Nr. �05» 46. Jahrgang Sonntag Z. März 1929
Die SEillehwrg.
Den Eingang aum JiTleyers ütof'.
Im Norden Berlins , in der Straß«, die einst durch Aetfer führt« und daher noch Acker st raße heißt bis auf den heutigen Tag, bis wieder einmal der Pflug darüber zieht, liegt> i c Zilledur g". ein gewöhnliches Miethaus, seinem Aeußeren noch, mit vier Stockwerken und sieben Fenstern in der Straßenfront, eines jener Gespenster der Renaissance, die in den Gründerjahrcn dein Gehirn der Architekten entquollen sind und nun dastehen, überoll, sich selbst Ltrrlassen, und nicht sterben können wie ihre glücklichen Erbauer. Bor dem ersten Stockwerk läuft sogar ein trauriger Balkon entlang, der an der Sinnlosigkeit seines Daseins zerbröckelt. In den Nachbar. Häusern sind Läden mit Nahrungsmitteln und Früchten der Sonnen- länder. Die Torfahrt der Zilleburg wird durch ein schwarzes, schmiede- eisernes Tor in durchbrochener Arbeit oerschlosien. und auf diesem Tor ist m Goldbuchstaben zu lesen:„M e y e r s h o f",— wie Inschriften auf Friedhöfen, halb erloschen. Vor der Einfahrt bleibt man stehen, denn man blickt durch eine ganz« Reih« oon Toren, die hintswnander liegen wie bei einer altmodischen Festung jede Einfahrt von Prellsteinen flankiert. Etwas militärisch sieht das au», als müßte man hier im nächsten Augenblick Pferdegetrappel hören, ein ftommando im Morgengrauen, ein Hornsignal. Es liegen sechs Höf« hintereinander. In dem Torwog noch der Straße sind 32 Firmenschilder, schwarz auf weiß getüncht. Man liest verwundert, daß in diesem hause ein halbe» Schock Fabriken und gewerbliche Betriebe sind: Bürstenhalzsabrit,. Metalldreherei, Schraubensobrik, Röder sab rik, Gewinde s räsers ab r it. Westfälische Pumpcrnickelfabrik „Waftsalia",„Besä", Glühlampen, medizinische Lampen. Röntgen- röhr«, Herren- und Burschentonfektion, Rind- und Schweine- schlächterei usw. Im ersten Hof ist ein echtes Zilleschild, das alles krönt, was man lieht:„Bad Meporshof", mit besonderer Badezeit für „Herren " und für„Damen " allhier. Im zweiten Hof ist eine Kirche, das.Llpostelamt Johannis", Pred'gtsaal einer Sekte, wie die Kinder altklug sagen, in dem jeden Sonntag„ge- jungen" wird. Die Höf« hoben siebzehn Fenster in jeder Front. Meyershof beherbergt außer den 32 Fabriken(mit Kontoren. Lagerräumen, Stapeln. Wagenparken. Pferdeställen, Düngergruben. Schutthaufen, Latrinen, verfallenen Brunnen) 230 Familien. Es umfaßt eigentlich fünf Stockwerke, das fünfte ist unter der Erde. Das sind die Katatomben von Meyershos. Man steigt
in ein« stockfinstere Galerie hinunter, die zu einer Tür führt, an der sich, wie in den oberen Stockwerken, ein Haufen Namensschilder befindet, sogar von Messing, die man nur entdeckt, wenn man Licht anzündet. Nur die Briefkästen fehlen in den Katakomben. Die Postgrcnzc scheim nicht unter die Eide hinobzureichen. Ein« ge- sprachig« Frau, die bessere Tage gesehen hat, lädt zur Besichtigung ihrer unterirdischen„Einzimmerwohnung" ein. Ihr Stübchcn ist sauber, mit Herd, Bett, Tisch und einem Mahagoni- schrank. Während sie erzählt, macht sie sich am Herd« zu schassen. Dann geht sie an die Tür und ruft, als ick da draußen in der Finsternis ein Kinderspielplatz wäre, mit einer süßen Stimm«, die man ihr gar nicht zugetraut hotte, Gänschen!" Ein großer stämmiger Bursche kommt herein, gefetzt und freundlich. Er hat keine Arbeit, aber Hunger. Der Junge klagt, daß die vom Land« zu- gezogenen Arbeiter den eingesessenen Berlinern die Arbeit weg- nehmen, weil sie den Lahn drücken. Es ist gor nicht billig, in Meyershos zu wohnen DI« Miele, die diese Annen für zwei elende Löcher aufbringen müssen, entspricht einer erden klichcu Bürger-
Einer der inneren Slöfe.
