Morgenausgabe 7tr.i27
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-46. Jahrgang
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Reichskanzler gegen Defizitetat Oer Reichskanzler fordert volle Deckung und kündigt die Vertrauensfrage an.
Reichskanzler Hermann Müller hat gestern im Laufe der Etatsberatung das politische Ziel der Reichs- tegierung fest umrissen: die Reichsregierung- wird unter keinen Umständen zulassen, daß der ordentliche Etat mit �inem Fehlbetrag abschließt. Die Haushaltsberatungen müssen die Entscheidung bringen. Entweder folgt der Reichs- tag der Führung der Regierung, oder er muß sich eine andere Regierung schaffen. Die Opposition wird zu gegebener Stunde vor der Entscheidung stehen: für die Regierung und volle Deckung des Etats, oder Sturz der Regierung mit allen po- litischeii Folgen. Diese Ankündigung der Kabinettsfrage gilt nicht nur der Opposition, sie mahnt vor allem die Deut- sche Volkspartei an ihre Verantwortlichkeit. Die deutschnationale Opposition hat das Defizit als ihr poli- stsches Ziel proklamiert— die bisherige Haltung der Deut- schen Volkspartei hat nahe bis an diese politische Weisheit herangeführt. Die Deutsche Volkspartei hat das Programm äufgcstellt: Gleichgewicht im Etat ohne neue Steuern. Man hatte erwartet, daß der Sprecher der Volkspartei, Herr Dr. E r e m e r. gestern das große Sparprogramm der Dolksparter wenigstens in. den Grundzügen bekannt geben würde. Diese Erwartungen sind enttäuscht worden. Der Sprecher der Volkspartei hat sich darauf beschränkt, zu wieder- holen, was man aus� früheren Verlautbarungen der Volk»- Partei, erfahren hat, oder besser gesagt, nicht erfahren hat. Um so energischer trat er für die Besteuerung der öffent- lichen Betriebe, von Gas, Wasser und Elektrizität ein. Das polit'sche Ziel der Volkspartei geht hervor aus seinen Sätzen: „Bei der Besteuerung der öffentlichen Betriebe kann man große Summen herausholen. Bei der Privatwirtschaft will die Bolkspartei unter allen Umständen die Schaffung neuer Steuern ver- hindern.* Das sind lapidare Sätze, die drastisch zeigen, daß die Volkspartei bis jetzt nicht geleitet wird von Verant- worrungsgefühl gegenüber den staatlichen Notwendigkeiten, sondern von einem starr vertretenen Gruppenegoismus, der um die Bormachtstellung des Unternehmertums kämpft. Herr Dr. Crem er, der Sprecher der Volkspartei, konnte sich der Einsicht nicht verschließen, daß mit den Vor- schlügen seiner Fraktion die Balancierung d?s Etats pruble- matisch wird. Er tröstete sich damit, daß 1936 die Finanz- frage ein anderes Gesicht zeigen könne als 1929. daß man in einem Notjahre mit Ausnahmemitteln arbeiten könne. Dieser Trost ist die Hoffnung auf das Wu n d e r- bare, jene Hoffnuna. die den Etatspolitiker nur zu rasch auf das Glatteis Helfferichscher Finanzkünste führen müßte. Die Absicht der Deutschen Bolkspartei, den Besitz in den kommenden Notjahren— 1929 ist nur ein Anfang— von einer Notbelastung zu verschonen, führt eben in der Konse- quem zum deutschnationalen D e f i z i t e t a t Die Ankündigung des Reichskanzlers erinnert die Volks- partsi daran, daß sie beizeiten einlenken muß, wenn sie nicht gemeinsam mit den Deutschnationalen die Verant- Wartung für ein Defizit im Etat und für die Folgen eines Stur-es der Regierung auf sich nehmen will. Als zweiter deutschnationaler Diskussionsredner ent- fachte Herr Scklange-Schöningen die Wogen deutlcknationaler Versammlungsagitation, vom Theater bis zur Agrarfrage, vom Sport bis zum sozialdemokratischen Wehrprogramm. Vor einigen festen Stößen des Reichs- kanzlers"zerrann der Spuk. Aber das ist doch kühn, daß Herr Schlange-Schöningen den Reichskanzler über seine Stellung zum Landesverrat befragen wollte! Der Redner