Morgenausgabe 119
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Nr. 21 A11
45. Jahrgang
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erscheint wochentäglich weimal
Sonntags und Montags einmal
Freitag 13. Januar 1928
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Wachsende Arbeitslosigkeit.
Abschwächung der Konjunktur oder Saisonerscheinung?
Amtlich wird mitgeteilt: In der Arbeitslosenversiche. rung stieg die Zahl der männlichen Hauptunterstüßungsempfänger vom 15. Dezember bis 31. Dezember 1927 von etwa 709 000 auf 1 037 000, also um 64,3 Prozent, während die Zahl der weiblichen Hauptunterstützungsempfänger nur um 24,4 Prozent zunahm( von 121 800 auf 151 500). Jusgesamt betrug also die Zahl der unterstützten Arbeitslosen in der Arbeitslosenversicherung am 31. Dezember 1927: 1 188 500.
Bie wir erfahren, hat ein Teil der zur Berschickung bestimm
Monat beziehen. Dieser Betrag ist das offizielle Höchstgehalt für Kommunisten, da sie nicht ,, als Bourgeois leben" follen. Allerdings wird diese Gehaltsgrenze bei den Machthabern durch Natural zulagen wesentlich überschritten.
ten Altbolschewifi den Weg in die Berbannung bereits antreten müffen; so der sehr bekannte Feuilletonist Sosnowski, der ebenso wie zwei andere Berbannte von zahlreichen jugend lichen Anhängern der Opposition auf den BahnKarl Radet ist gleichfalls noch in Moskau , und seine Woh In der krisenunterstühung stieg die Zahl der männ- hof begleitet wurde, die aus ihrer Sympathie mit den Bernung ist das Stelldichein zahlreicher Besucher, die dort geradezus. bannten durchaus tein Hehl machten. Bersammlungen abhalten. Die Tscheka ist von diesen Versamm Sinowfew und Kamenew sind nach dem kleinen fautaft- lungen um so sicherer unterrichtet, als ein Teil der Besucher sicher schen Ort Such um verschickt worden. Dort gibt es fast gar feine lich in ihrem Solde steht! Arbeiter, und die ehemals Allmächtigen werden dort unter Bolizeiauffift stehen.
fichen Hauptunterftüßungsempfänger von 141 000 auf 177,000 oder um 25,4 Prozent; die Zahl der weiblichen Hauptunterstützungsempfänger von 30 400 auf 34 400 oder um rund 13 Prozent. Ins gefamt betrug also am 31. Dezember 1927 die Zahl der Hauptunter. ffüßungsempfänger in der Krifenunterstützung 211 400.
Die starte Zunahme der unterstützten Arbeitslosen erklärt fich einmal aus weiteren Zugängen aus den falsonmäßigen Berufen. Die Einstellung der Bauarbeiten wirkt sich offenbar jetzt auch in den Baunebengewerben aus. Auf der anderen Seite ist der Umfang der Beschäftigung in den Industrien, die faifonmäßig mit dem Weihnachtsgeschäft verbunden sind, insbesondere in der Möbelindustrie, der Spielwarenindustrie und im Nahrungs- und Genußmiffelgewerbe merklich zurüdgegangen. Ob darüber hinaus in der Zunahme der Arbeitslosigkeit auch eine beginnende Abschwächung der konjunktur zum Ausdrud tommt, läßt sich zurzeit noch in feiner Weise übersehen.
Westarps Wahlangst.
Er will mit einer franzöfifchen Linksregierung verhandeln.
Graf Westarp hat in Raffet eine Rede gegen die Wahlen gehalten. In seiner Angst vor der Wahl hat er sich den Wiz geleistet, den Bürgerblod für den passenden Berhandlungspartner einer französischen Linksregierung zu er
flären:
,, Wenn die französischen Wahlen eine Regierung bringen sollten, die den berechtigten deutschen Ansprüchen auf Räumung und Abrüstung geneigter sei als die jeẞige, fo tomme viel darauf an, daß im Juni nicht eine Regierungsfrise und unsichere Berhältnisse nach der Neuwahl herrschten, sondern, daß dann eine verhandlungsfähige Regierung vorhanden fei. Das tönne unter den gegebenen Umständen nur die jeßige Regierungsfoalition sein."
Weftarps Koalitionsfreund Stresemann ist anderer Ansicht. Er fam nach den Besprechungen mit Briand aus Genf zurück mit der Ueberzeugung, daß der Reichstag im Frühjahr aufgelöst werden müsse, damit der neuen französischen Regierung eine feste, vom Bolk in Reichstags wahlen begründete deutsche Regierung gegenüberstehe und zwar in anderer Zusammensetzung als die Regierung von heute.
Eine Büberei in Brüffel. Hochschulbuben überfallen eine Ausstellung.
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Brüssel , 12. Januar. ( Eigenbericht.)