Rohulh eintt Recolufion. Von(je.tlia.ti HetrmaMH Moslat
„Nun. vollziehen Sic den Vefehll" sagte Trosegk und wandte sich, um an den Tisch zu treten. Erstaunt blieb er stehen: Der lange, hagere Mensch da ließ sich auf die Knie nieder. langsam, ungeschickt, so daß er zuletzt fiel und die Knie hart auf den Boden schlugen, er hatte den Kopf gehoben, aber er hielt die Augen geschlossen, die Hände umkrampften den Hut. seine Lippe stammelten: „Harr Minister, kucken Se, se lät zu Hauie un wimmert un stehnt. Bor Angest , Harr Minister, daßn ich ins Je- fängnis komme, un daßn se nischt nlch zu essen hat for das K'.nd. Es is doch an Siemnmonatskind, Harr Baron, un man kleen un kränklich. Un dar Arzt hat mich jesat. daßn das Kind n'ch jedeihn kann, wenn das mit die Mutter nich annerfch werden tut" Er hiell Innc, Trosegk sah ihn kalt an, aber er hatte dem Gendarmen abgewinkt, der den Böttcher fesseln wollte. Schluckend nahm der Kniende einen neuen An- lauf.„Ich will je oo zusäwcn. Harr Minister, ich hawwe so allens'mitje, nacht, ich bin nich bloß so mitjeloofen, ich war janz richt'ch dabei, ich hawwe Ihnen vorhin belogen. Es is je oo wahrhaftig n'ch sor wiche, nee, wirklich nick, daßn ich Calm un die Annern das antue. Harr Mnister. Awwer ich hawwe se doch man aus de Zuckerfabrik jeholt. so arm isse se jewä'n die janzen Jahre durch, un nu hat s« das so wohl jetan daßn se's nu bei mich an bißchen besser hatte. Un nu soll se das allens wieder verliern. un das kann sc niche. Wenn wer das noch nie nich jehatt hat, is-das äwen mehr for eenen. Nu hat se jewent und jesat. daß es doch an Unrecht von sc jewän is. daß'n se nich zufrieden war mit das. wie se's nu hatte, un daßn le mick das nu hat mitmachen lassen, un dar Harzo würde doch woll an Insähn han. wenn ich en täte um Entfibuldiiung bitten, daß'n sc das Kind jroßziehn teaatc Un damit,' daß der Harzog aa sieht, daß'n Mersch
ehrlich meenen, soll der Kleene so Heeßen wie dar Harzog. Se hat sich nu ma drin verrannt. Harr Baron, se ls doch man an unsebildter Mensch un hat jetzt immer Fieber— un das Kind hält das nich aus--- es is so schwer for miche— ach, liewer Harr Minister—" „Stehen S>e auf," sagte Trosegk ruhig. Kniephacke erhob sich mühsam. „Sie oersprechen, hinfort Ihre Pflichten als treuer Unter- tan Seiner Durchlaucht einwandfrei zu erfüllen?" „Ach, ich will ja allens tun!" „Sie versprechen also von ihren Freunden, von Calm und so weiter, in aller Oeffentlichkeit abzurücken, keinen Ver- kehr mit ihnen zu pflegen, sie in keiner Weise zu unterstützen, was auch mit ihnen geschieht?— Na?" Kniephacke schwankte ein paarmal vor und zurück.„3o," sagte er dann dumpf. „Es ist gut. Ob Ihnen Ihre Strafe erlassen werden kann, weiß ich noch nicht. Aber ich werde Ihr Gesuch bei Seiner Durchlaucht befürworten." „Harr Minister— es kann um Stunden sehn, hat der Doktor jesat—" «Ihr Gesuch dürfte genehmigt werden." Trosegk wehrte den Dank ab.„Sie werden die Bestätigung und das übliche kleine Geschenk von Ballenstedt aus erhalten. Grüßen Sie den kleinen Alexander Carl Kniephacke!" Er konnte den ironischen Unterton seiner Worte nicht verbergen.„Führen Sie Herrn Knievhacke hinaus, Gendarm, und holen Sie mir den Schreiber. Der Haftbefehl ist aufgehoben. Als Kniephacke sich im Grün des Schloßberges wieder- fand, begann er zu lachen. Er lachte immer lauter. Immer heiserer.„Alexander Carl Kniephacke!" schrie er. Das Lachen klang mehr wie das Bellen eines getretenen, gefangenen, gedemütigten Tieres: Tränen liefen über seine hageren, schlitternden Backen; er fiel auf eine Bank und heulte laut. Im„Regierungs- und Intelligenzblatt für das Herzog- thum Anhalt-Bernburg " aber fand sich drei Tage später eine schwungvoll gehaltene Notiz. Seine Durchlaucht der Herzog habe wieder einen eklatanten Beweis seiner Milde gegeben. welche durch die bedauerlichen Borgänge des 19. März so furchtbor enttäuscht worden sei. Einer der Mitläufer jenes Tages, der Böttchermeister Knievhacke, habe an seine Durch- laucht das Ersuchen gerichtet, als Zeichen seiner Reue über seine Abirrung und seiner innersten Ergebenheit an Seme Durchlaucht seinem erstgeborenen Sohn den Namen Hemer