ausgerechnet der Partei, die in den letzten Tagen eine ver- antwortungslose Propaganda gegen die deutsche Währung betrieben hat, und deren Anhänger sich beeilen, dem Ausland zu versichern, daß sie die deutsche Reicb-mark nickt mehr für fest halten! Der Etat ist dem Haushaltsausschuß überwiesen worden. Dort wird sich sehr rasch herausstellen, ob eine Mehrheit für die Verabschiedung eines ausgeglichenen Etats und der not- wendigen Deckungsvorlagen sich zusammenschließt, und welche Mehrheit. Die Regierung ist entschlossen, zu führen— jetzt steht die Verantwortung vor den Parteien. Der R« i ch s t a g hat am Freitag dl- erste Beratung des Etats fortgesetzt. Abg heckert(Komm.): Die Deckunqsoorschläge der Regierung wallen das Volk noch mehr zllm Ausbeutungsobjekt der Truste und Kartelle machen. Der sastalbsmokrotische Finonzministcr will nur die Vorherrschaft des Kapitals sichern. Das Reichskommissamt für öffentliche Sicherheit ist eine Spitzelzentral«, die Technische Rochils«
eine Schwemereizentral«.(Ordnungsruf.) Die Sozialdemo- traten verraten das Proletariat. Abg. Dr. Cremer(D. Vp.): Den Ausführungen des Ministers über die Vermögenslage des Reiches ist zuzustimmen. Di« Wirt- schast kann bei ihrem gegenwärtigen Zustand weiter« Steuerlasten nicht ans sich nehmen. Schon 1927 hat die Steuerbelastung der Wirtschaft mehr als ein Viertel des Nationalvermögens betragen, mit den sozialen Lasten zusammen mehr als ein Drittel. Jetzt ist das Verhältnis noch ungünstiger. Alle Wirt- schaftstenner teilen unsere Forderung, daß die Wirtschaft nicht noch mehr belastet werden darf. Unsere Forderung ist kein Ultimatum an die Parteien, sondern ein Ultimatum der deutschen Rot und des Wirlfchaslszusammen- bruchs an alle verantwortlichen Stellen. Wir sind immer zur Verständigung mit den übrigen Par- tcion über eine wirtliche Sozialpolitik bereit gewesen, führen muß aber dabei die Regierung.(Unruhe und Zuruf«. Reichskanzler Müller : Und die Parteien müßten an die Regierung gebunden sein!). Das ist nur möglich, wenn der Finanzminister sich vorher mit den Parteien über ein Sparprogramm verständigt und über
sein« Absichten Klarheit schafft. Die Parteien werden doch nicht die Katze im Sack tauten wollen. Wenn die Sparoorschläg« der Par- teien erst in der Ausschußberatung kommen, dann gib! es ein Durch- einander ohne praktisches Ergebnis. Mehr als 2(19 Millto- n« n köstnen im Etat gespart werden. Unser« Partei hat entsprechende Vorschläge gestern der zuständigen Stelle überreicht und sie sollen noch ercjänzt werden. Die Ueberweisungen an die Länder und Gemeinden dürfen nicht gekürzt werden, da sonst eine Erhöhung der Realsteuern.unausbleiblich wäre. Sluf 3,5 Proz. der Ueber- Weisungen könnten die Länder und Gemeiirden ganz gut verzichten. ohne die Realsteucrn zu erhöhen. Angesichts der gesteigerten Repa- rationslast müssen Mich, Länder und Gemeinden ihre Ausgaben einschränken. Cs wäre nur gerecht, die vssenllichen Monopolbetriebe zu besteuern. was dem Reich 79 bis 89 Millionen bringen und eine Erhöhung der Werktarif« keineswegs bedingen würde. Es ist nicht beweisbar, daß das Defizit ahn« neue Steuern auf die Wirtschast nicht gedeckt werden könnt«, schließlich belasten alle Steuern die Wirtschaft. Wenn wir in dem Ausnahmefahr 1929 ohne neu« Steuern auskommen, so wäre das«in großer Erfolg, denn die Zukunft liegt im Dunkeln. Die jetzige finanziell« Gestallung der Arbeitslosenversicherung ist u n- haltbar, man sollte prüfen, wie die Leistungen den Bei- trägen angepaßt werden können und wie verhindert werden kann. daß auch solche Leute unterstützt werden, dienichtdazu berech- t i g t sind. Ein Umbau der Alter», und
lller». und Invalidenversicherung wird sich nicht mehr lang« aufholten lasten.
