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Beilage

Donnerstag, 16. August 1928.

Therkundgebung.

Rote Dreivölkerkundgebung.

Der internationale Sonntag in Basel  .

Während drunten, in Frankfurt  , Sonderzug um Sonderzug mit deutschen   Republikanern unter der schwarzrotgoldenen Fahne ein­fährt, strömen nach der alten deutschen   Schweizerstadt am Oberrhein Tausende und aber Tausende von Sozialisten. Unter der roten Fahne. Und nicht nur aus Deutschland  . Aus der Schweiz  kommen sie, aus dem Kanton Basel Stadt und Land in erster Linie, dann auch aus dem Aargau   und anderen nahen Kantonen. Französische   Sozialisten kommen aus dem Elsaß  ... und fie reden genau so derb und gurgelnd ihr Elsässer Alemannisch wie unsere badischen Landslüt aus dem Wiesental, aus Kandern  , vom Hotzenwald, von Freiburg  , Emmendingen  , die Teninger   kommen gleich über hundert Männer und Frauen start, und die Lahrer  bringen noch ihre ausgezeichnete Musif mit. Und vom Oberrhein, Don Rheinfelden und Säckingen   her, fahren sie mit Musik und Ge­fang im Schiff den grünblauen, ungefügen jungen Rhein   herunter, und ihre rote Fahne flattert stolz und leuchtend in das Blau dieses herrlichen Sommertages.

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Ein wundervoller Tag! Und eine wunderschöne Fahrt das lang­gestreckte Badnerland herauf. Der Sonderzug, ein roter Sonn tagszug, rattert durch den schönen Breisgau  , hinauf ins Mark­ gräflerland  ; an den Hängen stehen meilenweit die Reben, bei der Be muß es bigott e guete Wi dies Jahr da droben geben! Am Horizont leuchtet der Blauen und das wundervoll geformte Massiv des Belchen; davor grüßen, helle fleine Bunkte, die Häuser und Billen von Badenweiler herüber, wo in diesen Tagen der Reichs fanzler Hermann Müller meilte und der frühere Groß herzog von Baden starb. Dort liegt er nun aufgebahrt, der letzte Repräsentant der alten Zeit, einer von denen, die schon vor ihrem Tode gestorben sind, weil sie nicht mit dem lebendigen Lauf ihrer Beit Schritt zu halten wußten; aber hier unten eilt die neue Zeit, die kommende Zeit unter roten Fahnen gen Basel  . Dort grüßt das Münster  , das schon einmal, 1912, einen solchen roten Tag er­lebt hat.

Im Gewerkschaftshaus trifft man sich. Da sieht man die Ge= nossen wieder, die man von so manchem Kampf her fennt, und die schwieligen Hände finden sich zum Gruß! Die Bajeler Genoffen haben ein schönes, modernes und, wie wir feststellen fonnten, auch gut geleitetes Heim; manche deutsche Stadt fönnte dort etwas lernen. Und dann geht es hinab ans Rheinufer. Dort formiert sich der 3ug. Der lange, lange Zug, mit seinen vielen roten Fahnen, den Tausenden und aber Tausenden von Genossen und Genoffinnen, die heute, am roten Sonntag, in Basel   zusammengeströmt sind. Warum? Um zu zeugen für eine große Idee: für Frieden und Freiheit! Denn das war wieder einmal das Große und Herr liche in unserer sonst so fleinlichen und harten Welt: daß hier in den Willen Tausender ein helles Licht aufstrahlte, eine Fackel auf­leuchtete und ihren Schein hineinwarf in die Seelen wir geloben aufs neue Kampf dem Kriege, Kampf der Gewalt, Kampf der Aus­beutung, weil wir wollen, daß der Mensch frei sei und Bruder unter Brüdern! Diese

rofe Pfingſlbotſchaft es war wie bein

sprach auf dem Münsterplatz in drei Sprachen, und es war wie beim Pfingstfest der ersten Christen: alle verstanden den Sinn der fremden Laute, Bor sechzehn Jahren hatte hier Jaurès  , der große, unvergeßliche franzöfifche Europäer und So­zialist, ein mahnendes Wort gesprochen; Europa   hat seine Mahnung nicht hören wollen, und teuer, teuer mußten alle es bezahlen. Heute war es Genosse Fauilleron, der für die Franzosen sprach, und auch in ihm lebte der Geist des Mannes, dessen Tod des Symbol war des grauenhaften Rufes: C'est la guerre! Das ist der Krieg!

