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10 Pf. Nr. 326 B161 45. Jahrgang.
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Korruption in der Gowjetukraine.—„ptaneiarischer" Wohnungsbau.
Das„mssifche Chikago". Charkow , im Juli 1928. Noch war der Vorhang über das große Gerichtsschouspiel in Moskau nicht gefallen, noch warteten 53 Angeklagte auf den Spruch ihrer Richter, als in Charkow , im früheren Palais des zorifchen Generalgouoerneurs, ein neuer Donezprozeh vor dem Obersten Gericht der Ukraine seinen Anfang nahm. Wieder dasselbe Bild: endlose Bankrcihen, aus denen die Angeklagten— Ingenieur«, Techniker, Angestellte— sitzen, überall schwerbewaffnete Wachtposten, großer Andrang von Schaulustigen. Die 36 An- gcklägten, drei mehr als im„großen" Donezprozeh in Moskau , find aber, selbst nach Ausfassung der Staatsanwaltschaft, kein« „Verschwörer". Es handelt sich in diesem Prozeß nicht um eine„geheime, gegenrcvolutionäre Organisation", nicht um geheim- nisvolle Verbindungen mit„ausländischen Kapitalisten und General- stäblern". Dieser Prozeß ist völlig ohne politischen Hintergrund und doch, vielleicht ober gerade deswegen, noch weitaus charakte- ristischer für das Rußland von heute als der von Moskau . Der neue Donezprozeß, dessen äußere Aufmachung zeigt, daß dos Oberste Gericht der Ukraine hinter dem großen Moskauer Vorbild nicht zurückstehen möchte, ist ganz einfach ein Korruptionsprozeß. Aller- dings kein« gewöhnliche Angelegenheit, bei der es sich„nur" um mehr oder minder große Unterschlagungen handelt, sondern, wie alles in diesem Lande der großzügigen Pläne, Korruption im„planeiarischen Maßstäbe". In Charkow , der Hauptstadt des zweitgrößten Bundesstaates der Sowjetunion , der Ukraine , dem„russischen Chikago", wie diese Stadt schon vor dem Kriege in Rußland gern genannt wurde, erhebt sich in einer der Hauptstraßen ein stolzer mehrstöckiger Bau. In den Räumen, die früher einer der vielen Kohlenmagnaten der vorrevolutionären Zeit sein eigen nannte, befindet sich heute eine Sowjetinstitution mit sehr viel Angestellten, Schreibmaschinen und Konferenzzimmern: das B a u b u r e a u des großen Kohlentrusts des Donezbeckens„Donugolj", der an die Stelle der früheren Zechenmagnoten getreten ist. Diesem Baubureau liegt eine große und verantwortungsvolle Aufgabe ob— der Bau von Ar- bciterwohnungen für die vielen Tausende von Berg- orbcitern, die in den Gruben des Beckens beschäftigt sind. Es ist kein Geheimnis, daß von diesen vielen Tausenden nur ein geringer Prozentsatz„mit Wohnfläche versorgt ist", wie es in der russischen Amtssprache heißt. Die übergroße Mehrheit kampiert vielfach unter freiem Himmel, bestenfalls aber in schleunig zu- sammengezimmerten Sommerbaracken. Das Baubureau baute ein Jahr, zwei Jahre, fünf Jahre lang. Die Arbeiter kam- pierten aber noch immer unter Sonne und Regen, während in Moskau in den Zentralbehörden fleißige Köpfe eingehende statistische Berechnungen über die Behebung der Wohnungsnot anstellten und nicht minder sleißige Hände schöne Diagramme zeichneten, aus denen die Bergleute ersehen konnten, daß sie eigentlich schon so gut wie olle Neubau- Wohnungen besaßen. So war die Arbeit Jahr für Jahr eingeteilt: in Moskau wurden Diagramme gezeichnet, in Charkow wurde„gebaut" und im Donezbcckcn... kampierten Tausende und ober Tausende von Bergleuten unter dem schönen ukrainischen Sternenhimmel. Jede Behörde arbeitet im Sowjetstaat bekanntlich nach einem„P l a n", jeder Plan wird nach einem besonderen Prinzip aufgestellt. Run, das„Prinzip", von dem sich das Baubureou des„Donugolj" leiten lieh, war sehr einfach: Arbeitcrwohnungcn so schnell und so „billig" als möglich zu bauen, ohne Rücksicht auf ihre Bewohnbar- keit. Welche Rolle spielte es denn dabei, wenn diese„Arbeiter- Wohnungen" bereits am zweiten Tage nach ihrer Fertig- stellung reparaturbedürftig waren? Die Arbeiter waren allerdings anderer Meinung und zogen es fast immer vor, das Himmelszelt über sich zu hoben als die problematische Decke eines„Neubaues". Herrschten auf dem Gebiete des Wohmmgs� (Fortsetzung aus der 2. Seite.)
Erste Fahrt des Fiesen-Flugbootes„Fomar".
