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Freitag 16. Dezember 1927
Unterhaltung unö �Vissen
Vellage des Vorwärts
Oer Zunge und seine Lehrer. Don Zsigmond Moricz  . Ich habe einen kleinen Täufling, der mir als�'Erbschaft zu- gefallen ist, da er Dater und Mutter verloren hat. Er ist ein sehr lieber kleiner Fratz, viel zu klein noch dazu, um zth begreifen, welch ein Schicksalsschlag es ist. verwaist zu sein, und sein Blut wollt, sein kleines Gehirn arbeitet prächtig, das Leben tobt m ihm. Ich gab ihn in ein Erziehungsinstitut in der Nähe von Budcr Pest und sein Zeugnis wies gleich im ersten chalbjahr lauter Einser aus. Er wohnt dort im Internat und ich war bezüglich seines Loses sehr beruhigt. Was geschieht aber? Plötzlich,.zu Ostern.. bekomme ich ein Mahnschreiben. Ich wurde sehr betroffen und fuhr sofort zu ihm hinaus. Vor allem ging ich In das Internat. Ich«fragte die 2lnfstchts- dame, wie sich das Kind aufführte, ob es nicht lernt?Oh, es lernt sehr fleißig." Und es kann doch nicht die Aufgaben? Na. türlich kennt es sie!" Dann Legt also gegen sein sittliches De- tragen etwas vor?" Durchaus nicht, es ist ein sehr liebes Kind, «in jeder hat es gern." Ich verstand nicht die Sache. Wenn er sich im Internat brav aufführt, was macht er in der Schule? Ich geh« also dorthin und suche seinen Professor auf: »Ich bitte. Herr Professor, warum hat mein klein«? Tauf. junge ein Mohnschreiben bekommen? Der Professor schaut mich an und sagt sehr aufgeregt: »Ja, der.Pfeifer*?... Ich habe fem anderes Zuchtmittel. deshalb habe ich den Eltern ein Mahnschreiben geschickt.* .Warum nennen Sie ihn, Herr Professor,.der Pfeifer*, krage ich etwas gereizt. Ich habe es nicht gern, wenn meinen kleinen Lungen, da» kleine Waisenkind, sein Professor mit einem Spott. «amen erwähnt. Es stellt sich heraus, daß mein kleiner Iuuge einmal am Ende der Stunde, als geläutet wurde, einen lauten Pfiff ausstieß. Vor Freude, frei zu sein. Und der Professor nahm ihm da» ilbel. .Aber um Himmels Willen, im Internat, wo er die ganz« Nacht und den größten Teil des Tages verbringt, ist man mit ihm zufrieden: ist e, denn nötig, ein sechsjähriges Kind wegen eine» Pfiff« in der Schule gleich so zu disziplinieren?* .Bitte, ich bin kein leichtfertiger Mensche* sagte der Professor ganz außer sich, und seine Stimme schmettert, wie die eint» kor- porols,.ich hegte die Hoffnung, daß seine Moralität. angesichts feine» Alter», noch nicht sehr verdorben sein könne und ich behielt ihn zwei Wochen lang im Auge! Ich beschloß, aus ihm einen an- ständigen Menschen zu machen. Und nach zwei Wochen hielt ich dort, daß er noch trotziger war al» in der ersten Minute.... Er weinte... die Tränen rannen ihm aus den Auge».. und als ich ihm sagte, deshalb brauchst du nicht zu weinen, sondern bedanke dich, da antwortete er mir trotzig:.Ich weine nicht.* Da. erst nach diesem, schickte ich da» Mahnschreiben.