Und dann kam ein weißtöpfiger Italiener, Chiesa: aber welch jugendlicher Mensch war das! Wie strömte aus ihm die große leidenschaftliche Liebe zu einem freien Italien  , wie erschütternd war es, aus seinen Borten, auch wenn man sie im einzelnen nicht verstand, und aus seiner südlichen Lebendigkeit und Bewegtheit heraus zu spüren das große Leid und den Schmerz und die Trauer über das geknechtete Bolt des Duce; aber auch der Glaube war da und der Kampfwille und die Zuversicht, daß die Diktatur des Faschis: mus einst fallen werte und wieder ein freies demokratisches Italien  erstehe. Der Mann, der da sprach und

den Schatten Matteottis in unsere Seelen fallen ließ, war ein lebender Zeuge gegen die Brutalität des Faschismus: und niemand war unter den Zehntausenden auf dem Münsterplatz, der nicht im Banne dieses Ausbruches politischer Leiden fchaft stand! Und dann sprach unser Genosse Schöpflin für die deutschen   Teilnehmer. Nach ein paar Säßen hatte er die Massen gepackt: denn die badischen, schweizerischen und elfälischen Alemannen fpürten: das ist einer von unserem Schlag! Die Elsässer und Schweizer   horchten auf, als er sagte: Die Monarchie ist teine Gefahr mehr in Deutschland  - die Gefahr ist die tapitalistische und militaristische Republik  ! Gegen diese Gefahr gibt es nur ein Mittel: die politische Macht der Arbeiter. Plajie! Aber noch haben wir diese Macht nicht: mach emol e Fuscht, wenn de bigot chai hand hescht!( Mach doch mal eine Faust, wenn du feine Hand hast!) Diese Alemannenwort zündete, und es sagre den Tausenden mehr an politischer Erkenntnis, als die schönsten Worte über politische Dynamit.... Und ein zweites Wort zündete: wir wollen

einen Rhein  , der nicht alle paar Jahrzehnte in Ströme von Blut verwandelt wird, einmal von drüben, einmal von hüben. Wir wollen am Rhein   und mit diesem Strom Kultur merte erschaffen, nicht vernichten! Und in der Seele eines jeden dieser vielen, vielen oberrheinischen Sozialisten erstand das Bild der Heimat als einer starten, friedlichen, meriefchaffenden Gemeinschaft aller Arbeiten­den! Dann sprach noch der Schweizer   Rationalrai Dr. Schmid, und wir hörten, daß auch in der freien Schweiz  die Freiheit nur soweit erlaubt ist, als fie dem Kapitalismus nicht hindernd in den Weg tritt. Und das war auch die große Erfenntnis des roten Sonntag der oberrheini­schen Internationale: mir fämpfen alle gegen den gleichen Feind! Ob drüben in Frankreich  , ob drunten in Italien  , ob bei mjeren Rachbarn in der Schweiz  , ob bei uns in der deutschen   Hei

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mat, immer ist es das gleiche: die Mächte des Kapitalismus, als Militarismus oder Faschismus aufgepußt, stehen in Front gegen die Arbeiterklasse. Und mit ihnen, leider, die Kommunisten. Das hat sic; gestern in Basel   wieder gezeigt. Die KPD. in Basel  besonders neidisch hatte zu einer Gegendemonstration gegen die sozialistische Kundgebung aufgerufen. Wir marschierten an ihrem Plage vorbei es war jämmerlich, was dort herumſtand. Eine Handvoll wüster Gestalten! Und nachher, als der Zug der Tausende vorbei war, hielten die traurigen Gesellen die Zeit ge= fommen, die am Schluß gehende Arbeiterjugend zu über fallen und eine Schlägerei zu beginnen. Ein erschütterndes Sinnbild:

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im Rüden der marschierenden Arbeiter greifen sie an; ein wider­wärtiger, efelhafter Dolchstoß gegen die Arbeiterbewegung. Wie müssen sich die Mächte der Reaktion darüber gefreut haben! Ein Symbol für den Bolschewismus war diese traurige kommu­nistische. Attace! Ein infames Sinnbild. Aber das richtige. Das wahre Gesicht des Bolschewismus.

Wir erfuhren davon erst, als wir längst auf dem Münsterplatz angekommen waren. Auch das ist ein Symbol: die Arbeiter­klasse marschiert unter der roten Fahne des So. zialismus unbefümmert, auch wenn irgendwo im Rüden feige und unverantwortliche Kerle fic an fallen. Sie können nicht mehr den Marsch aufhalten. Die masse marschiert. Unter der roten Fahne. Durch den blauen Sommertag zu den Höhen der Freiheit! R. G. Haebler.

