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Beilage

Mittwoch, 9. Oktober 1929

Wir bauen auf!

Der Abend

Spalausgabe des Vorwärts

Gemeindearbeit im Bezirk Lichtenberg   Von Bürgermeister Dr. Siggel

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Die Erfolge des Bezirksamts in der Jugendfürsorge finden| bestande, der nach dem neuesten Stande der Buchtritt aufs Sorg ihren sichtbaren Ausdruck in der Ausgestaltung der vier Jugend­heime. Sie sind als Stätte jugendfroher Stunden freundlich aus gestattet, insbesondere das neueste in der Gunterstraße.

Der Bezirk Lichtenberg   bededt mit seinen 7900 Heftar eine Fläche, die der von Alt- Berlin gleichkommt, aber nur 220 000 Einwohner birgt. Diese wohnen hauptsächlich in dem großstädtischen, nach Alt- Berlin zu gelegenen Teil der ehemaligen Stadt Lichtenberg  , während östlich der Stadtbahn nach Kaulsdorf   zu etwa 40 000 Be­wohner in ländlichen Gebieten wohnen. Stadtbaurat Dr. Wagner errechnet in seinem Stadterweiterungsplan für unseren Der Ausbau der Wohlfahrtspflege aus einer Armen Bezirk eine zufünftige Bevölkerung von 800 000 Einwohnern.  | unterstützungsbehörde zu einem von sozialem Geist getragenen Sicher gehört der Lichtenberger Be­

zirt zu den entwidlungs­fähigsten Bezirken. Borläufig liegen Großstadt und Dorf noch dicht beieinander.

Ein besonderes Augenmert hat der Bezirt auf den Eisenbahn­verfehr gerichtet. Es tommte zu­wege gebracht werden, daß mit der Durchführung der Elettrifizie rung der Endpunkt der Stadt­bahn nicht mehr in Raulsdorf, sondern in Mahlsdorf   zu liegen fommt. Auch die unglüdlichen Uebergänge in Mahlsdorf   und Raulsdorf, die den Verkehr von Nord nach Süd auf mehr oder weniger lange Zeit lahmlegten, werden beseitigt, eine wichtige Etappe auf dem Wege zur Ber­tehrserleichterung. Die

Grundlage unserer zukünftigen Ber­fehrsentwidlung aber bildet die Untergrundbahn, die Dor= läufig bis Friedrichsfelde   durch geführt wird. Sie bringt den Osten um eine bedeutende Zeitspanne dem Stadttern näher und wird voraus­

Hilfe für die Armen und Alten.

Der im Bau befindliche 3- Schulenbau an der Schlichtallee.

sichtlich eine neue Phase der Besiedlung des Bezirks zur Folge haben.

3m Kampf gegen Krankheit und Volksfeuchen. Ebenso notwendig wie der Ausbau der Straßen und Ber kehrswege ist der Ausbau auf dem Gebiete der Gefundheits­und Wohlfahrtsfürsorge. Es war so gut wie nichts vor­handen, als die kleinen Einzelgemeinden mit der früheren Stadt Lichtenberg   erst kurz vor dem Kriege aus einem Zusammenschluß entstanden war. Die Fülle des Erreichten beschränkt uns auf eine Aufzählung, die ein Bild von den Arbeiten der letzten Jahre gibt. Dem Ausbau des Krankenhauses, das schon vorhanden war, wird die größte Aufmerksamkeit gewidmet. Anträge auf Er­weiterung sind gestellt, besonders hinsichtlich eines Ausbaues von Fachstationen für Ohren- und Augenbehandlung. Die Entbindungs­abteilung im Krankenhause reicht nicht aus. Eine neue Entbindungs­anstalt mit 138 Betten für Wöchnerinnen und 82 Betten für Säug­linge ist schon unter Dach und wird bald eröffnet werden. Zur Durchführung einer Schwangerenfürsorge, die die Not in proletarischen Kreisen mildern hilft, ist eine Fürsorgestelle der Entbindungsanstalt angegliedert, in der die ärztliche mit der wirt­schaftlichen Beratung Hand in hand geht. Die Inanspruchnahme durch 400 Ledige und 1800 Verheiratete im Jahre beweist ihre Not­wendigkeit. Fünf Fürsorgestellen, die mit modernen Hilfsmitteln, zum Beispiel Höhensonne, ausgestattet sind, betreuen darüber hinaus Säuglinge und Kleinkinder. Bedürftigen werden von hieraus Säuglingsförbe mit Wäsche für Neugeborene zur Ber fügung gestellt und durch die Wochenfürsorge Zuschüsse zur Be­schaffung ausreichender Milchnahrung gegeben. Faft 200 000 Be­ratungen finden hier jährlich statt. Der Bezirk Lichtenberg   ist Gesundheitsbehörde im Sinne des Gesetzes zur Bekämpfung der Geschlechtstrantheiten. Die Beratungsstelle ist im Stadt haus mustergültig eingerichtet. Der Tuberkulosebekämp fung wird in zwei Fürsorgestellen durch 3 Aerzte, 5 Fürsorgerinnen und 1 Laborantin die größte Aufmerksamkeit gewidmet unter Heranziehung des Röntgenbildes. Durchschnittlich 650 Kranke werden von hier jährlich an Heime überwiesen.