* Ich betrachtete den Professor. Und ich erinnerte mich an meine eigene Jugend. S» ist schrecklich, wenn sich ein Professor mit feiner ganzen Energie auf den Studenten wirst und es gibt keinen noch so vorzüglichen Studenten, dem er nicht in sener Minute ein Ungenügend ausdiktierea könnte, wann er will. Auch mir ist mein Lateinprosessor gegenüber gestanden und seine Nase war einen Zentimeter von der meinen entfernt und er vergrub seine großen, braunen Augen in die meinen und von seinem nach Tabak riechenden Atem wurde e» mir fast übel: und warum tat er da»? Ich hatte mich nicht vorbereitet. Und er wollte beweisen. daß ich mich nicht vorbereitet habe. Und anstatt iw» unter einem Augenblick festzustellen und mich mit mannhafter Uleberlegenheit zu entlassen, marterte er mich so lange, bis er e» nicht, vor der ganzen ZVasse bestätigt hatte, daß ich den Einser nicht vertziene. auch nickst den Zweier und auch nicht den Dreier. Daß ich gar nichts oerdien«. Nachdem ich aber in der Schule eine» guten Nomen hatte und ein Ansehen genoß und er gezwungen war. mir den Zweier, ja sogar «inen Einser zu geben, denn von der Tagesaufgabe abgesehen stand mein allgemeines Loteinkönnen hoch über das dqr Klasse, röcht« er sich an mir wenigstens dadurch, daß er meine Ehre zerzauste. E» war ein Duell. Und wie ich diesen harten kleinen Professor betrachtete, wurde ich über da» Schicksal meine» kleinen Taufjungen entsetzt: Wie lange wird ein sechsjähriges Kind diesen Kamps mit einem Erwachsenen aushalten? .Ich danke, Herr Professor, für die Aufklärung: ich erkläre Ihnen aber, daß, wenn ein sechsjährige« Kind soviel seelische Kraft, soviel Mannhaftigkeit besitzt, um einen Professor selbst nach dessen zweiwöchiger»Ueberwachung*. wenn es weint, zu erklären, daß es nicht weint, dann ist in diesem Kinde irgendein edle» Ma» terial enthalten. Gut. daß Sie mich daraus aufmerksam machen: ich werde alles mögliche tun. damit es au» ihm nicht verschwinde. dieses Metall und diese« Stählerne.* Der Professor schaute mich mit hartem Ernst an und ich dachte bei mir: Ein Mensch, der nicht lächeln kann, dürfte eigentlich aar nicht den Beruf eines Professors ausüben. Ich nahm das Kind aus dem Internat hinaus und gab es in eine andere Stadt, in«in anderes Institut. Di« ruinierte Ehre ist auch im Leben schwer wieder in Ordnung zu bringen, in der Schule aber schon ganz unmöglich. Das Kind steht dem Professor als unerfahrener, ungeübter Fechter gegenüber und bei jeder ein- zelnen Antwort geht der Kampf auf.Assaut*. Bereits nach zwei Wochen ging ich mich erkundigen, wie es sich aufführt. Der Direktor ist ein lieber, freundlicher Herr. Al» e? erfuhr, nach wem ich mich erkundige, leuchtete sein Gesicht auf: .Der kleine Junge? Das ist ein sehr originelle», liebe» Kind. Al» ich da» erstemal in die Klasse kam. sprang er von feinem Platz auf. lief zu mir, umarmte und küßte mich Ich fragte, wer den» diese» so zugänglich« Kind sei? Die Lehrerin erzählte, daß e» auch sie damit überraschte, daß e» ihr um den Hal» fiel und sie küßt«. Freilich, die kleinen Buben sind eher mürrisch und furcht- fam, und sie freuen sich, wenn sie unbeweglich in der Bank sitzen. Wir müssen sie an uns gewöhnen.* Ich betrachtet« voll Liebe den Direktor: ja, diesen Ton wünschte ich von einem Kindererzieher zu vernehmen. Ich selbst bin demselben, leider, während meiner ganze« Schul- zeit nicht begegnet. Wenn ich an die vielen Schulen zurückdenke. die ich besucht habe, dann sehe ich überall nur harte, schulmeisternde pud strafende Blicke. Zusanunengezogene Augenbrauen: aus den