In der vorigen Woche wurde in Brüssel eine recht interessante Sowjetausstellung eröffnet, die das wirtschaftliche, gesellschaftliche und fulturelle Leben Sowjetrußlands illustrieren soll. Am Donnerstag nachmittag begaben sich nun etwa 100 fashistische Studenten zur Ausstellung, verschafften sich mit Gewalt Eingang und zertrümmerten Fensterscheiben, Bücher, Bilder, statistische Tabellen und sonstige ausgestellte Gegenstände. Zum Glück wurden die faschistischen Vandalen durch ein Alarmsignal ihrer draußen gebliebenen Kameraden verscheucht, ehe sie die wertvollsten Kunstgegenstände vernichten fonnten. Die Bolizei glänzte durch Abwesenheit. Kurz darauf begab sich der Bürgermeister an Ort und Stelle. Eine strenge Untersuchung ist eingeleitet.
Die Arbeiter find über diesen Bubenstreich empört. Man ist entschlossen, derartige Methoden in Belgien auf keinen Fall einreißen zu lassen.
Vorsteherwahl im Rathaus. Aussprache über die Explosionsfatastrophen.
In der Berliner Stadtverordnetenverfammlung wurde gestern der Borstand altem Herkommen nach neu gewählt. Borsteher blieb unfer Genosse Haß, der alle abgegebenen gültigen Stimmen erhielt. In die Stellvertreterposten teilen fich Deutschnationale, Demofraten und Kommunisten; die letzteren stimmten in diesem Jahr für den Genoffen Haß, nachdem fie ihm 1927 die Stimmen verweigert hatten
Die Bersammlung behandelte dann eine fozialdemokratische Anfrage wegen der Explosionen in der Landsberger Allee and in Dahlem
Trofi wohnt noch in Mostau, und zwar in der früheren Wohnung des gewesenen Innenministers Bjeloborodow, der jetzt als Mechanifer in einer Fabrit arbeitet. Die materiellen Verhältnisse Trogkis sind nicht so dürftig, wie vielfach angenommen wird; er hat noch Einfünfte vom Staatsverlag, in dem seine Werte erschienen sind, darf jedoch nicht mehr als 200 Rubel im
Protest der KPD. - Opposition.
Das Reichsorgan der fommunistischen Opposition veröffentlicht an der Spizze des Blattes einen Protest gegen die Berbannung der russischen Oppositionellen, die als ein Verbrechen an Lenins Erbe und an der internationalen Arbeiterbewegung bezeichnet wird.
Paris , 12. Januar. ( Eigenbericht.)
In der Donnerstagsfigung der Stammer, die schon durch die vollzählige Anwesenheit der Minister, mit Ausnahme Painlevés, ein großes politisches Ereignis anfündigte, hielt Präfident Genoffe Buisson seine Antrittsrede. Er gab einen Rüdblic, auf die Arbeit des Parlaments im vergangenen Jahre und betonte vor allem die von der Kammermehrheit der Politik Briands gewährte Unterstüßung. Das Recht der parlamen tarischen Kontrolle sei unversehrt und unbestritten geblieben; es möge auch in der Zukunft, zumal wenn die Revision des Dawes Blanes zur Debatte stehen sollte, so bleiben. Hierauf würdigte Buisson die Fortschritte auf finanziellem Gebiete, erflärte jedoch, daß die Steuerlaften auf Konsum und Erzeugung zu schmer seien und eine Aenderung des gegenwärtigen Steuerfystems in der nächsten Zeit unerläßlich sein werde. Unter den Arbeiten, die die Kammer vor den Neuwahlen noch zu leisten hat, hob der Präsident die Erledigung der Sozial versicherung und des Siedlungsgesetzes hervor. Die Rede wurde
mit großem Beifall aufgenommen.
Die Sigung wurde dann unterbrochen, um den Ministern, Sie Senatoren sind, die Teilnahme an der Wahl des Präsidiums zu er möglichen. Inzwischen herrschte innerhalb und außerhalb des Rammergebäudes große Erregung wegen der Entscheidung über das Schicksal der verurteilten fünf fommunistischen Abgeord neten, von denen Cachin und Baillant Couturier er schienen waren. Die Polizei hatte wiederum außerordentliche Maßnahmen ergriffen. Ganz Paris macht sich darüber luftig.
Als die Sigung wieder eröffnet war, forderte Genosse Uhry die Aufrechterhaltung der 3mmunität auch der fommunistischen Abgeordneten. Der Justizminister ersuchte um Ablehnung des sozialistischen Antrages und stellte die Vertrauens frage.
