ZIr. 143> 4« Jahrgang 5 OietMf««. 26. SIär5-1929
S&wei Qegemäime.
Xerliner U-Siahn Eingang. P a ri s« r Metro und Berliner Untergrund: beide dienen sie demselben Zwecke, und doch find sie in ihrer Aufmachung und in der Ausstattung der Stationen und Wagen so verschieden. daß es sich schon lohnt, diese am stärksten frequentierten großstädti- schen Verkehrsmittel hier und dort miteinander zu vergleichen. Wir stehen am Boulevard Raspail in Paris und suchen den Eingang zur Metro. Nach längerem Suchen entdeckt man ein grasgrün gestrichenes, mit Pflanzenmotiven üppig verziertes Eisengeländer. aus dem kühn aufstrebende, geknotete, und sich verzweigende Stengel lebenfalls aus Eisen) eine langgezogene Tafel tragen, deren Auf- fchrift„Metropolitain " mit Buchstaben im reinsten Jugendstil keinen Zweifel an dem Zweck dieses botanischen Stilgewirrs übrig lassen. Wenn der Abend kommt, erglühen an der Spitze der Stengel zwei Glasknospen in rosigem Licht, und aus einer Blattrolle ergießt sich Heller Schein über den Orientierungsplan von Paris mit den Linien der Metro. Für 60 Centimes(10 Pfennig) kann man die Seinestadt nach allen Richtungen unterirdisch, an einigen wenigen Stellen auch oberirdisch befahren. Gerade in den Stunden des Houptverkehrs, der auf den belebten Boulevards oft zu zeitraubenden Stockungen führt, ist die Fahrt mit der Metro zu empfehlen, wenn man es eilig hat. Aber dem Allzueiligen, der noch im letzten Moment in den
firnrntr- Pariser llleiro Eingang. abfahrenden Zug springt, wie man es so oft in Berlin beobachten kann, ist auf der Pariser Metro ein Riegel vorgeschoben. Unmittel- bar vor der Abfahrt schließt sich automatisch auf jeder Station der Zugang zum Perron in Gestalt einer kleinen eisernen Pforte oder einer einfachen Ouerstange. Ebenso automatisch schließen sich die Türen des losfahrenden Zuges, sobald die Zugbegleiter ihr seltsames Pfeifen- fignal gegeben haben. Die einzelnen Stationen, die man in Berlin schon an der Farbe der Kacheln, an der Säulenanordnung erkennt. sind in Paris von uniformer Landweiligkeit, nur belebt durch große, farbige Reklametafeln, auf denen Coty sein« Parfüms, Nestle feine Kindernährpröparate und Likörfabrikanten ihre einzigartigen Aperi- tifs anpreisen. Rasch ist man am Bestimmungsort, wenn man sich vorher nicht in den labyrinthischen Gängen der Umsteigestation („corresponäence") verirrt hat und statt in Vineennes im Osten im Bois de Boulogne im Westen gelandet ist. Gerade auf den Außenlinien wird man die best« Gelegenheit haben, den Pariser Arbeiter zu beobachten und wird hier sicherlich tiefere Eindrücke von französischer Eigenart empfangen, als wenn man sich nur auf den für den Fremden herausgeputzten glanzvollen Boulevards herum- treibt.
