Morgenausgabe
Nr. 166
A84
45. Jahrgang
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Vorwärts
Berliner Boltsblatt
Sonnabend
7. Apríl 1928 Groß- Berlin 10 Pt. Auswärts 15 Pf.
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Sächsische Industrie kauft Mandate Kriegsschulden und Räumung.
200000 Arbeiter werden wegen Lohnforderungen ausgesperrt- aber Geld für hatte Briand angekündigt, daß das Problem der Weltkriegs einen Millionenforruptionsfonds ist vorhanden!
Herr Stresemann hat vor kurzem die Abhängigkeit der bürgerlichen Parteien von den Mächten des Kapitals beflagt. Er hat die Unternehmer beschuldigt, daß sie um Geld Mandate taufen. Angesehene Politiker müssen zurüdtreten, um Männern Blaz zu machen, die für die Mandate bares Geld zahlen- das war sein Notschrei.
Herr Stresemann, ber jahrzehntelang Syndifus des Berbandes Sächsischer Industrieller war, muß es wissen. Jetzt wird der Anlaß bekannt, der ihn zur Flucht in die Deffent lichkeit gezwungen hat. Unser Chemnizer Parteiblatt veröffentlicht das folgende Schriftstück: Verband Sächsischer Industrieller
Chemnih, den 15. März 1928,
Betr. Errichtung eines Wirtschaftsfontos des Berbandes Sächs. Industrieller
Bir beziehen uns auf das Ihnen von unserer Hauptgeschäfts
fehr notwendigen fonft geleisteten einzelnen Beiträge für bestimmte Parteien davon in feiner Weife betroffen werden follen. Hochachtungsvoll
Berband Sächs. Industrieller, Orfsgruppe Chemnih. Der Vorsitzende: Die Geschäftsführung: gez. F. Bogel. gez. Dr. Frizz Marschner. Mit diesem Wahlfonds soll bei der Kandidatenaufstellung ein Drud auf Deutschnationale und Deutsche Volkspartei ausgeübt werden. Beide Parteien waren im alten Reichstag durch folgende Abgeordnete vertreten:
Wahlkreis Dresden . Deutschnationale: Quaab, geb. Regie rungsrat; Domsch, Gutsbesiger; Hartmann, Gewert. schaftssetretär, Barth, Amtsgerichtsrat. Deutsche Bolkspartei: Heinze, Staatsminister a. D.; Dr. Schneider, Synditus des Berbandes fächsischer Industriel
[ er.
In seiner großen Rede vor dem Senat Ende Januar schulden noch vor Ende des Jahres 1928 neu aufgerollt wer den würde. Er dachte dabei offenbar nicht nur an die von Parter Gilbert empfohlene Revision des Dawes- Planes, insbesondere an die Festsetzung der noch immer offen gelassenen Endsumme der deutschen Reparationen, sondern auch an eine gleichzeitige Regelung des interalliierten Schuldenproblems. Da aber Briand weiß, daß vor den amerikanischen Präsidentschaftswahlen, die Anfang November 1928 stattfinden, die unerläßliche Mitwirkung der Bereinigten Staaten unmöglich ist, so hat er als Termin für den Beginn solcher Verhandlungen das Ende des laufenden Jahres bezeichnet. Bisher hat sich die amerika nische Regierung, vor allem der Schaßsekretär Mellon, allen Plänen, die auf eine Verquidung der beiden über verhalten. Er versteift sich darauf, 3 un ä ch ft alle Schuld Fragen hinzielen, sehr fühl und sogar ablehnend gegen ausgearbeiteten Schuldenregelungsabkommen zu zwingen. ner der Vereinigten Staaten zur Ratifizierung der von ihm Das ist ihm bisher bei allen Schuldnern gelungen- mit Ausnahme Frankreich 5. Eine Aenderung dieser Tattit ist vor der Präsidentenwahl nicht zu erhoffen.
An diesem starren Standpunkt der offiziellen
fielle zugegangene Rundschreiben Z. M. 3/28 vom 15. Februar. rat; Hoesch, Professor. Deutsche Volkspartei : Dr. Wunder Kreise in Washington ist seinerzeit die Fortführung der Verlich, Landgerichtsbirettor; Thiel, Angestelltenverhandlungen von Thoiry gescheitert. Dagegen stehen ein
Seit Absendung dieses Rundschreibens besteht Gewißheit darüber, daß der Reichstag vorzeitig aufgelöst und vermutlich Neuwahlen im Mai ausgeschrieben werden. Um so dringender ist es erforderlich, daß die vom Verband eingeleitete Sammlung zur Unterffügung industrieller kandidaturen mit aller Energie fortgefekt wird. Gemäß den Absichten des Gesamtvorstandes follen
mit diesen Mitteln diejenigen Barteien unterstützt werden, die sich bereit erklären, Juduftrielle an fichere Stelle in ihre Reichstagswahlliffe zu sehen. Die Industrie mar bisher im Reichstag ganz außerordentlich schwach vertreten im Gegensatz zu der Landwirtschaft, Handwerk, Angestellten- und Beamtenschaft. Nach Beschluß des Gesamtvorflandes in Dresden , dem fich der Vorstand der Ortsgruppe Chemnih
treter.
