??r. 313» 46. Jahrgang �1.
Sonntag.?. Juli 1929
Am brettervei-nagelten Alexan�erplotz, in einem Eckhaus gegen- über dem Polizeipräsidium, steht an einer Ladenscheib« eine nicht einmal besonders große, schwarze Inschrift: Pflegeamt der Stadt Berlin . Das ist sozusagen ein« Nscheit, wenn sie auch freilich nicht mehr von gestern ist: Zwei Jahre besteht das Pflege- ntnt schon in seiner gegenwärtigen Form. Es ist aus der ehemaligen Frauenhilfsstelle im Polizeipräsidium hervorgegangen. Wohlfahrtsamt und Jugendamt— das sind Begriffe, die uns allen einigermaßen vertraut sind— was ist aber nun ein Pflegeamts Wozu braucht man nun wieder solche Sache, bloß um noch irgend- wo«in paar Bureaus aufzumachen? Es herrscht ein erfreulicher Ton. Ganz ohne Bureaus geht die Sache ober wirtlich nicht. Doch in diesen Bureaus hier weht eine ganz eigen« Lust. Da» erst« Symptom: Da führt vom Melderaum aus eine kleine Tür ins Treppenhaus..Tür zu!* oder.Leise schließen!' steht gewöhnlich sonst in kategorischem Ton an solchen behördlichen Türen, flier ist ein blaustiftgeschriebener Zettel angezweckt:.Dies« Türläßt sich auch leise schließen!' Keines dieser Bureaus, die alle bunte, ölforbengestrichene Wände haben, ist ohne Bilder und Blumenschmuck. Man merkt diesem Hause an. daß es sozusagen ein Frauenslaol ist. Wirklich bekommt man während de» stundenlangen Besuches hier ikein männliches Lebewesen zu Gesicht. Gleich im Erdgeschoß liegt die Stelle für.jugendliche Selbst. melder', die, mit ihrem eigenen Warteraum, ganz von den übrigen Bureaus gesondert ist. Im ersten Stock liegen die Meldestellen für erwachsene Selbstmelder, daneben die Räume für die Neu- aufnahmen, die dem Pflegeamt durch die Polizei oder durch die Gerichte zugeführt werden— und darüber liegt das Pflegeheim— doch von dem soll später erzählt werden. Wer kommt nun ms Pflegeamt— und- warum kommen die Menschen? Schicksal und Hilfe. Da sind die jugendlichen Selbstmelder: junge Mädel, die, aus chaushaltsstellungen entlasten, ohne Mittel, ohne Familie in Berlin allein stehen: Früher mußten sie für ihre letzten Groschen in irgendein christliches Mädchenheim— und wenn die alle waren, dann blieb nur das Ajyl und später blieb dann oft genug nur die S t r o ß e, die traurige Straße. Der erschreckend hohe Prozentsatz der ehemaligen Hausangestellten in der P r o st i t u t i o n geht zum großen Teil auf die Derlassenheit und Hilflosigkeit dieser Mädel zurück, die von auswärts in die Großstadt kommen. Gerade fitzt wieder so ein kleines Unglückswurm vor der Beraterin, und man hört den Lebenslauf: Bei Pflegeeltern groß geworden: die Eltern
kennt das Mädel nicht„und ich will sie gar nicht kennen lernen, wo st« sich nie um mich gekümmert haben', Kaum aus der Schule ent- wachsen, wird das Mädel in Haushaltsstellungen gegeben, zuletzt zu einem Bauern, bei dem sie sich durch zu schweres heben einen Gebärmutterschaden zuzieht. Sie kommt in das Provinzial- krankenhaus, dann, halbgeheilt, in ein« Försterei: auch dort ist die Arbeit zu schwer. Nun hat sie, nach Berlin zurückgekehrt, vorläufig Aufnahm« bei einer bekannten Familie gefunden. Mit dem Pflege- Batet scheint sie sich nicht gut zu stehen. Sie bittet im Pflegeamt nur,.daß man ihr ein bißchen nicht zu schwere Arbeit verschaffen soll', von nun an ist sie aber Schützling des Pslegeamls: Man wird versuchen, ihr Arbeit zu beschaffen: kau» sie diese nicht leisten, ver. Neri sie ihre jetzige Wohnung: hier findet sie Aufnahme, ärztliche Beratung und Behandlung. Dielleicht ist es auch möglich, ihr einen Erholungsanfenthalt zu verschaffen, um sie erst wieder richtig arbeitsfähig zu machen. Fraglich, ob man sie zu