(59. Fortsetzung.) „Mehr noch. Mutti, du weitzt es nur nicht. Ich könnt' heute sogar die vom Baron Nosenberg sein. Denk' dir. Baronin Rosen- berg, die Frau dos größten Schiebers der alten Welt! Und ich würde das ebenso empfunden haben, wie wenn ich— wie wenn ich seinl> Mätresse wäre." Frau Fernleitner wagte nicht zu reden, als sie Hilde so un> gewohnt und so leidenschastlich sprechen hört«. „Nein. Mutti! Wenn ich einen armen Offizier— vor dem Kriege— hätten heiraten wollen, soviel weiß ich von der Zeit damals schon, du hättest es bedauert, aber du hättest es nicht als so entsetzlich empfunden. Und wenn ich dir jetzt einen Schriftsteller als Bräutigam vorgestellt hätte, du hättest auch nicht so verzweifelt drsingsschaut. Aber weil es ein Arbeiter ist.. „Gewiß, weil es ein Arbeiter ist.. „Einer, der sich noch nicht heraufgearbeitet hat. ja, wenn dos nur sein Anfangestadium gewesen wär' und er war' heut' In» genieur oder gar Berwoltungsrat, so was gibt's jetzt in dieser ver- rückten Zeit, nicht wahr?" „Ich versteh' dich nicht immer, Kind." „Wenn du mich nicht verstehst, Mutti, so glaub' dach an mich, wie du es seit jeher getan hast." „Das kann ich nicht. Was du jetzt tun willst, geht über alle meine Begriffe. Einen einfachen Arbeiter, gewiß, er scheint ein anständiger und guter Mensch zu sein.. „Das ist nicht genug?" „Nein, das ist zu selbstverständlich, als daß es genug sein dürste. Aber man verlangt doch um Gottes willen eine Position, eine soziale Stellung." „Er ist Arbeiter und er wird Lehrer werden, das genügt für den Meldezettel." „Bolksschvllehrer?" „Na was denn, Hochschullehrer!" „Du bist nervös, Hildekind..." ,XSa, Mutti, ich will nicht, daß er so auf die Walz' fortzieht..." „Aber das machen doch Arbeiter..." „Vielleicht auf Nimmerwiedersehen!" Die Situation war schwierig. Gleich am nächsten Mvrgen fuhr Hilde wieder nach Kagran — es war dos erstemal, daß sie den Anoromiestunden fernblieb, selbst als sie den verwundeten Finger hatte, war sie wenigstens zu den Vorlesungen gegangen. Blasse Kinder umstanden sie im Krerse, gleich drei oder vier Frauen be- schäftigten sich mit ihr, als sie nach Herrn Wagner fragt«. Er sei noch gestern nachmittag mit einem kleinen Ranzel fort, habe das Zimmer bezahlt und gekündigt und nur den Auftrag hinterlassen, daß man die Bücher auf dem Regal dort oben der Dame, die gestern dagewesen sei, übergebe, aber nur, salls sie sie verlange. Ob man eine Adresse kenne, an die man ihm schreiben könne? Adrosie? Keine. Oder ein Reiseziel? Die Frauen redeten herum, kurz, sie wußten gor nichts. Also fort! Er war fort! Hilde war müde von der Anspannung dieser letzten Stunden, sie konnte sich jetzt nicht aus der Tramway zu fremden Leuten drängen, sah ein Automobil vorübersahren und rief, stehenbleibend, dem Chauffeur zu, der sie anblickte und nicht uinkehrte. Neben ihr humpelte eine weinende Frau, die ein winziges, nicht in Papier gehülltes Kinderkleidchen in der Hand hielt, sichtlich so, wie man es ihr übergeben hatte. Die weinende Frau und das unerngcpackte Kleidchen, das sie mit hellen Tränen weinend an sich drückte— es war klar, daß sie jetzt die Mitteilung vom Tod der Kleinen und damit zugleich die letzten Habseligkeiten entgegen- genommen hotte. Hilde wogte nicht zu vergleichen. Der heilige Schmerz, den sie vor sich sah, flößte ihr eine Ehrfurcht ein, die ihren eigenen Schmerz vergessen mochte. Aber blutig schneidet doch solch ein Nimmer- wiedersehen ins Herz. Die Frau stieg in die Tramway ein und Hilde mit ihr. Mochte sie sich selbst die kleine symbolische Tat als Posse vorwerfen, sie wollte es nicht bester haben als ihre Schwester im Leid. Wie diese mit ihren verweinten Augen und ihrer in Trauer zusammengebroche- nen Gestalt sich unter gleichgültige Menschen