Im weiteren Verlauf der Debatte steigerte sich die Erregung. Als Justizminister Barthou gesprochen hatte, fam Cachin zum Wort, der in geschickter Weise dagegen protestierte, daß die Regierung ihn abwechselnd im Gefängnis, in der Kammer und wieder im Gefängnis haben wolle. Die Kommunisten würden sich zu einem solchen Spiel nicht hergeben, und nichts werde sie von der Ausübung ihrer Pflichten abhalten:„ Wir sind hierher gefchickt worden, um unsere Ideen ehrlich zu vertreten; unsere Wähler sind ebensoviel wert wie die Ihrigen sie haben das Recht, hier vertreten zu sein!" Dann besteigt
die Tribüne, dessen Ausführungen außerordentlich starten Eindrud machen. Er verlangt die Beobachtung der Berfaffung, die nur eine Deutung, die Aufrechterhaltung der parlamentarischen Immunität. zulaffe. Die Regierung stelle die Bertrauensfrage nur, uin jene Abgeordneten, deren Stellung fie nicht sicher wäre, zur Stimmabgabe für sich zu zwingen. Den Radikalen ruft Blum zu: Hier sollen Abgeordnete auf Grund jener Ausnahmegeseze verurteilt werden, deren Beseitigung Sie gefordert haben. Ihr Repulifoner molt das afzeptieren? Ich fann es nicht glauben!" Ministerpräsident
Poincaré springt cuf, Blum aber spricht weiter, indem er den Unterrichtsminister Herriot persönlich apostrophiert, der einmal den Präsidentenstuhl der Kammer verlassen hatte, um gegen die von Caillaur zur Sanierung der Finanzen geforderten Ausnahmegeseze zu protestieren. Blum fragt Herriot direft, ob er, nachdem er damals burch sein Auftreten den Sturz des Kabinetts herbeigeführt hatte, wieder für das Recht der Immunität in die Arena steigen mürbe. Blum schließt mit den Worten:„ Das politische
Problem stellt sich in feiner gauzen Bedeutung dar; die Republis faner müssen es lösen."
Die Aufregung hat ihren Höhepunkt erreicht. Die Lage der Regierung ist fritisch. Da verlangen ihre Freunde Unter brechung der Sigung, die beschlossen wird.
Die radikale Fraftion trat eiligst zusammen, auch Poincaré und Stunde wird die Kammerfizung wieder aufgenommen. Poincaré Justizminister Barthou waren in der Beratung. Nach einer halben vertritt nochmals den Standpunkt der Regierung. Nach einer kurzen Rede des Präsidenten der Radikalen Partei, Daladier , in der er die Ausnahmegesetze ablehnt und erklärt, gegen die Regierung stimmen zu müssen, tommt es zur Abstimmung. Die ergibt die
Ablehnug des fozialistischen Antrags mit 310 gegen 227 Stimmen.
Diese relativ große Mehrheit für die Regierung fann nur damit gegenwärtigen Augenblick zurückschreckt. Hierauf beantragt Uhry. erflärt werden, daß die Kammer vor einem Sturz Poincarés im baß die verurteilten Kommunisten erst nach Ablauf der Wahlperiode verhaftet werden dürfen. Aber auch dieser Antrag wird mit 298
gegen 229 Stimmen abgelehnt.
Beim Berlassen des Kammergebäudes wurden Cachin und Baillant- Couturier verhaftet und im Automobil ins Gefängnis gebracht.
Ein großes Polizeiaufgebot hielt den Play besetzt. Immerhin hatten sich gegen 1000 Personen versammelt, die im Augenblick der Verhaftung„ Es lebe Cachin!" riefen.
Die Kammerabstimmung dürfte zu einer
Krise in der Radikalen Partei führen. Ihr Präsident Daladier soll seinen Rücktritt beabe fichtigen, weil ihm die Frattion nicht gefolgt ist. 60 Radikale stimmten für die Regierung, nur 44 gegen sie, während sich etwa 30 der Stimme enthielten. Auch Herriot fühlt sich als Mitglied des Kabinetts Poincaré nicht mehr genügend von seiner Partei unterſtützt.
Der Senat wählte Doumer mit 215 von 252 abgegebenen Stimmen zum Präsidenten wieder.
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Mit diesem scharfen Borgehen hat die Regierung Boincaré lediglich den Kommunisten selber einen unschäzbaren Dienst erwiesen. Die verhafteten kommunistischen Abgeordneten werden ihr Los um so leichter tragen, als das sogenannte politische Regime" im Santé- Gefängnis eine recht harmlose Angelegenheit ist. Die politischen Gefangenen bewohnen eine besondere Abteilung der Strafanstalt, fie genießen innerhalb dieser Abteilungnahezu jede Freiheit und machen davon einen sehr ausgiebigen und fidelen Gebrauch. Man darf jederzeit und ohne jede Ueberwachung so viel Besucher empfangen, wie man wünscht, man fann sich selbst beköstigen, und wenn einer täglich feinen Zeitungsartitel schreiben will, wird deffen rechtzeitige Uebermittlung an das Blatt ohne weiteres besorgt. So wird die Humanité" von Cachin und Vaillant- Couturier in nächster Zeit vielleicht mehr Auffäße veröffentlichen, als wenn sie in Freibeit wären. Wir bezweifeln nicht, daß der jezt nach Sibi rien deportierte atomiti, der noch vor drei Monaten in Paris meilte und vor dem Cachin fagbudelte, gern mit