Taschen hervorgeholte schreckliche Notizbücher: während des Lnt- wortens einen böswillig zuhörenden Professormund: immer der müde, oerdrießliche. zerstreute Gegner, der.Herr Professor*, der Achtung verlangt und erwartet, daß man ihn schon von weitem mit gezogenem Huie begrüße. Der Direktor sagt: JSctf Kind grüßt immer so: Ergebenster Dien«! Ich sage zu ihm:.Schau, mein kleiner Junge, hast du nicht gehört, daß mich hier ein jeder so grüßt: Küß die Hand?* O jal*.Warum grüßest also nicht auch du so?* Daraus erwidert er mir ernst, mutig:.Herr Direktor, ich weiß, daß ein jeder so grüßt; ich werde aber auch künftighin nicht so grüßen.*.Warum?*.Darum. weil wir die Frauen so grüßen: küß die Hand. Aber wir Männer werden einander doch nicht so begrüßen?*... Der Direktor lachte laut, und auch ich lachte. Aber m meinen Augen fühlte ich die Wärme einer Träne. Bielleicht wäre aus mir ein anderer Mensch geworden, wenn auch ich jemals, zur Zeit der Empfänglichkeit des kindlichen Herzens, einer solch warmen, ver. ständigen Seele begegnet wäre.... Ich aber bin im Leben durch einen schrecklich schweren Kampf hindurchgegangen; voller Entsetzen denk« ich daran, wenn ich auch nur für«inen Tag in» Studenten- alter zurückkehren müßte. Nun freilich, nur daß ich nicht solch ein herziges kleines Kind war, obzwar auch ich irgendwie war---- Wie war ich denn nur?... Ich war kein Junge, der zu pfeifen wagte; ich war«in erschrecktes kleines Kind,«in Opfer der alten Erzishungslebr«, das trotzig und störrisch ins Leben hinaustrat und die Strenge des Schick- fals mit wilder Auflehnung entgegennahm, wie ein unrechtes Pro- fcssorskakkül.... Und ich kann tatsächlich auch heute noch nicht für das Ziel kämpien, sondern nur leiden und das Recht abwarten. tP-r-chtigtr llrtrrskftims Mtt R a« r«-i Slcjei.)
Das Flugzeug des taglichen Verkehrs. Wenn die Well heute nicht von Katastrophen spricht, so spricht sie vom Flugzeug. Da» Jahr 1S27 wird in der Geschichte als das Jahr der Popularisierung de» Flugzeuges fortleben. In allen Ländern ist mit einem Schlag« das Interesse für die Fliegerei erwacht, und selbst die Zweifler, die noch vor wenigen Jahren abseits standen, glauben heut« an die seltsamsten und unwahrscheinlichsten Flugprojekte. Nur eine Art de» Fliegens wurde bisher außerordentlich stief- mütterlich behandelt. Es fehlte völlig an Amoteurfliegern. Man hält da» Lenken des Flugzeuges für«ine so ungeheuerliche Kunst, daß sie für den normalen Sterblichen überhaupt nicht in Frage kommt. So kommt e», daß man in Dentjchlond zum Beispiel die Besitzer eigener Flugzeuge fast an fünf Fingern herzählen kann. Es sind sechs oder sieben, die sich neben ihrem Auto ein Flugzeug leisten. Das Haupthindernis ist offenbar die noch stark rückständig: Bodenarganifation, das Fehlen günstiger Flugplätze, durch das