drängte und' sich aus der Plattform des Wagens in eine Ecke drückte, den Schnierz verbiß und vichr mehr aufzufallen trachtete. Was war ihr Weh neben dem anderen, dos eine Mutter so schlicht trug! In der Familie Gruber hatte einmal, sie erinnerte sich dessen wohl, das brüske Fernbleiben eines Herrn, der sich einer ihm inleressanter dünkenden Dame zuwendete, so sehr aus die Lutz gewirkt, daß sie sich für einen Monat auf den Semmering in ein Sanalorium hatte begeben müsten. Sie selbst— nein, es war ebenso töricht, das Junge-Mädchen-Gricb- ui«;, das sie gestreift hatte, gering zu schätzen, wie es als Vernich- tung, als Weltzufammenbruch aufzufassen. Nein, es gab größere Schmerzen und es gab eingebildelere Leiden. Es war traurig, daß selbst der von Vorurteilen befreite, vom neuen Geist erfüllte Wagner Vorurteilen nachgab, die er in jeder anderen Hinsicht gewiß nicht gelten ließ und nur gerade hier anerkennen zu müssen glaubte. Und traurig war es. daß er nun, ohne einen Versuch, sich überzeugen zu lassen, weiterzog, vielleicht einem Ziel zu. das ihn trösten konnte. 0 gewiß, denn er war stark und konnte nicht so rasch in seinem Krastbewußtsein getroffen werden, vielleicht aber doch von der Land- straße verschlungen, die nicht jür alle, die sich ihr überlassen, müttor- lich ist... "Mo ist denn der Wagner?" fragte der Drobauer, Und Hilde gestand, daß sie es nicht wisse. Man schrieb ihm, die Briese wurden nicht abgegeben, da der Adressat nicht in Wien sei. Drobauer wurde unruhig und ließ es sich nicht verdrießen, am Arbeitsort Wagners und in seiner Wohnung nachzuforschen. Die Auskunft, die erhielt, ergab nichts Neues, sondern nur, daß Wagner fort sei, um seiner Sehnsucht nach neuen Ländern endlich zu genügen. So ohne Ab- schied? Gleichsam auf einer Flucht? Merkwürdig. Drobauer sing an, Hilde selbst auszufragen: ob ihr wirklich der Grund dieser seit- 'amen, überstürzten, geradezu geheimnisvollen Flucht unbekannt sei. Aus den widerwillig gegebenen, einsilbigen Antworten fabrizierte er st» einen Zusammenbong, und eines Abends sagt« er es Hilden ins Gesicht: gewiß habe sie die Huldigung dieses bei aller Einfachheit bedeutenden, be! aller Verkehrtheit aufrichtigen, be! aller Niedrigkeit feines gegenwärtigen Standes zukunftsreichen Menschen als un- gebührlich zurückgewiesen, weil sie sich eben noch als Bürgennädel
von Jäsul �Burffßstllßr
fühle. Es war zu komisch, und wär« Hilde nicht in der letzten Zeit so nervös geworden, so hätte sie dem Drobauer ins Gesicht gelacht. So begnügte sie sich, die Vorwürfe Drobauer? kurz abzufertigen und den Humor der Sache, daß gerade der über die Episode unzu- frieden war. bei sich zu konstatieren. So verging der Winter. Prüfungen, Hebungen, Studien, Stunden. Don Wagner kam kein Lebenszeichen, kein Brief. Auch die anderen wunderten sich über sein Fernsein, und Soectooitz sagte trotzig:„Ganz gut, daß einer weniger hier ist!" und wurde dafür von Hilde so heftig zurechtgewiesen, daß er ganz scheu und wortlos zu
ihr hinübersah. Er wollt« es versuchen, seinen Ausspruch abzuschwächen:„Na ja, wie kommt er denn dazu, so frei zu sein? Er sieht sich in der ganzen Bildung unserer Zeit um und ich muß da- sitzen und jede Minute zum medizinischen Studium verwenden, er zieht in die Welt hinaus und ich bleib' in der Lazorettgastc bei meinem Schuster..." „Hat er die Mittel dazu vielleicht von seinen Eltern geerbt? Er hat sich eben selbst frei gemacht und ist nicht in der Dumpfheit geblieben, wie Siel" „Wie ich! Wie ich!" brummte Sveetovitz. Kann ich was dafür, daß ich zu Hause Eltern Hab' und ein' Schüppel Geschwister, die hungern? Er ist frei, hat keine Eltern. Am besten ist, ein Findel- kind zu sein!" „Ich Hab' noch nie einen Menschen gesehn, der vor dem Leben so feig ist wie Sic!"