Wahlkreis Chemnih. Deutschnationale: Biener, Bäder. meister; Rademacher, Bergwertsdirektor; Diege, Rit. tergutsbesiger. Deutsche Volkspartei : Brüninghaus, Syn. difus, Admiral a. D., Findeisen, Raufmann.
Ein einziger Industrieller und zwei Syndizi waren bisher von diesen Parteien in den Reichstag gewählt. Nun soll unter chub vorgenommen werden, Mandate für Scharfmacher dem Druck der Kapitalsmacht ein großer Abgeordneten und ihre Syndizi sollen gekauft werden. Daher der Notschrei Strejemanns!
Jetzt versteht man, warum 200 000 fächfifche Metall. arbeiter ausgesperrt werden sollen!
flußreiche finanz fapitalistische Kreise, vor allem die New Yorker Bantwelt, diesem Gedanken um so sympathischer gegenüber, als sie bei einer solchen generellen Regelung des Weltkriegsschuldenproblems wieder einmal ein fettes Geschäft machen würden.
Es war bisher nicht ganz flar, inwieweit das französische Gesamtministerium mit dem Gedanken Briands einverstanden Rammer erklärt, daß die Gesamtsumme der deutschen Reist. Noch vor wenigen Monaten hatte Poincaré in der parationen durch die Reparationskommission auf 132 Milliarden festgesetzt worden sei und daß diese Ziffer nach wie vor gelte. Das klang wie eine Antwort auf die Bestrebungen des Reparationsagenten Parker Gilbert zugunsten einer ReSumme auf Grund der inzwischen gesammelten praktischen Ervision des Dawes- Planes und einer Festsetzung der EndKorfahrungen. Eine Verbindung des Reparationsproblems mit dem interalliierten Schuldenproblem, die zu Neujahr 1923 bom damaligen britischen Premierminister Bonar Law vorgeschlagen worden war, hatte Poincaré damals schroff zurückgewiesen und die Befegung des Ruhrgebietes vorgeogen. Und eine Verbindung des Schuldenproblems mit der Frage der Rheinlandräumung schien bei ihm erst recht auf Widerstand zu stoßen.
in einer starkbesuchten Vorstandssitzung einstimmig und mit Nach- Mittel, um damit Mandate, politische Macht zu laufen. Die sächsischen Industriellen benutzen die verfügbaren drud angeschloffen hat, wird jede Mitgliedsfirma gebeten, min- massenaussperrung und Bildung eines Korbem interalliierten Schuldenproblem, die zu Neujahr 1923 deffens 20 Bf. pro Arbeiter und pro Monat für die ruptionsfonds: beide Maßnahmen sollen der unter drückung der Arbeiterschaft, der Aufrichtung der Kapitals herrschaft dienen.
Monate Februar, März, April und Mai an das
Wirtschaftskonto Sächs. Industrieller
bei der Allg. Deutschen Credit- Anstalt, Dresden , zu überweisen. Besonders erwünscht ist Gefamtabführung in einer Summe. Firmen, die dazu in der Lage find, werden gebeten, no ch über diefe Mindeftfumme hinauszugehen.
Der Verband legt aber Wert darauf, daneben zu erklären, daß es sich bei dieser Geldjammlung nur um die Unterstützung industrieller kandidaturen handelt, während er es ats felbstverständlich anfieht, daß seitens der industriellen Firmen die monatlichen oder zeitweisen oder mindestens zu Zeiten der Wahlen
Es ist das den Arbeitern vorenthaltene Geld, mit dem die sächsischen Industriellen Mandate kaufen und den Wahlfampf führen!
Der Reichsarbeitsminister greift ein.
In den Konflikt in der sächsischen Metallindustrie, der nach dem Beschluß der Unternehmerverbände zur Aussperrung von 200 000 Metallarbeitern am 12. April führen soll, wird das Reichsarbeitsministerium nach Ostern eingreifen, um die Aussper rung zu verhindern.
