas voraussehen und damit indirekt eine ganze Reihe von Problemen einbeziehen, besonders die interallierte Schuldenregelung, auf deren Lösung Deutschland   feinen

Flug Europa  - Amerika   unmöglich.

Courtney in Spanien   gelandet.

London  , 3. September.

Kapitän Courtney wurde heute nachmittag infolge schlechten Wetters gezwungen, in Coruna   an der spani­fchen Küste zu landen. Die Flugzeuginsaffen befinden fich alle wohl.

Der Versuch Courtneys war bisher der bei weitem vernünftigste. Er wurde unternommen mit einem se efesten Wasserflugzeug, versehen mit Funteinrichtung, es waren 3 mischenlandun gen auf den Azoren   und auf Neufundland   vorgesehen. Auch dieser Versuch ist am Wetter gescheitert.

Man muß sich flar machen, daß beim heutigen Stand der Flugtechnik ein Flug Europa  - Ame­rifa nur durch die Gunst besonders glücklicher Zufälle ge­lingen fann. Angesichts der Beweise, die bis jetzt geliefert worden sind, und angesichts der Opfer, die sie gefordert haben, sollte man von weiteren Unternehmungen absehen. Nicht mehr die kühnen und tollkühnen Piloten haben jetzt das Mort, fondern die Ronftrutteure.

Die letzte Nachricht vom ,, St. Raphael".

London  , 3. September. Beim englischen Luftfahrtsministerium, das bereits gestern eine Nachricht von dem Dampfer Jofia Macy" erhielt, wonach dieser im 31. August um 21,44 Uhr auf 53 Grad 15 Minuten Breite und 29 Grad 45 Minuten Länge ein Flugzeug gefichtet hat, ging heute eine neue Mitteilung dieses Dampfers ein, in der präzifiert wird, daß das Flugzeug mit etwa 80 Meilen Stundengeschwindig. teit in etwa 300 Meter Höhe flog. Der Motor habe normal ge­arbeitet, und das Flugzeug, in dem man den St. Raphael" vermutete, müßte also in der Zwischenzeit bereits 1200 Meilen zurüdgelegt haben. Es gab Lichtfignale, um zu zeigen, daß es den Dampfer wahrgenommen habe.( Die angegebene Posi­tion liegt genau in der Mitte des Atlantit zwischen Island  und Neufundland  .)

Der Flug um die Welt.

London  , 3. September. Wie aus Bagdad   gemeldet wird, stieg dort der Pride of Detroit heute morgen zur Fortsetzung seines Fluges über die Welt auf. Das nächste Ziel ist Bender Abbas.

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Neupatriarchalismus.

Von der Tagung des Reichsverbandes der Industrie. A. S. Frankfurt   a. M., 3. September.

Ueber zweitausend Leute hatten die zwei Dutzend Herr­scher der deutschen   Industrie zu ihrer Tagung in Frankfurt am Main   versammelt. Direktoren, Verbandsführer, selb­ständige Industrielle und sonstige Anhänger und Freunde maren erschienen, um für die Forderungen der Unternehmer zu demonstrieren. Es wurden teine Entschließungen gefaßt. Nur Vorträge wurden entgegengenommen, Referate, deren Inhalt und Ton in langwierigen Beratungen des erweiterten Präsidiums vorbestimmt waren. Sie verzichteten auf fub­jeftine Meinungsäußerungen und betonten dafür das dem industriellen Unternehmertum aller Richtungen Ge= meinsame um so deutlicher.

auf das rein Wirtschaftliche beschränkt. Wirtschaft und Politik Wie vorauszusehen mar, blieben die Berhandlungen nicht find ja untrennbar. Der Vorsigende Duisberg bekannte sich our Republif, und Geheimrat Kaftl erläuterte dieses Be­Penntnis durch die Erklärung, daß eine Verfassungsreform nur in der Erweiterung der Reichsgewalt gegenüber den Ländern bestehen könnte. Diese Bekenntnisse sind ein leichter Nachklang zur Rede Silverbergs im vorigen Jahre.

