Morgenausgabe
Nr. 259
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46.Jahrgang
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Donnerstag
6. Juni 1929
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Labour Regierung im Entstehen.
Vollständige Zusammensetzung erst in einigen Tagen.
London , 5. Juni. ( Eigenbericht.) Nachdem Ramsay Macdonald den Auftrag des Königs zur Regierungsbildung angenommen und so fort eine Ministerliste vorgelegt hatte, die der König genehmigt haben soll, beteiligte der Parteiführer sich an einer gemeinsamen Sigung der Exekutive der Arbeiter. partei und des Fraktionsvorstandes. Als er erschien, wurden ihm lebhafte Ovationen zuteil. Die Zu sammensetzung des Kabinetts wurde nicht erörtert. Nach der britischen Tradition ist der zum Minister präsidenten berufene Parteiführer bei der Auswahl seiner Minister völlig frei. Ein unlängst erfolgter Versuch der Unabhängigen Arbeiterpartei( JLP.), nach dem kontinentalen Muster eine Kontrolle der Frak tion über die Personenauswahl für die Regierung ein zuführen, ist von der Gesamtpartei nicht angenommen worden.
Die Zusammensetzung des Kabinetts ist noch nicht bekannt. Als feststehend kann gelten, daß Sankey, awar nicht Mitglied der Arbeiterpartei, jedoch seit seiner Tätigkeit als Vorsitzender der Kohlenkommission von 1920 in der Labour- Parth ein außerordentliches Bertrauen genießend, Lordfanzler, und Philipp Snowden Schazkanzler werden wird. Als Präsident des Handels amtes ist W. Graham in Aussicht genommen, im vorigen Arbeiterkabinett Unterstaatssekretär des Schat
Zum 28. Juni.
Keine überparteiliche" Revanchereden! Zum 28. Juni, dem 10. Jahrestag des Unterzeich nungsattes von Versailles , merden Rundgebungen geplant, die angeblich über parteilichen Charakter trageri sollen. Die verschiedensten Körperschaften hat man bereits für diesen Blan zu interessieren versucht. So hat u. a. auch der Deutsche Städtetag an feine Mitgliedsstädte die Anregung weitergegeben, Rundgebungen gegen die Kriegsschuldbehauptung" zu veranstalten oder zu fördern.
Um alle Mißverständnisse auszuschließen, jei festgestellt, daß die Sozialdemokratische Partei diesen Plänen fernfteht und sich an ihrer Ausführung nicht beteiligen wird.
Die Sozialdemokratie hat seit zehn Jahren alles getan, um das Unrecht des Bertrages von Versailles zu mildern, seine Lasten zu erleichtern und falsche Urteile über das deutsche Bolf, wie sie sich mährend des Krieges in der Weltmeinung festgesetzt hatten, zu er schüttern. Kein objektiv Urteilender wird behaupten, daß dieje Arbeit ohne Erfolg geblieben ist. Sie ist aber dauernd gestört und ost in ihrem Erfolg beeinträchtigt worden durch nationa= listische Elemente, denen es nicht darauf antommt, dem deutschen Bolte zu helfen, sondern nur darauf, die Sozial demokratische Partei zu verleumden und zu beschimpfen.
Die Sozialdemokratische Partei denft nicht daran, sich mit solchen Elementen zu einer gemeinsamen Aktion zu verbinden und fich an Rundgebungen zu beteiligen, die nach der Absicht mancher ihrer Teilnehmer der Aufpeitschung nationalistischer Leidenschaften dienen sollen. Dem deutschen Bolt und seiner Stellung in der Welt wird besser gedient sein, wenn der 28. Juni als ein Tag der stillen Einkehr und Selbstbesinnung begangen wird, als wenn an ihm Revanchereden geredet und Racheschwüre getan werden. Mehr als irgendein anderer Tag der deutschen Geschichte Diejenigen, die trotzdem das mahnt dieser zur Nüchternheit. Bedürfnis fühlen, sich an Redensarten zu berauschen, mögen am 28. Juni unter sich bleiben.
Die Sozialdemokratie macht nicht mit!
Moskau beschwert sich in Warschau . Wegen Feier der Unabhängigkeit Georgiens . Warschau , 5. Juni. Die polnische Preise bestätigt eine Nachricht der Moskauer Nachrichtenagentur Taß, wonach der Somjetgefandte in Warschau , Bogomoloji. im polnischen Ministerium des Auswärtigen gegen die Teilnahme Warschauer amtlicher Betfrefer an den Feiern protestiert hat, die anläßlich des Jahrestages der georgischen Un abhängigkeit fowie des Todes petljuras stattfanden. Die
amtes. Henderson und Thomas dürften dem Kabinett als Außenminister bzw. Minister für Ar Die Zugehörigkeit beitsbeschaffung angehören. von Lansbury zu dem Kabinett wird von der Arbeiter partei gewünscht.