ihren Pflegeeltern zurückbringen kann. Manchmal muß das Pflegeamt auch eingreifen, um Kinder vor der Ausbeutung durch ihre Eltern zu schützen— es ist durchaus nicht immer rotsam, die dem Pflegeamt zugeführten Jugendlichen und Kinder einfach dem Eltern- Haus wieder zuzuführen. Mancher„Ausreißer' floh aus einer Umgebung, die für feine ganze Zukunft verhängnisvoll geworden wäre, und oft genug muß das Pflegeamt mit ollen Mitteln gegen die Erziehungsberechtigten vorgehen, ihnen schließlich das Sorge- und Erziehungsrecht entziehen lasten. Die größten Tragödien sind oft die, in denen das nicht gelingt und der junge Mensch dann doch wieder in ein Elternhaus zurückkehren muh, trotzdem es ihm kein ff« i m mehr ist. Bor kurzem erst kam«in junges Mädel zu Fuß von einem weit entfernten Borort nach dem Alexonderplatz, um im Pjlegeamt um Schutz und Hilfe vor den eigenen Eltern zu bitten — und um die Möglichkeit, irgendwo anders ihr Brot durch ihrer Hände Arbeit zu verdienen.— Ein anderer, ganz aktueller Fall: Vor kurzem wurde ein junges Mädel von seinem ehemaligen BräuN- gam und seinen zwei Freunden überfallen und verprügelt, weil sie die Beziehungen zu ihm gelöst hatte. Das Mädel, ein ehemaliger Schützling des Pflegeamts, war aus der Provinz wieder nach Berlin gekommen, hatte sich sofort bei dem Pflegeamt gemeldet, dann aber den jungen Menschen kennen gelernt und war zu seinem Freund gezogen: Arbeit hott« sie auch. In einer Eisdiele verdiente sie wöchentlich 35 Mark— bei vierzehnstündiger und längerer Arbeitszeit. Als sie aber ihr Verhältnis zu dem Bräutigam lösen wollte, überfiel er ste mit feinen Freunden: Nur dem Eingreifen eines S ch u p o b e a m t e n oerdankt« sie es, daß sie ohne schwere Verletzungen davonkam: mußte doch dieser selbst aus zwei der Angreifer in der Notwehr schießen. Nun hat sie Stellung und Wohnung verloren— im Pflegeheim wurde sie ausgenommen, man hilft ihr die Koffer auslösen, und bald wird ihr auch ein« neue Stellung besorgt werden. Wer sind sonst die Betreuten? Noch zwei andere Kategorien gehören zu den Schützlingen des Pflegeamts: Die Frauen und Mädchen, die durch die„Gefährde- t e n st r e i f e' aufgegriffen wurden und die, die durch die Gerichts- Hilfe vom Schnellrichter oder unter dem Verdacht, eine Ansteckungs- quelle für Geschlechtskrankheiten zu sein, zwangsweise vorgeführt werden und die ehemaligen„eingeschriebenen' Pro st i-
tuierten. Diese zweite Stelle liegt völlig getrennt in einem Nebenhause. Soll oder will eine Frau oder ein junges Mädel im Pflegeheim bleiben, so kommt sie erst in die„Q u a r a n- tänestation' im dritten Stock und bleibt dort so lange, bis sie durch ärztliche Untersuchung als frei von an st eckenden Krankheiten bestätigt ist. Dann erst darf sie in das e i g« n t- liche Pflegeheim übersiedeln. Alle Jugendlichen werden zudem noch von einer Nervenärztin untersucht, die darüber entscheidet, ob nicht eine Unterbringung in einer Anstalt dem weiteren Verbleiben in der eigenen oder fremden Familie im Interesse des Jugendlichen vorzuziehen ist und ob es sich um hysterische, schwachsinnige, debile Menschen handelt. Bis zur Entscheidung verbleiben die Mädchen gleichfalls im Pflegeheim, in dem sie ja ständig unter Aufsicht stehen. Ein Beispiel: Da ist ein nettes Mädel, auch ein Pflegekind: brav und gut erzogen, macht es seinen Pflegeeltern nie Schwierig- kciten. Plötzlich, mit 14�- Iahren, brennt das Mädel durch, treib: sich mit halbwüchsigen Burschen herum, nächtigt auf Hausböden, wird von den Jungen geschlechtlich gebraucht, lebt von ihren Ge- schenken, vom Bettel und kleinen Diebstählen. Vorher ein ruhiges, gut erzogenes Kind, wird sie nach drei Monaten völlig verwahrlost aufgegriffen. Im Pflegeheim wandelt sich ihr Wesen wieder, nun Ist sie ganz Kind, handarbeilet mit Leidenschast und freut sich über den Geburtstagstisch, den man ihr vom heim au» doch festlich geschmückt hat— und über die Schokolade, die ihr die Pflegerin, und über die vier Marmeladenstullen, die ihr die Küchenleitung geschenkt hat.