wohnuag In einer Provlnzstadl. Mancher ehemalige Kriegsfreiwillige, der bei Bapaume oder an der Somme ein Bein oder einen Arm ver- loren hat. würde sie vielleicht nicht aufbringen können. Ein kleiner Bimps läuft durch die Höf« mit einer Klingel, als Ausscheller, und ruft aus Leibeskräften:„Scheine mann! Scheinemann!" Man erfährt, daß dieser Ruf den Mann an- kündigt, der die städtischen Brotscheine ausgibt. Hier und da spielt ein Haufen Kinder in einer Ecke, andere lungern umher, ein Hund, der nicht bellt, eine Katze sind da. Größere Buben stecken die Köpfe zusammen und wollen Karten spielen. Alle sind zivilisiert, gefällig, zu jeder Auskunft bereit, die Kleinsten unermüdlich interessiert, die Größeren gleichgültig. Berlin ist Berlin , auch hier. Keines der Kinder bettelt. Ich blicke an den Häusern hinauf, die die Farbe von Muscheln haben. In den Fenster.höhlen wohnt das Grauen, in die meisten schaut der Himmel nicht hinein. Indem Ich mich wende, tippt ein kleines Mädelchen mir mit einem Besenstiel an den Hut. Die Hautsanbe der Bewohner von Meyershos ist erdfarbig. So sahen die Soldaten in den Schützengräben aus. Sie sind still und scheu. Der Hunger blickt ihnen aus Augen und die Selbst- ironle. Sie sind dem Elend überlegen bis zur Höflichkeit. Das Leben ist hier dem Tode benachbarker als anderswo. Man möchte glauben, daß die Toten oon den Friedhöfen zusammengekommen wären, um noch einmal in diesem Däimner hin und her zu huschen. Daß irgendein Zauberer sie bei diesem traurigen Vergnügen ertappt hätte und sie in eigens für sie geschaffenen Fabriken für sich arbeiten ließ«. So still ist es hier. Selbst das Surren der Maschinen und Räder aus dem sechsten und siebenten Gebäude hat etwas Ge- spentffches. Es scheinen gar kein« richtigen Menschen zu sein, nur Schatten des Elends noch. Wissend. Den Gräbern enffticgen, un- geduldig, wieder hineinzukriechen. So hausen hier mehrere Hundert Deutsche. Kein Urwald ist zu roden, kein Sumpfland urbar zu machen. Zur Einkassierung der Mieten ist ein Hausverwalter bestellt, ein kleiner Beamter im Ruhe- stand, ein Gros, ein Schloßhauptmann. Er hat sich eine Villa in Oranienburg gebaut, wie sie sagen, und kommt vorgefahren in sein Bureau, wenn die Miete fällig ist oder wenn er Lust hat. Di« Zilleburg fft eine Goldgrube, von oben gesehen. Was würde sie kosten? Sie gehört einem einzigen Mann. Es gibt drei Torhüter in Meyershos. Das elektrische Licht brennt in den Häfen die ganze Nacht. Es herrscht Ordnung. Um 10 Uhr wird das schmiedeeiserne Tor nach der Straße, das Burgtor geschlossen, und es ist immer sin Wächter da. Das Inner« der Häuser fft wie das Inner« eines Termttenhügels. Treppen, Treppen, aus Holz mit Metallkanten, Fußboden aus Ziegeln, ver- schmutzt« Fenster, Papierschnitzel, fade Gerüche, Gestalten, die irgend- etwas«»holen oder irgendetwas forttragen, eine Röhr« auf der Schulter, ein Stück Hotz, winden sich aneinander vorbei, ohne Gruß. Hier in den Höfen gibt es keinen Wind, keinen Obstbaum keinen Strauch, kein« Blume. Eine Hausnummer im Norden Berlins fft dies: Ackerftraße 132, der siebenfach geteilte Palast der Armut, das Schloß des Elends, der Volkszwinger, die Zilleburg.