Die offizielle Ministerliste ist kaum vor Ende der Woche zu erwarten. Außer den 21 Mitgliedern des Kabinetts sind noch rund 40 andere Aemter zu bejezzen. Macdonald wird sich nach Erledigung dieser Aufgabe bis zum Zusammentritt des Parlaments am 25. Juni zur Erholung in seine schottische Heimat begeben.
Die Universität Orford hat zwei Ronservative in das Unterhaus gewählt. Damit erhöht sich die Zahl der Konservativen auf 257.
Abschied der Tory- Minister.
In dem Stadtviertel der Ministerien begann das große 26 schiednehmen. Sir Austen Chamberlain übergab die provisorische Leitung des Außenamtes den Staatssekretär Sir Ronald Lindsay. Auch der erste Lord der Admiralität Bridgeman hat sich bereits verabschiedet..
polnische Preffe legt jedoch Wert auf die Feststellung, daß der Sowjetgejandte teine profeftuote abgegeben habe, sondern sich auf mündliche Demarche befchränkt habe, die jedoch vom Stellver. freter des miniffers des Auswärtigen Byfodi, der den Sowjet. gesandten empfangen hatte, als unzuläffige Einmischung in innerpolitische Dinge zurüdgewiesen worden sei.
Endgültige Unterzeichnung der Pariser Vereinbarung noch nicht sicher.
Brüssel , 5. Juni. ( Eigenbericht.)
Der Ministerrat hat sich mit dem Vorschlag der Reichsregierung über die Regelung der belgischen Markforderungen einverstanden erklärt.
Pressebertretern erklärte der Finanzminister, da die Regierung dem Reparationsabkommen keineswegs endgültig zustimmen würde, wenn der belgischen Forde rung von 25 Millionen Mark durch 37 Jahre nicht in großen Zügen entsprochen würde.
Französischer Informationsbericht.
Im Kammerausschuß für auswärtige Angelegenheiten wurden heute Informationsberichte über Reparationen und interalliierte Schulden verteilt. Eine Aussprache unterblieb angesichts der Vertagung der Kammerdebatte.
Sigung, die Mehrheit des Ausschusses sei gegen eine vorbe. Der Borsigende Baul Boncour äußerte nach Schluß der haltlose Ratifizierung, würde aber eine Ratifizierung vorbehaltlich einer Sch u klausel, die die Zahlungen Frankreichs an die Gläubigermächte von den Zahlungen Deutschlands abhän gig mache, annehmen fönnen.
Zur Erleichterung der Einführung dieser Schutzklausel beabfichtige Poincaré, die Ratifizierung durch Berordnung vorzunehmen. Die Kammer könnte also die Regierung ermächtigen, burch Defret unter gewissen Vorbehalten zu ratifizieren, wie bei dem Washingtoner Vertrag von 1921. Die Borbehalte würden dann später in den Gesezentwurf aufgenommen werden, der die Billigung der Ratifizierungsverordnung ausspricht.
Aufstandsslackern in Mexiko . Chriftliche Rebellentruppen niedergeworfen.
Im Jaliscostaate tam es zwischen Regierungstruppen und einer fatholischen Rebellenarmee, den sogenannten Christeros, zu heftigen Kämpfen, in deren Berlauf der Führer der christlichen Butschiften, General Enrique Gorozieta, mit der Baffe in der Hand fiel. Die Rebellen hatten über 100 Tote zu verzeichnen; 16 Stabsoffiziere des Rebellenführers wurden gefangen genommen,
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Die Arbeit siegt!
Die geschichtliche Bedeutung der englischen Wahlen. Von Wladimir Woytinsky .
,, Ihr Sieg ist unser Sieg!" telegraphierte der Magde burger Parteitag dem Vorstande der britischen Arbeiterpartei, als er die ersten Nachrichten über die Ergebnisse. der Barlamentswahlen in England erhielt. Der Parteitag wurde dabei zum Wortführer der großen Mehrheit der Arbeiterschaft in Deutschland ebenso wie in allen anderen Ländern der Welt. Der Sieg der Labour Party in England ist ein entscheidender Marfstein auf dem Wege des Proletariats, der nicht nur zur Versöhnung der Völker, zur Sicherung des Friedens, zur Hebung der Lebensbedingungen der schaffenden Volksmassen, sondern auch zur Verwirklichung des Endziels der internationalen Arbeiterbewegung, des Sozialismus, führt. Die die ersten wirklich allgemeinen Wahlen in der engjüngsten Wahlen gewinnen noch mehr an Bedeutung, weil sie lischen Geschichte waren: zum erstenmal wurde zur Abstimmung auch die weibliche Jugend gerufen, zum erstenmal genießen die Frauen volle Gleichberechtigung mit den Männern an der Wahlurne. Und allen Erwartungen der Konservativen zum Trozz, stimmten die Frauen für Arbeit, Freiheit und Frieden!
