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Nr. 439» 46. Jahrgang Sonnabend. 23. März �929
Berlins Stadihaushalt festgesetzt? Reaktionäre und Radikale gegen ihn in Einheitsfront.
D!e Stadtverordnetenversammlung mußte gestern tn einer ungewöhnlich langen und zeitweise sehr stürmischen Sitzung sich abmühen, die chausholtsberatung zu Ende zu bringen, um zur Festsetzung des Haushalts zu kommen. Die K o m m u n i st e n versuchten, durch O b st r u k t i o n mit den Mitteln eines Vertagungsantrages und der Beschlußfähigkeits- onzweislung die Haushaltsestfetzung zu verzögern, und die Deutschnationalen leisteten ihnen als treue Bundes- genossen den erwarteten Beistand. Es gelang aber, den Streich der kommunistisch-deutschnationalen Einheitsfront zu vereiteln. Mit diesen Koalitionsbrüdern rechnete Genosse F l a t a u m seiner für die sozialdemokratische Fraktion abgegebenen Erklärung zum Ge- samthaushalt sehr nachdrücklich und gründlich ab. Er geißelte das verantwortungslose Treiben der Kommunisten mit ihren alle Grenzen des Möglichen überschreitenden Forderungen und der deutschnationalen Träger der Reaktion, deren Unterstützung die Kommunisten sich gefallen lassen. Eine Unzahl von Abstimmungen nahm den ganzen Abend in Anspruch, so daß erst gegen ll Uhr die Festsetzung des Haushalts zustande kam. Gegen ihn stimmten Kommunisten, Deutschnationole und Wirtschaftspartei. Ein Versuch der Kommunisten, eine dritte Lesung zu erzwingen und doch noch eine schikanöse Verschleppung durchzusetzen,.mißlang. * Vor Eintritt in die W« i terberotung des Haus- haltsplanes für 1929 ehrt der Vorsteher unseren Genossen G u st a v Tempel anläßlich seines 79. Geburtstages. Den Platz des Jubilars schmückt ein großer Strauß von Rosen in den Stadt- färben Rot und Weiß. Mit den Gcburtstagswünschen verband der Vorsteher den H�inwüs auf Tempels fast vierzigjährige ehrenamt- lich« kommunale'Tätigkeit. Mit dem Kapitel Kapital, und Schuldenverwaltung wurde dann die Haushaltsbcrotung fortgesetzt. Beabsichtigte Sihuttgssprettgiittg? Nach dem Berichterstatter. Stadtverordneten Zursch, meldete stch der Kommunist Gäbet zur Geschäftsordnung zum Wort, wies auf das schwach besetzte Haus hin, beantragte daraufhin die Dertogung der Haushaltsberotung und zweifelte gleichzeitig die Beschlußfähig- teit des Hauses an.<Lärm und Zuruf« bei den Sozialdemokraten.) Der Deutschnationale v. Zecklin, der Wortführer seiner Fraktion beim Etat, begann, zu Wort gekommen:Meine Damen und Herren! Ich schließ« mich meinem Vorredner an!"(Großer Lärm und Empörung bei den Sozialdemokraten-, Zurufe: Rette Koalitionsbrüder: Die Eiicheitsfront!) v. Jecklin wird durch den Lärm und das Lache» des Vorstehers unverständlich, er. tritt als- ball» ob. Vorsteher Genosse haß: Ich vertage die Sitzung auf 10 Minuten und bitte den Aeltestenrat, zusammenzutreten. Der Saal leert sich..' Nach etwa 40 Minuten eröffnet der Borsteher die Sitzung wieder, indem er dem Stadtverordneten Alerten(Dem.) als Redner gegen den Vertagungsantrag der kommuniftisch-deutschnationolen Einheitsfront das Wort gibt. Er stellt fest, daß durch diese Obstruktionspolitik da» Ansehen Verlin» im tande gefährdet wird und daß die Verabschiedung des Etats vor dem 1. April in Frage gestellt ist.(Zuruf o. Iecklins: Das ist doch nicht unsere SchuldI Empörte Gegenrufe der Sozialdemokraten.) Das Osterfest steht vor der Tür, selbst im Aeltestenausschuß waren sich all« Parteien einig, daß eine Sitzung in der Osterwoche nicht möglich ist, und so ist das Verhalten der Obstruktionsparteien einfach unquolisizierbar. Ich gratuliere, schloß der Redner, die Parteien rechts und links zu ihrer Bundesbrüdcrschast!(Lärm rechts.) Als der Vorsteher, Genosse haß. die Unterstützungssroge für den Vertagungsantrag stellt, heben