jeder Anreiz zur schnellen Erledigung einer Reife im eigenen Flug- zeug vereitelt wird. Das wird nun auch mit der Zeit anders werden. Das Reichs- Verkehrsministerium, dem auch die Lustfahrt untersteht, hat im Hin» blick auf den sich eniwickelnden privaten Luftverkehr Vorsorge für eine Besserung der Vodenorganijation getroffen, die sich schon in den nächsten Iahren auswirken wird. Fehlt nur noch das billige Kleinflugzeug. Aber auch hier steht schneller Wandel bevor. Die englische Flugzeugindustrie ist diesmal bahnbrechend. Die englischen Kleinflugzeuge, die sogenannten »Motten*, haben außerordentlich günstige Erfolge aufzuweisen. Fast täglich wird der Höhenrekord verbessert, der heut- schon die Grenz« der Rekord« der Groß- und Normaiflugzeuge erreicht und über 8000 Metern liegt. Täglich fast kommen neue Nachrichten über Langstrcckenflüge, die die außerordentliche Leistungssähiakeit dieser Kleinflugzeuge beweisen. Auch die deutsche Flugzeugindustrie hat sich inzwischen dem Kleinflugzeug zugewandt und ihm größere Aus- merksamkeit geschenkt als bisher. Die Kleinflugzeuge nerfügen im allgemeinen über Motoren von etwa 20 PS, d. h. über gewöhnliche Automobilmowren. Ihr Preis beträgt allerdings noch immer fast 10000 Mark. Sobald ober erst genügend Erfahrungen mit iz-n Kleinflugzeugen gesammelt sind, wird man mit dein Typenbau be- ginnen können. Die Folg« ist dann ein« ganz bedeutende Preis- senkung. In Amerika   hat Ford  , der Pater des billigen Automobils, sich bereits der Produktion leichter Serievilugzeuge zugewandt. Seit längerer Zeit werden in den Fordschen Fabriken die Vorarbeiten für das Kleinflugzeug gefördert. Ford selber hat kürzlich in der amerikanischen Presse über seine Pläne mit diesem Kleinflugzeug folgende Ausführungen gemacht: Zurzeit bauen wir(in den Ford-Fabrikenj noch keine Flug- zeuge, denn wir experimentieren noch, um festzustellen, wie am besten«in Flugzeug gebaut wird, dessen Lenkung nicht mehr Ge- schicklichkeit fordert, al» da» Lenken eines Autos. Das Flugzeug soll so billig produziert und verkauft werden, daß der breiten Masse die Anschaffung durchaus möglich ist. Da- Flugzeug soll auch in iinersohreneii Händen vollkommen betriebssicher sein. Wir gehen nur longsam vorwärts, doch immer noch schneller, als bei der' Em- wicklnng de» Automabilbauprogramms. Oer Weg vom Auio zum Flugzeug ist nicht so weit und beschwerlich, wie der Uel, ergänz vom Pserdewagcn zum Auto. In erster Linie kommt es überhaupt nur auf das Problem der Sicherheit des Flugzeuges an. Folgende Richtlinien haben wir uns selbst gezogen: 1. Die Schaffung einer vollkommen feuerfesten und zuverlässigen Kon- struktion, die jeder Wetterlage gewochsen ist, 2. der Bau einer Motorenansage, die niemals aussetzt. Die Sicherheit der Motoren- anlöge soll durch Einbau mehrerer Momre erhöht werden. 3. Die Erreichung einer Geschwindigkeit von 170 Kilometern in der Stunde. bei voller Belastung mit nur 75 Proz. der Motoreuleistung, 4. der Führersitz soll ganz vorn angebracht werden, um bei vom zu erwar- tonden starken Flugverkehr dem Führer uiigehinderte Sicht zn ge­währleisten, 5. die Ermoglichung einer Zulas« von 2 Kilogramm je PS mit Brennstoff für sechs Stunden, ß. die Möglichkeit, täglich 20 Stunden in der Luft zu bleiben. Nach Ansicht von Ford wird das Fl'.ia.zeug in nicht zu langer Zeit ebenso zu unserem Leben gehören, wie heute da? Auto.
