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Hermann Müllers Aufgabe. Die entscheidende Woche.- Km die Große Koalition. Veränderte Ltmstände, unveränderte Ziele.
Seit dem 20. Mai sind nun drei Wochen ins Land ge- gangen, und es ist Zeit, daß nicht nur geschrieben und ge- jprochen, sondern auch gehandelt wird. Der Reichs- Präsident hat darum auch gestern das Zweckmäßige getan, um den Lauf der Dinge zu beschleunigen: er hat dem Genossen Hermann Müller seine Absicht mitgeteilt, ihn am Dienstag nach der Demission des Kabinetts Marx mit der Bildung einer neuen Regierung zu beauftragen. So können jetzt schon einige Vorarbeiten geleistet werden, um die kommenden offiziellen Verhandlungen zu erleichtern. Es ist kein Geheimnis, daß Hermann Müller o e r- suchen will, eine Regierung der Großen Koalition zustande zu bringen. Für diesen Versuch sprechen vor allem zwei Umstände: erstens ist eine breite sichere Mehrheit— wenn sie zusammenhält— einer knappen und unsicheren vor- zuziehen, zweitens aber haben gerade die beiden volks- parteilichen Minister des alten Kabinetts der sozialdemo- kratischen Opposition am allerwenigsten Gelegenheit zu An- § rissen gegeben. Einer von ihnen, Herr Stresemann , at sich sogar durch geschickte Adaptierung. der von der So- zialdemokratie empfohlenen Außenpolitik eine überaus an- gesehene internationale Position erworben. Auch während der Bürgerblockperiode herrschte zwischen dem Außenminister und der sozialdemokratischen Opposition mehr Vertrauen und Uebereinstimmung als zwischen ihm und der deutsch - nationalen Regierungspartei. Sollte trotzdem die Bildung einer Großen Koalition an der Haltung der volksparteilichen Unterhändler scheitern, so bliebe die Weimarer Koalition, etwa durch die Bayerische Voltspartei oder die Deutsche Bauernpartei ver- stärkt, die weitaus aussichtsreichste Kombination. Ihre Brauch- barkeit hat sie in Preußen bewiesen, das die Wahlen ohne Krise überstanden hat. Wer auf diese Möglichkeit verzichtet, macht den rechten Flügel der Voltspartei zum Herren der Situation. Das hieße aber gerade das erstrebte Ziel, eine Dauer versprechende Regierung zustande zu bringen, schwer gefährden. Praktisch handelt es sich darum, die Personenfragen zu ordnen und über die nächsten dringendsten Aufgaben eine Verständigung herbeizuführen. Im übrigen wird man sich eben an den Satz halten müssen, daß Probieren über Stu- dieren geht. Man darf annehmen, daß es der Energie und Umsicht Hermann Müllers rasch gelingen wird, den Auf- trag des Reichspräsidenten auszuführen—, vorausgesetzt, daß nicht künstliche Schwierigkeiten geschaffen werden. » Manche unserer Freunde hätten es lieber gesehen, wenn die Partei nach ihrem Wahlsieg mit der Geste des Trium- phators in die Arena gestiegen wäre. Sie haben die N ü ch- ternheit und Mäßigung getadelt, mit der sie an ihre neuen Aufgaben herangetreten ist. Mögen diese Freunde bedenken, daß für den Erfolg der Partei nicht der schöne An- fang, sondern der gute Schluß entscheidend ist. Die Auf- erlegung eines Diktatfriedens nach dem Siege ist in der Innenpolitik eine noch bedenklichere Sache als in der Außen- Politik— auch dann, wenn die dazu notwendige Macht vor- Händen ist. Was die Partei an praktischen Ergeb- nissen erstrebt, kann nur zum geringsten Teil durch Ver- Handlungen vor der Regierungsbildung„gesichert" werden, es muß durch zähe Fortsetzung der bisherigen Arbeit unter veränderten Umständen erreicht werden. Diese Arbeit wird von den Vertrauensmännern der Partei im Kabinett zu leisten sein, und sie wird desto größeren Erfolg versprechen, je ver- ständnisooller sie von der Fraktion und der Gesamtpartei ge- fördert wird. Leicht wird sie nicht sein, das wissen wir alle. Ein Blick in die Presse zeigt, daß sich noch dem sozialdemokratischen Wahlsieg eine gewisse Psychose in weiten bürgerlichen Kreisen eingestellt hat. Dabei sind Tendenzen zu einer a n t i- sozialdemokratischen Sammlung innerbalb der kommenden Regierungskoalition unverkennbar. Würden diese Tendenzen siegreich sein, so wäre damit der neuen Koali- tion der Todeskeim in die Wiege gelegt. Eine ähnliche Stimmung wie jetzt herrschte in bürgerlichen Kreisen nach dem Zusammenschluß der beiden sozialdemokra- tischen Parteien. Man befürchtete ein Ueberwiegen des sozio- listischen Einflusses und b'ldete— noch rührend de* Bestehens der Weimarer ftoalitum—, die aus Zentrum, Demo- traten undBoltspartei bestehende»Arbeitsgemeinschaft