die Deutfchnotionalen nur zögernd die Hände: zu ihrer Unterstützung kommen die bisher draußen gebliebenen Kommunisten schnell in den Saal und unterstützen den Antrag.(Lebhafte empörte Zurufe der Sozialdemokraten: großer Lärm im ganzen Hause.) Schließlich stellt der Vorsteher die Leschlußfähigkeil fest, der Verlagungsantrag wird abgelehnt. Dafür stimmten fast nur Deutschnationale, und euch nicht die ganze Fraktion, von den Kommunisten ist kaum jemand im Saal. Der Kommunist Gäbet versuchte dann, an der Geschäftsführung des Vorstehers Kritik zu üben, wird von diesem aber treffend abgefertigt: er nimmt seinen Koalitionsfreund v. Jecklin(Dnat.) in Schutz und spricht von Vergewaltigung.  (Lärm bei den Sozialdemokraten und Kommunisten.) Vorsteher Genosse haß kann die Ruhe wieder herstellen, Stadtverordneter Lüdickc (Dnat.) beantragt, die Redezeit auf 20 Minuten zu verlängern. Gäbet(KPD  .) tritt für unbeschränkte Redezeit ein und beantragt für den Antrag namentliche Abstimmung. Da bei Geschästsordnungsanträge» eine namentliche Abstimmung nicht zu- lässig ist, sind die Kommunisten wieder um einen Erfolg ärmer. Die Mehrheit der Versammlung stimmt schließlich für 20 Minuten Rede- zeit. Die Verhandlungen gehen weiter. Der Anschlag der kommunistisch-deutschngtionalen Einheitsfront ist abgeschlagen! Nach etwz zweistündiger Aussprache über die noch zu beratenden Kapitel, in der nichts Wesentliches mehr zur Sprache kam, schließt die Etatsberatung. Es folgen nun die Erklärungen der Fraktionen. Für die sozialdemokratische Fraktion nahm Genosse Flakn» das Wort: Es war kein zufälliges Zusammentreffen, daß am vorigen Dienstag die kommunistische Fraktion unbeschränkte Rede- zeit, vor allem auch für die jetzt abzugebenden Erklärungen, forderie und die deutschnationale Fraktion 20 Minuten, also auch eine ver­längerte Redezeit, hierfür verlangte. Zu verstehen ist schon, daß diejenigen eine nicht unerhebliche Zeit zur Rechtfertigung ihrer Stellungnahme zum Etat benötigen, deren Haltung nur vom Blick- feld der Äatastrophenpolitiker aus begriffen werden kann. Die Arbeit der vereinigten Etatopposition im Etataussckuß zeigte deren geistige Sterilität. Die Kommunisten ließen sie dadurch erkennen, daß sie ohne jede Prüfung etwa inzwischen veränderter Voraussetzungen rein schcmatiich ihre Anträge früherer Jahre wieder einbrachten. Wie im Etatausschuß, so ist von den Kommu- nisten auch im Plenum der Stadtverordnetenversammlung behauptet worden, diese maschinelle Antragsarbeit geschehe zumWohle der minderbemittelten Bevölkerung". Um dies einwandfrei zu wider- legen, seien die hauptsächlichsten kommunistischen   Anträge mit ihren finanziellen Wirkungen hier wiederholt: Verlangt wurde von den Kommunisten eine Erhöhung der so- genannten Unterstützungsrichtsötze. Diese Erhöhung hätte einen M e h r b c d a r s v o n 2 4 4 Millionen Mark erfordert. Der Arärag aus freie Lieferung von Kohlen an Unter- stützungsempiänger hätte 900 000 Mark an Mehrausgaben ver- ursacht. Zur Deckung der geforderten Fahrpreisermäßi- g u n g e n für Arbeitslose wären rund 3>s Millionen Mark ersorder- lich gewesen. Die verlangte Erhöhung der Summen für die sage- nannte allgemeine Notstand�aktion hätte einen Mehransatz vcm 25 Millionen Mark verlangt. Die nach den geltenden gesetz­lichen Bestimmungen gänzlich undurchführbare andere finanzielle Gliederung der Krisen für sorge hätte 7 Millionen Mark mehr gekostet. Die Lieferung eines verbesserten Frühstücks an Obdachlose erforderte 2,6 Millionen Mark mehr. Der Neubau von Familienwohnungen für Obdachlose hätte 3 Millionen Mark be- ansprucht, die sogenannte Blindenrente von 2 Millionen Mark und die unentgeltliche Abgabe von Frühstück und warmem Mittagbrot an sämtliche Schüler der Volksschulen usw. 46 Millionen Mark. Die gesamten Mehrforderungen der Kommunisten, ungerechnet ihre Forderungen anderer Art. beanspruchen einen Mehrbedarf von 334 Millionen Mark.
