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Beilage

Dienstag, 14. August 1928.

Die Hütte im Schatten.

Bei Waldarbeitern, Perlenstickerinnen und Glockengießern. Mit Zeichnungen von Fritz Winkler  - Dresden  .

Wenn in den Gärten der Ebene alles längst in Blüte steht, trauern die dunklen Wälder des oberen Vogtlandes noch unter der weißen Last des Winters. Mitte Mai, nach einer Woche voll Sonne, Vogelgesang und erstem Saatengrün, besinnt sich die kalte Jahreszeit wieder auf ihr altes Recht, hier oben acht Monate lang

Rautenkranz

FW.

zu regieren. Plötzlich tragen die alten Fichten auf ihrem refigniert hängenden Geäst dicken Schnee. Die Wege biegen weiß durch das tiefe Dunkel des Hochwaldes, und auf den kleinen Bahnhöfen zwischen Schöned und Rautenfranz stampfen die wenigen Fahr­gäste den Schnee von den Stiefeln, ehe sie ins Kupee klettern. Bei solcher Witterung müssen die Waldarbeiter feiern. Sie waren in den Neuanpflanzungen beschäftigt, hatten also schon mit Der Frühjahrsarbeit begonnen, da kam der Schnee noch einmal und diftierte einen Urlaubstag. Urlaub, wie hübsch das klingt! Aber meist macht die Witterung mehr Urlaubstage als im Arbeits­vertrag stehen und der Hungerriemen Löcher hat.

Unser Rautenkranzer Freund. fizt also zu Hause. Danket dem Serru" steht über seinem Sigplatz an der faltgetünchten Wand. Das Gesicht des Urlaubers" aber will nicht recht zu diesem Wand spruch passen. Ja, der Winter, der die Wafdarbeiter rausreißf" ist vorüber. Wenn es auch oft ungemütlich war, bei jedem Schnee. und Frost hinauszumüssen, und wenn auch viel Kleidung und Schuhwerk in die Brüche ging, aber das Holzschlagen im Akkord bringt doch an die 40 bis 50 Mt. Wochenlohn ein. Davon muß bann im Sommer mit gezehrt werden.

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Laubholz gibt es im staatlichen Revier Georgengrün 3mi­zwi= fchen Ellefeld und Rautenkranz nur wenig. Also fommen nur Die Schlägerlöhne für Nadelholz in Betracht, die geringer sind als die für Laubholz. Für das Abschneiden und Ausasten eines Stammes unter 15 Zentimeter Mitteldurchmesser( ohne Rinde) werden 27 Pf. bezahlt, für einen Stamm von 15 bis 19 Benti­meter 43 Pf., von 35 bis 39 Zentimeter 200 Pf. und von 50 bis 59 Zentimeter 410 Pf. Aber so sehr starte Stämme gibt es in dieser Gegend kaum. An einem 43 Zentimeter dicken Stamm haben kürzlich zwei Mann Tag lang gearbeitet. Der Baum mußte abgeschnitten, der Stock ausgegraben und gespalten werden, und außerdem galt es, fieben starke Aleste( Knüppel) abzufägen. Für den Stamm gab es 2,60 m., für die Stöcke 12,50 m, die Rnüppel wurden zu drei Meter Scheitholz zerkleinert, dafür wur­den 7,50 M. bezahlt. In sämtliche Lohnposten mußten sich zwei Mann teilen. An einem starken Baum ist also gar nicht so viel zu verdienen, wie das auf den ersten Blick aussehen mag.

Während des Winters werden im Revier Georgengrün 3300 Festmeter Holz geschlagen. Was nicht fertig geworden ist, kommt im Sommer dran. Die Rinde wandert in die Gerbereien, das Holz wird auf Auktionen von den Händlern erstanden und an die Schneidemühlen und Kohlenschächte verkauft. In den Schneide­mühlen wird ein Lohn bezahlt, der sich ungefähr auf derselben