Der Abend

Spalausgabe des Vorwärts

Rothenburg ob der Tauber  .

Eine Stadt aus dem Mittelalter.

Wer vom Bahnhof tommend Rothenburgs Rödertor durch­schreitet, der glaubt in das Mittelalter versezt zu sein. Kein moderner Bau stört in der berühmten Tauberstadt diesen Eindruck, ständig sprudeln die Brünnlein ihren Strahl in ihre mit Blumen tapezierten Becken. Im Mittelpunkt der Stadt die St. Jakobskirche  , ein ge­waltiger Bau mit prächtigen Glasmalereien. Die Jakobskirche birgt nicht nur religiöse, sondern auch politische Erinnerungen. Im Jahre 1525 hat in der Kirche der Hauptmann der Bauern, Florian Geyer  , die zwölf Artikel der aufständischen Bauern der ver­sammelten Gemeinde vorgetragen. Hier in Rothenburg   war es, wo Florian Geŋer mit seinem Anhang den Schlachtplan und die Feld­züge gegen die Fürsten   fertigstellte; hierhin floh auch der radikale Bilderstürmer Dr. Karlstadt.

Am Marktplatz steht das alte Rathaus. Eine Urfunde berichtet, daß der Rothenburger   Altbürgermeister Nusch durch einen ge­waltigen Trunt von Schoppen fränkischen Edelweins mit einem Zuge die von Tilly bereits verurteilten Ratsherren und die Stadt vor Brandschahung und Plünderung gerettet hat.

In den alten Gaffen und Straßen herrscht auch werttags sonn­tägliche Ruhe. Ueberall stößt man auf alte Kapellen, Köster, Kirchen und alte Tore. Von der Stadtmauer, die sich noch um die ganze Stadt zieht, gewinnt man ein gutes Gesamtbild. An einem Ende der Stadt steht noch der Faulturm, wo die Schwerverbrecher hineingeworfen wurden. Sie mußten dort verhungern, die Leichen wurden von Rotten und anderem Ungeziefer angefressen, so daß sie mit der Zeit verwesten und verfaulten. Daher der Name Faulturm. Der tapfere und fluge Bürgermeister Heinrich Toppler  , der von 1373 bis 1408 an der Spize des Stadtregiments stand, wurde trog aller Verdienste von seinen Feinden verleumdet, angeblich sollte er mit dem Burggrafen von Nürnberg   um den Besitz der Stadt Rothenburg   gewürfelt haben und sie an demselben verspielt haben, und in das unterirdische Gefängnis geworfen. wo er Max Meilicke. verschmachtete.

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Wochenende in Dessau   und Wörlitz  .

Eine Fahrt der ,, Naturfreunde".

Der Touristen- Berein Die Naturfreunde" veranstaltet| Damm ist der beste Wegweiser, der uns die Weiten übersehen und am 18. und 19. Auguft eine Wochenendfahrt nach Dessau   und in den Wörliher Part. Teilnehmerkarten find im Reifeburau des genannten Bereins, N. 24, Johannis­straße 14/15, zu haben.

Einzelbilder erleben läßt. Auch sonst sorgt dieses Bauwerk für mancherlei Anregungen und fulturhistorische Betrachtungen. Wie­Diel Unheil und Katastrophen haben seine Wälle verhindert. Weit fieht man links von seiner Höhe in das breite Elbtal und erlebt mit Schaudern, wie gewaltig sich dieses Tal verbreitern würde, wenn Schneeschmelze oder Regengüsse im Gebirge die Elbe plöt

Auch das Wochenende ist der Mode unterworfen. Und was früher schön und edel war, läuft heute Gefahr, als Kitsch bezeichlich anschwellen lassen und die hinter dem Damm liegende Kultur

net zu werden. In den verschiedenen Schloßparks und Lust­gärten" der gewesenen Herrschergeschlechter ist auch heute noch manches vorhanden, was dem Wochenend- Bedürfnis einer frühe­ren Geschmacksrichtung dienen mußte. Beim Wandern durch die Lande ist es darum interessant festzustellen, was dieser oder jener Herrscher" in seinem, Bereich zur Verschönerung der Landschaft beizusteuern versucht hat. So gab es nicht wenige regierende Fürsten  ", die sich in Bartanlagen fünstliche Ruinen erbauen ließen, um ihrem etwas eintönigen Park oder Luftgarten einen klassischen Anstrich zu geben.