Wir wollen den Einfluß des Fmonzminifters stärken, um Sparfam- keirs Politik zu ermöglichen: unsere dahmgeheitben Anträge sollen in Wahrheit ein« Stärkung des parlamentarischen Regimes bedeuten. Heut« sind auch die in der Regierung vertretenen Parteien nicht an Regierungsbeschlüsse gebunden, und all« diese Parteien haben von ihrer Freiheit reichlich Gebrauch gemacht: sozialdemokratisch« Minister haben gegen Vorschläge des eigenen Kabinetts gestimmt. Wir fordern Sie(zu den Soz.j auf, ehrlichen Herzens unsere Er- sparmswünsch« unter der Führung der Regierung ernsthaft zu prüfen. Die Regierung muß die Möglichkeit und.das Ausmaß dessen zeigen, was wir all« gemeinsam erreichen wollen.(Beifall bei der Volkspartei.)
Abg. Dr. Reinhold(Dem.): Gegenüber dem Abg. Dr. Oberfohrcn stell« ich fest, daß die von mir eingeleitete Steuersenkung notwendig war und vorher der deutschnationale Finanzminister eine ThefaurierungspoliUk getrieben hat, bei der die Substanz der lvirtschast angegriffen wurde und überflüssigerweise so große Summen in die ösfenl- lichen Kassen strömten, daß insolgedessen die Dawcs-Abgabe um 309 Millionen erhöht wurde. Diese 399 Millionen jährlich sind ein wirtlicher Verlust für die deut- sche Wirtschaft.(Lebh. Zustimmung der Mehrheit.) Durch die Stützung der sogenannten Reinhold-Anleihc hat nicht dos Reich Geld verloren, sondern nur die Banken. Den wirklich ausbalanzierton Etat werden wir allerdings nicht nach dem Rezept einer soeben ver- teilten völkischen Broschüre erreichen, die da sagt:„Die Ministerien müssen sich auf die Selbstverwaltung der Stämme stützen, durch diese Vereinfachung werden viele Milliarden erspart."(Grone Heiterkeit.) Die optimistischen Erwartungen des Dawes-Komitees über die Entwicklung der deutschen Mirlschasl haben sich in keiner Meise bewahrheitet. Sie kommt durch die stark« Belastung nicht zu der erforderlichen Kavitalbildung. Wenn ein deutscher Unternehmer für Steuern und soziale Abgaben 616 999 Mark ausbringen muß, so unier gleichen Verhältnissen ein Schweizer Unternehmer nur 125999 Mark. Wir stehen vor einer ganzen Reihe von Notjahren und müssen- uns darauf einrichten. Die Vorschläge Dr. Crcmers waren zu u n b e- stimm t. Vereinfachung der Verwaltung ist nur bei organischer Reichsreform möglich, ebenso wirksame Sparsamkeitspolitik nur bei einer tragjähigen Regierungsmehrheit. Der Sparsamkeit hat die Volkspartei«inen schlechten Dienst erwiesen, indeur sie sich der Mitarbeit entzogen hat. In Nordamerika hat ein Aufruf Präsident Coolidges in wenigen Jahren zu großen Ersparnissen i» der Verwaltung geführt: wir hätten mehr Veranlassung dazu, als dos reiche Amerika . Di« Regierung sollte den Etat noch einmal auf weitere Sparmpglichkeiten durchprüfen. Die Versetzunas- kosten könnten in diesem Jahr aus die Hälfte verringert werden. Ob die Subventionen für die Luftschiffahrt iir dieser Höhe notwendig sind, ist zweifelhaft. Die Kanal bauten entlasten den Arbeitsmarkt zu wenig und sind zu teuer. Die