Gin Mensch verkommt... Berlin , Wörther st raße 15. Im Hinterhaus hat die 77jährige Witwe P. eine Parterrewohnung oon Zimmer und Küche. Aber wie lebt sie? Wie«in Tier? Nein, viel, viel schlimmerl Denn das Tier hat«in Reinlichkeitsbedürfnis, sorgt sich um sein Futter und um ein behagliches Ruheplätzcheu. Und die Alte: In einem Augiasstall, der Fußboden dick vertrustet von Dreck, die paar halb- zerfallenen Möbelstücke kunterbunt verstreut, in einem Bctl, ange- süllt mit Lumpen, verschmutztem Bettzeug ohne Ueberzug, Speise- restan und anderen Abfällen liegt ein armseliges Lumpen- bündelchen, ein Mensch Eisgraues, verwildertes Haar, ver- fallei« Züge mit Augen, die eigentlich nur mehr aus dem Gehäuse bestehen. Da ist kein menschlicher Blick mehr drinnen. Mit Schuhen und angelleidet liegt die Alt« in ihrem„molligen Pfühl". Wie lange schon? Wochen, Monate, Jahre? Keiner weiß es. Früher sah man sie noch öfter einholen gehen, jetzt bleibt st« ganz drinnen. Dos Zimmer hundekalt es war den ganzen Winter über
Durchlaucht geben zu dürfen. Der Landesoatcr habe trotz des schweren Kummers, den ihm auch der Böttcher Kniep- hacke bereitet habe, der Bitte entsprochen und die Taufpaten- schaft huldvollst übernommen. Die Freude der glücklichen Eltern sei grenzenlos, und dies sei wieder ein Beweis, daß Seine Durchlaucht— und so weiter und so weiter. Die Leserschaft des Regierungs- und Intelligenzblattes fand die Notiz beim Kaffeetisch, wiegte die Köpfe und lächelte beglückt. 14. Grübe r ohne Namen. Die gemütlich von Vernburg nach Güsten schlendernde Straße hatte als rechter, an Blüten und Eis, an Frühe und Dämmerung, an Sonne und Blitz hingegebener Landstreicher. allerlei erlebt: Sonntage von stullenbelasteter Bürger- familien, die ins zwei Kilometer entfernte„Parforcehaus" zu Kaffee und Kuchen wallfahrteten, Abende, deren Girren halb von den Libellen über der Saale , halb vom Flüstern der Liebespärchen aus dem zu beiden Seiten sich auftuenden Krumbholz herrührte, schwatzhafte, trompetende Postkutschen und schweigsam duselnde Hofdroschken— und manchmal auch schwerfällige, schwarz drapierte Wagen, deren Last doch leicht und ein Nichts geworden war: oben auf dem Berge zog die Straße in demütigem Bogen am Friedrichtstor vorüber. Lärm und Stille, Lachen und Weinen, Liebe und Tod hatte sie erlebt, aber dies eine noch nicht, was für sie, wiederum als für einen rechten Landstreicher, den einzigen Sinn jenes sonnigen Herbsttages anno 185» ausmachte: den Pomp, die organisierte Begeisterung. Sie mußte ordentlich ihr muskulöses Erdfleisch spannen, um diese Last von Menschen, dies Krabbeln von Schritten, dies Schneiden von Rädern auszuhalten— zum ersten Male in ihrem alten Sein sehnte sie sich nach Pflasterung. Bis zum Parforcehaus hin standen die Bernburger Spalier, Männer, Frauen, Schulkinder, sie standen seit dem frühen Morgen. der Dust der Bäume kroch vor dem Stullengeruch in den Schatten zurück, die Bögel schimpften verwundert über das sinnlose, dumpfe, nur manchmal vom Ordnungsruf eines Gendarmen unterbrochene Brummeln da unten, und Nohen plötzlich mit erschreckt zitterndem Flügelschlag in den Wald: unter denen, die noch hinter dem Parforcehaus standen, war ein Rufen. Schreien. Brüllen aufgewacht.„Vioatl" und „Hoch!" und„Hurra!", und man hörte die Herzen derer, die noch nichts sahen, vernehmlich an Borhemden und Blusenlätze hämmem: Durchlaucht kam zurück!(Fortsetzung folgt.)