Der riesige Fumpf wird durch die Straßen Berlins transportiert. Malmgreen, Amundsen oder Sora? Die Gruppe Viglieri so gut wie aufgegeben.
Gestern hat der Eisbrecher„K rassin" seine Jährt zu der Gruppe ausgenommen, dir der russische Flieger T s ch u ch- n o w s t i im Polareis entdeckt hat. Er will unter alten Umständen versuchen, diese Gruppe zu retten. Bis zur Stunde weiß man noch nicht, um wen es sich bei den gesichteten drei Verschollenen handelt. Es kann Malmgreen sein, der mit zwei Kameraden Nobile nach dem Eintritt der Katastrophe vom 25. Mai verließ: es kann sich um Sora und seine zwei Begleiter handeln, die mit einem Flugzeug an die Schiffbrüchigen heranzukommen versuchten, es kann endlich A m u n d s e n mit seinen beiden Gefährten D i e d r i ch s e n und Guilbaut sein. Die Versuche Tschuchnowskis, in der Nähe der von ihm entdeckten Gruppe zu landen, sind leider gescheitert.
Heule stMttter Tai Mittags 1 Uhr: 31 Grad im Schatten.
Fünfmal hat der Flieger die Gruppe umkreist, dann ist er nach seinem Muttcrschiss zurückgeflogen, um Meldung zu erstatten. Der Kapitän S a m u e l o w s k y hat sofort Befehl gegeben, mit Volldampf die Fahrt in Richtung aus die Position aufzunehmen, die von dem Flieger angegeben ist. Noch heute hofft der Kapitän die drei verlassenen zu erreichen, vorausgesetzt, daß die Eisryasscn nicht undurchdringlich sind. Der Umstand, daß der„Krassin ", seine ganze Kraft für die Retwng dieser Gruppe aufwendet, macht die Lage der Viglieri- Gruppe indessen noch hoffnungsloser. Man kann kaum mehr daran zweifeln, daß die von ihrem General verlassene Zllannschaft verloren ist und ein Opfer der Leichtfertigkeit Nobiles wird. Der .„Krassin " verfügt nicht über genügend Kohlen, um beide Gruppen retten zu können. Er müßte, ehe er zu dem vor dem Untergang stehenden Viglieri und seinen Kameraden vorstoßen könnte, einen Hafen anlausen, um Kohlen zu fassen. Dann aber dürste es zu spät sein.
Im Zusammenhang mit der Entdeckung der drei Verschollenen durch Tschuchnowski hat der schwedische Kriegsmini st er durch Funkspruch angeordnet, den Rücktransport des großen Wasser- flugzcuges„U p p l a n d" aus Spitzbergen einstweilen aufzuschieben. Die deutsche K l c m m- D e i m l c r- M a s ch i n e ist in Spitzbergen eingetroffen. Sie soll sofort startbereit gemacht werden, um zur Viglieri-Gruppe zu stiegen. Man fürchtet allerdings, daß es auch für dieses leichte Flugzeug fast unmöglich sein wird, auf dem brüchigen, mit losem Schnee bedeckten Eise zu landen. Die Erbitterung über den Leichtsinn und das unglaubliche Verhalten des Generals Nobile ist namentlich in skandinavi- schen Ländern im ständigen Wachsen. Der Tod Ceccionis, der zwar von der faschistischen Gesandtschast in Oslo dementiert wird, an dem aber niemand zweifelt, hat den Zorn über den Mann noch gesteigert, der vor seiner technisch schlechtgerüsteten Fahrt mit heldenmütigen Worten nicht sparte, dann aber, als die von Kennern und Warnern vorausgesehene Katastrophe eintrat, sich als Erster in Sicherheit bringen ließ. * Nach den letzten Meldungen war Tschuchnowski mit seinem dreimotorigen Hunkers-Flugzcug in Begleitung eines zweiten Piloten, eines Junkers, eines Mechanikers und eines Kino- operatcurs bis zur Insel Groß vorgedrungen, aus dem Rückslug ober von dichten Nebeln überrascht worden, die ihn verhinderten. den„krassin" wieder a u s z u s i n d e n. Sie landeten an der Küste des N o r d o st l a n d e s auf dem Eise, wobei die Schncckusen des Apparates gegen einen Eisblock stießen und so stark beschädigt wurden, daß vorläufig nicht mehr an einen Start zu d c n k c n i st. Die Jliegcr blieben aber unversehrt und ließen das Flugzeug aus dem Eise zurück. Sie erreichten das Festland. wenn es sich bei den entdeckten Schissbrüchigen um die M a l m- grcen-Gruppc handelt, so ist zur Rettung der Unglücklichen höchste Eile not. Sie müssen ungeheure Entbehrungen ausgcstand«n haben, da sie ungenügend ausgerüstet sind und nicht einmal geeignete Schuhe und Feuerwaffen besaßen. Seit 4t Tagen sind sie aus dem Eise unterwegs und hatten nur 4 0 K i l o- gramm Lebensmittelkonserven bei sich.