Mutungen ohne religiöse Ekstase. Vorführungen des schleichen Bergmannes Vaul Diebel»
Um Konnersreuth   ist es still geworden. Auch die Voraussicht- 6 che, verdientermaßen empfindliche Verurteilung des Gleiwitzer Redakteurs, der dem kranken Bauenmiädchen ein uneheliches Kind nachgesagt hat, wird ihren Ruhm nicht auffrischen kömieu. Modi- zinisch ist der Fall Konnersreuth   endgültig begraben worden durch den Artikel des Erlanger   Psychiaters Ewald in der»Miinchener Medizinischen Wochenschrift* vom 18. November. Menschlich be- trachtet wird der Fall zu End« sein, wenn die Kranke, trotz de» Widerstandes ihrer Umgebung, in einem Srankenhaufe von ihren religiösen Zwangsvorstellungen und damit auch von deren körper- lichen Folgeerscheinungen befreit wird. Aber der Fall Konners- reuth hat auch ein« öffentliche Bedeutung. Hier wurde unter wohl. wollender Duldung des Klerus mit Mitteln antiquierten Heiligen- glauben» versucht, den suggestiblen Massen ein göttliches Wunder vorzutäuschen. Auch heute noch, nachdem die medizinische Wissen- schast längst festgestellt hat, daß es sich bei allen an Therese Ren- mann beobachteten Phänomen um zwar seltene, aber durch- aus natürliche Erscheimmgen auf psychogener Grundlage handelt, wird immer noch von interessierter Seite ein Fall konstruiert, der nur durch den Glauben und nicht mit der praktischen Verniinit zu verstehen sei. Nun kommt au» dem schlesischen Bergorbeiterdors Nieder­hermsdorf bei Waldenburg   ein einfacher Arbeiter, der alle an Therese Neumami beobachteten Erscheinungen ohne jede Zuhisse- nahm« religiöser oder sonstiger Ekstasen imitiert. Dieser 32jährig« Arbeiter Paul Diebel, der in wenigen Tagen in Berlin   öffentlich auftreten wird, imitiert nicht nur Therese, er übertrifft sie sogar. Ein junger sympathischer bildungshungriger Mensch, der in seinen Mußestunden ganz gute Gedichte macht und etwas unbeholfen Violine spielt.Was soll ich Ihnen zeigen?* fragte er unseren Berichterstatter.»Alle»!* Er entblößt seine Bnist. Nach wenigen Sekunden erscheint ein große» blutrote« Kreuz aus der Haut. Buch- stnben und wo» man sonst noch wünscht. Unser Mitarbeiter winkt ab:»Dermographie? Da hoben Sie viele hundert Oorgänger. Blutungen.'* Diebel entkleidet sich und während er sich unterhält. entsteht aus seinem Oberschenkel ein dunkler Fleck. Einig» So- künden vergehen, dann tritt Blut aus der Haut!»Können Sie an jeder Stelle Ihres Körpers Blutungen erzeugen?* Diebel ant. wartet mit einer Gegenfrage:Wo soll ich bluten, Herr Doktor?* Ich nenne Hand. Fuß, Augen und während er sich Zigaretten rauchend mit mir unterhält, beginnen diese Stellen zu bluten. Während wir uns weiter unterhatten, lasse ich den Photogrophen Ausnahmen machen, darunter auch die erst« jemals gemacht« Auf- nahm« von außerhalb der religiöse» Ekstasen erzeugten willkürlichen Augenblutungen. Paul Diebel oder richtiger Tin Dolor, wie er unter seinem Künstler*-Namen bald heißen wird, kann aber nicht nur Willkür- Ilch Blutungen erzeugen, er kann sich auch Verletzungen zu- fügen, ohne daß Blutungen entstehen und ohne daß er Schmerzen empfindet. Er nimmt zum Beispiel einen dünnen Dolch und stößt ihn mitten durch den Ann. Manchmal trifft er den Knochen, dann muß er e»»och einmal versuchen. Er hat kein« Angst vor Blut-