Die Staatskammer

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Der Waldarbeiter, bei dem wir die Stichprobe aufs Erempel machen, wohnt bei seinem Arbeitgeber in Untermiete, bei der Forstverwaltung, beim Staat also! Donnerwetter nochmal, er ist demnach sozusagen ein staatlicher Angestellter. Nun seht mal an, wie der Staat für seine Arbeiter sorgt. Monatlich 10 m. Miete kostet die Wohnung. Das ist nicht viel, meint ihr? Für die kleine Küche, die völlig sonnenlose und deshalb immer feuchte gute Stube" und eine Bodenkammer Geld genug! Halt, da ist ja noch eine Bodenkammer. Die sechs Kinder wurden allmählich zu groß, um mit den Eltern Bett an Bett zu schlafen. In der guten Stube" drohte das Ehebett zusammenzufaulen, also wurde der Arbeitgeber und Hausherr Staat ersucht, dem finderreichen Untertan einen Raum zu geben, in dem sich das eheliche Leben ohne sittliche Ge­fährdung dritter abspielen konnte. Der Staat wußte sich zu hel­fen. Nachdem er sich lange genug hatte bitten lassen, wurde dem Ehepaar ein Stück früherer Wäscheboden angewiesen. Eine elende schräge Ecke, ein Winkel unterm Dach, mit einem kleinen Dach­schiebefenster. Dort steht das Bett zwischen Balken und Sparren, der Wind pfeift durch die Dachschiefer und wer nicht frieren will, muß sich mit seinem Bettnachbar zudecken. Die erste Kammer des Staates in Dresden   hat für die Besen und Eimer der Scheuer­frauen einen schöneren Abstellraum als diese Staatskammer", diese eheliche Schlafstube" eines Arbeiters auf staatlichem Grund und Boden.

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Im Sommer mag's ja gehen, obwohl dieses Eheparadies auch dann noch an die Bezeichnung Sommerfrische erinnert, mit dem Nachdruck auf der zweiten Worthälfte. Richtig, Morgenröthe­Rautenkranz ist ja eine weithin bekannte Sommerfrische. Die Touristen kommen gern in die Waldtäler herauf, und die profe­tarischen Naturfreunde haben auf halber Höhe über dem Ort ein Ferienhaus, das auf genossenschaftlicher Basis bewirtschaftet wird und in dem die kommende Arbeiterferienkultur die ersten Kinder­schuhe austritt. Nebenan ist eine Jugendherberge, und alles ist auf den bald beginnenden Andrang eingerichtet. Manchmal, ist der Fremdenzuftrom so lebhaft, daß die Einheimischen aufs Heu friechen und ihre Betten vermieten.

Die Perlennäherei bringt noch weniger ein als die Stepperei. Fattore aus Eibenstock   liefern den Tüll mit dem vorgedruckten Muster und die Perlen dazu. Aus Perlen und Flitter nähen die Frauen Rosen und Ornamente als Taschenbesaß, besetzen ganze Kleider mit reichem Perlenschmud, Kleider, die dann ein kleines Vermögen kosten. Die Heimarbeiterin verdient in sechs Tagen fünf Weshalb d alb arbeiten diese Frauen eigentlich? Weil die Männer

Mark.

Der Abend

Spalausgabe des Vorwärts

so wenig verdienen, sehr einfach. Sie helfen sich gegenseitig die Löhne niedrig halten. Das Resultat ist sehr traurig. Hier, einge= bettet von Wäldern, in denen eine Lungenheilstätte neben der anderen Genesung verspricht, haust die Proletarierkrankheit unter den Schindeldächern der Arbeiterhütten, und die bleiche Not blickt durch die beschatteten Fensterscheiben.

Es ist nicht leicht, hier die Faust zu ballen und sie dem Unter-. nehmer unter die Nase zu setzen. Zumal wenn die Arbeiter in Werkswohnungen fizzen. Dem Eigentümer von zwei Glockengieße= reien und einer Schneidemühle in Morgenröthe- Rautenkranz   ge= hört das halbe Tal. Wenn er befiehlt, dann bekommen die Ar­beiter keinen Versammlungssaal, verweigert der Wirt einem pro­letarischen Wandertheater die Bühne wegen Gefährdung der Sittlichkeit". Nach dem Krieg hatten die Glockengießer Hoch­

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Glockenbude in Morgenröthe  

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betrieb. Die eingeschmolzenen Glocken mußten ersetzt werden. Die Kirchen weihten die Kanonen von morgen. Mehr als 30 000 Klangstahlglocken hat die Firma Schilling u. Lattermann in Apolda   mit den 3weigfabriken in Rautenkranz   und Morgenröthe  gegossen, darunter Riesen von über 7000 Kilogramm Gewicht.