In der Wiesenstraße plagte in der vergangenen Nacht gegen 4 Uhr vermuflich durch Erdjentung ein großes Gasrohr. Das Gas drang durch den Keller in das Haus Wiesenftraße 5 ein und verSperrte den in den oberen Stodwerten wohnenden Familien den Ausweg. Ueber zwei mechanische Leitern wurden mehrere Personen ins Freie geschafft. Bier Personen haben schwere Gasvergiffungen erliffen. Bei der Anfahrt der Motorsprige brach das Erdreich plöglich zufammen und das herausströmende Gas entzündete sich. Die Flammen schlugen bis über den Motorfühler hinweg. Den angeffrengten Bemühungen der Feuerwehr gelang es im lehten Moment, eine Explosion zu verhüten.
Wie sich erst in den Morgenstunden herausstellte ist bei dem Gasrohrbruch das Gas auch in ein Haus, das dem zunächst betroffenen Haus Wiesenstraße 5 gegenüberliegt, eingedrungen. Gegen 11 Uhr wurde man auf die Ruhe im Erdgeschoß des Hauses aufmerksam, drang in die Wohnung ein und fand eine viertöpfige Famille, Bater, Mutter und zwei Töchter im Alter von 18 and 20 Jahren, tot auf.
Der Vater muß den eindringenden Gasgeruch noch wahrgenommen haben, denn er war in das Schlafzimmer feiner Kinder gegangen um sie zu retten und war dort mit einem Mädchen auf dem Arm zusammengebrochen.
Der Pilot getötet.
Rüftringen, 6. April. ( Eigenbericht.) Auf dem Flugplah Rüftringen- Wilhelmshaven ereignete sich am Karfreitag, nachmittags 5 Uhr 30, ein schweres Flug. unglüd. Der Pilot Robert Müller flieg mit einer neuen Fottermaschine auf. Er war furze Zeit in der Luft und nur knapp 100 Meter hoch, als das Flugzeug plöhlich abstürzte. Die Maschine faufte mit der Spike in die Erde und begrub den Piloten unter sich, der schwer verleht geborgen wurde, aber bereits nach furzer Zeit starb. Müller war Geschäftsführer der Cuftverkehrsgesellschaft Rüftringen- Wilhelmshaven.
Die Schlußfäße der Rede, die Poincaré am Sonntag in Carcassonne gehalten hat, geben auf diese doppelte Frage eine zwar noch nicht sehr flare, noch immer sehr vorsichtige, aber immerhin genügende Antwort: die vom französischen Ministerpräsidenten gebrauchten Wendungen beweisen, daß er fich den Ideen von Briand beträchtlich genähert hat. Nicht allein, daß er den Gedanken einer Berquickung der deutschen und der interalliierten Kriegsschulden ausdrücklich billigt, er stimmt darüber hinaus grundsäglich einer gleich zeitigen Erörterung aller anderen Probleme" zu und erklärt sich zur Annahme von Kombinationen" bereit ,,, unter dem Vorbehalt, daß die französische Sicherheit und das französische Recht auf Reparationen gewahrt blieben" Bei aller gewollten Unbestimmtheit dieser Ausdrucks weise hat Poincaré mit den anderen Problemen" un< zweifelhaft die Frage einer früheren Räu mung des Rheinlandes gemeint( denn was hätte sonst die„ Sicherheit" in diesem Zusammenhang für einen Sinn?). Wenn man bedenkt, daß diese Erklärung von demselben Manne stammt, der noch vor vier Jahren den graufamen Standpunkt vertrat, daß die Räumungsfristen noch gar nicht zu laufen begonnen hätten, und daß sie erst zu laufen nicht zu laufen begonnen hätten, und daß sie erst zu laufen beginnen würden, wenn der letzte Reparationspfennig bezahlt wäre, so zeigt das, wie sehr der sprichwörtlich eigensinnige Poincaré umgelernt hat. Der Spißnahme Poincaréla- Ruhr, den er im legten französischen Wahlkampf verdientermeise trug, erscheint demnach durch seine eigene Entwicklung überholt. Es wäre zwar noch verfrüht, in dem Poincaré von 1928 einen zuverlässigen, weitherzigen Anhänger der euro päischen Verständigungspolitik etwa im gleichen Sinne wie Briand zu erblicken, aber ein unbelehrbarer Gegner dieser Berständigung ist er jedenfalls nicht mehr. Diese Tatsache fann Don besonderer Wichtigkeit sein, falls die französischen Wahlergebnisse die Bildung einer ausgesprochenen Lintsregierung nicht gestatten sollten.( Mit dieser Möglichkeit muß man schon deshalb rechnen, weil die geradezu irrsinnige Taktik der jeden Breis zu schwächen, auch wenn diese Schwächung nur den Anhängern Poincarés zugute kommt).
Noch ist es zu früh, um zu den Problemen, die die Rede von Carcassonne angedeutet hat, konkret Stellung zu nehmen.