Empfindlicher Widerspruch dagegen, daß die Industrie an diesem Staate festhält, war nicht hörbar. Vielleicht ist das nur der Tatsache zu verdanten, daß es eine fachliche Diskus fion neben den sorgfältig vorbereiteten Referaten überhaupt nicht gab. Jedenfalls wird man darüber machen müssen, ob es den Industrieführern gelingt, fich mit dieser Meinung durchzusehen. Denn auch in Zukunft werden die unterirdi­schen Strömungen bleiben, die bestrebt sind, mit der mirt­schaftlichen Macht der Industrie als Arbeitgeber und Befizer der Produktionsmittel auch politische Ziele zu erreichen.

Borerst macht es sich die Industrie als Ganzes gesehen in der Republik recht bequem. Die Reden waren auf einen Ton geftimmt, der erkennen ließ, daß man wenigstens jetzt und wenigstens öffentlich brutale Scharfmachermethoden vermeiden will. Sieht man von einigen Entgleisungen und einigen Spiegelfechtereien ab, die offenbar noch immer als unentbehrlich gelten, so möchte man sogar die Sachlichkeit und die Ruhe anerkennen, mit der die Unternehmer von der Bühne des großen Frankfurter   Varietétheaters herab ihre Biele proklamierten.

Mit auffälliger Zurückhaltung sprach man zu alien Fragen der Lohnpolitit. Offenbar herrscht im Unter­nehmerlager noch einige Resignation. Man taftet, sich in der neuen Wirtschaft zurechtzufinden. So fonnte ein Redner, Geheimrat Bücher, sogar vor diesem Forum ungestraft die in Deutschland   sonst nur von Arbeitnehmern vertretene These aussprechen. daß hohe Löhne eine Stärkung der Rauf­fraft, eine Bermehrung des Wissens und dadurch eine Er­höhung des Lebensniveaus bedeuten könnten. Freilich folgte fraft, eine Bermehrung des Wissens und dadurch eine Er­sofort der Pferdefuß, die Warnung vor übertriebenen Lohn­forderungen. Doch muß man sich daran erinnern, daß es noch vor wenigen Jahren verpönt war, ähnliche Gedanken auch nur anzudeuten. Es ist, als ob ganz langsam der Ame­ritanismus der Technik, der in der Rationalisierung Deutsch­ lands   Triumphe gefeiert hat, auch für die Menschenökonomie der Industriellen mirffam würde. Diese Menschenökonomie fagt: Wir wollen feine Untergebenen, wir wollen Mitarbeiter. Wir wollen den Menschen am Werk interessieren, ihm einen ausfömmlichen Anteil am Ertrag seiner Arbeit geben, ver­langen aber von ihm, daß er sich bedingungslos dem Betriebe und seiner Technik angliedert. In Amerifa hat dieses Prin­zip vielerorts geradezu grausame Formen für die Arbeitskraft angenommen. Es führte zu einem Berzicht auf jedes Kündi­gungsrecht, ja oft zum Verbot der Koalitionsfreiheit und vor allem zum Verzicht auf jede fruchtbare Sozialpolitit. Solche Menschenökonomie tommt jedoch für Deutschland   nicht in Betracht. Die Gewerkschaften sind start genug, um alle An­schläge auf die Koalitionsfreiheit zurückzuweisen, und die Unternehmer denken selbst nicht mehr daran, die Existenz der Gewerkschaften anzugreifen. Die Sozialpolitik ist, wie Bücher ebenfalls offen zugab, heute in der staatspolitischen Auffassung der Volksmassen so verwurzelt, daß man sie nicht mehr hinwegdenfen kann. Also sucht man das Positive, was der Amerikanismus auf dem Gebiete der Menschenökonomie leisten kann, auf anderem Wege.

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Obschon es Kastl   bestritt, betonte es Bücher um so mehr: das Unternehmertum will auf dem Wege der Werts- und Erziehungspolitik den Arbeiter zur Anerkennung des kapitalisthen Systems zwar nicht direkt zwingen, aber mit einem gewissen Druck zu ihr führen. Es geht dabei um die Seele der Arbeiterschaft. Db man dazu das berühmte Dinta" Institut, die Wertzeitung, Werkpost oder andere Hilfsmittel benugt, man nennt es Erziehung zum wirtschaft­lichen Denken. Man meint aber die Abkehr vom Sozialismus, der den Epigonen der klassisch- bürger­