Der Reporter und sein Freund der Maler steigen den Berg­hang über der schwarzen Bude mit dem Herrenhaus und den ge­duckten Arbeiterhäusern hinauf nach dem Ortsteil Zeughaus. Die Berge stehen blau im Licht des Abends, die Wälder rauschen feierlich, auf der Sonnenseite schmolz der Schnee und läßt die braunen Aecker dampfen. Vögel fingen und die Welt ist schön.

Hört, ihr Freunde in den kreischenden Schneidemühlen, ihr Gießer der tönenden Glocken, ihr Arbeiter im Aechzen der Wäl­der, ihr Perlenstickerinnen in den engen Stuben, hört: Die Welt ist schön, sie ist euer, wenn ihr nur wollt!

Erich Knauf  .

Drei Nächte in Eistodgefahr

Das Drama auf dem Frühstücksplatz.

Der Dachstein ist ein gewaltiges Kaltsteinmassiv in Oberösterreich  - Steiermark  . Von seinem 3000 Meter hohen Felsgipfel ziehen mächtige Eisströme nach Norden und Osten herab die öst­lichsten Gletscher der Alpen  . Von dem unvergleichlich schön an der Bergmand vom See hinaufgebauten Hallstatt  , der Salzberg­knappenſtadt mit sozialdemokratischer Verwaltung, bekanntem Fund ort von Keltengräbern, erreicht man in acht Gehstunden die Simony­Hütte und den Anfang des Karls- Eisfeldes; der andere Gletscher fällt zum hinteren Gosausee ab. Beide Besteigungswege sind zwar lang­wierig und anstrengend, aber nicht gerade gefährlich.

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Nach Süden aber, in die Ramsau   oberhalb Schladming  im Ennstal stürzt der Dachstein ganz steil ab, und seine Ersteigung von da aus ist schwerste Kletterarbeit, die große Uebung, große Gewandtheit und gutes Wetter erfordert, wenn sie gelingen soll. Gar viele schon haben den fühnen Versuch mit ihrem Leben bezahlt. Ein solches Drama hat sich in der vergangenen Woche abgespielt. Sechs Wiener   Touristen, davon mehrere Mitglieder der Arbeiterorganisation Naturfreunde", waren morgens durch die Dachsteinsüdwände emporgeklettert, aber gegen Mittag in der Wand von einem furchtbaren Sturmmit Regen und Schnee= gestöber überrascht worden. Sie mußten sich entschließen, in der Wand, auf dem sogenannten Frühstücksplaß", einer fleinen Ver­breiterung des ziemlich horizontal verlaufenden Bandes, von dem der Fels viele hundert Meter jäh abstürzt, zu bi wa kieren, da an ein Vorwärtskommen ebensowenig zu denken war, wie an eine Rück­fehr ins Tal. Sie hatten Zeltblätter mit und wickelten sich, so gut es ging, auf der schmalen Felsplatte in die Zelte ein. Auch als das Unwetter sich gelegt hatte, war es ihnen unmöglich, sich aus ihrer Lage zu befreien, weil die Felsen start vereist waren. Außerdem waren die Verunglückten durch die

fürchterliche Hälfe und Näffe

sehr mitgenommen und faum mehr imstande, schwierige Klettereien durchzuführen. Es gab daher für die Rettungsexpeditio­nen, die von Schladming   aufgebrochen waren, als man vom Dach stein Hilferufe gehört und hinuntergemeldet hatte, keine andere Möglichkeit, als die Berunglückten über die wenigen hundert Meter, die sie noch vom Gipfel entfernt waren, aufzuseilen. Das Auf­feilen von Berunglückten, die sehr erschöpft sind, ist eine überaus schwere Arbeit. Eine große Schwierigkeit liegt auch darin, daß man dazu mehrere hundert Meter Seil braucht. Da ein Kletterseil gewöhnlich 25 oder 30 Meter lang ist, hatte die erste Rettungsexpedition für diese Aufgabe

nicht genug Seillänge, wodurch sich die Rettungsarbeiten start verzögerten.

