Endlich erreicht!
Worum der Kammerivchlkamps geht.
poincarä will die Rechte abstoßen.
V. Zell , paril. SC April.(Eigenbericht.) Die Regierung Poincari wird die Wahlen überdauern: aber sie wird vielleicht anders aussehen als gegenwärtig. Poincares Ziel ist nicht mehr der Nationale Block, sondern die„republikanische Konzentration". Heut« schließt sein« Regierungsmehrheit auch die ausgesprochenen Nationalisten und Klerikalen ein, deren Führer Louis Marin dem Kabinett angehört. Aber Poincarä erstrebt eine Mehrheit, die stark genug ist, um diesen nationalistisch- klerikalen Flügel, der ihm innorpolitisch ebenso unbequem ist wie außenpolitisch, zu entbehren. Die groß« Frag« ist, ob ihm dos gelingen wird. Die Soziali st en werden gewinnen, wahrscheinlich nicht sehr viel, aber fi« können immerhin mit IIL bis 125 Abgeordneten zurückkehren. Die Kommunisten werden sich nur behaupten: selbst wem» sie«inen Stimmengewinn verzeichnen, wird sie das neue Wahlsystem eimge Mandat« kosten; mit 29— 25 Mann werden sie die Opposition verstärken. Die Zahl der oppositionellen Radikalen unter Führung des Parteivorsitzenden Daladisr dürft« sehr gering sein und zwischen 35 und 45 schwanken. Das wäre also mindestens l/O, unter Umstanden sogar nahezu 200 Opposition s- stimmen auf der Linken. Auf der anderen Seite wird das neue Wahlsystem vielleicht zwei Dutzend Vertretern der äußersten Rechten, Royalisten und anderen, den Weg ins Parlament öffnen. Die absolute Mehrheit wird rund 315 betragen. Die Frag«, ob es Poincare nun gelingen wird, die zurzeit 10O Abgeordnete zählende nationolistisch« Gruppe Marin zugunsten der Mitt« zu schwächen, um ohne sie regieren zu können, wird von manchen bejaht, von anderen bezweifelt. Die sogenannt« .republikanische Konzentration" würde aus den Lintsrepublikanern
(Gruppe Poincare) der Loucheur-Gruppe, dem regierungsfreund- lichen Flügel der Radikalen und der„sosmlistischeii" Republikaner (Gruppe Herriot , Painleve , Briond) bestehen. Wenn es diesem Block der Mitte gelingt, 320— 350 Mandate zu erlangen, dann dürste Poincare die ausgestochene Rechte in die Opposition zurückstoßen. Da» wäre natürlich für den Fortgang der auswärtigen Politik sehr nützlich. Einstweilen hat der Ministerpräsident vermieden, gegen die Rechte offen Stellung zu nehmen. Die Notionaltstcn wissen sehr gut, was Poincare gegen sie im Schilde führt, aber sie tun noch immer so, als wäre er i h r Mann. In allen Wahlversammlungen berufen sie sich stolz auf das Werk der Regierung Poincare : aber zwischen den Zeilen ihrer Wahlartikel und Wahlreden ertönt, be- sonders seit der Rede Poincares von Carcassonne , die wehmütige Klage, daß dieser Mann heute nicht mehr poincaristisch genug sei. Der kurz vor dem Abschluß stehende Wahlkampf ist so nicht nur ein Kamps, zwischen der. Regierung der nationalen Einigung und dar Opposition von links. Weniger sichtbar, aber vielleicht noch wichtiger ist der Kampf innerhalb der bisherigen RegierUngs- koalltion�- ein Kampf um die Seele Poincaräs! Aus ganz Frankreich mehren sich die Meldungen über h es- ti g« Kämpfe innerhalb einzelner Wahltreiie zwischen zwei oder sogar drei Kandidaten, die sich all« auf PoincarS und auf die Regierungspolitik berufen. Besonders in Paris gibt es mindestens ein Dutzend solcher Fälle, wo zum größten Gau- dium der sozialistischen Zuhörer die regierungssreundlichen Kandi- daten sich gegenseitig die größten Grobheiten an den Kopf werfen— alles im Zeichen der.nationalen Einigung"!