Einen weitgehenden Ausbau erfuhr die Schulgesundheits pflege, die sich nicht nur mit den klaffenweisen Reihenunter suchungen befaßt, sondern auch die Untersuchung auf Eignung zum Schwimmen, Sport und dergleichen durchzuführen hat. Ein be­sonderer Zweig von ihr, die Schulzahnpflege, darf hier nicht ver­gessen werden. Behandelt doch unsere Schulzahnklinik jährlich

9000 bis 10 000 Kinder.

Die Badeanstalten des Bezirks.

leber Berlin hinaus berühmt find unsere Badeanstalten, sowohl das Fluß bad an der Spree wie das schöne allen bad in der Hubertusstraße. Das Flußbad gehört mit seinen 460 000 Besuchern in diesem Jahre zu den Refordbädern Groß Berlins. Hier fodt nicht nur das warme Basser des Warmwaffer bassins, sondern auch der schöne Strand zum Besuch, und gerade die Jugend unseres Boltes gehört zu den eifrigsten Besuchern des Bades. Auch die Bannen- und medizinischen Bäder des Hallen­bades find gut in Anspruch genommen worden; erst fürzlich hat das Bezirksamt aus eigenen Mitteln eine Abteilung für moderne Lichtbäder ebenfalls dort untergebracht. Ueber 2000 Kinder werden alljährlich in Erholungsheime verschickt, unter denen das eigene Heim des Bezirks in Müritz   an der Ostsee   eine besondere Rolle spielt. Bisher fanden fünfmal je 150 Kinder 5 Wochen im Sommer Unterkunft; die lebernahme des Winterbetriebes foll demnächst erfolgen. Ein Kindererholungsheim in mahlsdorf und eine Walderholungsstätte in Ravenstein   vervollständigen das Bild. Fünf Kindertagesheime sind im Laufe der Jahre teils neu entstanden, teils neu ausgestattet worden; weitere Heime follen mit der Errichtung von neuen Wohnbauten verbunden werden,

Wohlfahrtsamt ist in Lichtenberg   denselben Gang gegangen wie in anderen proletarischen Bezirken. Aber einige Einrichtungen ver dienen besondere Erwähnung: die Wärmest uben des Bezirks sind aus unzureichenden Noträumen, in denen sich die Aermsten unserer Bevölkerung früher nur ungern versammelten, zu jauberen, wohltuenden Aufenthaltsräumen umgewandelt worden, die mit ihren der Unterhaltung dienenden Einrichtungen, wie Büchern und Radio, gern aufgesucht werden. Ein Altersheim für 80 Per sonen ist in unmittelbarer Nähe des Forstgebietes der Stadt Berlin  im südlichen Teil Biesdorfs im Bau und wird 1930 fertig.

Daß die geistige Hebung der Bevölkerung nicht zu furz bedacht worden ist, zeigt der Ausbau des Büchereiwesens und der Schulen. Neun Büchereien sind vorhanden, von denen sieben schon früher vorhanden waren. Aber welcher Unterschied in der Ausstattung! Früher häßliche, schmutzige, unzureichende Räume mit größtenteils fitschigen oder unzeitgemäßen Büchern, jetzt freundliche, farbig belebte Räume mit zweckmäßigem Inventar und mit einem Bücher

fältigste ausgewählt wurde und in geschmackvollen Bänden dem Leser die Lektüre zum Genuß macht. Es sind neben den Bücher ausgabeftellen Lesehallen für Erwachsene und für Kinder in der Möllendorfstraße vorhanden. Eine weitere Rinderlesehalle wird folgen.

Unsere Schulbauten.

Die Planung neuer Schulneubauten war das Dringlichste. Wir tönnen als Erfolg buchen, daß nach der Eröffnung der Bolts­schule in Raulsdorf- Süd im Jahre 1927 und nach Fertigstellung der Schulhauserweiterung in Biesdorf  - Nord auch das Hauptprojett nämlich der Drei- Schulen- Bau in Lichtenberg  , Fischerstraße- Schlicht allee, von den städtischen Körperschaften be milligt murde und in Angriff genommen worden ist: eine Rnabenberufsschule, eine Knabenmittelschule und ein Oberlyzeum werden dort ihr Heim finden. Alle diese Bauten sind auf das Einfachste ausgestattet, nicht luguriös, wie es von bürgerlicher Seite in hämischer Weise behauptet worden ist; allerdings baut der Bezirt teine Schulhöfe, die nicht viel mehr sind als Lichtschächte, wie sie früher unter bürgerlichen Mehrheiten gebaut worden sind.