vergifmng, er hott irgendeinen Nagel und nagell seinen Fuß mit kräftigen Hammei schlügen an ein Brett, ohne daß ein Bluts- tropfen hervorquillt und ohne sein.n Gesick'tsousdruck auch nur un geringsten zu verändern. Dieses Experiment hat er übrigens schon vor längerer Zeit Dr. Magnus Hirfchselb und anderen vorgeführt. Wenn man Diebel fragt, wie er das mache, dann zuckt er mit den Schultern:.Fich will eben, daß eine bestürmte Stella blutet oder daß sie nicht blutet und dann gehorcht mein Körper. Irgend- welch« Schmerze  » empfinde ich nicht dabei, nur hinterher eine gewisse Abspannung. Woher diese Fähigkeit kommt, weiß ich nicht. Ich habe sie überhaupt nur durch einen Zufall entdeckt. Bar Jahren, als ich in russischer Äriezsgesangenschaft war. beging-ch durch Aus­schneiden der Pulsadern einen Selbstmordversuch. Aber dann packte mich auf einmal wieder die Lebenslust und dieser Wille zum Nickst- verbluten war so stark, daß die Blutung aus einmal stockte. Spater in Deutschland   habe ich djes« Fähigreit planmäßig weiter entwickelt. Aus das Erzeugen von Blutungen kam ich erst, als ich Therese Neumann   gesehen habe. Die Stigmata an Händen und Füßen will- kürlich zu produzieren, gelang mir bald. Das Schwierigste waren die Augenblutungen. Das kann ich erst seit acht Tagen." Paul Diebel, auch noch dein Urteil bekannter Acrzte, wie Sani- tätsrat Hirschfeld, Berlin   und Dr. Prager, Breslau  , ein durchaus unhysterischer, ungewöhnlich klarer und aufrichtiger Mensch, prahlt nicht. Alle Angaben über seinen Entwicklungsgang stimmen. Die breite Narbe von dem Selbstmordversuch ist heute noch zu sehen, und schließlich sind sein« Experiment« und die Bereitwilligkeit, mit der er sich dabei kontrollieren läßt, der beste Beweis. Er imitiert nicht rnf Therese von Kounersreuth, sondern er übertrifft sie bei weitem. Daß er sich überhaupt mit diesen Experimenten beschäftigt, geschieht nicht aus irgendeinem Geltungsdrang heraus, sondern weil er seüte materielle Lage verbessern will und weil er ein gewissermaßen un- persönliche, Interesse an den seltenen� Fähigkeiten seines Körpers hat. Denn diese Fähigkeiten sind nur selten, sie sind ebensowenig wie die Theres« Neumonn» übernatürlich. Aber dadurch, daß Diebel die- selben Erscheinungen, die alle 63 mehr oder minder echten Stigmott- sierten der kotholischeu Kirche von Franz von Ässissi bis zu Theres« van Konnersreuth   hervorbrachten, ohne religiöse Prätensionen unter der Kontrolle des Arztes produziert, hat er der Wissenschaft einen unschätzbaven Dienst geleistet. Wenn wir feine Fähigkeiten vom Standpunkt de« gesunden Menschenverstandes betrachten, ja unter» scheide» sie sich nur graduell von den alltäglichen Leistungen unsere» eigenen Körpers. Gerade die Haut steht ja in-besonders engen Be- ziehungen zum Nervensystem. Und wenn wir z. B. unter dem Ein- fluß einer Stimmungsänderung plötzlich erblassen oder erröten, so ist es eigentlich dos Gleiche wie wenn Paul Diebel seiner Haut und seinen Blutgefäßen besichlt, zu bluten oder nicht zu bluten. Hoffent­lich wird das össentiiche Auftreten Diebels es für alle Zeiten un- mögllch machen, daß allzu Leichtgläubige in zwar seltenen aber durchaus noiürlichen Erscheinungen de» menschlichen Körper» gött- lich« Wunder sehen. Wenn wir so wollen, ist unser ganzes Leben ein Wunder, und alle sei««eußerungen sind gleich wundervoll.