Solche Forderungen werden gestellt in einem Augenblick, in dem die Fraktion, die sie stellt, als Ausgleich keine anderen Steuervor- schlüge zu machen weiß, als die in früheren Jahren von jedem Steuerfachmann schon als unmöglich c r k a n nt e n. Wiederum wurde von den Kommunisten vorgeschlagen, einen Satz von 50 Proz. vom Wertzuwachs als Grundlage für die Errechnung der Wer.- zuwachssteuer anzunehmen. Eine immer noch bestehende ministerielle Verfügung schließt die Erhebung eines Satzes von mehr als 30 Proz. ohne vorherige ministerielle Genehmigung aus. Jeder nicht dema- gogiscf) arbeitende Stcucrsachmann weiß, daß diese ministerielle Ge- nehmigung in keinem Falle zu erwarten ist. Auch der Lade n- hüter�dcr Wohnungsluxus st euer erscheint wieder. Bei diesem Steuervorschlage ist in früheren Jahren einwandfrei nach- gewiesen worden, daß die bestimmt zu erwartende Berufung auf den § 16a des Kommunalabgabengesetzes die G e st a l t u n g einer solchen Steuer einfach unmöglich macht, ganz zu schweigen von einer fast völligen Aufhebung des möglichen Ertrages einer solchen Steuer durch die entstehenden Verwaltungs- und Ein- ziehungskosten, falls eine solche Steuer überhaupt durchführbar wäre. Das nennt man kommunistisch, eine Arbeit zum Wohle der Notleidenden, zum Wohle der Minderbemittelten! In Würdi-
gung der Wirkungen einer anders bezeichnen als
solchen Arbeit kann man diese nicht
ein Spiel mit der Rot der Aermsten. (Lärm bei den Kommunisten.) Den Rest eines vielleicht für diese vorhandenen menschlichen Gefühls läßt man brutal übertönen durch rein agitatorische Tiraden. Und auf der anderen Seite das würdige deutschnationale Gegen st ück. Mit den veralteten Me- thoden vergangener Zeiten versuch� man hier, moderne kommimgle Arbeit zu leisten. Diese Arbeit würde sich als eine Hemmung des Aufftiegs des modernen Berlin   darstellen, wenn nicht in dieser Ver- sammlung verantwortungsbewußte Fraktionen wären, die finanziell der Reichshauptstadt der deutschen Republik das geben, was sie braucht. Die alten Trümpfe werden wieder in den deutschnationalc» Anträgen ausgespielt: Schaffung einer zweiten Klasse in den Krankenanstalten, Erhöhung des von den Kronkenkassen der Stadt zurückzuvergütenden Satzes um ein Viertel des gegen- wältigen Betrages. Dieser letztere Antrag ist ein bewußter Kamps gegen mühevoll geschossene soziale Einrichtungen. ein Kampf, der, wenn er erfolgreich wäre, sich nur auswirken könnte zum Schaden der Mitglieder der Krankenkassen. Die Krankenkassen haben es schwer genug, unter Beachtung der oe- setzlichen Vorschriften und bei der durch wirtschaftliche und gesund- heitliche Röte übersteigerten Inanspruchnahme ihren eigenen Etat im Gleichgewicht zu halten. Das olles weiß man bei den Deulschnatio- nalen. Aber weil man eben neue Ideen nicht hat, greift man auf die Antragsantiquitäten zurück. Auf der einen Seite ein fast bis zur Sinnlosigkeit gesteigert r Radikalismus, auf der anderen Seit« eine fast in völliger Erstarrung versunkene Reaktion. Sie kämpfen gemeinsam an gegen diejentgen Fraktionen, die in ehrlicher Ueberzeügung sich dafür einsetzen, daß die Stadt Berlin   durch das Etatgesetz eine finanzielle Grundloge erhält, die ihr ein Weiterleben ermöglicht. Sie lehnen diesen Etat ab und sträuben sich damit auch gegen die Verbesserungen, die in den Etat hineingekommen sind.' Sie lehnen mit diesem Etat aber zugleich aucb ab alle notwendigen Ausgaben für Wohnungszwecke, für das Gesundheitswesen, für Wohlfahrtspflege, für Schulen und für die Beamten, Angestellte'., und Arbeiter.