Ein zweiies Todesopfer. Die Arbeiter sollen natürlich schuld sein. Das schwere Brandunglück in den Bergmann Elek- trizitätswerken A.-G., in Reinickendorf -Rosenthal, über das wir bereits ausführlich berichteten, hat bedauerlicherweise noch ein Todesopfer gefordert. Der 24jährige Arbeiter Ernst Fischer aus der G e n t e r Straße 3S. der am ganzen Körper Verbren- nungen erlitten hotte, ist gestern abend um 6 Uhr in der Universitäts- klinik Ziegelstraße seinen schweren Verletzungen erlegen. Inzwischen scheint die sofort eingeleitete Untersuchung zu- mindest eine Nachlässigkeit i n der Betriebssührung ergeben zu haben, so daß es Aufgabe der Ueberwachungs- behörden fein sollte, unverzüglich einzugreifen. Die Erregung unter der Arbeiterschaft der Firma Bergmann ist begreiflicherweise groß und es sollte nichts unversucht bleiben, um die Schuldfrage so schnell wie möglich restlos zu klären. Deshalb erscheint uns das Verhalten der Telegraphen-Union(TU.) unbegreiflich, die oerlucht, der Arbeiterschaft die Schuld an dem Unglück in die Schuh« zu schieben. Sie schreibt, daß das Großfeuer„angeblich
durch Unvorsichtigkeit der Arbeiter" entstanden fei. Was heißt hier angeblich? Das ist eine dumme Redensart. Es steht noch nichts fest und die allgemeinen Arbeits- und Sicherheits» Verhältnisse in der deutschen Industrie sind keineswegs so ideal, daß man sofort eine Schuld der Arbeiter inutmaßen inuß._ Ein verhängnisvoller Laubenbrand. Ein Laubenbrand, bei dem durch besonders unglücklich« Um- stände zwei Schülerinnen, und zwar die 12jährige Elisabeth und die lOjohrige Frieda W. ums Leben kamen, beschäftigt« das Schöffengericht Berlin- Wedding. Angeklagt wegen fahrlässiger Tötung in zwei Fällen und fahrlässiger Brandstiftung war die Mutter der getöteten Kinder Frau Elisabeth W., die mit ihrer Familie im Sommer eine Laube in einer Kolonie bei Witte- nau bewohnte. Am IS. Dezember ging der Mann gegen 10 Uhr abends zu Nachbarn. Frau W. brachte die beiden Mädchen und «inen kleinen Jungen ins Bett und ging dann in den Vorraum, um zu plätten. Dabei hing sie, um besser sehen zu können, die Pe- troleumlampe, die an der Decke unter einem besonderen Schutzblech hing, auf die andere Seite. Als sie mit Plätten fertig war, wollte
sie noch zwei Schürzen zu den Nachbarn hinüberbringen und gleich- zeitig ihren Mann abholen. Da sie nurjvenige Minuten fortbleiben wollte, schraubte sie die Lampe klein. Sie wurde aber doch bei den Bekannten länger aufgehalten. Auf einmal rief jemand:„Die Laube brerinlr Sosort eilten alle herüber und löschten das Feuer, das nicht sehr groß war: aber es hatte sich doch soviel Rauch entwickelt, daß die beiden Mädchen, die auf einem oberen Bett schliefen, an Kohle noxydvergiftung gestorben waren. Der Staatsanwalt hob hervor, daß die Mutter durch de» Tod der Kinder schon genug bestraft wäre und beantragte die Mindeststrafe von einem Monat Gefängnis und Bewährungsfrist. Das Gericht sprach die unglückliche Mutter frei, da die Fahr- lässigkeit zu gering war, um strafrechtlich erfaßt zu werden.
�Gras Zeppelin" auf großer Kahri. Oer Flug über Italien . Rom . 25. März. Da» Luftschiff„Gras Zeppelin" überflog R o m um 15.20 Uhr. Es wurde von zahlreichen Flugzeugen umkreist und von der Bevölkerung, die auf den Terrassen der Häuser stand, lebhasl begrüßt. Um 17.30 Uhr überflog„Gras Zeppelin" Eapri mit südlichem Kur». Die Stadt Neapel wurde in der Richtung nach Osten überflogen. Eigenberichte von der Fahrt. „Gras Zeppelin", 25. März.