„Ja. ich bin feig! Ich bin dumpf! Ich bin der Ausbund von allen schieckten Eigenschaften, ich weiß sazon. Das ist Ihr Haß gegen das eigene Volkstum, der sich bei Ihnen eingefresfen hat." „Reden S' keinen Unsinn, Soeetooitz, ich Hab' Sie ja als Kollegen sehr gern.. Er pflegte, wenn Hilde ihn wieder rügt«, wie ein gerpügelter Hund zu ihr aufzusehen und tat ihr leid, deshalb jügte sie dos bei. Soeetooitz fing von neuem an:„Warum ist er frei und ich so gar nicht, so gar nicht?" „Er hat sich eben selber die Freiheit geschaffen. Frei wiro man nur durch sich selber!" Sveetovitz brummte weiter:„Ich beneid' ihn, diesen... diesen Arbeiter, ich. der Student! Ist das gerecht, daß ein Student einen Arbeiter beneidet? Das ist die heutige Weltordnung."# „Sind Sie so viel ander, so viel mehr als er, der Arbeiter? „Natürlich," begehrte jetzt Soectooitz auf.„Selbstverständlich, Bildung ist doch auch etwas! Ich... ich kann Latein!" „Glauben S' nicht. Saeetovitz. daß der Wagner auch Latein könnt', wenn er einen Vater gehabt hätt', der es ihm hätt' lernen lassen?" „Das weiß ich nicht. Ist auch gleichgültig. Ich kann's, und wenn es wirklich eine Auslese unter den Menjchen gab', so müht man mir das vergelten." „Was? Daß Sie auf dein Gymnasium, in das Sie Ihr Vater gesteckt hat, die vorgeschriebenen Gegenstände so, so, la, la gelernt haben?" Soectooitz oerstand keine Ironie, aber jetzt ahnte er so etwas ähnliches und sah wieder scheu auf Hilde. „Einem anderen als Ihnen, Fräulein Fernleitner. möcht' ich nicht raten... über meinen Vater... zu spotten." „Aber lieber Sveetovitz, was fällt Ihnen denn ein? Das tu ich doch nicht." „Mein Vater ist das Höchste auf der Welt, was ich verehre... „Aber das ist er doch für jeden, der einen hat." „Hat vielleicht der Wagner keinen Voter? Ist er ein uneheliches Kind?" fragte Sveetovitz und sein« Augen funkelten tückisch. „Ich kann Sie darüber beruhigen, abgleich Sie das gar nichts angeht. Sein Vater ist, wie er ein ganz kleines Kind war. gc- starben." Sie sprachen nicht und arbeiteten schweigend weiter. „Na ja, diese Leute haben keine Fesseln, nichts, was sie fest» hält." find Sveetovitz wieder an, der heute merkwürdig gc- fprächig war. „Wie meinen Sic das?" „Ich meine, deshalb rückt dieses Volk immer mehr vor, weil es ja nur für sich zu sorgen hat. Ich..." „Sie?" „Wenn ich nicht denken müßt, bald Doktor zu sein, am ersten Tag, an dem das möglich ist... so könnte ich auch in die Ferne gehen, in die Kolonien oder sonst wo... ober in die Ferne... dieses Volk ist frei... „Mir scheint, dieses Volk habe eben die Fesseln fortgemorfen, die gar nichts anderes bedeuten, als sie eben Fesseln sind." Sveetovitz blickte von seiner Arbeit auf, er verstand nicht und erwartete einen Angriff Hildens.(Fortsetzung folgt.)
WAS DER T ii.'amiiiii;iiinminiinniraninni!iminiiiiiminiinnmmHiifannuiiuuiiiiniunn!niiiinun Gesprach auf der Straße. Von einem Leser wird uns geschrieben: Am vorigen Sonn- tazabmd zog der Stahlhelm durch Köpenick . Zwei Berliner (oder waren es Köpenicker ) Sachverständige mustern kritisch den Aufmarsch.„Gesang" der Heldenjüngling«...:„Vielleicht sind wir schon morgen«in« Leiche..." Der ein« zum anderen:„Det jloobe ick euch, ihr Brieder, ihr stinkt schon Helte." Darauf der ander«:„Unsinn, Maxe, Dämlich- keit stirbt nicht aus." Begraben ohne Totenschein. Ein Leser schreibt uns zu der Notiz vom 23. August:„Er glaubt's auch so!" In den Iahren!S17 bis 1924 bin ich den Sommer über als Maurer in Ostpreußen tätig gewesen, u. n. in Groß-U palten, Kreis Lätzen. Auch hier sind Leute tegraben worden, ohne daß ein Totenschein vorhanden war. Ich wunderte mich natürlich sehr darüber und sprach persönlich be! dem Örtevorsleher vor. Hier erhielt Ich zu meiner größten Verwnndeung die Antwort: das sei hier nicht Brauch, daß die Menschen tot wären, das sehe