Wir bauen Schulplätze, auf denen unsere heranwachsende Jugend Licht und Luft in ausreichendem Maße hat, um fich austummeln zu können.

Das nächste Schulprojekt, das zur Berwirklichung fommt, st eine Mädchenberufsschule in der Normannenstraße nördlich der Frankfurter Allee  . Andere Pojekte für Boltsschulen in Mahls dorf- Nord, in Karlshorst   und in Lichtenberg  - Nord- Ost sind in Be arbeitung.

Bei allen diesen Projekten hat sich eine zielbemußte Grundstüdspolitit als notwendig erwiesen; zeigt es fich doch zum Beispiel, daß sämtliche früher seitens der Stadt Lichten.. berg für Schulzwede vorgesehene Schulbaugrundstüde völlig unzu reichend waren. So hat unser Grundstüdsamt es sich angelegen sein lassen, rechtzeitig für die Durchführung städtischer Bauten und auch für eine gesunde Freiflächenpolitit Grundstüde aufzu faufen. Zu nennen ist hier in erster Linie der Ankauf des Gutes Biesdorf   mit seinen 278 Hektar, das uns mit dem Part und seinen Waldstücken wertvollen Freiflächenbesig, aber auch Wohnbau­gebiete in die hand gegeben hat und zur Abrundung des städtischen Gesamtbefizes wesentlich beigetragen hat. Stellt man zum Ber­gleich, daß in derselben Zeitspanne 50 Hektar für städtische Bauten

sowohl des Bezirks als auch der Zentrale und der städtischen Werte abgegeben werden mußten, so wird ohne weiteres der Wert einer preisregulierenden und vorausschauenden Grundstückspolitik flar.

Der Bezirk Lichtenberg  , einer der entwidlungsfähigsten Arbeiterbezirke in Groß- Berlin, wird seine zielbewußte soziale und fulturelle tommunalpolitische Aufbauarbeit weiter fortseßen. Im demokratischen Deutschland   geht die Staatsgewalt vom Volte aus. Am 17. November wird die Berliner   Bevölkerung erneut ein Der Ruf Wählt

"

Beugnis ihrer politischen Reife ablegen. Sozialdemokraten", der in den nächsten Wochen überall erneut erschallen soll, wird nicht ungehört verhallen.

Thüringens   anderes Geficht

Mitnichten allein das Land berühmter Bäder und Heilquellen, der Landwirtschaft und Gärtnereien, die sich Weltruf erworben haben, ist die Thüringer   Heimat, sondern mit größerem Geltungsrecht ein Industrieland. Aber nicht laut und hastig, mie im Ruhrgebiet  , tlingen hier Hammer und Amboß  , feine Kofereien lodern zum nächtlichen Himmel und die Erde bebt und erdröhnt nicht von der Arbeit unter Tage, alles ist gedämpfter, als würden die Riesen des Thüringer Waldes   die hallenden Echoschläge auffangen und zu Boden drücken, oder mit anderen Worten: Thüringens   vielseitige Industrie, durch seine zentrale Lage im Herzen Deutschlands   be­günstigt, ist vorwiegend Fertigfabritate industrie. Mannigfaltigkeit und Beziehungen zum Weltmarkt sind ihre Merk­

male.

Obenan steht die Eisen- und Metallindustrie und von dieser die Maschinenindustrie, deren Produktion sich auf den Bau fast aller Maschinen erstreckt, die von den verschiedenen Gewerbe­zweigen benötigt werden, auch landwirtschaftlicher Maschinen, im besonderen aber Dampfmaschinen, Dampfteffelanlagen, Motoren, Kompressoren, Werkzeugmaschinen, Werkzeugmaschinen, Bergwerksmaschinen, Holz­bearbeitungsmaschinen, Ziegeleimaschinen, Schreibmaschinen, Näh­und Strickmaschinen, Beberei- und Wirkmaschinen, Lochstanzen, Steinbrecher und Trommelmühlen. Ihr Standort verteilt sich auf Erfurt  , Gera  , Saalfeld  , Mühlhausen  , Gotha  , Altenburg  , Zeulen roda, Zella- Mehlis  , Apolda  , Eisenach   und Bad Liebenstein  ,