Paul Axelrods Einäscherung. Oer letzte Weg des großen Führers der russischen Sozialdemokratie. Eine große Trouergemeind« russischer und deutscher Sozial- demokraten gab gestern in der Abendstunde Paul Axelrod das letzte Geleit. An seiner Bahre im Krematorium Gerichtstraße lagen als Zeugen seiner Bedeutung und seines Ansehens in der internatio- nalen Sozialdemokratie viele, viele Kranze mit prächtigen roten Schleifen. Aus der ganzen West hatten Genossen, Freund«, Kor» porationen des großen Toten gedacht: daneben sandten Beileids- kundgebungen die Genossen K a u t s k y- Wien, Adelheid Popp - Wien , Pierre Rsnaudel-Paris , Z er etelli-Italien, die sozialistische revolutionäre Partei Rußlands . Die sozialdemokrati- schen Parteien fast oller europäischen Länder hatten ihr» Trauer Ausdruck gegeben: Oesterreich , Frankreich , Schweden , Finnland , Lettland , Georgien , Polen , die Vereinigung Paolo Zion. Chopins Trauermarsch lang durch den Raum, das Ebert-Manz- Quartett sang das Lied vom Sohn des Volkes. Dann nahm als erster Genosse Dan Abschied von dem Toten. „Nichts konnte den Glauben dieses Begründers der russischen sozialdemokratischen Partei erschüttern, keine noch so schweren Schick- salsschläge machten ihn wankend. Nur ein« Leidenschaft kannte er: den Kampf der russischen Arbeiterklasse um ihr» Befreiung. Doch nicht nur als Führer war er groß. Unver- gleichlich war er als Mensch und als Lehrer. Es genügte, ihm nur einmal zu begegnen, um einen unvergeßlichen Eindruck zu erhasten. um sich ihm nah und verwandt zu fühlen. Er war der Bater der Partei. Ihr widmete er alle seine Gedanken und alle seine Kräfte. Er wußte ober auch, daß es keinen Stillstand gibt und daß jede gelöste Frage zu neuer Fragestellung führt. Selbst wenn der eine oder der andere seiner früheren Schüler in Theorie od» Praxis von ihm schied, so hatte er dafür Verständnis, et kannte keine Entfremdung. So betrauttt am offenen Sarge die Partei den ver- storbenen Führer auch als Vater und Freund und gelobt, den Kampf um die Befreiung der Arbeiterklasse mit dem gleichen Feuer der Ueberzeugung weiterzuführen, wie es unauslöschbar in ihrem verstorbenen Führer gelodert hat." Im Namen d» Sozialdemokratischen Partei Deutschlands und für die Sozialistische Internationale sprach Genosse Wllhelm Ditt- mann. Um Axelrod trauert nicht nur die russische Sozialdemo- krati«, sondern auch die deutsche Partei und die I n t e r- nationale. In der Vertretung des sozialistischen Weltprole- tariats stand der Verblichene in hohen Ansehen, und deshalb spricht die Internationale der russischen Bruderpartei die herzlichste Anteil- nähme aus. Uns galt Axelrod als die Verkörperung der russischen Sozialdemokratie. Dos Schicksal der russischen sozialdemokratischen Partei war Axelrods Schicksal: wer die Geschichte dieser Partei schreiben will, muß die Geschichte Axelrods schreiben. Die inter - »alionalc und die deutsche Sozialdemokratie nimmt Abschied von Axelrod in dem Bewußtsein, einen der Besten und Größten ver- loren zu haben." Dann sprach Genosse Ab ramo witsch als Vertreter des Zcutralorgans der russischen sozialdemokratischen Partei, dem„So- zialistischen Boten":„Nun ist mit Axelrod auch der letzte aus der großen Schar d» Männer dahingegangen, die an der Wiege der russischen Sozialdemokratie standen. Er war der erste, der im„Vorwärts" die russische sozialistisch« Bewegung beschrieb und der dafür eintrat, daß die zum Anarchismus neigenden russischen Arbeiter marxistisch dachten und Handesten. So wurde er d« Mittelsmann zwischen der europäischen und der russischen Arbeiterbewegung. Dem großen Sozialdemokraten Axelrod blieb es nicht»spart, die Z«- trümmcrung der russischen Arbesterbewegung durch den Volschewis- mus zu»leben, aber et hoffte auf die russisch« und auf die int«» nationale Arbeiterbewegung. Dabei bemühte er sich, jeden Schein ein» Besserung aufzufangen, um seinen russischen Brüdern dienen zu können. Dem einzig geliebten Führer und Meist» sagen wir an seiner Bahre: Seine Gedanken, seine Ueberzeugung werden siegen: wir, seine Freund« und Genossen, sind die Träger seine« Glaubens. Und wenn er in der Fremde sterben mußte, so ist das die größte Anklage gegen die russischen Diktatoren, die einen Mann aus dem Vat»lande wiesen, der Unendliches für das russische Proletariat getan." Im illomen d» jüdischen sozialdemokratischen Arbesterportei „Bund" sprach Genosse Jüdin. Für die russische sozialistische Ar- beiterjugend fand besonders»greifende Worte der Jugendgenosse Sapir und für den russischen sozialdemokratischen Klub in BerNn gedacht« des Toten Genosse Garvy. Nun senkten ssch deutsche und russische Parteifahnen— der Sarg sank in die Tiefe. So schied Paul Axelrod von seinen Genossen.