Höhe bewegt wie der Lohn der Waldarbeiter. Im Winter find die Schneidemühlenarbeiter erwerbslos. Dann leben sie von der Unterstützung und von der guten Luft hier oben. Es war schwer, fie freigewerkschaftlich zu organisieren, zumal die Unternehmer nicht glauben wollten, daß es den Roten gelingen sollte, in dieser Man mußte stundenlang warten, bis aus der Adamekhütte am Gosau  Gegend für immer Fuß zu fassen. Die Waldarbeiter sind fefter gletscher genügend Seil herbeigeschafft war. Auch dann stellten sich zusammengeschlossen, in Morgenröte- Rautenfranz fibt eine gute der Rettungsarbeit noch große Hindernisse in den Weg. Die Retter Ortsgruppe der Sozialdemokratischen Partei, und im Gemeinde- fonnten über die vereisten Felsen nicht ganz bis zum Stand­verordnetențollegium haben die Arbeiter das Heft jest in der Hand. I ort der Berunglüdten vordringen. Sie tonnten sich zwar mit ihnen

durch Rufe verständigen, die Verunglückten selbst blieben ihnen aber durch einen Felsvorsprung verborgen. Die Retter konnten daher die furchtbar erschöpften Touristen nicht selber anfeilen. Einer der Geretteten berichtet, daß sein Freund Ed­mund Sturm in der furchtbaren Verzweiflung, die ihn ergriffen hatte, zu to ben begonnen hat und von seinen Gefährten mit einem Stück Seil an zwei Mauerhaken, die man in den Fels trieb, angebunden werden mußte, weil er sich und seine Begleiter in größte Gefahr brachte. Er ist dann einige Stunden später an Er= schöpfung gestorben. Bei dem Versuch, seine Leiche zu bergen, ist eine Seilschlinge gerissen und die Leiche in die Tiefe gestürzt. Da es tiefe Nacht war, konnte man nicht genau aus­nehmen, wo der Körper aufgefallen ist.

Tragischerweise ist bei den Bersuchen, die Verunglückten zu bergen, auch ein Lebender abgestürzt. Franz Wind­steiger war angefeilt worden und man hatte begonnen, ihn auf­zufeilen. Das Seil wetzte sich aber an einer scharfen Felskante, über die es unglücklicherweise geraten war, durch, riß, und

der Retter stürzte in die Tiefe.

Nun gaben die Schladminger   ihre Rettungsarbeit auf, obwohl noch ein Ueberlebender, Galbawi, in der Wand war. Er mußte eine dritte Nacht in der Wand zubringen.

Auf dem winzigen und sehr gefährlichen Frühstücksplay" mußten die Verunglückten einen Wachtdienst einrichten, um zu verhüten, daß die vor Erschöpfung eingeschlafenen Gefährten dem Rand des Bandes zu nahe kamen. Sie hatten schon, als die Schlad= minger Rettungsgruppe von der sogenannten Dachsteinwarte, einem Felspunkt am Südende des Hallstädter Gletschers, antam, er­fahren, daß man ihre Hilferufe gehört hatte und die Retter unter­wegs waren. Die Dachsteinwarte liegt unmittelbar am Absturz der Südwand, fast genau in der Höhe des Frühstücksplazes.

Eine der Dachsteinsüdwandrouten führt zur Dachsteinwarte, doch zweigt diese Route schon viel früher von den anderen, die un­mittelbar zum Dachsteingipfel führen, ab, so daß es nicht möglich ist, den Frühstücksplay von dort aus zu erreichen. Die Verstiegenen mußten daher noch lange warten, ehe die nach dem tragischen Mißerfolg der Schladminger   aus Wien   herbeigeeilte Rettungstruppe den Dachsteingipfel erreicht hatte und von dort in ihre Nähe fam Auch dann mußten sie noch

qualvolle Stunden ausharren, weil jeweils nur einer von ihnen aufgeseilt werden fonnte.

Einer der Gereiteten war so erschöpft, daß er nur äußerst lang. sam und unter Lebensgefahr für die Retter über den Steig Dachsteinspize- Gosaugletscher heruntergebracht werden fonnte und dann auf einem Schlitten, den man von der Hütte herbei­schaffen mußte, zur Adamethütte gebracht wurde.

Von den sechs Touristen ist einer, von den Schladminger   Rettern gleichfalls einer nicht mehr heimgefehrt.

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