der Mitte". Damals wurde hier gesagt, daß damit eine Ent- wicklung eingeleitet sei, die zum Bürgerblock hinweise. Wer jetzt der antisozialdemokratischen Sammlung innerhalb der neuen Koalition das Wort redet, muß sich darüber klar sein, daß er damit die antisozialdemokratische Sammlung außerhalb der Koalition vorbereitet und konservative Parolen aus der Kaiserzeit verwirklichen hilft. Die Sozialdemokratie weiß genau, daß sie keine Diktatur über ihre künftigen Koalitionsgenossen ausüben kann. Desto grotesker wäre ein Versuch, die Sieger des 20. Mai einer Diktatur der Nichtsieger zu unterwerfen. Der Wahlausfall bedeutet einen Ruck nach links, der auch im Kurs der neuen Regierung zu sichtbarem Ausdruck kommen muß. * Die bürgerlichen Parteien, die zur Mitarbeit in der Re- gierung berufen sind, sind damit zur s a ch l i ch e n Mit- arbeit in diesem Sinne eingeladen. Gefährliche Ratgeber möchten ihnen anstatt dessen die Rolle der Aufpasser, Be- denkenträger, Bremser und Quertreiber zuschieben. Das hieße dann eine Regierung schaffen, in der ein Paar Pferde vorne und ein Paar hinten angespannt sind. Die bürgerlichen Parteien werden besser tun, sich die Klugheit zum Muster zu nehmen, die die konservative Partei Englands in älteren Zeiten so oft bewiesen hat, indem sie selber praktische Forderungen, die sie früher bekämpft hatte, verwirklichte, sobald sie zur Verwirklichung reif waren. Aehn-
Der Landtag war auch in der gestrigen zweiten Sitzung stark besetzt. Abg. Dr. P o n f i ck(Christl.-Rat. Bauernp.), der eine Schutz- klappe vor dem verletzten linken Auge trägt, hat seinen Platz wieder eingenommen. Alterspräsident Graf v. Posadowskv eröffnete die Sitzung gegen 13% Uhr und teilt« mit, daß der Aelleslenrat beschlossen hat, den kommunistischen Abg. Oolke wegen Beteiligung an den Borgangen in der Eröffnungssitzung auf acht Sihungstage auszuschließen.(Stür- mische Pfuirufe b. d. Komm.— Abg. Golke ist nicht im Saale an- wesend.) Das Haus schreitet dann zur Wahl des Präsidiums. Abg. Herold(Ztr.) schlägt vor, den bisherigen ersten Präsidenten Bartels(Soz.) durch Zurus wiederzuwählen. Abg. kube(Rat.- Soz.) widerspricht. Infolgedessen muß die Wahl durch Stimmzettel und Namensaufruf erfolgen. Als der Abg. Dr. P o n f i ck aufgerufen wird, ertönen bei den Kommuni st en taute Pfuiruf«. Ein Kommunist ruft:»wie ist Ihnen die Abreibung von gestern bekommen?" Die Auszählung ergibt die Wahl des Abg. Bartels(Soz.) zum ersten Präsidenten mit 348 Stimmen. 48 Stimmen erhielt der kommunistische Abg. E b e r l« i n, 12 Stimmen der nationalsozialistische Abg. Dr. Ley, einige weitere Ab- geordnete erhielten je eine Stimme. Fünf Zettel waren unbeschrieben, ein« Stimme war ungültig. Abg. Bartels(Soz.) nimmt die Wahl an und übernimmt sofort das Präsidium. Er dankt dem Alterspräsidenten für die Mühe- moltung und der überwiegenden Mehrheit des Hauses für das Der- trauen. Er werd« bemüht sein, sein Amt gewissenhaft und un- parteiisch auszuüben.(Zwiichenrusc der Komm.) Er bittet alle Mit- glisder des Hauses, ihm die Führung der Geschäfte dadurch zu er- leichtern, daß sich alle im Rahmen der Geschäftsordnung halten und zur Förderung der Geschäfte beitragen. Ich weiß, so fährt der Präsident fors daß politische Gegensätze die Leidenschaften oft auf- flammen lassen, aber man muß von allen Volksvertretern erwarten, daß st« Selbstbeherrschung üben und auch ander« Meinun- gen anhören und ertragen.(Lebh. Zusttmmung b. d. Mehrh.) Das l.'tzten Ende« die Grundlage allen p a r l a ni e n> a n;- l ö- e n Hand«stts. istisaab« d-« Presidenten ist es, die Geschäftsordnung so zu handhaben, daß nicht das H a u s r e ch t an Stelle des parlamentarische» Rechts treten muß. Ich appelliere noch