(Sehr richtig! bei den Soz.) Sie verweigerten der Stadt die Mittel, um die Zlrbeitnehmer angemessen entlohnen zu können. Das fei mit besonderem Nachdruck hervorgehoben. Radi­kalismus und Reaktion vereinigt zur Ctatoppofition in diesem Hauie wagen es, im Etatausschuß und im Plenum durch ihre Redner an die verantwortungsbewußten Stadtverordnetenfraktionen, und ins- besondere an die ihnen verhaßte Sozialdemokratie, die Frage zu richten, ob die Verantwortung für diesen Etat übernommen wird.
Romah einer Revolulion. üoyt Ceckacl fieccmAttH MoslAt Das Faß schien all das nicht zu bemerken oder doch nicht als unangenehm zu empfinden; es blickte über die filz- haarige, rachitische Jungbrut weg. die es stumpf starrend umdrängte, und schluckte mit Mund und Nase den Dunst von schlechtem Stroh und ungewaschenen Kleidern und Menschen- schweiß... oder haschte es nach dem süßlichen Rübenduft, der von der Fabrik manchmal herüberwehte? Diesem Geruch tapste es jetzt jedenfalls nach, trat durch die Tür in den riesigen Saal, eine massive Scheune von einst; man ließ es ruhig durch die langen Reihen der Arbeiter und Arbeite- rinnen gehen, die ihr Rübenwafchen, Rübenfortieren, Rüben- schälen. Rübentragen flüchtig unterbrachen und sich zu- raunten:Das Faß. das Faß!" Die meisten kicherten: auf den Backen einiger junger Mädchen war das grelle Rot einer .Hoffnung: die war auch von hier gekommen: vielleicht hei- ratete einen auch mal einer der Bürgersföhne, denen man sich nachts im Krumbholz hingab... Das Faß bemerkte auch das nicht. Es wälzte sich durch den rübenstaubdurchfchwelten. häßlich hohen Raum, als ob es zu Hause wäre. Der Aufseher- kam:Wolln Se de Ma- schine sahn?" Auf ein gedankenloses Ja hin führte er sie in einen sauberen Anbau, in dem eine schwarze, häßliche Ma- schine stand; daran glänzte«in großes Schwungrad seltsam und silbern. Die eben noch fahlen Wangenwülfte des Fasies waren heißrot geworden: sie schienen zu fiebern. In dem engen Gang zwischen Maschine und Wand bewegte sich der un- förmige Körper mit einer Selbstverständlichkeit, die träum- Haft war. Seine Augen waren etwas trübe; es stand jetzt vor dem großen Schwungrad, das in seiner schnellen Drehung wie ein großer, silberner Teller aussah, und starrte hinein
so, wie ein Fabrikmädchen silberne Dinge anstarrt, von denen die Neichen essen, scheu, fremd, mit unklarer Sehnsucht. Das halbe Jungmädchenlächeln in dem verfetteten Gesicht wirkte so komisch, daß der Maschinist den Aufseher mit bezeichnen- dem Blick ansah. Dann fuhr er fort, seine Erklärung der Maschine zu brüllen, die das Faß gar nicht zu hören schien; da gab er es auf und putzte am Eisen herum: der Aufseher sah im Arbeitssaal nach dem Rechten. Die trüben Augen der Fiebernden waren allein mit dem silbernen Teller. Ein Schrei-- ein Herumzucken der Köpfe, ein Fallen- lassen der Rüben und Messer, ein Gerenne nach dem Ma- schinenhaus. ein Aufgellen vieler weiblicher Kehlen, eine Stille-- Der Maschinist hatte den Schrei ausgestoßen, hatte das Faß jäh vom Schwungrad zurückgerissen, aber dessen rechte Hand war ein blutiger Fetzen, die trüben Augen sahen den Fetzen an, Schmerz war nicht darin, nur