man doch! Ich glaubte, daß der Krieg diesen Zustand verursacht hätte. Ich wurde jedoch von«in«r Dam«, die mich ver einigen Tagen be- suchte, dahin belehrt, bah es heut« noch in Groß-Upalten und Um» gegend so fei wie damals. Ihre Mutter, die im Mai gestorben ist, wurde auch ohne Totenschein beerdigt. „Et" übermalt sich selbst. Das„Thüringer Evangelische Sonniagsblytt" meldet:„In Marburg , wo er in Ruhestand lebt, feierte der früher« Super- intendeNt Ludwig Gäbet von Schleusingen mit seiner Gottin Sophie geb. Neumonn das seltene Fest der diamantenen Hochzeit. Eine ganz besondere Freude war es dem Jubelpaar, daß Graf Korf, Pastor in Essen, im Auftrag des Kaisers ein Brld des Kaisers, ein« vom Kaiser selbst übermalt« und von ihm eigenhändig unter- schrieben« Photographie überbrachte." Das ist die richtige Beschäftigung für„Ihn"! Wem, schon das uirdankbore deutsche Volk nichts mehr von Ihm wissen will— irgendein Superintendent findet sich immer noch, für den er sein eigenes Konterfei verklecksen kann! Der geisteskranke Sowjet-Gewalt ige. Bon einem netten Stückchen weiß das russische Blast„Sowjet- Sibirien" zu erzählen. Gab es da ein früheres Mitglied der GPU. Pokrowsky, der es später zum Vorsitzenden der Landwirtschafts-
AG BRINGT. iMuiimiiimimmmiinnimiuiiiiiiiiHrnmaimiuraiimmnimmmmmnimminmiimiim abteilung des Neusibirischen Bezirks gebracht hatte. Eines schönen Tages erließ er die Verordnung. laut der sämtliche Kater des Neu- sibirischen Bezirks kastriert werden sollten. Di« Verordnung wurde in der Sowjetpresse veröffentlicht und erregte nicht wenig Aussehen. Pokrowsky wurde aber erst einen Monat später seines Amtes ent» hoben— nicht etwa wegen seiner öffentlich kundgetancn Abneigung gegen die Liebesspiele der Kater, sondern weil er in einem Tobsuchts- anfall dem Leiter der neusibirischen Polizei eine Tracht Prügel rer- abreicht hatte. Mohsmmed ohne Kopf. Vor einigen Tagen hat sich in Easablanca eine große Tat ereignet. Zum ersten Mals ist ein Eingeborener, die man sonst auszuhängen pflogt, vom Pariser Scharfrichter einen Kops kürzer gemacht worden.„Monsieur de Paris ", Herr Deibler, ist selbst von Paris eingetrofse» und hat mit zwei Gehilfen den schwarzen Franzosen geköpft. Koloiiialoälker sind aber undankbare Geschöpfe. Anstatt über den Kulturfortschritt I» den französischen Kolonien in Begeisterung auszubrechen, murrt in Nordafrika das schwarze Volk. Die Ursache ist folgende: Im Koran steht geschrieben, daß Mohammed die Toten an ihren Haaren in das Paradies hinüber- .zieht. Was hilft i>eln armen Teufel von Cafablonea also der schönste Haarschopf, wenn Mohammed lediglich den Kopf in den Himmel bekommt? Fünfzehn Jahre in Erwartung der Todesstrafe. Mna durfte annehnien, daß der Fall Soeco und Vanzetti in Bezug auf die Erwartung der Urteilsvollstreckung sozusagen einen Rekord bedeutet. Nun wird aber aus New P o r k gemeldet, daß ein gewisser William Faltin aus dem Staate Arizona seit fünf» zehn Jahren der Hinrichtung harrt. Das Urteil gegen ihn wurde im Jahre 1913 gefällt. Seinem Verteidiger gelang es, eine Revision durchzusetzen und die Sache vor ein neues Eerichi zu bringen. Das Urteil lautete aber auch diesmal aus Tod. Weaen beginnender Geisteskrankheit konnte es jedoch nicht völlstveckt wer- d-n, Foltin wurde in ein Irrenhaus geschafft. Unterdes wurde im Staate Arizona die Tode-ftrafe abgeschafft. Faltin glaubte sich vom Tode gerettet. Er kam ins Zuchtl?aus, als ganz unerwartet, kurz vor Ende des Krieges, die Todesstrafe wieder eingeführt wurde: also mußte der einmal zum Tode Verurteilte doch hingerichtet wer» den. Seinem Verteidiger gelang es unter den verschiedensten Vor- wänden, immer wieder die Vollstreckung des Urteils hinzuhalten. Nun soll aber die Hinrichtung tatsächlich vollzogen werden. Nach fünfzehn Iahren. Es lebe die Gerechtigkeit!