Bei der Konkurrenz dieser Herren untereinander überschlug sich dann die Phantasie. Und wenn wir auch heute nur die ver­schiedenen Ruinen" bei Potsdam   sehen, haben wir für den Ge­schmack der Erbauer nur ein mitleidiges Lächeln.

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Eine rühmliche Ausnahme dieser gefünftelten Parkanlagen macht der Schloßpark von Wörlig. Denn er liegt in land­schaftlich schöner Lage, so daß die geistigen Auswüchse der früheren Herzöge von Anhalt niemals zur Hauptsache in diesem Parke merden konnten. Man kann mit Hilfe einer Sonntagskarte der Eisenbahn die ganze Gegend zum schönen Wochenenderlebnis ge­am Sonnabend gegen Abend in Dessau  stalten, wenn man

eintrifft.

Ein Gang durch die abendlichen Straßen der älteren Stadt bringt gleich wunderbaren Kontrast gegen das Haften der Groß­stadt. Schneller als wir denken stellt sich dann der ganze Mensch auf friedliches Erleben ein und ist bereit, den Alltag zu vergessen. Und wenn man am Sonntag morgen von Dessau   auf dem alten Elbdamm nach Wörlitz   wandert, wird man mit Freuden fest­stellen, daß Wandern und Laufen nicht dasselbe ist. Der grüne

Im Schloßhof von Wörlitz  .

von Jahrhunderten, urplötzlich vernichtet wäre. Rechts aber be= gleitet uns ein uralter Eichenwald, der mit seinem lichten Baum­bestand weite Blicke in sein Inneres gestattet.

Biele Parkanlagen aus dem Rokoko und der Folgezeit find mitten in den Wald gestellt und sorgen, wie das Louifium, für immer wieder neue Bilder. Dabei hat man filometerlange Schnei­sen durch Eichen und Fichten gelegt, um zum Beispiel in der Ferne einen Kirchturm sehen zu fönnen. Eine ähnliche Großzügigkeit in der Raumbehandlung des Waldes trifft man höchstens noch im Sachsenwalde bei Hamburg   on, den Bismard vom faiserlichen Deutschland   geschenkt bekam. Die Augen des Naturfreundes haben auf diesem Damm viel zu sehen, so daß der Weg nach dem alten Wörlig sehr furzweilig ist.

In den Straßen dieser Stadt ist noch viel von dem Geist ihrer Vergangenheit vorhanden und so klein Anhalt auch sein mag, hier wird es" groß" geschrieben. Auch das Streifen durch den geräu­migen Bark wird zum Erlebnis. Wir müssen zu einem Kirchturm, der auf der Höhe liegt. Die Wohnung des Türmers ist überein­ander angeordnet. Noch vor dem Kriege mußte er allstündlich die Feuerglocke anschlagen, nachdem er sich überzeugt hatte, daß es nirgends in dem weiten Rund brennte. Sein kleines Gehalt setzte sich damals aus vielen Einzelbeträgen zusammen. Die Kirche be= zahlte ihm nur das Reinigen der Turmtreppe bis zur Höhe der Orgel. Darüber begann der Feuerwachtdienst. Es mußten sich, außer der Stadt Wörlig, dreißig umliegende Dörfer um sein Ein­tommen bemühen.

Aus den Fenstern der Glöcknerwohnung hat man ein viel­gestaltiges Bild. Denn einmal liegt die Ackerbürgerstadt Wörlitz  wunderbar aufgebaut tief unten

vor uns und läßt interessante Einblicke in Höfe und Gassen tun. Dann sieht man wieder über den Part hinweg, hinter dem sich das weite Elbtal mit seinem Damm entlangzieht. Die alte und die mo­derne Zeit machen so die Turm­besteigung zum Erlebnis und lassen noch einmal die große Bedeutung Aber des Elbdammes erkennen. auch der eigentliche Schloßpart liegt mit seinen Wasserläufen und phan­tastischen Bauten schön gegliedert zu unseren Füßen. Es ist kurz weilig, durch die Gänge und am Elbdamm entlang zu streifen und die aufgestellten Sammlungen aus aller Welt zu besichtigen. Das Schönste aber sind die seltenen Bäume und Gewächse, die den Park an vielen Wegeden schmücken. Und wenn man dann gegen Abend auf der breiten Straße nach Cos mig wandert, um den Zugan­schluß nach Berlin   zu erreichen, dann kann man feststellen, daß man ein reiches und schönes Wochenende erlebt hatte.

Georg Krämer,