(Eigenbericht.) Als die Bewohner von Marseille am Montag morgen gegen 8 Uhr zu ihren Arbeitsstätten eilten, sahen sie über sich am blauen Morgenhimmcl ein deutsches Luftschiff kreise». Der Zeppelin stattete der Stadt einen Besuch ab. Die Bevölkerung sammelte sich auf den Straßen und Plätzen und begrüßte den Lustriesen, der nach einigen Schleifen in gerader Richtung nach Osten weiter flog Mar- seill« ist nach Lyon die zweite französische Großstadt, der ei» Zeppelin einen Besuch abgestattet hat. Die italienische Hauptstadt Rom wurde bei klarem, böigen Wetter überfahren. Auf Straßen und Dächern Tausende von Men- schen, zahlreiche Gebäude sind beflaggt. Als„Graf Zeppelin" deni Quirinal durch Neigung der Spitze des Schiffes«ine Ehrenbezeugung erwies, stürzten in der Passagiergondel Gläser und Teller zu Scherben vom Tisch. Das Luftschiff überflog das Kapital und das Kolosseum und nahm nach zwei Ehrenrunden, von einem Fliegergeschwader mehrere Kilometer begleitet, Kurs auf Neapel , von dort nach Griechenland . Besatzung und Passagiere richteten an den deutschen Botschafter in Rom ein Begrüßungstelegramm, in dem dem Genius der ewigen Stadt gehuldigt und der Botschafter gebeten wird, dem italienischen Volke beste Grüße zu übermitteln. Die Fahrt Marseille — Rom verlief bei herrlichem Wetter und völliger Windstille, stundenlang hatte man Korsika mit seinen Gebirgen vor Augen. Das Meer glich einem Spiegel. Elba durfte auf Verlangen der italienischen Regierung nicht überflogen werden. Bei Eivitavecchia erreichten wir italienisches Festtani. Eine halbe Stunde später log Rom in ganzer Pracht unier uns. Das Schiff macht unter Eckeners Führung nach Zuverlässigkeit und Leistungsfähigkeit einen ausgezeichneten Eindruck. Die Passagiere sind ausnahmslos des Lobes voll über Schiff, Führung und Besatzung. Entschädigung für den schuldlos Verurteilten. Me uns aus München gemeldet wird, erhielt der Mechamkcr Otto Götz, der wegen Mordes zum Tode verurteilt, dann zu lebenslänglichem Zuchthaus begnadigt und nach zehnjähriger Zuchthaushaft unlängst im Wiederaufnahmeverfahren von der Zln- klage des Mordes freigesprochen worden war, jetzt einen Gerichtsbeschluß zugestellt, der die Staatskasse zur Ent- schädigung verpflichtet. Diese erstreckt sich auf IM Jahre, die Götz über die jetzt vom Augsburger Schwurgencht— wegen versuchter Abtreibung— festgelegte Strafe hinaus verbüßt hat. Wir berichteten über den Fall vor etwa 14 Tagen ausführlich.
Rohiah einet Revolulion. Von Gecltaci HetcttiAMn M.osiat Gloß lieg den Vlick über die Stadt wandern und traf auf die Schlote der Zuckerfabrik.„Freilich: das ist nun eine Einsicht, die richtig ist und zu nichts nutze. Deshalb bleibt doch der Stachel, daß Menschen sich die Lunge aus dem Leib schuften müssen und nicht satt zu essen haben, daß... wozu zähle ich das aufl" Er stand schnell auf: sein gutmütiges, pastorales Gesicht eckte der Zorn. „Ewig wird dieser Stachel bleiben, ewig, und wird Revolutionen und Religionen und Reformationen wach stechen aus schlafenden Volksleibern... und nun muß es doch heißen: Gott sei Dank!" Er lächelte schon wieder.„Also, merkt euch meine Einsicht erst gar nicht. Sie ist nutzlos. Früher habe ich einmal gesagt, daß alles Uebel darin liegt, daß man niemanden zur Einsicht bringen kann. Heute weiß ich, daß auch die Einsichten nicht helfen. Sonst sollten Greise regieren �.." Ihn fröstelte. Er begann in seiner Reisetasche zu. suchen, kramte eine Flasche Brannt- wein heraus.„Es ist kalt. Ich lasse euch das hier. Trinksts auf das Wohl eines, der auch mal das Beste gewollt hat, und das Beste war Plunder." Die rotgeränderten Greisenaugen stierten gierig auf die Flasche. Gloß lächelte.„Aber nur, wenn Jhr's mit Kniep- hacke zusammen trinkt!" Calm wandte sich brummend ab. Gloß schüttelte den Kopf..Linder, Kinder, seid froh, wenn wieder einer zu euch kommt! Seht mal: damals habt Ihr euch gewundert, daß der Adlige von Gloß freisinnig war. Run, er war's aus Einsicht, und er war einsichtig aus Armut. und Armut ist kein Verdienst. Aber das Heil kommt vielleicht von der Armut— und einmal werden auch die Trosegks arm sein!" „Bale!" knurrte Calm. „Na. und heute kommt sogar ein Hoflieferant," fand sich Gloß scherzend zurück.„Also nun zerstört mal nicht die ein- zige Hoffnung, die noch bleibt: daß einstmals alle zu uns kommen. Schubst nicht gleich den ersten weg!"