— Während der vierzehn Tage, die das Mädel hier in Sicherheit vor neuer Versuchung und auch vor den Schimpfereien und Vor- würfen Verwandter und Bekannter verlebt, wird darüber entschieden werden, ob sie in eine offene S)aushaltsschule, zur Familie zurück oder für die erste Zeit in eine geschlossene An st alt zu bringen ist. Dreißig Betten hat das Pflegeheim, aber fast immer sind noch einige„Notbetten' aufgestellt— bis z» fünfundvierzig Menschen können hier Herberge finden. Es verfügt über einen Baderaum mit vier Duschen, ein Sprechzimmer für die Aerztin, «inen Ausenthaltsraum und eine kleine Bibliothek, deren meist- gefragte Werke Backsischgeschichten und Märchen sind— viel anderes scheint sie leider auch nicht zu enthalten. Dies ist der einzige Winke!, der noch keinen Hauch modernen Geistes verspürt hat. Hell und behaglich sind die Räume, und man glaubt es gern, daß die„Selbst- melder' meist auf Empfehlung kommen: Besser als hier können sie
9ack JCondon:
„Eben das. Ich wische die Tafel rem. Ich lasse die ganze Geschichte zum Teufel gehen. Als die dreißig Millionen Dollar sich gegen mich erhoben und sagten, daß ich heute nicht mit dir in die Berge reiten könnte, da wußte ich. daß die Zeit zum Handeln gekommen war. Und nun handle ich. Jetzt Hab ich dich und die Kraft, für dich und für die kleine Ranch in Sonoma zu arbeiten. Das ist alles, was ich brauche und was ich aus den Trümmern retten will, dazu noch Bob und Wolf, eine Reisetasche und hundertvierzig Roßhaar. zügel. Der Rest geht zum Teufel, und ich bin froh darüber. Aber Dede war hartnäckig. Dann ist dieser— dieser furchtbare Verlust nicht not- wendig?� fragte sie. „Ich sag dir ja. Er ist notwendig. Wenn das Geld sich einbildet, es könne sich mir in den Weg stellen und mir ver» bieten, mit dir auszureiten—* „Rein, nein, jetzt im Ernst," unterbrach ihn Dede.„Das mein« ich nicht, und das weißt du auch. Ich will wiffen, ob der Bankrott vom geschäftlichen Standpunkt aus not- wendig ist?" Er schüttelte den Kopf. „Nein, das ist er nicht. Das ist ja gerade der Witz dabei. Ich lasse nicht nach, weil die Panik mich gelähmt hat und mich dazu zwingt. Ich gehe jetzt, da ich die Panik bezwungen habe und vor dem Siege stehe. Das zeigt doch gerade, wie wenig mir daran liegt. An dir liegt mir, Liebling, und dem- entsprechend spiele ich." Doch sie entzog sich seiner schirmenden Umarmung. „Du bist ve�ückt, Elam!" „Sag das noch einmal," murmelte er entzückt.„Das ist wahrhaftig süßer als der Klang von Millionen." Aber sie beachtete es nicht. „Es ist Wahnsinn. Du weißt nicht, was du tust—* „O doch, versicherte«r.„Ich gewinne das, was meinem
Herzen am teuersten ist. Dein kleiner Finger ist ja mehr wert „Sei doch nur einen Augenblick vernünftig." „Ich bin in meinem ganzen Leben noch nie so vernünftig gewesen. Ich weiß, was ich will, und ich tue es. Ich will dich haben und draußen mit dir leben. Ich will nicht mehr die Füße auf dem Pflaster und das Ohr den ganzen Tag am Telephon haben. Ich will eine kleine Ranch haben auf einem der schönsten Fleckchen Erde , die Gott geschaffen, und will selbst alles tun, was es da zu tun gibt— Kühe melken, Holz hacken, Pferde striegeln, den Boden pflügen und was sonst dazu gehört. Und ich bin sicher der glücklichste Mensch auf Erdep, denn ich habe etwas, das man nicht für dreißig Millionen, nicht für dreitausend Millionen und nicht für dreißig Cent Haufen könnte—" Ein Klopfen an der Tür unterbrach ihn: Dede ging zum Telephon hinaus. „Herr Hegan ist am Apparat," sagte' sie, als sie wieder- kam.