Verwundern das Faß hatte doch nur leicht über den großen silbernen Teller gestrichen wie eben ein Fabrikmädchen Flecke von silbernen Dingen wischt, von denen die Reichen essen... Man rannte um Leinwand. Der Fetzen blutete, das Blut tropfte in hundert Tropfen, es floß fast. Man. fand endlich Verbandszeug, das Blut sickerte durch das Leinen. Einer rannte zum Arzt, einer zu Kniephacke; Man führte das Faß in einen Verschlag, der leer geworden war, weil man durch die Anschaffung der Maschine einige Arbeiter hatte entlassen können. Das Lagerstroh mar noch da: man legte .das Faß darauf: es schien keinen Schmerz zu empfinden, es lächelte komisch und irre den Verschlag an, den die trüben Augen absuchten: sie fanden mannshohe Mauer, Luftloch, Raufe und Stroh und schlössen sich zufrieden. Eine Frau blieb da und verband immer von neuem; der Fetzen strömte Blut. Se hat uffs Rad gefaßt, wie'n se zu Haufe uff an Tisch faßt," berichtete draußen der Maschinist. Se is je oo hier zu Hause I" meinte ein altes Weib ironisch oder ernst. Der Aufseher trieb zur Arbeit. Nach drei Viertelstunden kam Kniephacke: ein Arzt war noch nicht zu erreichen gewesen. Kniephacke war sehr ruhig, obgleich er zu wissen glaubte, daß dieser Unfall den Tod seiner Frau bedeuten würde. Aber er hatte seit langem erkannt,
daß dies bevorstand. Lediglich die merkwürdigen Umstände irritierten ihn etwas. Er hockte sich neben sie und hielt ihre Linke. Ihre Augen waren noch immer geschlossen: aber langsam schwand das Lächeln, der Atem wurde heftiger. Ihre Lippen bewegten sich unaufhörlich, sie wollte Worte formen, aber es ge- lang nicht. Schonn jut, Mutter, fchonn jut. Ich jrieße dän Jungen von diche," sagte Kniephacke. Der Fetzen blutete noch immer. Kniephacke sah, daß ein Asthmaanfall drohte. Nach ge- wohnter Art legte er ihren Kopf zurück, schwang den linken Arm auf und ab. Als ein gurgelnder Atemzug ihr wieder Luft geschafft hatte, schlug sie die Augen auf. Sie sah Kniep- hacken an, wie man etwas Fremdes ansieht, das gut ist, dem man dankbar fein muß, das aber eben fremd blieb; tastete dann mit langen, nahen Blicken wieder den Verschlag ab, schien alles richtig und heimatlich zu finden; suchte noch ein- mal ihres Mannes Hand zu drücken Schonn jut, Mutter," jagte Kniephacke wieder. Das Lächeln kehrte zurück, sie schloß die Augen und tat sie nicht wieder auf. Der Arzt konstatierte den Tod: Herzlähmung durch Asthma, Anstrengung, Schreck, Blutverlust. Der Arzt sprach sein Beileid aus.Und daß sie gerade so gerade hier sterben mußte...* Er sah sich im Räume um. Jott, wissen Se, Herr Doktor," sagte Kniephacke ruhig. an jeder jeheert dahin und zu die, wo e härjekomm'n is. Un wenn e se oo noch so lange nich kennen will, und wenn c oo ausrickt dafor sein janzes Läwen- am Ende muß e zu feine Leite und in sein'n Verschlag. Die armen Ludersch hier läßt's nich los, wenn se's oo besser gehatt han derzwifchen. Awwer hier isse se zu Hause." Als der Arzt mit erstauntem Blick gegangen war, sagte Kniephacke nach einigem Grübeln vor sich hin:Daderzu nu das Janze, damit'n se hier starwet... jeschieht mich recht. Ich geHeere oo widder in mein'n Verschlag." Am nächsten Morgen, als er mit einer großen Stange vor seinem Hause hantierte, stieß er, wohl von ungefähr, das GlasfchildHofböttchermeister" entzwei. Es wurde nicht wieder angebracht. (Fortsetzung folgt.)