Calm schwieg verständnislos. Sein Hirn faßte solche Gedanken längst nicht mehr. Aber seine Augen gierten nach der Flasche. „Denken Sie dran, Calm, daß Ihr alle drei heute einen gemeinsamen Gedenktag habt. Es ist der IS. März heute." „Der neinzähnte?" fragte erstaunt der zeitlos lebende Calm. Gloß hielt ihm die Flasche lockend vors Gesicht.„Na? zum Feiern— mit Kniephacke!" „Iut, zum Feiern!" In Calms Augen flackte es wieder. „Sie kenn'n se herjäwen!" Gloß gab die Flasche.„Und ich gehe heim zu meinen Buchen und Fichten." sagte er leise und sah noch einmal über die Stadt.„Dies werde ich wohl nun nicht mehr sehn..." „Das muß nich schwer sin," meinte Kniephacke.„Mer hat zu oille drin ausHalen missn." Groß lächelte schmerzlich.„Es sollte leicht sein, eigent- lich... man glaubt sie doch so lange gehaßt zu haben. Und beim Abschied merkt man: man hat sie geliebt." Kniephacke sinnierte:„So ähnlich jings je oo meine Frau... mit der Fabrike..." Gloß ritz sich los von dem Blick ins Tal, nahm seine Reisetasche. „Man liebt ja so viel mehr Dinge, als man denkt. Man liebt auch, was man zerstört. Auch euch Revolutzern geht's nicht anders." Ein Windstoß machte sein Haar zu einer weißen, hohen Fahne, sein Gesicht sah aus wie eine Fläche aus Licht.„So vieles liebt man... lebt wohl!" Er schwang den Hut und ging rasch. Die Blicke der anderen folgten ihm stumm, bis er auf der Kuppe war. Aber er wandte sich nicht um und sank hinter den Berg wie hinter eine graue Mauer. Calm entkorkte die Flasche, trank und ließ Ziegler trinken. Dann nahm er den Schnaps wieder an sich, hielt ihn eine Weile zögernd vor der Brust und reichte ihn dann mit hartem Ruck an Kniephacke:„Weils Iloß so hau will. Un weils der neinzehnte März is." Kniephacke nahm nicht. Er sagte demütig und kindlich: „Ich weeß jo, wie unrecht das von mich jewän is.» Ich will jo allens widder jut machen. Ich will jo allens tun, was du willst, Calm." „Na. is jut. Ich wer dich brauchen eher, als du denkst." Die Flasche begann zu kreisen. Mehr Wort« wurden bei dieser Versöhnung nicht gewechsell. Räder knirschten. Ueber die Kuppe des Berges nickten
zwei Pferdeköpfe, dann kam der ganze Wagen nach: ein Ackerwagen, von einem Harzbauern geführt, hoch beladen mit Tannengrün. Kniephacke, des Hockens in der Kälte unge- wohnt, blickte neidisch hin.„An Feierchen sollte mer sich machen!" Der Wagen war heran.„Kenn'n Se uns nich an bißchen dodervon jäwen?" fragte er den Kutscher. Der grinste.„Meinswäjn nähmt«ich an paar Stick. Es ward je oo so reichen." Kniephacke und Ziegler rissen große Büsche vom Wagen. „Wofor Is es denn«?" erkundigte sich Calm, schon Trunkenheit in trüben Augen. „Fors Schloß om'ne Dekoration for'n Harzog!" rief der Bauer und zog die Bremsen an. Langsam rutschte der Wagen hinunter. „Forn Harzog— an'n neinzähnten März—" Calm sah böse zum Schloß hinüber. Die Zweige wurden geschichtet, das Feuer wurde ent- facht. Kniephacke besorgte das mit ruhigen, noch arbeitsgc- wohnten Händen; die Finger der beiden Adern waren zu tapsig, zu klamm, zu zittrig. Bald wanden sich die Funken durch den Haufen, wurden Bänder, die in die Luft wehten, eine ganze Brut von roten Schlangen', die. sich gegen die Kälte warfen und sie mit kleinen, wilden, spitzen Bissen immer wieder zurücktrieben. Die Flasche kreiste, heißer wurden die Gedanken in den Hirnen— aber Kniephacke gegenüber blieb Calm noch immer fremd und mürrisch. Dann aber, als der Schnaps zu Ende war, sprang Calm auf, warf mit ersticktem Fluch die Flasche in der Richtung zum fernen Schloß— das Glas zersplitterte ohnmächtig miß- tönend am Fels, und Calm wandte sich jäh an Kniephacke: „Eemaa hawwe ich eenen da om'ne was versprochen: nu muß ichs Halen; willste mich helfen, Kniephacke?" Der Böttcher nickte stumm. .Lücke ma," sagte Calm weiter und hob seine zitternden Hände hoch,„mit die Finger kann ichs doch niche. Sonst tät ichs alleene, das kannfte mich jloowen. Un ich wers oo tun ohne diche, wenn de nicht willst. Awwer du hast ne ruhije Hand..." Kniephacke erschrak. Er sah nach der Richtung, in der Cöthen lag— die schnell hereinbrechende Dämmerung hatte die manchmal sichtbaren Türmchen des Seminargebäudes ver- wischt. Seine Augen glitten zu Calm zurück, der ihn finster anblickte. Kneiphacke atmete tief auf.„Is jut." (Fortsetzung folgt.)