Im Zusammenhang soll auch der Bau von Verkehrs mitteln Erwähnung finden, der ja für das Wirtschaftsleben immer mehr an Bedeutung gewinnt. Thüringen   baut 1. Fahrräder in Saalfeld  , Mühlhausen  , Eisenach  , Suhl  , 3ella- Mehlis, 2. Kraft magen in Eisenach  , Arnstadt  , Apolda  , Ronneburg   und Suhl  3. Straßen- und Eisenbahnwagen einschließlich Lokomotivenbau in Weimar  , Gotha   und Erfurt  .

und

Waffen

Beltruf genießt die Kleineisen­industrie, diese mit dem Zentrum in Suhl  , der Waffen- und Rüftlammer des Dreißig und Siebenjährigen Krieges, im legten Kriege geschätzt durch die Lieferung von Gewehren und Maschinen gewehren, wobei es allerdings in Sömmerda   einen beachtlichen jene berühmt als Schmalkaldener   Klein­Konkurrenten fand industrie, mit dem Mittelpunkt in Schmalkalden  , umfassend Lieben stein, 3ella- Mehlis, Steinach- Hallenberg, auch Salzungen. Her gestellt werden: Messer, Gabeln, Löffel, Nadeln, Laubsägewerkzeuge, Schraubenzieher, Schrauben, Schlösser, Bohrer, Zangen, Werkzeuge für Schuhmacher und in Berbindung mit der Holzindustrie: Korken zieher, Frisierzangen und andere Ergänzungsteile.

Die bebeutendsten Niederlaffungen der Zertits und Be.

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fleidungsindustrie befinden sich hauptsächlich in Gera  , Greiz  und Pößned, der Heimat der Bergerschen Schokoladen( aus Saal feld beziehen mir die Maurion- Schokoladen), mit vorwiegendem Ab jazz nach dem Auslande, ebenso wie die Fabrikate der Wirkwaren induſtrie Herstellung vor Tüchern, Blusen, Sweater, Kinder­kleider, Hauben, Mügen, Sportartikel usw. aus Apolda  , Mühl­ hausen  , Zeulenroda   u. a. nach leberseestaaten ausgeführt werden. Spielwaren, Porzellan- und Glasartikel, das aber sind die Industrieerzeugnisse, die Namen wie Sonneberg  , Ohr.  druf, Ilmenau  , wo der fünfte Teil des Bedarfes an Spielwaren im Belthandel durch Heimarbeit hergestellt werden, oder Blaue und ganz besonders Lauscha  , das Gotthilf Greiner feit Mitte des 18. Jahrhunderts zu Weltruhm brachte, für die Glasindustrie Ilmenau  , Gehlberg  , Neuhaus und Jena   mit der optischen Industrie der Firma Cari 3eiß, sind Namen, die sich in der ganzen Welt Bolkstümlichkeit erwarben. Erzeugnisse der Porzellanindustrie sind: Geschirr- und Luxusporzellan, Herstellung von Hoch- und Nieder­spannungsisolatoren und aller anderen von der Elektrotechnik be­nötigter Porzellanteile, während die Glasindustrie im Schwarzatal Hohlglas verfertigt, in Lauscha   und Umgebung aber Glasinstrumente, Glasaugen, Christbaumschmud und Wachsperlen.

Weniger bekannt, jedoch nicht minder geschäßt, sind die Fabri­tate der Lederverarbeitung mit Gerbereien in Pößned, Neustadt a. d. Orla  , Weida   und Hirschberg und der Fertigverarbeitung in Arnstadt  , Ilmenau  , Erfurt  , Weißenfels   u. a., wie das gleiche auch gejagt merden kann von der Holzindustrie Thüringens  , die im Gegens sag der Eisen- und Metallfabrikation in nächster Nähe ihres Roh­ftoffgebietes gelegen ist, und Möbel, Körbe, Kinderwagen, Stöde, Mufitinstrumente und Knöpfe herstellt. Alle aber, die sich ihrer bedienen, merden meist nicht wissen, daß ihre Schiefertafeln und stifte von Sonneberg   oder aus Lehesten   und Steinach   be. 30gen werden müssen, während die Sementindustrie Niederlassungen hat in Göschmiß, Unterwellenborn  , Bad Berta und Kösen. Auch der Rali- und Brauntohlenbergbau des westlichen und nord­westlichen Thüringens   sei zum Schluß erwähnt, mit der Braun tohlenverarbeitung in der Riebeckschen Montanwerte A.-G., Halle. Thüringen   nicht das Land der Burgen, der Romantit am das stille, tüchtige, hellen Strand der Saale  , das Land der Ritter fleißige Land des Arbeiters ist es, und das hohe Lied von Arbeit und Tüchtigkeit erflingt nicht allein zu Ehren der Thüringer   In­dustrien, sondern der zähen und bescheidenen Menschen, die im Schuh und Frieden des Thüringer Waldes   wohnen, erflingt zu Ehren unsere Thüringischen Arbeiterschaft.

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Bernhard Faust  ,