„Er wartet. Er sagt, es sei wichtig." Daylight schüttelte den Kopf und lächett«. „Bitte, sage Hegan, er soll anhängen. Ich bin fertig mit dem Geschäft und will nichts mehr davon wissen." Nach einer Minute kam sie wieder. „Er sagt, er will nicht anhängen. Er läßt dir sagen, daß Unwin im Kontor wartet und dich durchaus sprechen will. Und Harrison auch. Hegan sagte, es stehe schlimm mit Grimshaw u. Hodgkins , und du müßtest sie stützen." Das war eine überraschende Nachricht. Sowohl Unwin wie Harrison repräsentierten Großbanken, und Daylight wußte, daß die Firma Grimshaw u. Hodgkins, wenn sie Konkurs macht«,«ine ganze Reihe anderer Häuser mit sich reißen würde. Aber er lächelte nur, schüttelt« den Kopf und sagt« mit dem Ton, den er im Geschäft anzuschlagen pflegte: „Fräulein Mason, wollen Sie so freundlich sein und Herrn Hegan sagen, daß nichts dabei zu machen ist. und daß er an- hängen soll.". „Aber das tonnst du nicht," drang sie in ihn. „Wetten das, sagte er kurz. „Elam!" „Sag das noch einmal!" rief er.„Sag das noch einmal, und dann kann meinetwegen ein ganzes Dutzend Grimshaw u. Hodgkins zum Teufel gehen!" Er ergriff ihre Hand und zog sie an sich. «Laß Hegan nur am Telephon warte», bis er schwarz
wird. An einem Tag wie heute können wir nicht eine Minute an ihn verschwenden. Er ist nur in seine Bücher und sein Zeugs verliebt, aber ich halte«in wirkliches, leben- diges Weib in meinen Armen, das mich liebt, wenn es auch versucht, über die Stränge zu schlagen." « „Aber ich weiß doch auch etwas von dem Kampf, den du geführt hast," wandte Dede ein.„Wenn du jetzt aufhörst, so ist die ganze Arbeit umsonst gewesen. Du hast kein Recht, das zu tun. Du kannst es nicht tun." Daylight war unerbittlich. Er schüttelte den Kopf und lächelte neckisch. „Nichts wird zu nichts, Dede, nichts! Du verstehst nichts vom Geschäft. Es steht ja alles nur auf dem Papier. Alles. wofür ich kämpfe, ist Papier . Für tausend Morgen Land habe ich Papier bekommen. Schön. Verbrenne die Papiere und mich dazu. Das Land bleibt, nicht wahr? Der Regen darauf, die Saat keimt darin, Bäume wachsen, Häuser stehen darauf, die elektrischen Bahnen fahren darüber. Das ganze Geschäft ist Papier . Ob ich das Papier verliere oder mein Leben, das ist einerlei; das macht das Land nicht um ein Sandkorn geringer und beugt keinen Grashalm. Nichts ist verloren— nicht ein einziger Pfahl in der ganzen Dockanlage, nicht eine Speiche von all den Eisen- bahnen, nicht ein bißchen Dampf von den Fährbooten. Die Wagen laufen weiter, ob das Papier mir gehört oder einem andern. Die Hochflut in Oakland hat schon begonnen. Die Leute strömen herbei. Wir verkaufen wieder Grundstücke. Die Flut läßt sich nicht mehr eindämmen. Was mir und dem Papier auch geschieht, die dreihunderttausend Menschen kommen doch! Und es wird Straßenbahnen geben, Häuser, gutes Wasser, Elektrizität und alles, was sonst noch dazu gehört." Unterdessen war Hegan in einem Automobil gekommen. Das Fauchen klang durch das offene Fenster herein, und sie hörten, wie es neben dem roten Wagen hiett. Im Wagen befanden sich auch Uwin und Harrison, während Jones neben dem Clzauffeur saß. „Hegan will ich sprechen," sagte Daylight zu Dede.„Die andern kann ich nicht brauchen. Die können im Auto warten." „Ist er betrunken?" flüsterte 5)egan Dede zu, die ihn an der Tür empfing. Sie schüttelte den Kopf und wies ihn hinein. T__(Fortjetzvng folgt.)