vielen kleinen Druckereien einzelner Verwaltungsstellen arbeiten unwirtschaftlich. An der Reichswehr kann viel gespart werden. All das zusammen würde 1�9 bis 159 Millionen ergebe». Der § 35 des Finanzausgleichs, der leistungsunfähigen Ländern die Selbständigkeit auf Kosten der übrigen gewährleistet, sollte ge- strichen werden. Wann kommt das M i n i st« r-p e n s i o n s- gesetz? Reichsbahn und R« i ch s p o st könnten aus ihren Gewinnen mehr an das Reich abliesern. Die Sozialversicherung kann ohne Abbau so umgestaltet werden, daß nicht hohe Millionen- betrage in den Kassen liegen, sondern der Allgemeinheit zur Ver- fügung stehen. An die Umgestaltung der Arbeitslosenversicherung wollen wir herangehen, sie darf nicht weiter so ausgenutzt werden. wie jetzt beispielsweise dadurch, daß Lauern Ihre Söhne als..Arbeiter- austauschen, damit sie im Winter Arbeitslosenunterstützung beziehen können. Der Reichstag ist einig in dem Bestreben nach Sparsamkeitspolitik. Möge der Finanzmimster diese Stunde nützen!(Beifall bei den Demokraten.) Abg. Drewitz(Wp.): All« Sparvorschläg« kommen zu spät, es ist nichts mehr da. was gespart werden kann. Hier verlangt die Volkspartei Streichungen, im Ausschuß unterstützt sie all« Wünsche
Man wettet auf Labours Sieg. -iOO Mandate mehr prophezeit.
Loudon» 15. Mörz. tEigenbericht.) Die in der Londoner Börse abgeschlossene» Wahl« wetten, die als durchaus ernst zu nehnreuder Stint- mungSmesser zu betrachten sind, weisen in den lebten Tagen einen Rückgang sowohl der konservativen als auch der liberalen Unterhaussibe aus, während die Ein- schäbung der Wahlaussichten der Arbeiterpartei unver- ändert geblieben sind. Nach dem Stand dieser Wetten vom Freitag, stellt sich daS Ergebnis der nächsten Wahlen wie folgt dar: Konservative 273 bis 27S. Arbeiterpartei 258 biS 262. Liberale 76 biS 86. ES ist bemerkenswert, daß die Börse, die eine natürliche Neigung besitzt, die Aussichten der Konserva» tiven in einem rosigen Licht zu sehen, der Arbeiter» Partei einen Gewinn von 166 Sitzen und ihr und den Liberalen zusammengenommen eine ent- schiedene Mehrheit über die Konservativen in Aussicht stellt.
Tom Shaw wird Steel'Maitland interpellieren. London , 15. März.(Eigenbericht.) Die Arbeiterpartei wird am kommenden Donnerstag die Stellungnahm« des britischen Arbeitsministers Steel-Maitland zur Washingtoner Konvention zum Anlaß eines Vorstoßes im Unter- Haus machen. Als Redner der Ardeiterpartei ist von der Fraktion der ehemalige Arbeitsminister im Kabinett Macdonald, T o rn Shaw, bestellt worden. Die Hilfsattion für die Bergarbeiter. Das Unterhaus bewilligte am Freitag die Summe'von 12 Mil- lionen Mark für den HUfsfonds für notleidende Bergarbeiter, In der Debatte erklärte der Bsrgarbeiterabgeordnete Latey, daß die Situation trotz der Hilfsaktion des Lordmayors van London heut« beinahe so schlimm sei wie zum Jahresende. Die bisherigen Unterstützungen hätten im Norden Englands auch nicht einmal die äußerste Not behoben.