Die Nordarmee vernichiei! Japaner verhängen in China das Kriegsrecht! Schanghai , 20. April. Aus allen Rachrichten geht hervor, daß Sunischuansa-ngs Heer vernichtet ist und Tschangfungtschang» he« ebenfalls einen schweren Schlag erlitten hat. Die Rordtruppen sind demoralisiert. Ihr«?. Armee ging in Massen zum Feinde üb«. V» britische und der amerikanische Gen»aikonsul in Tsin- c- u s u riete« ihren candsleulen abzureisen, da sich die Kämpfenden der Stadl nähern. Japan will Kiautschou haben. London , 20. April. Nach Meldungen aus Schanghai bestätigt ssch die Nachricht von einem großen Sieg der Südchinesen an der Eisenbahnlinie Tientsm— Nanyking. Die Einnahme von T fi n a n f u stehe unmittel- bar bevor. Die Südchinesen hätten die Parole ausgegeben, vor den japanischen Truppen in Tsmansu einzutreffen. In Südchina habe die EiNsendunz japanisch» Truppen nach Tstngtau und in die Provinz Echatrtung große Aufregung hervorgerufen, da man darin einen Versuch sehe, sich der Bucht von Kiautschou zu be- mächtigen, die die Japaner in der Konferenz von Washington auf- geben mußten. Man rechnet mit der Ausrufung des Boykotts gegen Japan . Japanische Regierungserklärung. Tokio . 20. April. Die japanische Regierung sagt in«in» amtlichen Erklärung, sie habe, als fie letzt«« Jahr ihre Kräfte aus Schantung zurückzog, d« chinesischen Regierung mitgeteilt, daß sie zum Schutz de« Lebens und der Güter ihrer Staatsangehörigen diese Truppen v on neuem ent- scnden würde, wenn Friede und Ordnung nach einmal bedroht würden. Die Erklärung betont, daß die gegenwärtige Expe- dilion weder ein« feindliche Maßnahm« gegen China noch eine Einmischung zugunsten ein» od» der anderen Partei bedeute.
Die neue Gefrierfleischordrmng. Schieles Attentat gegen den Braten der armen Leute. Die am Frestag dem Reichsrat zugeleitete neue Gefrier- fleifchverordnung sieht die zollfreie Belieferung für folgende Bezirk« vor: Berlin , Stettin . Breslau . Magdeburg , die Semeinden des Regierungsbezirks M»seburg, Mona, Kiel , Wandsbek, Han» nover, Harburg, Wilhelmsburg, Wilhelmshaven , Wesermünde , die Gemeinden des Regierungsbezirks Arnsberg (mit Ausnahm« der Kreise Lippstadt , Meshede , Soest , Wittgenstein und Brilon ), die Gemeinden des Regierungsbezirks Münster (mst Ausnahme d» Kreise Ahaus , Beckum . Borten. Coesfeld , Münsl».Land. Steinfurt . Tecklenburg und Warendorf ), Frankfurt , Höchst , Hanau , Wiesbaden , die Gemeinden des Regierungsbezirks Düsseldorf (mit Ausnahme der Kreise Cleve , Geldern, Neuß-Stadt und-Land), Köln , Bonn , die Gemeinden des Siegkreises, Aachen . Düren , München , Nürnberg . Fürth , Ludwigshasen, Dresden , Leipzig , die Gemeinden der Kreis- hauptmannschaften Chemnitz und Zwickau , Stuttgart , Karlsruhe , Mannheim , Pforzheim , die Gemeinden der Stadt- und Landkreise Allenburg , Gera und Greiz , Mainz , Offenbach . Stadtbezirk Ham- bürg, Rüstringen und Stadtbezirk Bremen. Schiele hat also durch die Verminderung der Kontingent« große Teile der deutschen Industriearbeiterschast um die Möglichkeit gebracht, billiges Fleisch ein- zukaufen, obwohl es auf der Hand liegt, daß die Arbeiterschaft in den ländlichen Gebieten geradeso unter dem Fleischwucher leider wie die großstädtische Arbeiterschaft. Hier muß sobald wie möglich eine Aenderung erfolgen. Diese ist nur möglich. wenn die Wahlen einen Sieg der Sozialdemokratie ergeben, die sich von Anfang an Schieles Plänen widersetzte. Die Verordnung