liche Vorgänge weist übrigens auch die neueste deutsche Ge- schichte auf, denn in der Weimarer Koalition halfen Zentrum und Demokraten manches verwirtlichen, wofür früher die Sozialdemokratie allein gekämpft hatte. Zum Beweis dafür, daß sie dabei keine nebensächliche Rolle gespielt haben braucht man nur die Namen W i r t h und Rathenau zu nennen. Aber auch Stresemann wäre nicht zu der angesehenen Stellung, die er heute in der Welt einnimmt, emporgestiegen, wenn er es nicht verstanden hätte, mit seiner Zeit zu gehen und aus der Geschichte zu lernen. Die Bremser, die Quertreiber, die Propagandisten der antisozialdemokratischen Sammlungsparole, all diese Ewig- gestrigen sind zum politischen Tode verurteilt. Leben wird nur, wer mit uns zu den Zielen der Republik , des Friedens, der sozialen Gerechtigkeit vorwärts- schreitet. » Die Sozialdemokratie tritt mit dem Versuch, den sie jetzt unternimmt, in ein Entwicklungsstadium ein, das sie nicht überspringen kann. Sie tut es im Bewußtsein der Stärke, die ihr die Kraft ihrer Ideen und ihr Anhang in den arbeitenden Massen verleiht. Sie ist, seit sie besteht, schon durch manchen Sturm gegangen, und sie bleibt weit von der Illusion entfernt, daß ihr Eintritt in die Reichsregierung das Eingehen in einen stillen Hafen bedeutet. Für sie handelt es sich um nichts anderes, als um die Fortsetzung des Kampfes unter veränderten Verhältnissen um unveränderte Ziele.
einmal an das Haus, mir diese Aufgab« zu erleichtern. Wir haben eine Reihe wichtiger Ausgaben zu erledigen. An Meinungsoerschieden- besten wird es nicht fehlen. Unsere höchste Aufgab« ist aber, das Wohl des Volkes an die Spitz« zu stellen. Ich hoff«, daß dieser Gesichtspunkt in erster Linie Leitstern aller Handlungen sein wird.(Lebh. Beifall.) Das Haus geht dann zurWahlderdreiVizepräsiden- t« n über. Abg. Dr. v. K r i e s(Dntl.) wird darauf durch Zuruf zum ersten Vizepräsidenten gewählt und nimmt die Wahl dankend an. Zum zweiten Vizepräsidenten wird Abg. Dr. Porsch(Ztr.) durch Zuruf gewählt. Zur Wahl des dritten Vizepräsidenten erklärt Abg. heilmann (Soz.), die kommunistische Fraktion habe dem Präsidenten Bartels ihre Stimme nicht gegeben und damit die parlamentarischen Gepflogenheiten verletzt. Das könne ober die sozialdemokra- tische Fraktion nicht veranlassen, auch ihrerseits die parlamen- tarischen Gepflogenheiten zu verletzen. Da die kommunistische Fraktion die viertstärkste des Hauses sei, und heute im Aeltestenrat die Erklärung abgegeben habe, daß sie wisse, welche Pflichten sie über- nehme, wenn sie den Abg. Schwenk-Berlin zum Vizepräsidenten vor- schlage, beantrage er, zum dritten Vizepräsidenten Schwenk durch Zuruf zu wählen. Abg. Buchhorn(DVp .) erhebt gegen die Wahl durch Zuruf Widerspruch. Sie muß also wieder durch Stimmittel erfolgen. Die Deutschnationalen, die Deutsch « Volkspartei, die W i r t- schaftspartei und die Deutsche Fr a k t i o n geben weiße Enthaltungszettel ab, ebenso ein Teil der Abgeordneten der Re- gierungsporteien. � Die Abstimmung ergibt 181 Stimmen für den Abg. S ch w e n ck, 22 Stimmen für den Abg. Dr. Ponfick, vier Stimmen für Wiemer, zwei Stimmen für Varteld, zwei Stimmen für Golke, je eine Stimme für Graf Könitz , Kube und Ehristion(Bauernp.). Der kommunistische Abgeordnete Schwenk ist somit zum dritten BlzeprSfldenten gewählt und erklärt, daß er die Wahl annimmt. Zu Beisitzern werden aus Vorschlag des Aeltestenrots durch Zuruf gewählt die Abgg. Brecour(Soz.). Paetzel(Soz.). Frau Kröger(Soz.). Oslze<Diltl.). Kickhöffel(Diul.), Frau Gicie(Ztr.), Pglil Hojfmann(Komin.) und Metzenthin(DVp .). Abg. v. wmterfeld(Dntl.) erklärt: Ich beantrag«, aus die heutige
Otto Brauns Regierungserklärung. Das Kabinett hat das Vertrauen des Volkes, kein Anlaß, zurückzutreten; loyale Mitarbeit willkommen.