Freilich fehlt im Siegeskelch der britischen Arbeiterpartei ein Tropfen Bermut nicht. Dies wird vom ersten Tage an von der bürgerlichen Presse unterstrichen, die sich bemüht, den Eindruck des von ihr unerwarteten Ausganges der Wahlen abzuschwächen. Der Sieg der Labour Party hat ihr feine abfolute Mehrheit im Unterhause gebracht. Von den 615 Sigen find bis jetzt 609 endgültig verteilt und von diesen 609 Sigen haben unsere Benoffen nur 288 erobert, ihnen fehlen also bis zur absoluten Mehrheit etwa 20 Stimmen.
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Wer fonnte aber am Vorabend der Wahlen ernstlich da ran glauben, daß die Arbeiterpartei die absolute mehrheit der Mandate an sich reißen würde? Freilich mahnte Macdonald die Wähler: Falls sie uns die Verwaltung des Landes anvertrauen wollen, machen sie uns so start, daß mir als feste Mehrheit allein regieren fönnen!" Die Wahlverfammlungen nahmen diese Aeußerungen des Arbeiterführers mit jubelndem Beifall entgegen, aber bei den nüchternen Berechnungen der Wahlchancen gingen auch die ertremen Optimisten nicht weiter, als bis zur Prophezeiung einer relativen Mehrheit der Labour Party im Unterhause. Die Wahlen gaben diesen fühnen Erwartungen recht: die Arbeiterpartei fehrt als die stärkste Partei in die Kammer zurüd.
Ihr Sieg ist diesmal größer, eindrucksvoller und politisch unvergleichlich michtiger, als dies im Jahre 1923 der Fall war. Damals verteilten sich die Size im Unterhause: Bor den Wahlen Nach den Wahlen
Konservative. Liberale Arbeiterpartei Sonstige
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142 15
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Der Sieg der Arbeiterpartei äußerte sich also in der Eroberung von 49 Sigen. Diesmal war der Erfolg 2½ mal jo groß. Dabei mar auch der Inhalt des jüngsten Wahlkampfes ein ganz anderer als vor fünf Jahren. Damals handelte es sich in erster Linie um die Fragen der Außenpolitik: Macdonald mar berufen, der britischen Außenpolitik einen Auss weg aus der Nachkriegspsychose zu zeigen, dem Geist von Locarno den Weg zu ebnen. Bei den letzten Wahlen ging es eben um das Ganze, um die Macht, um die gesamte Richtung der inneren ebenso mie der auswärtigen Politik. Die Zukunft des britischen Reiches stand auf dem Spiel, und dieses Spiel hat die britische Arbeiterschaft gewonnen!
Die Konservativen versuchen die politische und geschichtliche Bedeutung des großen Wahlsieges der Arbeiterpartei Niederlage verantwortlich machen: infolge der Aufstellung der dadurch abzuschwächen, daß sie die liberale Partei für ihre liberalen Kandidaturen hätten in den meisten Wahlbezirken Dreiedmahlen" stattgefunden, was der Arbeiterpartei die Eroberung von vielen Mandaten mit einer nur relativen Mehrheit der Stimmen ermöglichte.
Diefe Aufklärung, die auch in der deutschen bürgerlichen Breffe Biderhall fand, beruht aber auf einer vollständig willfürlichen Darstellung der Sachlage. Von den Wählern, die den Liberalen die Stimmen abgaben, stimmten die meisten für diese Partei deshalb, weil sie als oppofitionelle Partei die Politik der konservativen Regierung befämpfte und dem Lande eine andere Politik versprach. Es ist ein offenes Ge= heimnis, daß Lloyd George mit seinem Wahlprogramm, das im wesentlichen das der Arbeiterpartei nachahmte, in erster Linie um die Arbeiterstimmen warb. Wenn die fünf Millionen Wähler, die für die Liberalen stimmten, nur zwischen Macdonald und Baldwin zu wählen gehabt hätten, dann würden wahrscheinlich die meisten von ihnen für die Arbeiterpartei gestimmt haben und die Niederlage der Konservativen wäre noch erschütternder gewesen. Die Drejeckwahlen" kamen nicht der Arbeiterpartei, sondern in erster Linie dem Bürgertum zugute.
Freilich hat die Arbeiterpartei an Sigen mehr als an Stimmen gewonnen: fie erhielt etwa 200 000 Stimmen weni