bestimmt weit«, daß den Konsumvereinen die Berechtigungsscheine grundsätzlich in der Höhe zugeteilt werden, in der sie im vierten Vierteljahr 1027 die o b« n g e n a n n- ten Gebiete mst zollfreiem Gefrierfleisch beliefert habe«. Der Krstik der Sozialdemokratie ist es auch gelungen, einige aus der allen Berordnung übernommene Bestimmungen zu oerschärfen, um dieSchiebungenmitGefrierfleisch unmöglich zu machen. So heißt es in der Verordnung, daß zollfreies Gefrierfleisch nur in Verkaufsstellen abgesetzt werden darf, die von dem Vorstand der Gemeinde bestimmt und überwacht werden. Es Ist auch»»boten, in derselben Verkaufsstelle, in der zollfreies Gefrier» fleisch gehalten, wird, verzolltes Gefrierfleisch anzubieten. Zollfreies Gefrierfleisch darf auch nicht zur Wurst verarbeitet oder an Fleisch. warenfabrikcn oder Gast- und Schankwirtschaften abgesetzt werden. Damtt sind wenigstens einig« uns«« früheren Forderungen heut« erfüllt. Bejond»s wichtig ist eine Bestimmung, big ebenfalls die
Sozialdemokraten durchsetzen konnten. Sie ordnet an, daß die obersten Landesbehörden oder die von ihnon bestimm- ten Stellen westere Anordnungen darüber treffen können, in welcher Weise das Gefrierfleisch den Minder- bemit telten zuzuführen ist.
Lockspitzelei am Brenner . Ein deutschösterreichischer Eisenbahner als Opfer. Innsbruck . 20. April.(Eigenbericht.) Das Opf» eines Lockspitzels ist ein österreichisch » Eisenbahner geworden, ver Heizer der Bundesbahn. Anton Fasching au» Innsbruck , fuhr dienstlich auf den Brenn». Dort wurde er von einem Italiener gefragt, ob ein Italienischer Deserteur in Oester- reich verhaftet würde und ob er dort eventuell Arbeit bekommen könnte. Der Heizer sagte, ein Deserteur werde an sich nicht verHaftel. und es sei unter Umständen schon möglich, daß» Arbeit bekomme. Der Italiener fragte dann noch, ob d» Heizer auf der Lokomotive einen Deserteur nach Oesterreich mitnehmen könne. Das lehnte Fasching ab. Schließlich wurde Fasching von dem Italiener noch eingeladen, mit ihm zusammen in der Bahnhoss- reftaurolion eiu Glas Wein zu trinken. Er tat das. kam aber nicht wieder zurück. Später wurde der österreichische Stationsvorsteher in der Station Brenner von dem Borstand des iiatienischen Polizeikommandos verständigt, daß Fasching wegen Verleitung eines italienischen Soldaten zur Desertion verhaftet worden sei. Fasching wurde nach Verona in das MIlilärgefängnis geschafft. Bei der Untersuchung durch die Lundesbahndirektion in Innsbruck wurde durch Zeugenaussagen festgestellt, daß Fasching den italienischen Soldaieu in keiner Weife zur Desertion zu verleiten versticht hat und ihm auch nicht bei der Desertion behilflich sein wollte. Er ist ganz offenkundig einem iiatienischen Lockspitzel zum Opf» gefallen. Das öfi»reichische Konsulat in Verona ist bcauflcogl worden, sofort die nötigen Schritte zu unternehmen.
1000 Wart Geldstrafe sllr Streicher. Die große Straftamm» des Lairbgerichts Nürnberg verurteilte in der Beruftrngsv»- Handlung den Hauptlehrer und Landtagsabgeordneten Streicher wegen Beleidgiung des Oberbürgermeisters Dr. Luppe zu 1000 M. Geldstrafe. Streicher wurde in der ersten Instanz zu einem Monat Gefängnis verurteilt. Georg kenzler, der bisherige tinkskommuiüstische Reichstags- abgeordnete, wurde auf Gnmd eines Haftbefehls des Untersuchuugs- richters in Mannheim wegen eines Presievergchens gegen das Repudlikschutzgesetz und wegen Beleidigung oerhastet.